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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Schmidkunz, Hans: Geber und Nehmer der Kunstbildung, 4
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Die Werkstatt der Kunst.

Heft 36.

192

und die M. Liebermann einander fast schon in den
Armen.
Des letzteren Sezessionsrede zu Berlin am (6. April
l9to verdient eine nochmalige Durchsicht gerade daraufhin.
(Text ungefähr gleichlautend in der „Werkstatt der Kunst"
IX/so und in der „Täglichen Rundschau" Nr. (76.)
„In unseren Ausstellungen sollte bei der Auswahl
neben der akademischen Korrektheit, die sich von selbst ver-
steht, das Gewicht auf den künstlerischen Gehalt des Werkes
gelegt werden." (Wieweit eine bestimmte Ausstellung
solchen postulaten wirklich entspricht, ist hier, wo wir nur
von dem didaktischen, gegen „Richtungen" neutralen Stand-
punkt ausgehen, nicht zu erörtern.)
Sodann wurde hingewiesen aus Paris, „wo — es mag
beschämend sein, aber es muß gesagt werden — die Vor-
bildung für den künstlerischen Beruf besser ist
als bei uns. Auch ist in Frankreich die künstlerische Tra-
dition lebendiger. . ."
„In Zeiten gesunder Entwickelung beginnen alle
Künstler am selben Ende, d. h. mit der Erwerbung aller
vorhandenen technischen und künstlerischen Ausdrucksmittel."
(Man beachte, daß hier von den technischen Ausdrncksmitteln
die künstlerischen als ein eigener Gegenstand der Erwerbung
unterschieden werden, daß also damit dem Satze wider-
sprochen wird, nur das Technische an der Kunst sei er-
werbbar.)
Heutzutage erfolge der Entwickelungsgang umgekehrt:
„Der junge Künstler sucht da zu beginnen, wo
das Genie aushört; anstatt sich zuerst in den Besitz
aller vorhandenen Ausdrucksmittel zu setzen, will er von
vornherein neue schaffen. Das hat zu einem verfall
der absolut notwendigen handwerklichen Grund-
lagen geführt." „Wir wollen uns wieder auf die hand-
werkliche Grundlage besinnen, auf die Grundlage aller
Kunst."
Und F. Kallmorgens Eröffnungsrede der „Großen"
am ZO. April (9(0 („D. w. D. K." IX/Z2 und „Tägliche
Rundschau" Nr. 200) nimmt eine dieser Stellen — wenn-
gleich mit einer Spitze des Gegensatzes im Kunsturteile
selbst — auf. Die Schaustellungen von Ausländern seien
„wesentlich mit daran schuld, wenn es dahin gekommen ist,
daß — wie es noch vor wenigen Tagen aus berufenem
Munde gesagt wurde — ,daß der junge Künstler da anzu-
fangen sucht, wo das Genie aufhört'. Ls ist allerdings
höchste Zeit, sich wieder ,auf die handwerkliche Grundlage
zu besinnen, die die Grundlage aller Kunst ist', es wäre
wohl besser gewesen, wenn dieser Mahnruf schon vor zehn
Jahren erhoben worden wäre und Beachtung gefunden
hätte."
Aber von immer mehr und differenteren Seiten her
wird das Interesse auf das Lernen und auch Lehren der
Kunst hingewendet. Am (2. September (909 begann in
unserem Blatte (Vlll/qs) die hier fortgesetzte Artikelserie
„Geber und Nehmer der Kunstbildung" (vgl. IX,und
IX/s), als eine Ergänzung zu mehrfachen anderen Artikeln
in Hauptblatt und Beilage, die sich auf dem nämlichen
so ausgedehnten Gebiete der Künstlerbildung bewegen.
Damals wurde ganz besonders die Notwendigkeit be-
tont, die Kräfte auf diesem Gebiete zu sammeln und Ge-
legenheit zu fruchtbarer Weiterarbeit zu schaffen. Nun ist
seither tatsächlich ein Anlauf in diesem Sinne genommen
worden. Die analogen Bildungsbedürfnisse der Wissenschaft
und der Kunst zusammensassend, waltet jetzt seit (.Januar
(9(0 die
„Gesellschaft für Hochschulpädagogik".
Sie breitet sich mehr und mehr über die deutschen Lande
und allmählich auch über das Ausland aus und beginnt die
Schaffung der damals geforderten Gelegenheiten zu ihrer
Arbeit. Diese Arbeit gilt dem Zwecke der „allseitigen
Förderung desjenigen Gebietes der theoretischen und prak-
tischen Pädagogik, welches als Pädagogik der Wissenschaften
und Künste oder als akademische Pädagogik oder als Hoch-
schulpädagogik bezeichnet wird".
Also die Aufnahme und Uebertragung eines auf an-

deren Gebieten bewährten Begriffes — des der Pädagogik
— auf ein neues Gebiet! Daß es da weder völlige Gleich-
heit noch völlige Ungleichheit gibt; daß das eine Gebiet
und die anderen etwas Gemeinsames haben, ohne sich
gegenseitig von ihren spezifischen Verschiedenheiten abhängig
zu machen: dieses Verständnis für „Gattung" und „Art",
auf das wir unten noch zurückkommen, dürfte doch wohl
nicht allzu schwer sein.
Wie das im Näheren zu denken ist, und namentlich,
welch weites Gebiet sich dabei erschließt, soll besonders das
Grgan jener Gesellschaft zeigen: die „Mitteilungen für
Hochschulpädagogik" (im Selbstverläge des Schreibers
dieser Zeilen). Ihre erste Nummer, im April (9(0 heraus-
gekommen, der die zweite Ende Juni folgen soll, bemüht
sich hauptsächlich, einerseits die Prinzipien möglichst klar-
zustellen und andererseits dem großen Umfang ihres Gesamt-
gebietes gerecht zu werden. Dabei herrscht allerdings noch
die Wissenschaftspädagogik vor der Kunstpädagogik vor;
und es wird daran auch künftig nicht viel zu ändern sein,
da tatsächlich die Wissenschaften schon der Zahl nach weit
mehr zu tun geben, als die Künste.
Eine andere Frage ist die, wie denn so heterogene
Dinge und Personen — die der Wissenschaften, die der
technischen Künste und die der schönen Künste — auf
unserem Gebiete miteinander vereinbart werden können.
Demgegenüber ist auf Mehrfaches hinzuweisen, vor
allem sind zwei wesentlich unterscheidbare Gruppen mensch-
licher Tätigkeit — eben Wissenschaften und Künste — durch-
aus nicht so sehr heterogen. Der menschliche Geist und
der menschliche Lharakter sind gleichförmiger, als man
glaubt. So gibt es Gemeinsames für den Betrieb der
Wissenschaften und Künste. Und daß Wissenschaftliches
auch im Betriebe der Künste, Künstlerisches auch im Be-
triebe der Wissenschaften mancherlei Rolle spielt, ist schon
häufig mit Recht betont worden.
All das aber betrifft noch nicht das, was uns gemäß
unserem Thema interessiert: die Traditionsform — be-
trifft vielmehr den uns nur mittelbar angehenden Bestand
oder Gang der Wissenschaften und Künste selbst. Uns
kümmert direkt beispielsweise weder ein philologischer
Stammbaum noch auch eine Farbentechnik; und wir bitten
alle Beteiligten, diese Unterscheidung um so sorgfältiger zu
beachten, als derlei Verwechselungen nichts Neues mehr sind.
Auch anderswo werden in ähnlicher Weise Wissen-
schaften und Künste ohne Protest zusammengefaßt. So in
der „Amtlichen Akademischen Auskunftsstelle an der . . .
Universität zu Berlin" und in den von ihr herausgebenen
„Berliner Akademischen Nachrichten"; hauptsächlich handelt
es sich dabei um die Hochschulverhältnisse aller gerade in
Betracht kommenden Wissenschaften und Künste.
Doch all das ist eine mehr nur äußerliche Beweis-
führung. wir müssen uns in der Hauptsache selbst recht-
fertigen. Dazu gehen wir am besten aus von der Einsicht,
daß das Uebersehen des Gemeinsamen psychologisch erklär-
lich, das Betonen des Distinkten sogar ein Vorzug rein-
lichen Denkens ist, aber nicht zum Hindernisse für die An-
erkennung des Gleichen und Gemeinsamen werden darf.
Die Pädagogik hat ganz besonders schwer unter diesen
Irrtümern zu leiden. Tatsächlich ist sie sowohl eine All-
gemeine wie auch eine Besondere, ist sowohl die Line wie
auch die Mehrfache, ist sowohl eine Gemeinsame wie auch
eine Verschiedene. Sie hat ihr mehrfaches Konstantes und
hat ihre vielen Varianten. (Schreiber dieses darf wohl
darauf Hinweisen, daß er diese Dinge näher in feiner „Ein-
leitung in die akademische Pädagogik", Halle a. S. (907,
S. (9f., 57, 7Zf. auseinandergesetzt hat.)
Nur darf man wieder nicht glauben, das Allgemeine,
das Line, das Gemeinsame in der Pädagogik bestehe ledig-
lich oder auch nur hauptsächlich aus „allgemeinen Grund-
sätzen" oder gar „Reglements"; eine allerdings fort und
fort wiederkehrende Verwechselung, die uns jedoch nicht zu
lange aushalten darf.
Länger zu verweilen ist dabei, daß Pädagogik nicht
nur Unterricht und Schulwesen, sondern auch Erziehung
 
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