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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 150 - 176 (1. Juli 1903 - 31. Juli 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0163

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Frcit«,, 24. Mi ISiiZ.

Erstes 'NiaN.

iz. MWm. — m.

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8rschet«t tö»lich, Sonniagr Lurscnominen. Pr-iS mii KLmi'icnbröttkrn wonatlich 50 Vfg. in'r Haus gkbracht, b«i dcr Expedition und dcn Zwiigstationcn abgiholt <0 Pfg. Durch dlr KO

bizogen viirieljLhrlich 1.38 Mk. auSschlleßlich Zustellgebühr.

U«r«iti»preir: 20 Pfg. für die Ispaltigr Peützrile odcr drrcn Raum. Reklamezeile 40 Psg. Für hiesige GeschäftS- und Prioatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme vo» N«ie?KN
a« bistimmten Tagen wird keine Berantwortlichkeit ül irnommrn. — Anichlag der Jnlerate auf den Pla kattafelu der Heidelberger Zeitung mid den städtischen Anschlagstsllen. Fernsprecher W,

/

Nationalliberale und Freisinn in Vaden.

Jn dem Organ der freisinnigen Bolkspartei Badens,
^enr „Badischen Bolksblatt", ist solgende Ausführung zu
lesen:

„Die Nationalliberalen brauchen auch keineswegs
Zu glauben, die „Annäherung" an die Linksliberalen
bestehe darin, datz diese ihnen bei den Landtagswahlen
die Kastanien aus dem Feuer zu holen haben, damlt
wieder eine nationalliberale Kammermehrheit zustande
kommt. Damit ist nichts. Die Taktik der Linkslibe-
ralen muß die sein, sowohl eine absolute natiouallibe-
rale Mehrheit, als auch eine relative Zentrumsmehr-
heit zu verhindern und für die Stärkung der Linken
Zu sorgen. Niemals werden die Linksliberalen die
Hand dazn bicten, daß eine absolute nationalliberale
Kammermehrheit wieder zustande kommt, denn sonst
würden die Nationalliberalen wieder „fuhrwerken" wie
rhedem. Jst es den Nationalliberalen ernst mit der
Annäherung an die Linksliberalen, so mögen sie den
Linksliberalen auch eine Vertretung im Landtage gön-
nen und von der Absicht abgehen, als ob sie, die Na-
tionalliberalen, das Monopol auf alle Wahlkreise hätten.
Also in erster Linie mützten sie ihre Wahltaktik ändern.
Leben nnd leben lassen! Es gibt viele Bezirke, die sis
für sich nicht mebr halten oder gewinnen können, die.
aber nnter linksliberaler Flagge gehalten oder ge-
wonnen werden können. So ist die Sache. Ob die
Nationalliberalen sooiel Uneigennützigkeit haben wer-
hen, uin die Jnteressen des Gesamtliberalismus über
Len Parteiegoismus zu stellen, bleibt abzuwarten. Wenn s
he freitich so wenig gelernt haben, wie der Partes- !
senior Eckhard, der unter heutigen komplizierten Ver-
hältnissen die Welt nur von einem Punkt aus kurieren
will: von der Kulturkämpferei aus — so ist für Ge-
sundung unserer innerpolitischen Verhältnisse nicht viel
Z" hoffen."

Dazu bemerkt der „Mannh. Gen.-Anz.": Es wird
^llerdings richtig sein, wenn bei den kommenden Land-
wgswahlen die nationaüiberale P-artei aus Gründen der
^karkung des Liberalismus der freisinnigen Volkspartei
^cht feindlich, sondern freundschastlich gegenübertritt.

nationalliberale Partei hat keine Veranlassung, eine
F"Aei, die sie bei den Reichstagswahlen auf das loyalste
wterstützt hat, schlecht zu behandeln. Wir sind auch der
'Aeinung, daß einzelne Wahlkreise leichter für den Libe-
^^iswus zurückzuerobern sind, wenn ein freistnniger
. ?"didat an Stelle eines nationaltiberalen anfgestellt
zvPd. Es wäre dies im Einzelnen näher zu prüfen.

oi'aussetzung wäre allerdings, daß in den in Aussicht
^ nehmenden Wahlkreisen die freisinnige Volkspartei
^ch eine in die Wagschale fallende Anzahl Gesinnungs-
^swssea aufzuweisen hat, sonst tiegt 5ie Gefahr eines Mitz-
Aolges zu uahe.

Das Bündnis in Karlsruhe hat sich, wie der Erfolg
Jahres 1901 gezeigt hat, dnrchaus bewährt. Ver-
^chlgen sich Leide Parteien im ersten Wablgang, so ist ihre

Stoßkraft gegen Zentrum und Sozialdemokraten natürlich
eine weit intensivere, als wenn erst nach den Wahlmänner-
wahlen Kompromisse abgeschlossen werden. Aus all dem
planlosen Gerede und Geschreibe insbesondere der Ber-
liner Presse, die in Barthschem Fahrwasser segelt, muß
für den Politiker, der mit dem Erreichllaren rechnet, als
springender Punkt immer nur das Eine herausgegriffen
werden, daß gute Beziehungen zur sreistnnigen Volks-
partei notwendig stnd. Das wird stch vor allem auch bei
den preußischen Landtagswahten herausstellen. Die na-
tionalliberale Partei hat bei den Reichstagswahlen gut
abgeschnitten, sie hat ihre bisherige Fraktionsstärke auf-
recht erhalten nnd was mehr ist, ste hat 290 000 Stim-
men gewonnen, sie zählt heute nahezu so viele Stimmen,
als vor der Sezession des Jahres 1887. Die nach ihr
stärkste Partei des Liberalismus, die freisinnige Volks-
partei, hat eine halbe Million Wählerstimmen erzielt. Es
ist bei den schwierigen Politischen Verhältnissen, in denen
wir heute schon stehen, nachdem in den letzten Jahren
manche alte Bitterkeit zwischen diesen Parteien ausge-
räumt wurde, zum Greifen naheliegend, nicht sich zu füsi-
onieren, aber vereint zu schlagen, dies ist weit nützlicher,
als heute über Eugen Richter zn schimpfen, weil er von
molluskenhaften Plänen über Neubildungen von Parteien
kraft seiner Ersahrung nichts wissen will. Dies werden
hofsentlich auch alle diejenigen einsehen, die heute liberal
und kulturkämpferisch für gleichbedeutend anzüsehen ge-
neigt sind.

Deutsches Neich»

Daden.

K o n st anz, 23. Juli. Jn einer vorgestern Abend
im Hotel Riedmatter abgehaltenen Versammlung des
Volksvereins Konstanz wurde Rechtsanwalt Vene-
dey nls K andidat für den Landtag aufgestellt. Rechts-
anmalt Venedey nahm die Lkandiöatur an.

Iü 8 Lt a r ls r uhe, 23. I»ti. Nach einer Mittei-
lnug des „Bad. Landesb." soll ein Kaplan in einer
Schule der Oststadt einen Schüler über die Z e i t u n g
befragt haben, die sein Vater lese, und zwar zu dem
Zweck, die Haltung des „B a d.. B e o b a ch t e r s" in der
betreffenden Familie zu empfehlen. Auch in Schulen der
Südstadt sollen, wi-e dem hiesigen Stadtrat von anderer
Seite berichtet wnrde, ähnliche Eiiiwirkttngen versu-cht
worden sein. Der Stadtrat hat nun das Rektorat ver-
anlaßt, Erhebungen zu machen, ob Geistliche in Wirklich-
keit derartige grobe Taktlosigkeit sich haben zu Schulden
kommen lassen.

Furtwangen, 20. Juli. Der Landtags-
abgeordnete Herr Bürgermeister Alois Herth
(Bezirk Triberg-Wolfach) hat laut heute abgegebener Er-
klärung sein Amt als Landtagsabgeordneter nieder -
g e l e g t. Er tat dies hauptsächlich deshalb, um
durch nichts bon seinen Amtsgeschästen abgehalten zu sein.

Die Familie Pecci.

. Ueber die wirkliche Familie des Papstes, die F a m i -
^ Pecci, wird der „Augb. A.-Ztg." geschrieben:

. Wer heute Pecci heißt, rllhnit sich auch, ein „entfern-
Derwandter" deS Papstes zu sein. Der Familiemiame
gehört gerade nicht zu den häufigen, sindet sich
, in doch in fast allen größeren Städten Jtaliens nnd so
"ben die Zeitiingen einen Anstreicher Pecci, einen Sän-
Pecci, und zahtlose Grafen Pecci ausfindig gemacht,
^ !>ch allesamt bitterlich beklagten, daß ihnen der Heilige
. "ter njcht schon längst einige Millionen geschenkt habe,
r? ^atz ihre Bittschristen einfach unbeantwortet geblieben
L Am schlechtesten ist auf den Heiligen Vater ein ge-
p P "br Michele Pecci zu sprechen, dem es als „dieffe des
. "hstes" vor zwei Fahren beinahe gelungen wäre, eine
, .Mzösische Millionüriii heimzuführen, wemi Leo XIII.
i.M ini entscheidenden Momente der Familie der Braut
^"geteilt hätte, daß Pecci auf Freierssüßen mit ihm,
R Papste, nichts anderes gemein habe als den Fa-
w'üsniiamen. Wie man weiß, stammt die Familie des
^bpstrs aus Carpineto bei Rom, einem armseligen Stüdt-
d" in den Lepinischen Bergen. Jn diesem Städtchen
es seit Menschengedenken zwei Familien Pecci, eine
^>chere imd eine ärmere. Papst Leo XIII. ist der letz-
^ >en entsprossen. Natürlich ist jetzt seine Familie die
^^te des Städtchens, und die anderen Pecci, die „reichen",
aes die PäPstliche Familie, die ihnen den Rang ab-
""fen hat, mit miauslöschlichem Hasse und Neid. Iener

Michele Pecci, dem beinahe die französische Millionen-
heirat geglückt wäre, schwört darauf, daß Leo XIII. die
Heirat bloß aus Familienhaß gehindert habe, damit in
Carpineto nur nicht die „rsichen" Pecci wieder obenauf
kämeii. Uebrigens war es auch imt dem Reichtuni der
reichen Pecci nicht weit her. Jhre Besitzungen bestehen
in Oelgärten, die eine Jahresrente von etwa 3000 Lire
abwersen. Die größten Grundbesitzer von Carpineto stnd
die Barone Coluzzi, denen auch das mittelalterliche Schlotz
der Stadt gehört. Dann kommen die Grafen Calda-
rozzi und dann erst die Landwirte von mittlerer Wohl-
habenheit, wie eben die beiden feindlichen Familien Pecci.
Der Vater Leos XIII. war ein schlichter Landwirt, der
das Regiment des Hauses völlig seiner Gemahlin überließ,
einer energischen, hochbegabten Frau, die sich rühmte,
von Cola da Rienzi abzustammen. Die Pecci waren nicht
adelig. Sie bewohnten in Carpineto auch keinen Palast,
svndern ein einfaches Vauernh-aus. Von den drei Söhnen
der Familie sollte der älteste, Giovanni Battista Pecci,
den Grimdbe'sitz crben; die beiden anderen, GiusePPe und
Gioachino, wurden der geistlichen Laufbahn zugeführt.
Gioachino, der künstige Papst, war der jüngste Bruder.
Schon als Kardinal und Erzbischof von Perugia hat er
viel für seinö Familie getan. Das Wohnhaus der „armen"
Pecci in Carpinento ivurde zu einem Palaste ausgebaut
und der Grundbesitz der Familie erweitert. Die „reichen"
Pecci wollten hinter ihren verhaßten Nebenbuhlern nicht
zurückbleiben und wandeltsn ihr Wohnhaus ebensalls in
einen Palast um, doch ist dieser Umbau niemals fertig

Ausland.

Belgicin

Brüssel, 22. Juli. K a m m e r. Bei der Er-
öffnung der heutigen Sitzung huldigte der Vorsitzende
Schotlaert dem Andenken des verstorbenen Pap-
st e s und schloß seine Ansprache mit den Worten: „Der
HI. Vater steigt ins Grab imd tritt in die Unsterblichkeit
ein, gekrönt von Rühm und voll Majestät, wie die leuch-
tende Abendsonne in dem purpurnen Glanze des west-
lichen Himmels versinkt. Wenn die Katholiken das Ober-
haupt der Kirche beweinen, so werden auch Sie, meine
Herren, ungeachtet Jhrer politischen Ueberzeugungen, die
tiefe Trauer teilen, die uns bei dem Ableben dieses er-
lauchten Mannes, dieses Deschützers der Armen, dieses
Freundes unserer Nation erfüllt. Jch beantrage darum,
zum Zeichen der Trauer die S i tz u n g a u s z u h e b e n."
Der Minister des Aeußern de Favereau unterstützte
den Antrag. Darauf erhob sich Ianson und gab fol-
gende Erklärung im Namen der Fortschrittler ab: Wir
begreifen den Schmerz der katholischen Mitglieder des
Hauses. Aber wenngleich wir Rnckficht auf sie nehmen
mö-chten, und wenn wir auch hohe Achtung vor dem er-
habenen Toten hegen, so gsbietet uns unsere Pflicht, uns
nicht einer politisch-religiösen Kundgebung anzuschließen,
für die es in unserem Parlament keinen Präzedenzfall
gibt. Veim Tode Pius IX. unterblieb eine solche Künd-
gebung, obwohl damals eine klerikale Regierung am
Ruder war. Wenn der Herrscher eines nns befreundeten
Volkes stirbt, so ist es natürlich, daß wir einen Beweis
unserer Teilnahme geben. Aber Leo XIII. war nicht der
Beherrscher eines Votkes, sondern einer Kirche, die dazu
nicht einmal Staatskirche bei uns ist. Der Redner er-
innerte dann an den Konflikt des Papstes mit der
belgischen Regierung, als Frtzre Orban
Ministerpräsident war. Diese Zwischensälle verüieten nns,
schloß Janson, nns der beabstchtigten Kundgebung anzu-
s-chließen. Nachdem der Priester Daens den Verfasser
der Enzyklika rei-iim iiovnimia gefeiert und der Sozr-
alistenführer -Vandervelde sich Janson anzuschließen er-
klärt hatte, wurde der Antrag des Vorsitzenden mit den
Stimmen der Rechten gegen die gesamte Linke ange-
n mmen.

Aus Ltttdt u«Ä Laud.

Heidelbe: g. 24. Juli.

-p Bürgerausschußsitzmi!, vom 28. Juli. Der Vorsitzcnde,
Oberbürgermeister Dr. Wilckens. eröffncte die Sitzung
kurz nach halb 6 Uhr. Der Namensaufruf ergibt die An-
wesenheit von 89 Mitgliedern. Vor dem Eintrit in die Tages-
ordnung gedenkt der Oberbürgermeistcr mit warmcn, ehren-
den Worten der seit der letzten Sitzung des Kollegiums ver-
schiedenen Mitglieder, der Herren Stadtrat Albert U e b e r l e.
des Seniors des Stadtrates und letzten Bürgermeisters von
Ncucnhcim, der durch scinen praktischcn Sinn und seincn so
weiten Gesichtskreis der Stadt bis in sein hohes Alter hinein
unschätzbare Dienste geleistet habe, sowie des verstorbenen Herrn
Revisors a. D. Ritter, der stets ein eifriges Mitglied dcs
Stadtverordnetenkollcgiums gcwesen ist. Die Anwesenden er-

geworden. Ja, wenn dem braven Michele Pecci die fran-
zösts-che Millionenheirat geglückt wäre! Kaum hatte
Gioacchino Pecci als Leo XIII. den PüPstlichen Stuhl be-
stiegen, so fand sich ein Heraldiker, der klipp und klar
nachwies', daß die Pecci eine gräfliche Familie seien. Er
führt zu diesem Behuse den Stammbaum der Pecci von
-Carpineto auf das gräfliche -Haus der Pecci von Siena
zurück, die zum toskanischen Uradel gehören. Leo XIII.
hat diesem genealogischen Kunststück niemals irgend ivelche
Bedeutung beigemessen, wohl aber glaubteii die Grafen
Pecci von Sinea daran, die nicht wenig stolz darauf waren,
daß einem Nebenzweige ihres Hauses d-er regierende Papst
entsprossen sei. Leo XIII. machte dem Streite um den
Grasentitel seiner Familie dadurch ein Ende, daß er
seinem ältesten Bruder Giovanni Battista Pecci, dem
Haupte der Familie, den päpstlichen Grafentitel verlieh.
Die italienische Regierung beeilte sich, diesen Titel anzu-
erkennen. Gras Giovaiini Battista Pecci starb am 28.
März 1881. Papst Leo XIII. hat in seinem älteren
Bruder jederzeit das Oberhaupt der Familie geehrt und
si-ch insbesondere in der Verwaltung' seines Privatvermö-
gens gern von den Ratschlägen seines Bruders leiten
lassen. Jn Carpineto herrscht der Glaube, daß sich
Leo XIII. insgeheim an das Sterbelager seines Bruders
begeben und ihm in seiner letzten Stunde zur Seite ge-
standen habe. Die Kinder und Kindeskinder des Grafen
Giovanni Battifta Pecci stnd die einzigen Verwandten,
die Leo XIII. anerkennt. Es sind ihrcr im ersten Grade
sechs: die Grafen Lodovico, Camillo und Riccardo Peccr
 
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