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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 229 - 255 (1. Oktober 1903 - 31. Oktober 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0683

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Rittmch, ?. MM 1S«z.

stes

45. ZchWg. - - v. EA

Das Schauspiel des Jammers bei den
Sozialdemokraten.

Der sozialdemokratische Karlsruher Volksfreund
einen Aufruf „an die Parteigenossen", in dem es

heW:

. Genossen! Ueber unsere Partei ist eine schwere Kriss
^ieingebrochen. In unseren Reihen tobt der Kamps der
^Nossen gegen die Genossen, der Bruderkampf.

Führerder Partei waren es, welche die Fackel der
Evietracht in unsere Reihen geworfen haben, Männer, zu
dlchen wir bisher das unbeschränktefte Vertrauen hatten.
?^it Jahren bestehen in der internationalen Sozialdemo-
katie Differenzen hinsichtlich theoretischer Fragen. Es liegt
lag niemals Anlaß vor, diese Differenzen auf das
^rsönliche Gebiet herüberzuzerren. Aber mehr und mehr
^Urden die sachlichen Differenzen zu persönlichen. Alt-
ewährte, erprobte Parteigenossen, die ein Leben voller
. ämpfe und Leiden fiir die Partei hintsr sich haben, wur--
verdächtigt. Es hat sich eine förmliche CamariIla
^bildet, die jedem die sozialdemokratische Ueberzeugung
^Uzipeifelte, der nicht auf das Dogma einer Theorie zu
Phlvören bereit war, dis in letzter Linic nur eine Prog-
"°>e, eine Prophezeiung ist, über deren Richtigkdit
Unrichtigkeit kein M e n s ch etwas. Bestimmtes
^orhersagen kann.

. Keinsni der vielangefeindeten „Revisionistsn" konnte
^Ue Prinzipienverletzung nachgswiesen wevdsn. Jn der
piaxis arbeiten wir alle so einträchtig zusammen, wie
^ zuvor. Am 16. Juni haben wir einen Wahlkampf aus-
^lochten, wie er glänzender von keiner Partei und von
bs>iem Proletariat der Welt, jemals geführt wurde. Wie
eherner Fels standen wir da; geschlossen wie ein Mann
^aten wir dem Feind gegenüber. Ein herrlicher Sieg
?s>r die Frucht unserer Mühen und Opfer. Und nun
>eses Schauspiel des Iammers! Die G e -
e n st e r f u r ch t, der Eigensinn und das ü b er-
'dannte S e l b stb e w u ß t s ei n einzelner Fuhrer
^ben es nach einem solchen Sieg dahin gebracht, dast in
"Peren Reihen der Bruderzwist ausgsbrochen ift. Und
^>>t jedem Tage wirds jetzt ärger! Jn unserem Zentral-
?s8an wimmelt es täglich von Erklärungen, in welchen
>o angesehenstsn Führer sich gegenseitig herunterreißen
^»d verdächtigen.

Genossen! Nun ist die Reihe au Euch! Jhr seid zwar
^"tschuldige, dsnn nur durch den Personenkultus,
Urch die Byzantinerei gegenüber den Führcrn
°nnts es so weit kommen. Tut jetzt Eure Pflicht, es ist
^nerhöchste Zeit. Ruft den Führern zu: Bis h i s r h e r
^Nd nicht weiter!


Deutfches Reich.

9re Frage, wie die vorhandenen liberalen

rafte im Jnteresse des allgemeinen Fortschritts und der
^llgemeinen Wohlfahrt besser zu verwenden sind, steht

andauernd zur Drskusston. Mit ihr hat sich auch der
weitere Ausschuß der Deutschen Dolkspartei in
einer besondsren Sitzung in Bruchsal beschäftigt und dabei
einen Antrag für den demnächst stattfindenden Parreitag
vorbereitet, der es für eine „zwingende Notwendigkeit"
erklärt, daß die Gruppen der bürgerlichen Linken zur
energischen Bekämpfung der rückschrittlichen Bewegung
einen engeren Zusammenschluß suchen. Zu-
gleich wird namens der Deutschen Volkspartei die Bereit-
willigkeit ausgesprochen, zu einem folchen Versuch nach
Kräften mitzuwirken. Dieser Beschluß ist, wie dis Demo-
kratische Korrespondenz mitteilt, in der aus Baden, Bayern,
Preußen und Württemberg besuchten Zusammenkunst ein-
sttmmig gefaßt worden.

Baden.

— Wie der „Bad. Landesztg." mitgeteilt wird, hat das
Großh. Justizministerium einen Gesetzentwurf über eine
anderweitige Organisation der Grund-
buchführung ausgearbeitet und verschiedenen Behör-
den zur Aeußerung zugehen lassen. Danach sollen künf-
tig die Reineinnahmen dsr Gemeindegrundbuchämter den
Gemeinden zu neun Zehntel entzogen und der Staats-
kasse zugewiesen werden. Dies bedeutet nun für die be-
teiligten Gemeinden (Baden, Bruchsal, Durlach, Freiburg,
Heidelberg, Karlsruhs, Konstanz, Mannheim, Pforzheim
und Weinheim) eine sehr erhebliche Verschlechterung ihrer
wirtschastlichen Verhältnisse. Jn Karlsruhe z. B. müssen,
wenn der Entwurf Gesetz wird, die Umlagen alsbald um
etwa 2 Pfennig steigen. Die Begründung der Neuerung
führt zunächst aus, daß bei Erlassung des Gesetzes, welches
die Gemsindegrundbuchämter in den größeren Städten
zuließ, niemand an die finanzielle Bedeutung dieser
Maßnahmen gedacht habe! Sodann weist die Begrüw
dung daraus hin, daß der Aufwand des Staates für das
Grundbuchwesen auf dem Lande durch die Einnahmen
lange nicht gedeckt sei und daß daher die Belassung des
gegenwärtigen Zustandes ein Gsschenk des Staates an die
steuerkräftigen Städte zum Nachteil der wirtschaftlich
schwachm Landorte darstelle. Die „Landesztg." macht
gegen den Entwurf energisch Front.

Aus Baden, 5. Oktober. Ein Nachspiel zur
N e i ch s t a g s w a h l. Der Beleidigungsprozeß zwischen
Herrn Schnetzler und den Redakteuren der Zentrums-
blätter in Freiburg und Karlsruhe ist jetzt durch Vergleich
erledigt worden. Die Angeklagten veröffentlichen heute
eine Erklärung, in der es heißt: „Nachdem Herr Ober-
bürgermeister Schnetzler gegen die unterzeichneteu Re-
dakteure Anklage wegen Beleidigung erhoben hat, erfüllen
wir hiermit die von demselben an die Zurücknahme der An-
klage gestellte Bedingung, indem der unterzeichnets RL'->
dakteur des „Freiburger Bote" zur Sühne eine Buße
von 40 Mk. — vierzig Mark — an die Armenkasse der
Stadt Karlsruhe zu zahlen sich verpflichtet, und der un-
terzeichnete Redak'teur des „Bad. Beobachters", ivelcher
erklärt, den Artikel aufgenommen zu habsn, ohne ihn vor-
her durchzugehen, sein Bedaue.rn über die Aufnahme
öffentlich ausspricht. Außerdem übernehmen die Unter'-

Kleine ZeiLung-

r,. Hochschulnachrichte». Der außerordentliche Professor
-5^ römisches Recht an der Universität Leipzig, Tr. jur. Paul
pretschmar, wurde. der „Frankf. Ztg." zuwige, zum außer-
rdentlichen Professor in der juristischcn Faculiät der Landes-
BUbersität Gießen ernannt. — Der vortrefflichs National-
PdNom und Sozialpolitiker an der tcchnüch.-n Hochschule zn
presden, Geh. Rcg.-Rat Prof. Dr. Vlttor Böhrnert, ift mit
>.r>k 1. d, M. in den Rühestand getreten. Er hat kiirzlich sein
Lebensjahr vollendet.

— München, 4. Ottober. Wie die „M. N. N." hören,
der freireligiöse Schriftsteller Dr. Ph. Aug. Rüdt
^ermals unter Anklage gestellt. Er soll in einer Vet-
^Mmlung in Frellassiug am 25. Juli 1903 die in Bayern
^itehenden christüchen Kirchen und die mit Korporations-
^chten ausgestattete israelitische Religionsgssellschaft be-
'chimpft haben.

„ — Bcrlin, 6. Oktober. Jn Anwesenheit zahlreicher
oochleuts und eines großen Publikums wurde heute auf
Militärbahnstrecke Marienfelde-Zossen bei der von der
t u d i e n g e s e l l s cha f t für elektr. Schnell-
iohrt>ejn veranstalteten Versuchsfahrt mit Siemens-
chagcn eine Höchstgeschwindigkeit von 201 Kilometer
.» der Stun.de erreicht. Die Fahrt leitete Ober-
^genieur Dr. ing. Rcichel von der Firma Siemens und
Halske. Mt der erzielten Durchschuittsgeschwindigkeit
175 Kikometern würde die Eisenbahnfahrt Berlin—
^öln in etwa Stunden zurückgelegt werden können.
— Mons (Belgien), 3. Oktober. Seit einem Jahre ist

die hiesige PoIizei mit Hunden versehen, die sie auf
den Patrouillengängen begleiten. Mit Hilfe dieser Tiere
sind bereits verschied-ene wichttge Verhaftungen geglückt, so
auch in der verflossenen Nacht. Der Beamte machte mit
seinem Hunde, den er an der Leine sührte, die Runde,
als er eiuem verdächtig aussehenden Menschen begegnete,
der die Flucht ergriff, als er den Polizisten erblickte. Letz-
terer ließ hierauf den Hund los, der mit wenigen Sprüngen
ben Fremden erreichte und ihm an dis Kehle sprang. Er
hielt den Menschen fest, bis der Beamte herangekommen
war und ihn verhaftete. Wie sich ergab, hatte man einen
berüchtigten Dieb festgenommen. Die Verbrecher haben
eine solche Angst vor den Polizeihunden, daß sie die Tiere
wiederholt zu vergiften trachteten, Erst vor drei Wochen
wurde ein wertvoller Hund, durch Strychniu vergiftet,
verendet aufgefunden,

— London, 5. Oktober. Am verflossenen Samstag
sand iir einer südlichen Vorstadt Londons wiederum eine
der neuerdings so beliebt gewordenen „Baby - Aus -
stellungen" statt, die in Bezug auf die Beteiligung
des Publikums und die Zahl der „Ausstellnngsobjekte"
einen Rekord bildete. Es waren im ganzen 190 Kinder
ausgestellt, im Alter vou 6 bis 12 Monaten. Zwölf
Paar Zwillinge befanden sich darunter und ein dreiblät-
teriges Kleeblatt. Alle Kinder wurden einer möglichst
genauen ärztlichen Untersuchung unterstellt, und danu ge-
wogen, Die Wage war genau nach dsm Modell des Krö-
nungsstühles in der Westminster-Abtei gearbeitet und
wurde allgemein bewundert.

zeichneten sämtliche Kosten dss Anklageverfahrens und ver-
pfli-chten sich, diese Erklärung wörttich und mit ihren
Unterschriften versehen im politischen Teil des „Freiburger
Bote" und- des Bad. Beobachters" in derselben Druck-
schrift, in der der intriminierte Artikel erschienen ist, zu
veröffentlichen, und zwar in der nächsten nach dem Ab-
schluß des Vergleichs erscheinenden Nummer."

R astatt, 6. Okt. Die L a n d e s v e r s a m mT'n n g
der Z e n t r u m s p a r te i erösfnete Landtagsabgeord-
neter Föhrenbach an Stelle des erkrankten Vorsitzenden
Fischer heute Nachmittag nach 3 Uhr. Sie ist von etwa
400 Personen besucht. Zunächst sprach Wa cker über die
politischs Lage der Partei. Der Redner beschäfttgte sich
mit den verflossenen Wahlen und den kommenden, deren
Aussall die Regierung zu ihrsr Skellungnahme in dieser
oder jener Richtnng veranlassm werden. Also immer wie-.
der hätten es die Wähler in der Hand, die Regierung im
gewissen Sinne zu binden. Das hätten die Zentrums--
wähler in Karlsruhe auch bsi den letztexx Landtagswahlen
bedenken sollen, bevor sie die Mandate in die Hände der
Nationalliberalen spielten. Der Wahlkampf gelte nach
wie vor den Nationalliberalen, die leider seit dem Sturze
Jollys eine gewisse Stütze an höchster Stelle gefunden.
Minister Schenkel habe kürzlich einen neuen Wahlgesetz-
sntwurf in Aussicht geftellt; er wolle nicht sagen, daß der-
selbe nicht annehmbar, doch sei höchste Vorsicht geboten.
An der bestehenden Schulgcsetzgebung werde das Zentrum
nicht rütteln, 'dsssen prinzipielle Stellnng sei ja bekannt,
doch werde dasselbe darauf bedacht sein müsscn, daß diess
Gesetzgebung nicht im jnngliberalen kulturkämpferischen
Sinne Verschlechtert werde. Hier sei nur Abwehr geboten.
Bei den Wahlen gelte der Kampf nur den Nattonallibe-
ralen, stelle sich die Regierung in die Schußlinie, so müsse
sie sich gefallen lassen, getrofsen zu werden. Mit den an-
deren Parteien stehe man in keinem Verhältnis, doch
müsse man in Wahlkreisen, in denen das Zentrüm nicht
in Betracht konime, dafür sorgmr, daß die Nationalliberalen
nicht siegen. Komme die Sozialdemokraüe in Betracht,
so sei die Parole „Gewshr öei Fuß", doch dürse man sich
nicht verleiten lassen, in diesem Falle etwa zu Gunsten
der Nationalliberalen zu sttmmen. (Beifall.) Das Zen-
trum verlange, daß die Regierung nicht dis Geschäfte
einer bestimmten Partei besorge. Das Zentrum lehne
es aber ab, selbst in den Besitz der Regierungs -
gewalt zu kommen und- er würde den Tag bekIagen.
an dem man die hervorragenden Vertreter des Zen-
tru m s holen würde, nm sie auf die M i n i st e r st ü h l e
zu setzen, denn das wäre nicht eine Förderung der Zen-
'trumssache, sondern vielmehr eine Schädigung. Nach Er-
ledigung interner Angelegenheiten wurde die Land-esver-
sammlung nach 6 Uhr geschtossen.

Bruchsal, 6. Oktober, Von der national-
liberalen Partei dahier ist für die bevorstehende Land-
tagswahl Herr Bahnhofwirt Ferdinand Keller als
^ Kandidat ausgestellt. Derselbe hat sich zur Annahme der
! Kandidatur bereit erklärt.

— Touristenunglück. Vier Touristen, welche den Mont-
blanc besteigen wollten, sind dort von sehr hefttger Kälte
überfallen worden. Drei sind tot, der vierte ist lebens-
gefährlich erkrankt.

— Eine zeitgemätze Pnrodie auf Bürgers „Leonore" ver-
öffentlicht die „Jugend". Die betreffenden Verse sind zur
„Zuverlässigkeitsfahrt" des Berliner Automobilvereins ge-
schrieben:

Wir fähren los um Morgenrot
Nach kurzen, schweren Träumen,

Sind Sieger abends oder tot,

Da hilft kein langes Säumen.

Uns gilt kein Totschlag und kein Mord,

Uns gilt als höchstes der Rekord.

Wir müssen 1000 Meilcn
Noch heut' zum Ziele eilen.

Wie sliegen — ha — in Stücken rings
Die Rinder und die Schweine!

Wie flicgen rcchts, wie fliegen links
Die menschlichen Gebeine!

Die Huppe tutet: hopp, hopp, hopp,

Fort geht's in sausendem Galopp,

Daß die Ventile sauchen
Und die Pneumatics rauchen,

Und überall, allüberall
Auf Wegen und auf Stegcn,

Eilt Alt und Jung beim wüsten Schall
Der Huppe uns entgegen.

Und wenn wir dann vorüber sind,

Liegt Vater, Mutter, Vieh und Kind

Mit leidender Geberde ! !

Jn Teilen auf der Erdc. - ü
 
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