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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 256 - 280 (2. November 1903 - 30. November 1903)
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28. Novmber 1V3.

^rstes Wksrtt.

43. ZllhWW. — 279.

^rschei,t tügltch, Sonntag» surgmommen. Prei» wit Familtenblättern monatlich SV Pfg. tn'» Hau» gebracht, bei ber Erpeditton »nd den Zweigstattoneu adgeholt 40 Pfg. Dnrch dt, U«ß

derogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausfchlteßlich Zustcllgebühr.

^NIetgenprei»: Sl> Pfg. für dte lipalttge Pcttt,eile oder drren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiefige Grfchäft». und Privatanzeigea ermähtgt. — Für dir Sufnahme »»« Lnßetgn,
«» brstimmten Tagen wird keine Berantwortlichketi übernommen. — Anschlag der Jnserat auf den Pla kattaseln der Heidclbrrger Zeitung und den städttfchen Anlchlagftellen. Fernsprrcher W.

^olitische Versammlung im Tannhiiuser.

Heidelberg, 28. Nov.

-auf gcstern Abend von den hiesigen Nationalsozialen
dn? „Tannhäuser" einberufene . Versammlung war von
^söefähr goo Pcrsonen, worunter sich auch eine ganze Anzahl
befanden, besucht. Medizinalrat Kürz eröffnete die
tj^^mmlung mit einigen Willkonimensworten; er konsta-
^ "c dabei, daß die hiesigen Nationalsozialen den Schritt
Hn chnanns nicht mitzemacht haben, doch wichen sie in keiner
^lle von Naumann ab, er bleibe ihr geistiger Führer. Wenn
bcii, ^csige nationalsoziale ' Vereinigung ihre Selbständigkcit
^,?chalten habe, so geschah dies in der Absicht, solcher Art
einen Zusammenschluß aller liberalen Parteien hin-
^ueiten zu können. Diesem Zwecke biene auch die heutige
^^chmlung, in welcher einem jeden freie Aussprache gc-

H Enerauf ergriff Professor Deitzmann das

h zu dem angekündigten Vortrag über den Dres -
j.Nex Parteitag der Sozialdemokra-

ho,' Es ist kcin Wunder, so führte er aus, daß wir Na-
irao ic>äinle ühor den Dresdener Parteitag der Sozialdemo-
uus auszusprechen wünschen, dcnn seit 'der Gründung
?ntionalsozialen Partci im Jahre 1886 hat diese immer
ex«,..chzialdemokratische Problem sür das eigcntlich brcnnende
D>^^ 'st gerade ein Hauptverdienst Raumanns, der
tvjssonschastlich das sozialdemokratische Problem energisch
tzj^ chgearbeitet hat. Vier Punkte lcgen uns die Besprechung,
heute bcabsichtigen, besonders nahe. Erstcns haben die
!^.cn Wahlen drci Millionen Sttmmen für dic sozialdemo-
Partei gebracht; zlveitens kann man in der inneren
'"k auf die Dauer die Mitarbeit von drci Millionen Wäh-
»jcht entbehren; drittens ist die Selbstausschaltung der
^^>aldemokratie kein notwendiger Zustand und viertens ha-
^u>r das Bcstreben, dcr Sozialdemokratie gerecht zu wer-
empfindcn die Verpflichtung zur Gcrechtigkeit be-
!>cht icbhaft. Gewaltmaßregeln kommen nach unserer An-
in Betracht; auch halten wir die Theorie, welche die
dx»-^tdemokraten für eine Masse Vcrlorener ansieht, für eine
^ Mcinung. Auch bci den badischen NationallibLralcn,
^ord^^ore bei den Jungliberalcn, sind Stimmen laut ge-
tj^ , die eine ähnliche Stellungnahme zur Sozialdemokra-
!>ch j ratcn. Schäfer, Wilckens, Junghanns und Koch haben
diesem Sinne geäuhert. U»d hier muß der Liberalis-
^cdu 'treral scin, wenn er überhaupt bestehcn bleiben will.
Nex erklärt, daß er in lcidenschaftlsloser Ruhe den Dresde-
^rot , ^^'tag benrteilen wolle. Er hält sich an das offizielle
N>,x'?toll, daß er als ein intercssantcs Dokument Lezeichnet;
gebi j?^tt er das schlechte Papier bci der reichen Partei. Er
sa^ dann auf die in dem Bericht cnthaltene Fülle des Tat-
dvxg "^terials cin u. bespricht zunächst den Bericht desPartei-
hq„,^des. Er konstatiert, daß darin die alte Frische und
ivx^t>fesfreudigkcit nicht abgenommen habe. Der Toten
>N^«^.ohrend als Kämpfer gedacht, was sie in der Tat vicl
iii»,^,. !^w»> »ks die Demokratcn, dcnen die „Frankfurter Zei-
tcveii Nachrufen den Titel Kämpfer zu geben Pflegt. Jn-
d>^ Zahlen des Berichts: 81 Mandate, 635 000
hcinä ^cldbeiträgc, davon Heidelbcrg nur 10 Mark, Pforz-
»»r 9,70 Mark, dagegen Mannheim 1103. Von der

tcven !?"te kamen 90 000 Mark (es sind dies, wie in der svä
^iskuffion aufgeklärt ' .

h

»>,-.' -rnsluffion ausgeklärt wnrde, die Beitrüge des Ham-
Lf'Mr Parteiblatts „Echo"). Von X U Z 13 255 Mark 12
hj,'. Was der Bericht über die Organisation und die Rührig-
Ausbau derselben ausführt, ist vorbildlich. Die So-
itzg/hchkratie übertrifft hierin bedeutend sogar das Zentrum.
Ie>, d uic sozialdemokratische Presse anbetrifft, so ist sie im Ar-
'dsb - r Waffen der Sozialdemokratie nicht die glänzendste;
iu ^°ndcrc ist dcr Nachrichtendicnst ungenügend, die Auswahl
vft ^ und zu tendenziös, der Ton nicht immer angemessen,
^vesi Wollte man die Sozialdeinokratie Lloß nach ihrer
«vsp^beurteilen, so würde das Urteil ivesentlich ungünsttger
svzj^Uen, als nach den, Menschen. Einen Vorzug besitzt die
!ej>,„ ^mokratische Presse: ma» findet in ihrem Jnferatcntcil
^unsittliche Annonce.

geht nun an Hand des offizielle» Bcrichts zu den
^i>!>s/chc» Verhandlungen des Parteitages über und bcspricht
" uach drei Punkten: erstens allgemeiner Charakter,
Debatte über die Mitarbcit an nichfiozialdemokrati


lrtz- Blättern, irrittens die revisionist. Bestrebungen. Den
keh?uueinen Charaktcr bezeichnet Rcdner als ung-ewöhnlich
ie^ufr, ungewöhnlich nervös. Schon Bebels Zwischenrufe hät-
die??uugt, shu nervös zu machen. Die Zeitungen hätten auf
ö>ez rsuulichen Streitigkeiten ein Hauptgewicht gelegt; so tue
Aes^?uch cin anonymcr Versasser, der aus dem Protokoll alle
hc^uipfungen, Verdächtigunyen und Leidcnschastlichkeiten
obtz^usgehoben und zusammengestellt habc. Die Arbcit besitze
'cincn grotzen Wert. Natürlich sci geschimpft worden,
!>>h ^ !ei doch bcsser, öffcntlich als hinter geschlossenen Türen
o«NfÄ^ö»sprechen, auch wenn dabei rauhe Worte sallen; je-
^hi>, ^ k>as besser, als öffentlich sich einer Harmonie zu
ihvch?», öie hinter verschlossencn Türen nicht vorhanden war.

.»>es seien nur äußerliche Umstände; außerdem sei doch
keit wichtige Dinge gesprochcn worden. Was die Mitar-
?U> ,^u »ichfiozialdemokratischcn Blättern betreffe, so sei hier
vo^uiciswn geschimpst worden, obgleich der Gcgenstand sachlich
öariz unter-geordnet sei. Mit Recht sagte Quark, man
nicht einmal von einem Sturm in« W-asscrglase reden,
hif^n nur von einer Berliner Pfütze; es sei elendes Berlincr
UftexUwngezänk. Jn Heidelberg, so führte Redner wciter aus,
°>e >,,siNre aus dieseni Teil 'der Verhandlungen hauptsächlich
«Uß e' demikerfrage. Es sci ja psychologisch schr begreiflich,
Teil der Sozialdernokratie g-egen die Akademiker miß-

sei; es sei dies das instinktivc Mißtrauen proletari-
Vildu'".--

?j>ldung gegen die höhere. Aber sonderbar sei es doch,
Usct,j,>»e Partei, die ihr ganzcs Gcdankenmaterial akademisch
^>^te ken verdankt, sich in dies-er Weise gegen die Ilkademiker
' Die Heidelberger hätten übrigens, so vi-el er wisse,
?w!olutton gefaßt, die sich gegen das Mißtraucn richtet.
u?» dritten Punkt zu sprechen kommend, führt Rcdner


aus, die Revisionistendebatte habe deutlich gezeigt, datz inner-
halb der drei Millionen z»>ei gewalttge Strömungen um Ober-
herrschaft ringen. Wenn wir nur dies ans dem Bericht ler-
nen, so sei unsere politische Auffassung schon bereichert. Zwar
hättcn sür die Revision nur 11, dagegen 288 gestimmt, dam-it
s-ei sie indcsscn nur im Protokoll,, nicht aber in der Wirklichkeit
Lcscitigt. Man könne nicht abschätzen, ob ein Drittel, ein
Fünftel oder zwei Fünftel der Sozialdemokratie revisionistisch
sei, aber unzweifelhaft hättcn 'dic Revisionisten cine große in-
nerliche Ueberlegenheit gezeigt. Daraus sei wo'HI auch zu er-
klärcn, daß sie dcr Abstimmung eincn humoristifchen Charak-
ter gegeben haben. Nach der großen Aufregung sei -es ein Akt
von h-eiterer Vcrzweiflung gewescn. Sie scicn stark genug,
um sich einmal selbst zu ironisieren und dann wollten sie wohl
auch nicht, datz der Parteitag mit eincmEklat abschlietze.Redner
wirft nun die Frage auf: Worum handelte es sich bei dem Re-
visionismus? Und er beantwortet sie dahin: erstens, um cinen
Gegensatz in den Prinzipien, zweitens um einen Gegensatz
zwischen den Volksstämmen und drittens um einen Gegenfatz
zwischen Einzelpersönlichkeiten. Ad 1 hatte m-an auf der
einen Seite dic alte Tradition dcs Marxismus und -dcr ge-
waltsamen Umiwälzung, auf der andern Seite di-e allmähliche
Umgestaltun-g, welchc Gegensätze sich> auch in die Worte fassen
lassen: hie Barrikade, hie Wahlzettel; hie Sklavenaufstand,
hie Arbeiterbewgung; hie Aufhetzung, hie Aufklärung; hie ge-
schri-cbenes Dogma, hie persönliche Ueberzeugung. Ad 2 stan-
den sich Norden und Süden gegenüber. Der Norden mehr ra-
dikal, der Süden mehr revisionistisch, wenn natürlich dieser
Ge-gensatz auch nicht mech-anisch durchgeführt werden soll. Ad 3
standen sich gegenüber Bebel und- Vollmar, der Diktator und
der Führer, die Jnfalibilität und die Kritik, die Leidenfchaft
und die kühlc Ueberlegung, der Agitator und der Politiker.
Der letztere von Kolb geprägte Gegenfatz sei außerordentlich
tr-effend und eines der prägnantesten Worte, die auf dem Kon-
greß gesprochen wurden. Wenn nia» alle diese Gegensähe ver-
standen hab-e, dann habe man den Parteitag begriffen.

Redncr wirft nun die 'Frage auf, was wir von dem Par-
teitag zu lernen hätten und er beantwortet sie wie folgt: er-
stens datz die deutsche Sozialdemokratie kein einheitliches, son-
dern cin komplizicrtes Gebilde ist; fic ruht auf dcn zum Teil
nicht feinen Jnstinktcn ciner niedcren Schicht; sie ruht auf
einer Dchicht dcr Arbeiterfchaft, die mit Bewußtsein 'nach wirt-
schaftlicher und ethischer Entwicklung strebt (hier kommen
insb-esondere di-e Gewerfichaften in Betracht) und sie ruht auf
einer Unzahl von Mitläufern, di-e irgend eine Unzufriedenheit
zur Sozialdemokratie sührt. Zwcitens lcrnen Wir, datz die
Sozialdemokratie ihre drei Millionen Stimmen nicht ihrem
Programni verdankt. Jn der Agitation, namentlich auf dem
Land und in den kleinen Städten, hat sie das spezielle sozial-
üemokratische Programm sorgsäm verhüllt, so daß z. B. die
Frauen auf dcm Parteitag energisch an die Forderung Ses
Fraucnstimmr-echts erinnern mußten. Viele Forderun-gen be-
finden sich längst in dcn bürgerlichen Programmen. Drittens
lerncn wir, daß der D'rei-Millioncn-Erfolg part-eipolitifch cin
Unglück und ein Verhängnis für die Sozialdemokratie ist.
Manchem von dcr alten Garde m-ag Angst -geworden sein bei der
ungeheuren Verantwortung, die mit der Leitung von drei
Millionen Anhängern un'd 81 Abgeordneten verbunden ist. Die
Krisis ist noch lange nicht abgeschlosscn; auf ihre Rechnung ist
die Lanheit zu s-etzen, welche fich bei den preutzischen Landtags-
wahlen und bei den badischen Wahlen gezeigt hat. Viertens
lernen wir, datz den Weg aus der Krisis die Sozialdemokra-
tie selbst finden mutz. Es wäre ganz verkehrt, wenn man
von- außen her getMlts-am oder täppisch in die Krifis eingreifen
wollte. Nur kein Sozialistengesetz, nur keine Verfchlechterung
des Reichstagswählrechts! Wir wollen auch nicht Bebel durch
Angriffe der Partei zu vcrekeln fuchen, oder Vollmar durch
übcrtriebenes Lob. Das würde nur das Gegenteil zur Folge
haben. Fünftens lerncn wir, daß es unsere Auf-gabe ist, gegen
die Mitzstände zu kämpfcn, welche der radikalen Richtung im-
nier wieder ncucn Zündstoff liefert. Wir müss-cn kämpfen
gegen Klass-enübermut, gcgen Mammonismus, gegen Materia-
lismns, gegen Genußsucht und gegen die v-erschiedenen Arten
der Ausbeutung. Wir müssen käm-pfen für Licht und Luft,
für jeden, der n-ach wirtschaftlicher und ethischer -Hebung ver-
langt. Wir müssen das Standesbewutztsein der Arbeiter nicht
zu unterdrücken, sondern zu stärken suchen. Wir m-üssen die
Koalition-sbestrcbungen begünstigen und ebenso die Bildungs-
bestrebungen. Wir m-üssen -den Kampf sühren in freiheit-
licher und deutscher Gesinn-ung auf nationalem Boden. Die
sozialen Fdeen von oben und die sozialen Jn-sttnkte von unten
müss-en- sich zu sozialen Taten verbin'den zum Heile des Vater-
landes und der Menfchheit.

Nach dem Vortrag des Herrn Profcssor Deißmann trat eine
Pause von zehn Minuten ein. Dann wurde mit einer gewissen
Gewaltsam-keit eine Diskussion herbeigeführt, die sich schließlich
ganz lebhaft gestaltete und die Verfammlung bis gegen Mit-
ternacht zusammenhielt. Da während der Pause niemand
das Wort erbet-en hatte, so niachte sich Herr AbeI daran, die
Sozialdemokraten zu reizen, doch dauerte es noch eine ganze
Zcit, bis diefe sich entschlossen, -an der Diskussion teilzuneh-
men. Hcrr Abel sclbst tcilte in cinem Punkt die Auffassung
des Vorredners nicht. Er meinte, man müsse mit allen Mit-
teln, außer der Gcwalt, in die Krisis cingreifen, wobei man
besonders auf dic Mitläufer einwirken solle. So-dann müsse
man gem-einfam Front m-achen gcgcn die täglich frecher wer-
dende Reaktion. Einige Sozialdemokrat-en hätten in der Pause
crklärt, daß sie die Dcißmann'sche Rede bis auf die letzten
Punkte unterschreiben könnten.

Professor Osthofs könnte die Rede Deitzmann's wörtlich
untcrschreiben -einsch-ließlich- der Schlutzsätze. Er spricht dann
über den Ge'dcmken des engeren.Zusainmcnfchlusses dcr bür-
gerlichen Linken, will aber die Nationalliberalen hierbei nicht
zu dcr Linken zählcn, sondern allenfalls nur einzelne dcrfel-
ben. Herr Thorbecke vom Jungliberalen Verein sagt, daß
auch ihm die Rede Deitzmann's aus der Seele gesproc^» sei.
Er fragt Herrn Abel an, warnm- ein ge-
wisser Jemand sozialdemokratisch gewählt habe und
weist dann auf die Verbrüderung der Linksliberalcn

mit 'dem Zentrum in Konstanz und in Schwetzingen hin, waS
gewiß doch kein Kampf gegen die Reaktion sei.

Herr Hassemer wendet sich gegen Osthoff's Angriffe
auf Eugen Richter. Man solle der freisinnigen Volkspartei
ihren Führcr nicht vcrunglimpfen, wie ja auch Herr Deitz-
mann ganz richtig gcfordcrt habc, datz man den Sozialdemokra-
ten ihren Bebel nicht solle zu verekeln suchen. Herr Osthoff
stellt in Äbrede, daß cr gegen Richter gehetzt habe und mcint
gegen Herrn Thorbccke, datz die Frcisinnigen sich die Zen-
trumsstimmen so haben gefall-en lassen, wie die NationalliLera-
len 'die roten Stimen in Schwctzingen. Wcshalb unterstütze
denn der Nationalliberalismus nicht den Freisinn (hier ist zu
bcmerken, datz die Freisinnigcn bei den letzten Landtagswahlen
keinerlei Wunsch nach llnterstützung bekundet haben,' ja, datz
sie die Anregung, mit dcn Nationalliberalen zusam-men zu
gehen, ablehnten). Herr Abel sagt aus, daß ein gewisser
Jemand, der sozialdcmokratisch gcstimmt hab-e, dies vielleicht
getan habe, wcil er nationalliberal nicht als liberal anfehe.
Professor M e tz ge r vom Jungliberalen Verein konstatiert dcn
Unterschied in dcr Auffassung Dcißmann's und Abcl's betr.
der Nationalliberalen und der Junglibcralen. Dies-elben For-
derungen, di-e Deitzmanw hier gestellt, seien im Jungliberalen
Verein schon vor zwei Monaten vor-getragen worden. Der Ver-
ein sei noch im Begriff, sich politisch zu üben; spätcr werde er
aus den Mitgliederversammlungen in die grötzere Oeffentlich^
keit hinausgehen. Er weist dcn- Vorwurf zurück, als ob die
Jungliberalen nicht liberal seien und cr spricht die Meinung
aus, datz dic Freisinnigen ein zu fchm-ales Fundament hät-
ten, als datz sich auf ihnen die grotze liberale Partei aufbauen
könnte. Gerade um ein breites Fundament zu haben, hätten
sich dic Jungliber-alen der nationaliberal-en Partei angefch-los-
sen und si-e wollten innerhalb dieser Partei dic sozialen Jdeen
inehr und mchr zum Durchbruch bring-en, die Lauheit nnd
Lässigkeit, die in letzter Zeit sich in der Partei gezcigt, befei-
tigcn. Naumann selbst habe cingesehcn, datz die Nationalso-
zialen als ei-gene Bildung nicht besteh-en könnten. Wenn er
sich nun den D-eufich-Freisinnigen angcschlosscn habe, so wcrde
er viellcicht nach weitercn 7 Jahren fin-den, datz auch- dieser
Anfchluß nicht richtig war, denn die freisinnige Vereinigung
sci nur eine Gruppc, keine Masse.

Hcrr Kürz meint, die Jungliberalen sollten sich mehr an
wirklich- Libcrale anschlictzcn.

Herr Schub -ach (Soz.) erklärt, daß, wenn sein-e Partei
bei den Wahlen das cigcntliche Partciprogramm in der Tasche
beh-alten habe, so könnte das daher kommen, daß die sozialds«
mokratischen Forderungen von dcn Gegnern so ausführlich
produziert würden, datz die Sozialdemokratie gar nicht mehr
nötig hätte, sie auszubreiten. Wcnn fie liberale bürgerliche
Forderungen aufgcstellt hätte, so komme dics dahcr, datz das
Bürgcrtum dies versäumt habe und n-achlässig gcivorden sei.

Es sprechen nochmals kurz die Herren Metzger, Kürz
und Thorbccke.

Hcrr Danner (Soz.) spricht cine gewisse Vcrwunderung
darüber aus, daß einc in der Auflöfung begriff-cne P-artei,
wie dic Nationalsozialen, hicr über den Dresdener Parteitag
sprcchen. Die Mannhcimer fozialdcmokratischcn Führer, die
man hier erwartet habe, hätten -etwas wichtigeres zu tun, als
hi-erher zu kommen. Wenn das Papier desParteiberichts schlecht
sei, fo habe die Soz.-Dcm. doch wcnigstens eineu Bericht zu
drucken, von den Nationalsozialen könn-e man das nicht mchr
sagen. Redner tritt dann für die Jnternationalität der So-
zial-dcmokratie ein und bczicht sich dem Theologieprofessor
Deitzmann gegenüber auf das Christentum. Vom sozialen
Dcnken und von sozialen R-eden halte er nicht viel, er wolle
Taten sehen. „Da aber versagen Sie". Erst nach den Taten
wolle er an die Worte glauben. Herr Ripp (Soz.) spricht
zunächst gegen Herrn Abel, der dic Sozialdemokratcn rcizen
wolle. Er, Redner, sei sich vorgckommen, wie der lachende
Drittc in diescr Versammlung. Man sollc doch nicht auf die
sozialdemokratischeu Mitläufer spekulieren. Ein Tcil der-
selbcn, die nichtorganisierten Arbeiter, seien vi-elfach bcdcu-
tend rabiater als die Sozialdemokraten sclber und was die
bürgcrlichen betreffe, so wüßtcn diesclben bei ihrer höherea
Bildung doch gewiß, was sic tun, wcnn sie sozialdemokratisch
wählen. Redner protestiert dagegcn, datz die obcr-cn Sch-ichtcn
soziale Jdeen haben, dic untern nur ein blinde blinde Masse
mit sozialen Jnsttnkten seien. Eine Versöhnung sei nicht mög-
lich, so langc ein solches Elend herrsche. Redner schildert mit
bewegten Worten, wie er mit seincr Fam-ilie von 4 Kindcrn
sich eincs Tagcs auf der Straße gcsehcn habe und betteln
mußte. Scine tcmperamentvolle Darstellung machte cinen
tiefen Eindruck.

Die Diskussion ging dann noch weiter, aber wir können,
da dcr Bericht schon so lang gewordcn ist, darauf nicht näher
eing-ehcn. Es sprachen noch die Herren Abel, Kürz,
Danner und R i p p. Erwähnt sci nur, d-aß Herr Kürz
hervorhob, man wolle jetzt die Taten der 81 Sozialdemokraten
sehen. Bis jetzt habe die Svzialdemokratie nur Worte -gchabt.
Herr Danner mcinte demgegenüber, die Sozialdemokratie
habe in dcn Parlamenten zahlreiche Anträgc g-estellt.

Das Schlußwort hatte Herr Dcißmann, der das Er-
gebnis dcr Diskufsion zusammcnfaßte und sich gcgen eine An-
zahl Bemcrkungcn vcrschicdcner Rcdner wendetc. Jnsbefon-
derc wurde dabei noch das Them-a von Nation-alität und Jn-
tern-ationalität behandelt, datz im Laufe des Abends mchr-
mals an-geschnitten wordcn war. Herrn' Ripp gegenüber meinte
er, datz überall die Jdccn von erlcuchtetcn Männern kämen,
es sci durchaus kcine Herabsetzung, wenn man demgegcnüber
von dcn Jnstinkten der Mnssen sprcchc. Es sci damit auch
dürchaus nicht gesagt, daß diese Jnstinkte blind scien oder datz
sie nicht zu bewußtcr Ucberzeugung sich entwickcln können.
Hervorhcben wolle er doch, daß die Soz.-Dem. ihren gan-
zcn Jdeenschatz von Männcrn, wie Lassalle, M-arx, En-gcls u.
Liebknecht bezogen habc. Den Schlutz seiner Ausführungen
bildete ein Hinweis auf den bevorstchendcn Advent und iius
die Verbindung von fozialen und religiüsen Jdeen.

Die heutige Nummer umfaßt vier Blätter, zusammen 18 Seiten.
 
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