Heft 36.
Die Werkstatt der Kunst.
und pflege ist; so daß es sich lohnt, diese vier Teilgebiete
auch für unser augenblickliches Thema — also für das
vom Verhältnisse zwischen Wissenschaft und Kunst beim
Geben und Nehmen ihrer Tradition — rasch zu durch-
wandern.
Vie pflege. Nicht so, wie die pflege im Kindes-
alterstattfinden muß, sondern so, wie sie eben im Jünglings-
alter stattsinden muß — darauf kommt es hier an. Das
aber ist für die an der Tradition Beteiligten nicht viel
anders beim Jünger der Wissenschaften, wie bei dem der
Künste. Zahlreiche junge Leute samt ihren Eltern leiden
und klagen, weil sie nicht den rechten weg finden; und
ihrer nicht zu achten oder aber ihnen helfend entgegen-
zukommen, ist ebenso wie jenes Leiden und Klagen zu-
nächst eine über den Verschiedenheiten von Wissenschaft
und Kunst stehende Sache.
Sodann gehört ebenso in einer gemeinsamen weise
hierher alles Hygienische, das auch Studenten zugute kommen
soll; alles, was irgendwie Jugendschutz und Jugendfürsorge
heißen kann; alles, was von dem Geber der Tradition
ihrem Nehmer geraten und geholfen werden kann zur
Erkenntnis und Behandlung seines Talentes, zur Wahl
seines Faches, Berufes und Standes. Sogar eine Bemühung
um finanzielle Erleichterung des Studierenden (die längst
nichts Neues mehr ist), sowie eine um seinen künftigen Er-
werb (die allerdings nicht so nahe liegt und vielleicht mit
Entrüstung abgeschüttelt wird) gehören hierher.
Der in unserem Rahmen bereits angeführte Düssel-
dorfer Galeriedirektor F. w. v. Schadow gab sich geradezu
viel Mühe, seinen Schülern Gelegenheiten zu materiellem
Erwerb zu verschaffen. Er beantwortete also gleich praktisch
die Frage, welche neuerdings hier und da mehr nur
schüchtern aufgeworfen wird: die Frage, ob es denn vom
Staat oder von anderen Schulherren nicht gewissenlos ge-
handelt sei, so viele junge Leute auszubilden, sie kühnen
Hoffnungen entgegenzuführen, sie schließlich ganz einfach
ihrem Schicksal zu überlassen und ihrem Versinken in ein
„geistiges Proletariat" kalt zuzuschauen. Die gegenwärtigen
Formen der wissenschaftlichen — zum Teil auch der tech-
nischen — Ausbildung sind hierin wenigstens insofern
besser, als sie durch ihre Prüfungszeugnisse einigermaßen
die Anwartschaft auf spätere „Versorgung" geben.
Die Erziehung. Ein Lehrer ist erst dann vollkommen,
wenn er nicht nur unterrichtet, sondern auch erzieht. Unter-
halb der Stufe wissenschaftlicher und künstlerischer Bildung
sowie sonstiger Fach- und Berufsbildung handelt es sich
um die Erziehung zum Menschen überhaupt, auf jener
Stufe um die Erziehung speziell zum Berufsmenschen und
allerdings auch um einen Fortgang der allgemeinen Er-
ziehung. Auf Universitätsseite haben da Männer, wie
Fichte, Dahlmann, Treitfchke, genug wertvolles gesagt, daß
es uns bei gemächlicherer Gelegenheit noch lange aufhalten
könnte; was von feiten der Kunstakademien her Analoges
vorgebracht sein mag, verdient noch eine eindringliche Nach-
forschung.
Das Schulwesen. Jegliche Lehrstätte, hoch oder
niedrig, wissenschaftlich oder künstlerisch, bedarf mannig-
facher äußerer Veranstaltungen — zunächst ohne Rücksicht
auf spezielle Differenzierungen. Das Verhältnis zu den
verschiedenen Faktoren des Gefellschaftslebens ergibt die
Schulpolitik; der bauliche Bedarf ergibt die Schularchi-
tektur; der Unterrichtsbetrieb verlangt Lehrmittel usw.,
insbesondere Sammlungen, wie namentlich Bibliotheken usw.
Sogar bei spezieller Differenzierung wird noch ungemein
viel Gemeinsames bleiben. Gder müssen denn etwa eine
Universitäts- und eine Akademiebibliothek bis auf jedes
einzelne Buch und Registrierblatt hinab „total" ver-
schieden sein?
Der Unterricht. Meint man, der wissenschaftliche
und der künstlerische Unterricht seien gänzlich unvergleich-
bar, so müßte geradezu dafür gesorgt werden, daß nicht
etwa einmal ein Missenschaftslehrer einen didaktischen Griff
anwendete, der auch bei einem Kunstlehrer vorkommt —
und umgekehrt. Ls ist ausgeschloffen, daß jedes didaktische
B3
Problem dort und hier völlig andere Lösungen ergebe. Soll
man auf der einen Seite nur den Weg vom Bekannten
zum Unbekannten und folglich auf der anderen Seite just
nur den umgekehrten empfehlen? Dazu kommt noch, daß
die Fanatiker der totalen Unvergleichbarkeit auch innerhalb
des Wissenschaftsunterrichtes ebensolche Unvergleichbarkeiten
zwischen den einzelnen Wissenschaften behaupten und wohl
auch hinzusetzen werden, daß der Unterricht in den ver-
schiedenen Künsten total verschieden sei, daß also z. B. in
Malerei gänzlich anders unterrichtet werden müsse, als in
Plastik, u. dgl. m. Man sieht, daß auf solchen wegen die
Welt überhaupt sich in einen vollständigen Atomismus auf-
zulösen hätte.
Es gibt schon noch genug Gemeinsames; und für
dieses ergeben sich dann, mag man auch noch so sehr alles
Reglementieren vermeiden, doch mancherlei didaktische Weg-
weiser, mit mannigfachen Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten
gegenüber denen von unteren Bildungsstufen, und mit
mannigfachem Aehnlichen und Unähnlichen in der An-
wendung auf die einzelnen wissenschaftlichen und künstle-
rischen Unterrichtsfächer, (vgl. „Einleitung", S. ssf., 75
bis 79.)
Sowohl das Schul- wie das Unterrichtswesen, und zwar
sowohl das wissenschaftliche wie das künstlerische, betreffen
gewisse, zunächst historische, dann aber überhistorisch geltende
Erscheinungen.
Erstens: Auch das uns besonders interessierende, wenn
nicht jegliches Schul- und Unterrichtswesen, beginnt im
engsten Familienkreise, setzt sich im weiteren Stammeskreise
namentlich dadurch fort, daß ein Lehrling in eine Werk-
statt eintritt, gelangt dann weiterhin zu eigentlichen, ins-
besondere durch das Klassensystem gekennzeichneten Schulen
und setzt auch diese noch vollkommener dadurch fort, daß
die Schule durch eine höhere Form von Werkstattbildung
ergänzt wird.
In all dies spielen wirtschaftliche Kräfte hinein, wie
vornehmlich der Gegensatz zwischen kleinbürgerlicher und
großbürgerlicher Produktion. Bei der Herrschaft jener
kommt namentlich die Zunft in Betracht; unter ihr ent-
faltet sich das Werkstatt- und Lehrlingswesen wohl zu seiner
interessantesten Höhe.
Zweitens: Auf dieser Höhe entsteht eine dreigliederige
Reihe, die zwar wiederum ihre geschichtlich gewordenen
Blütezeiten hat, aber auch über sie hinaus ihre unvertilg-
bare Bedeutung geradezu von ewiger Gültigkeit besitzt. Es
ist dies die Reihe des Lehrlings, des Gesellen, des
Meisters.
Beide Punkte gelten in erster Linie bei dem Unter-
richt in Fächern, welche manuell zu tun geben, für unser
Interesse also hauptsächlich beim Unterricht in den Künsten.
Dieser ist in seinem geschichtlichen Gange ganz besonders
gekennzeichnet erstens durch den Gegensatz zwischen Werk-
statt- und Schulbildung, und zweitens durch den mittels
keiner Gegensätze ganz aufzuhebenden Dreischlag: Lehrling,
Geselle, Meister.
Aber merkwürdig: im Wissenschaftsunterricht, für den
man dies nicht von vornherein erwarten sollte, gilt es
ebenfalls, wenn auch in weniger handgreiflicher weise.
Die mittelalterliche Universität war geradezu auf den gleichen
Dreischlag aufgebaut: Scholar, Baccalaureus, Magister. Und
die Werkstattarbeit, im Gegensätze zum werkstattlosen Linzel-
und Klassenunterricht, erreicht in den neuesten Gestaltungen
der Universitäten eine ganz eigentümliche Blüte.
Ungemein viel bleibt hier noch historisch zu erforschen;
aber die dadurch gegebenen Verwandtschaften zwischen
Wissenschafts- und Kunstunterricht können bereits jetzt
evident sein. (Vgl. des Verfassers Abhandlung: „Zur Ge-
schichtsforschung und Geschichtsschreibung der Hochschul-
pädagogik" in „Lehrproben und Lehrgänge", Halle a. S.
;9o;, Heft 68, S. 8-^—88.)
All das sind Dinge, die vor allem einmal zur Kennt-
nis genommen werden müssen, die als Probleme und Aus-
gaben anerkannt sein wollen, und deren weitere Behand-
lung eben unsere Pflicht ist.
Die Werkstatt der Kunst.
und pflege ist; so daß es sich lohnt, diese vier Teilgebiete
auch für unser augenblickliches Thema — also für das
vom Verhältnisse zwischen Wissenschaft und Kunst beim
Geben und Nehmen ihrer Tradition — rasch zu durch-
wandern.
Vie pflege. Nicht so, wie die pflege im Kindes-
alterstattfinden muß, sondern so, wie sie eben im Jünglings-
alter stattsinden muß — darauf kommt es hier an. Das
aber ist für die an der Tradition Beteiligten nicht viel
anders beim Jünger der Wissenschaften, wie bei dem der
Künste. Zahlreiche junge Leute samt ihren Eltern leiden
und klagen, weil sie nicht den rechten weg finden; und
ihrer nicht zu achten oder aber ihnen helfend entgegen-
zukommen, ist ebenso wie jenes Leiden und Klagen zu-
nächst eine über den Verschiedenheiten von Wissenschaft
und Kunst stehende Sache.
Sodann gehört ebenso in einer gemeinsamen weise
hierher alles Hygienische, das auch Studenten zugute kommen
soll; alles, was irgendwie Jugendschutz und Jugendfürsorge
heißen kann; alles, was von dem Geber der Tradition
ihrem Nehmer geraten und geholfen werden kann zur
Erkenntnis und Behandlung seines Talentes, zur Wahl
seines Faches, Berufes und Standes. Sogar eine Bemühung
um finanzielle Erleichterung des Studierenden (die längst
nichts Neues mehr ist), sowie eine um seinen künftigen Er-
werb (die allerdings nicht so nahe liegt und vielleicht mit
Entrüstung abgeschüttelt wird) gehören hierher.
Der in unserem Rahmen bereits angeführte Düssel-
dorfer Galeriedirektor F. w. v. Schadow gab sich geradezu
viel Mühe, seinen Schülern Gelegenheiten zu materiellem
Erwerb zu verschaffen. Er beantwortete also gleich praktisch
die Frage, welche neuerdings hier und da mehr nur
schüchtern aufgeworfen wird: die Frage, ob es denn vom
Staat oder von anderen Schulherren nicht gewissenlos ge-
handelt sei, so viele junge Leute auszubilden, sie kühnen
Hoffnungen entgegenzuführen, sie schließlich ganz einfach
ihrem Schicksal zu überlassen und ihrem Versinken in ein
„geistiges Proletariat" kalt zuzuschauen. Die gegenwärtigen
Formen der wissenschaftlichen — zum Teil auch der tech-
nischen — Ausbildung sind hierin wenigstens insofern
besser, als sie durch ihre Prüfungszeugnisse einigermaßen
die Anwartschaft auf spätere „Versorgung" geben.
Die Erziehung. Ein Lehrer ist erst dann vollkommen,
wenn er nicht nur unterrichtet, sondern auch erzieht. Unter-
halb der Stufe wissenschaftlicher und künstlerischer Bildung
sowie sonstiger Fach- und Berufsbildung handelt es sich
um die Erziehung zum Menschen überhaupt, auf jener
Stufe um die Erziehung speziell zum Berufsmenschen und
allerdings auch um einen Fortgang der allgemeinen Er-
ziehung. Auf Universitätsseite haben da Männer, wie
Fichte, Dahlmann, Treitfchke, genug wertvolles gesagt, daß
es uns bei gemächlicherer Gelegenheit noch lange aufhalten
könnte; was von feiten der Kunstakademien her Analoges
vorgebracht sein mag, verdient noch eine eindringliche Nach-
forschung.
Das Schulwesen. Jegliche Lehrstätte, hoch oder
niedrig, wissenschaftlich oder künstlerisch, bedarf mannig-
facher äußerer Veranstaltungen — zunächst ohne Rücksicht
auf spezielle Differenzierungen. Das Verhältnis zu den
verschiedenen Faktoren des Gefellschaftslebens ergibt die
Schulpolitik; der bauliche Bedarf ergibt die Schularchi-
tektur; der Unterrichtsbetrieb verlangt Lehrmittel usw.,
insbesondere Sammlungen, wie namentlich Bibliotheken usw.
Sogar bei spezieller Differenzierung wird noch ungemein
viel Gemeinsames bleiben. Gder müssen denn etwa eine
Universitäts- und eine Akademiebibliothek bis auf jedes
einzelne Buch und Registrierblatt hinab „total" ver-
schieden sein?
Der Unterricht. Meint man, der wissenschaftliche
und der künstlerische Unterricht seien gänzlich unvergleich-
bar, so müßte geradezu dafür gesorgt werden, daß nicht
etwa einmal ein Missenschaftslehrer einen didaktischen Griff
anwendete, der auch bei einem Kunstlehrer vorkommt —
und umgekehrt. Ls ist ausgeschloffen, daß jedes didaktische
B3
Problem dort und hier völlig andere Lösungen ergebe. Soll
man auf der einen Seite nur den Weg vom Bekannten
zum Unbekannten und folglich auf der anderen Seite just
nur den umgekehrten empfehlen? Dazu kommt noch, daß
die Fanatiker der totalen Unvergleichbarkeit auch innerhalb
des Wissenschaftsunterrichtes ebensolche Unvergleichbarkeiten
zwischen den einzelnen Wissenschaften behaupten und wohl
auch hinzusetzen werden, daß der Unterricht in den ver-
schiedenen Künsten total verschieden sei, daß also z. B. in
Malerei gänzlich anders unterrichtet werden müsse, als in
Plastik, u. dgl. m. Man sieht, daß auf solchen wegen die
Welt überhaupt sich in einen vollständigen Atomismus auf-
zulösen hätte.
Es gibt schon noch genug Gemeinsames; und für
dieses ergeben sich dann, mag man auch noch so sehr alles
Reglementieren vermeiden, doch mancherlei didaktische Weg-
weiser, mit mannigfachen Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten
gegenüber denen von unteren Bildungsstufen, und mit
mannigfachem Aehnlichen und Unähnlichen in der An-
wendung auf die einzelnen wissenschaftlichen und künstle-
rischen Unterrichtsfächer, (vgl. „Einleitung", S. ssf., 75
bis 79.)
Sowohl das Schul- wie das Unterrichtswesen, und zwar
sowohl das wissenschaftliche wie das künstlerische, betreffen
gewisse, zunächst historische, dann aber überhistorisch geltende
Erscheinungen.
Erstens: Auch das uns besonders interessierende, wenn
nicht jegliches Schul- und Unterrichtswesen, beginnt im
engsten Familienkreise, setzt sich im weiteren Stammeskreise
namentlich dadurch fort, daß ein Lehrling in eine Werk-
statt eintritt, gelangt dann weiterhin zu eigentlichen, ins-
besondere durch das Klassensystem gekennzeichneten Schulen
und setzt auch diese noch vollkommener dadurch fort, daß
die Schule durch eine höhere Form von Werkstattbildung
ergänzt wird.
In all dies spielen wirtschaftliche Kräfte hinein, wie
vornehmlich der Gegensatz zwischen kleinbürgerlicher und
großbürgerlicher Produktion. Bei der Herrschaft jener
kommt namentlich die Zunft in Betracht; unter ihr ent-
faltet sich das Werkstatt- und Lehrlingswesen wohl zu seiner
interessantesten Höhe.
Zweitens: Auf dieser Höhe entsteht eine dreigliederige
Reihe, die zwar wiederum ihre geschichtlich gewordenen
Blütezeiten hat, aber auch über sie hinaus ihre unvertilg-
bare Bedeutung geradezu von ewiger Gültigkeit besitzt. Es
ist dies die Reihe des Lehrlings, des Gesellen, des
Meisters.
Beide Punkte gelten in erster Linie bei dem Unter-
richt in Fächern, welche manuell zu tun geben, für unser
Interesse also hauptsächlich beim Unterricht in den Künsten.
Dieser ist in seinem geschichtlichen Gange ganz besonders
gekennzeichnet erstens durch den Gegensatz zwischen Werk-
statt- und Schulbildung, und zweitens durch den mittels
keiner Gegensätze ganz aufzuhebenden Dreischlag: Lehrling,
Geselle, Meister.
Aber merkwürdig: im Wissenschaftsunterricht, für den
man dies nicht von vornherein erwarten sollte, gilt es
ebenfalls, wenn auch in weniger handgreiflicher weise.
Die mittelalterliche Universität war geradezu auf den gleichen
Dreischlag aufgebaut: Scholar, Baccalaureus, Magister. Und
die Werkstattarbeit, im Gegensätze zum werkstattlosen Linzel-
und Klassenunterricht, erreicht in den neuesten Gestaltungen
der Universitäten eine ganz eigentümliche Blüte.
Ungemein viel bleibt hier noch historisch zu erforschen;
aber die dadurch gegebenen Verwandtschaften zwischen
Wissenschafts- und Kunstunterricht können bereits jetzt
evident sein. (Vgl. des Verfassers Abhandlung: „Zur Ge-
schichtsforschung und Geschichtsschreibung der Hochschul-
pädagogik" in „Lehrproben und Lehrgänge", Halle a. S.
;9o;, Heft 68, S. 8-^—88.)
All das sind Dinge, die vor allem einmal zur Kennt-
nis genommen werden müssen, die als Probleme und Aus-
gaben anerkannt sein wollen, und deren weitere Behand-
lung eben unsere Pflicht ist.