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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 305 (1. Dezember 1903 - 31. Dezember 1903)
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Srsch«t»t tS,ltch So»nt«g, »urgenomme». Prei, mii F«Mili«»blättern mouatlich 80 Vfg. iu'» Hau» gebracht. Sei ber Expeditio» «ud de» Zweigslatio««» abgehstt 46 Wg. D»rch dt« O»K

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«» iestimmte« Tagen wird keine Nerantwortlickkeit überuommen. — Rnichlag der Jnserab suf den Plalattafeln der Heidelberger Zeituug uud deu städtischeu Rnschlsgstelleu. Fernsprechrr W.

k

Die Jnngliberaien in der „Hilfe^.

H e i d e I b e r g . 1ö. Dez. ?

Schon als in der Zeit der Stadtverordnetenwahlen ?
die hiesigen Nationalsozialsn ihre Tätigkeit eröffneten. ;
suchten sie alles. was irgendwo und irgendwie mit irgend f
etwas unzufrieden war. um stch zu scharen; auch von den ^
Nationalliberalen bemühten sie sich einige loszusprengen. ^
aber ste verrechneten stch in dem Charakter der Männer, E
die ste zu versühren gedachten. -

Heute probieren sie das alte Manöver bei den j u n g - ;
liberalen Vereinen, in die sie gern eine Spal- s
tung hineintragen möchten, um die abbröckelnden Stücke s
in ihren Bund aufzunehmen. der trotz ües Zusammen- i
bruchs der Partei gern wieder aufleben möchte. Herr ?
Professor O. Deißmann, der sich in einen so rührigen !
Agitator für die Nationalsozialen verwandeln will, wie ^
einst der Hofprediger I>. Stöcker für die Christlichsozialen, ^
hat in der letzten Nummer der „Htlfe" seine Meinung ;
über die Jungliberalen kundgetan, besonders über die z
badischen, d. h. vor allem die Heidelberger.

Er stellt die neugegründeten Vereine vor die Mer- j
native, ob sie liberale Jünglinge oder Jungliberale sein s
wollen; er spricht schöne Worte von den jnngen Män- s
nern, die durch dogniatisch und papieren gewordene Ver- i
gangenheit nicht eingeengt sein wollen, er findet in der >
nationalsozial klingenden Aeußerung eines Jungliberalen !
ein Ledeutsames Bekenntnis „in dem Lande eines jahr- !
zehntelangen altliberalen Landes." Herr Deißmann ist '
offenbar noch nicht lange genug inBaden, um wirklich
den tüchtigen Charakter unseres Bürgertums zu verstehen. i
Sonst würde er wissen, daß aus der langen Geschichte i
der politischcn Kämpse eine fesie, dauerhafie
Ueberzeugnng hervorgegangen ist, die nicht die j
Mode einer besttmmten Zeit ist — wie die Schaum- !
blasen modernster Gründungen in der Politik, sondern )
mit voller Sicherheit den Kern der Gesinnung i
ausmacht. Diese Gesinnung ist nicht-erstarrt, sie hat die -
neuen Aufgaben der sich abtösenden Zeiten ruhig und i
klar aufgenonnnen und an ihrer Lösung mit nicht ver- z
flackernder Begeisterung nnd mit bürgerlicher Solidität ge- !
arbeitet. An die Stelle oder an die Seite nationaIer
Anforderungen haben sich die sozialen gevückt. Me s
nationalliberale Partei versagt stch ihnen gewiß nicht, s
aber sie versagt sich allerdings der ü b e r st ü r z e n d e n j
H a st aller S ch w ä r m e r, die nur Verwirrungu. ,
Unfrieden stiften, statt die notwendigen Umbauten i
des Staatsgebäudes mit stettger Hand zu beginnen.

Herr Deißmann spricht verächtlich von „der nicht ge- s
ringen Zahl liberaler Jünglinge." Sind das vielleicht f
die Söhne aus tüchtigem Bürgerhaus, die die Arbeit da
fortführen, wo der Vater sie aus der Hand gegeben hat, ^
nnd ini Sinne der umgestalteten Verhältnisse weiter- ,i
führen? Mehr vertrant Herr Deißmann den „aufstre- ^
benden Talenten" der jungen Parteigründung. Die ältere j
Partei hält sie angeblich „in einem permanentcn Zustande '

künstlicher Unreife" oder stellt sie „in der flauen Lange-
weile" nach der Wahlzeit wieder in die Ecke. Agitatorisch
mag das gut klingen, aber es istunwah r. Den Jung-
liberalen ist ihre Teilnahme in der Parteileitung ge-
sichert, den ganzen Vorstand der jungen Vereine kann
man natürlich in den engeren Ausschuß einer großen
Partei nicht aufnehmen. Bei der Aufstellung der Listen
sür die Stadtverordneten, für Wahlmänner, ist den Jung-
liberalen durchaus in weitgehendem Maße Rechnung ge-
tragen, sie haben ihren vollen Platz in der Organisation
u. in der Parteiarbeit auch jetzt; freilich zu den sensationel-
len Veranstaltungen, zu rauschenden Ueberbrettl-Vorstel-
lungen für Alt und Jung und ganz Jung wird sich die
maßvolle nationalllberale Partei nicht hergeben, die gerade
durch die feste Besonnenheit u. den lauteren Freisinn ihrer
Arbeit auch in unserer Zeit dcn Kern unseres deutschen
Vürgertums vertritt. Sollten aber wirklich aufstrebende
Talente, wi/e Herr Deißmann andeutet, Äie jNeigung
haben, in seine Gefolgschast einzntreten, so wird sie wohl
niemand hindern; sie werden stch dann fortm-ausern, bis
sie eines schönen Tags, wie manche Nationalsoziale Jüng-
linge, im sozialdemokratischen Nest sich befinden, äus dem
sie wieder eines schönen Tages als akademische Vögel hi-
nausfliegen, ehe sie recht flügge geworden stnd.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 14. Dez.

Präsident Graf Ballestrem berichtet über den
Empfang des Reichstagspräsidiums durch den .Kaiser.
Er habe dabei der freudigen Genngtuung über die Hei-
lung der Erkrankung Ausdrnck gegeben. Der Kaiser
hcibe die Knndgebung hnldvoll aufgenommen und über
seine Erkrankung und Heilung und andere interes-
sante und belehrende Gegenstände ge'sprochen. Er habe die
alte Frische vollständig wieder erlangt.
DieStimme sei stark und v o I l, nur wenn man
init Vorurteil herantrete, könne man vielleicht noch einen
keichten Schleier in der Stimme durchhören. Der Kaiser
war in heiterer Stimmung und unterhielt sich freundlich
mit dem Prästdium.

Jn der fortgesetzten Etatsberatung spricht Bebel (Soz.):
Der Reichskanzler hat uns mit seiner letzten Rede amüsiert.
Man sollte doch> von dem ersten Reichsbeamten einen Funken
Verständnis erwarten dürfen (Lärm rechts und im Zentrum),
ein gesundes Verständnis für die Bestrebungen der Sozial-
dcmokratie. Daß er aus sozialdemokratischen Schriften nicht
ein besseres Vcrstündnis für die Sozialdemokratie erlangte.
mag an einem Mangel an Kapazität liegen. (Unrühe.) Man
kann seine Ausführungen Latituden nennen. Der Reichs-
kanzler erwartete von mir wohl eine andere Rede, für deren
Beantwortung er sich ein Konzept von einem Geheimrat ent-
werfen ließ (Heiterkeit). Ueber die Art, wie eine Kritik aus-
zuühen ift, werden der Reichskanzler und ich nie einig. Jch
bestreite nicht, daß die heutige Staats- und Gesellschaftsord-
nung eine Reihe von Forts chrttten gegen früher gemacht
hat, andererseits aber eine Reihe von Uebelständen für die
große Masse der Bevölkerung enthält. Der Reichskarrzler hat
meine Kritik militärischer Verhältnisse nicht widerlegt. Jn
den preußischen und deutschen Militärzustärrden bilden sich all-
mählich ernste Mißstände heraus. Der unerfreuliche Char-akter

s unserer Heeresverhältnisse erklärt die gedrückte Stimmung irr
j der Rede des Kriegsministers. Mit seiner Aeutzerung, die
Arrnce habe kein zweites Forbach, wird er nur so lange Recht
r behalten, als sich kein zweiter Bilse findet. Die Viehigkeit der
Soldatenmitzharrdlungen hat in weiten Kreisen Entrüsturrg
^ und Entsetzen hervorgerufen. Jch erkenne den guten Willen
! des Kriegsministers, der Kommandeure usw. an, aber der
Kricgsminister sagte auch, Schläge und Püffe ließ-en sich in der
Armee nicht vermeiden. Bebel verbreitet sich über Mißhand-
lun-gen und Schimpfereien im Heere und behauptet, der Erb-
prinz von Meiningen m-utzte fein Kornrn-ando niederlegen, als
er sich -gegen diese Mißhandlungen aussprach. B-ebel kommt
Lann auf die auswärtigen Fragen zurück und s-agt u. a., es
bestände die Gefahr, d-aß Rußland in Ostäsien dominierende
Macht wevde. Für die Miliz sprächen die deütschen Freih-eits-
krrcge und der Burenkrieg. Amerika nehme mit seiner Miliz
allmählich eine Machtstellung ein. Die Stellung Teutschlands
gegenüber Rußland und d-cn Schandtaten, die in Rußland
verübt würden, sei höchst verwerflich.

Präsrdent Graf B a l l e st r e rn ermahnt B-cbcl, sich in
h seinen Aeußerungen zu mätzigen bezüglich der fremden, mit
S Deutschland befreundeten Mächte. (LeLhafte Zustimmung.)

Bebel: Die Kritik der auswärttgen Politik sei in den
8 Parlamenten Englan-ds, Frankreichs und anch Japans viel
schärfer. Vom Zukunftsstaat habe man in der Reichstags-
debatte von 1893 gesagt, cr sei mit dem Zuchthause verbunderr
und gleiche dem Kaninchenstalle. Wenn solch ein Staat denk--
bar wäre, würde er nur einen Tag bestehen. (Sehr wahrl
Sehr richtig!) Der Fortschritt sei in dem Hause stets von
sozialdemokrattscher Seite unterstützt worden, und zu Zeiten
hätte die Regierung des Wirkens der Parier bedurft. Redner
schließt: Unser ist die Zukunft, unser ist die Äelt trotz alledem
und alledem! (Lebhafter Beifall bei den Sozinldemokraten.i
Reichskanzler Graf Bülow: Be-bel hat noch kürzlich er--
klärt, er wolle die ganze bestehende Ordnun-g bis zunr letzterr
Atemzuge bekämpfen und unterzraben, wie es seine verallge-
nieinernde Art sei. Die Soldatenmißhandlnngen mit ihren
I Abscheulichkeitcn sollten ausgerottet werderr. Wcnn man sage,
' rttrgenÄs werde mehr geschimpft, als auf dem Exerzierplatz, so-
j kenrre er einen Ort, wo darin auch einiges geleistet sei. Bebels
i Haß gegen die Akaderniker liege doch schließlich Mißtrauen und
r Hag gegen die Bildung zu Grunde. Wirkliche Bildung führe
? zu individuellen Meinungen und selbständiger Auffassung und
! das paßt rricht zum Zukunftsstaat. Jn Ostasien wollen wrr nur
s festhalten und entwickeln, was wir dort besitzen, aber uns nicht

- in fremde Angelegenheit-en mischen. Bebel sage mit Pathos,

: er wolle nrcht in Mazedonien und d-er Mantschurei interdenie-

ren — das werde die Mächte sehr beruhigen — aber
was verstehe er unter Jntervenieren? — Serne
Kritik des Auslandes sei entweder ein Schla z
ins Waffer öder führe zu Zusarnmenstößen. Der Dresdener
Parteitag war doch nur eine Mohrenwäsche, aus der rnemand
weiß hervorging. Bebel hat auch nicht mit s-einer Erklärung
k über den Zukunftsstaat ein verschleiertes Bild von Sais ent-
E hüllt (Heiterkeit). Es war nich-ts als die alte, wüste KrittL
^ und über den Zukunftsstaat eitel blauer Dunst. Die Verwirk-
j lickmng des sozialdemokrattscheir Programms weise doch jcdem
t nach dem B-efehl von oben seine Arbeit an, das sei ein Zucht-
? hausstaat. Schttehlich hat 'die sozialistische For-derung nach
j wirtschaftttcher Gleichheit keinen Sinn oder es darf doch nie-
^ mand ohne Rücksicht auf persönliche Leistung mehr besitzen als-
s der andere, was sich nur durch die Vergesellschaftung 'd-er Pro-
l duktionsmittel erveichen ließe, wenn die Ungleichheit nicht sosort
j wiedcr Leginnen soll. Positive Leisturrgen der Sozialdemokratie
r seien lediglich sortgesetzte wüste Kritik, Appell an die niedrigsten
j Jnstinkte und die schlechtesten Lei'd-enschaften; es fehlen ihr

- vollständig die Gedanken der Jnnerlichkeit, des Taktgefühls,
s der Ehrerbietung. Bebel wolle bei feinen unwahren Klagerr
) über Tyrannei doch nur den Absolütismus des Proletariats;
; über seinem Lager wehe nicht die Fahne wahrer Frerheit.

- Bebel wolle dre Diktatur 'der Klu-br-edner und Lit-eraten ganz.

3. Bachvereins-Konzert.

G u ft a v e Charpentier, la vie 6u poetc.

Heidclberg, 15. Dez.

Mit seinem gestrigen Konzert brachte uns der Bachverein
die erste deutsche Aufführung von Charpentiers Sym-
Phome-Drama „I a vie äu p o e t e", eines srüheren Wer-
kes des neuerdings durch seine „Luise" überall bekannt gewor-
denen französischen Komponisten. — Es war cin sinnvoller
Gedanke Wolfrums, mit diesenr Werke eines BerIioz
wcchlverwandten Künstlers, desscn 100. Geburtsjubil. zu feierrr,
anstatt etwa nach altlöbttchem Brauch vor lauter Pietät gegen
die groherr Toten die Lebendigcn zu vergessen. Freilich hat der
Bachverein auch kerne Beranlasirmg, verabsäumte Pflich-
ten gcgen Berlioz heuer einzuholen, da j-a 'der französische
Meister stcts einen wichtigen Platz auf seinem Programrn
eingenommen hat.

Doch tretcn wir jetzt in den Konzertsaal cin. Der sich uns
bietende Anblick dünkt uns bercits etwas ungewohnt: sowohl
Chor wic Dirigent sind uns sichtbar, da der Musikapparat dies-
mal zu umfängttch ist, um gänzlich verdeckt zu werdcn. Unü
nun ertönen ü. die erfterr Klänge des Vorspiels, das uns die
Schaffensbezeisterung des Dichters malt. Zuerst
drängt sich uns ein gewiffes fremdes Gefühl bei dieser ganz
französisch cmpfundenen Musik auf, über d-as aber
rasch Charpentiers Kunst siegt, die uns an diesem Abend gleich-
sam zu Franzosen verwandelt.

Wann das Vorspiel lcis ausklingt, setzen die „irmeren
Stimmen" des Dichters ein und rufen ihn zur „Samm -
lung". Da Llitzt der Funke der Begeisterung auf und
err-ercht nach einer mächttgen Steigerung seinen höchsten
Glanz in dem Tenorsolo am Schluffe: „Was sie auch quäle etc."

Jn der „Beschwörung" führt dann eine fortwährend
umgestaltete Mclodie von drängender Kraft zu oinem Furiosu,
rn dem die „Flamme", von Posaurr-entriolcn umloht, mehr-

mals emporzuckt, um endttch wie in erner rauschenden Flut alleS
zu ergreifen.

Nun entrückt dcn Dichtcr in das „Land des Trau-
m e s" eine Vision, in deren grandioser Schilderung durch
Rhythmik und Dynamik (bei den Worten: Dort am Fels her
Palast) der Höhepunkt des ersten Aktes ttegt.

Jn cin -zarrz anderes Neich treten wir im zweiten Akt ein.
Wir meinen von einer hohen Brüstung in die sternenklare Nacht
zu schauen, während die geheimnisvollen „S t i m m e n der
Nacht" durch den unerrdlichen Raum tönen. Schrcksalsschwer,
fühlen wir, sind diese Klänge, und schon erhebt, wie sie ver-
hallen, der Dichter einsam sernen klagenden Ruf, erst laut,
dann wie zurückgewiesen von der tiefen Sttlle, immer leiser
werdend. Mit tonloser, erlöschenher -Stirnme antworten oie
Stimmen der Nacht. Eine Pause — und unter furchtbarer
Qnal schreit der Verlasiene in die Nacht hrnein.

Die „Ohnmach t" des Dichters schildert uns das erste
Bild des dritten Aktes. Schorr im- Vorspiel scheint die Agonie
zu toben, die nur wenige Male durch Stellen von unendlicher
Zartheit, Rückerinnerungen an alte Zeiten, abgelöst wird. Dann
brechen die „Stimmen- ,des Fluchs" hervor und erh-eben ihre
furchtbare Anklage gegen Gott, jetzt aufbegehrend rm Trotze der
Verzweiflung, jetzt rm wehmütigen Aufieufzen verstum-inertd.
Nach einer kleinen Stille vernehmen wir noch einmal die
Stirnme des Dichters, der mit seiner letzten Kraft das „Sei
verflucht" in die Nacht hinausschrert, indes die wohltättge Ohn-
macht, durch die weichen Register der Orgel gezeichnet, schon
seine Sinne einhüllt.

Jm zweiten Bild dieses Aktes treffen wir den Dichter als
gcmz verwandelten Menschen wreder, der jetzt berauscht Ver-
gessen sucht in dem wirren Treiben eines Balls zu Mont-
martre. Mit einer erschreckenden Realisttk schildert uns
Charperrtter diese perverse Lerdenfchastlichkeit; durch Anwen-
dung ungewöhnlicher Jnstrumente, Kastagnetten, Cimbeln, ge-
stopfter Hörncr, durch eigenttimliche Schallwirkungen und ejne
shnkopisch verschnrfte Rhythmik weiß er ein Aeutzerstes zu cr-

reichen. Schon beherrschen den Dichter in diesem tollen Wirbel
die Gedanken an sein Eleüd nur als „Stimmen der Vergangen-
heir", die er schlietzlich gänzlich in sich zu ersticken weiß. Jmmer
tiefer sinkt er jetzt in den ihn umgebenden Schlanun hinein,
brs er in den Armen „des Mädchens", die uns durch ihr furcht-
bares „rire cLNLiIIe" schlagend charakterisiert wird, untergeht.
Erschütternd wirkt dic musikalische Darstcllun-g dieses Ausg-angs:
neun Takte lang ern ganz leises e in 'derr Bässen, dann setzen die
„inneren Sttmrnen" im einf-achen A-dur-Dreiklang ihr ver--
klingendes „Weh" ein.

Eine eingehende musikalische Würdigung des Werk-eK
steht uns hrer nicht an. Jn feiner B n st r u m e n t a t i o rr
steht Charpentier ja auf dcn SchulternXVerlioz', ebenso in der
glänzenden Behandlung des Ch o r e s, in dem jeöe einzelne
Sttmmc vollendet und indivi'duell durchgebildct ist, und in der
doch wieder alles zum Ganzen geht. Dem Bedürfnis nach
verstärklem Ausdrrick entsprechen die häufig vorkommenden
Brummstimmen und der mehrrnals angewendete Sprechgesang.
Harmonik und Melodik muten uns spezifisch fran-
zösisch an, eigentliche Härten und Extravaganzen siüd ber allen
Dissonanzen, aller Chromatik, vermieden, vielmehr durchzieht
das ganze Werk ein weicher Flutz, der nur an einigen Stellen
durch erne verschärfte Rhythmik unterbrochen wirü. Die
Form eines „Symphonie-Dramas" ist vielleicht nicht ganz
einwandfrei; dem Komponisten selbst scheint eine bestimmte
Aufführungsart gar nicht vorgeschwebt zu haben, ob als Konzert
oder als Oper, scheint ihm gleichviel zu sein. Für die Mihne
dünkt uns nun das Werk nicht dramatisch und vor allem nicht
kvnkret genug und dre „offenc" Kon-zertaufführung wrrd
dem Stiinmungsg-ehalt nicht gerecht, abgesehen von störenderi
Aeutzerlichkeiten. Uns scheint -die Aussührung bei gänzlich
unsichtbarem Musikkörper und verdunkeltem Saal dre richtige
zu sein. Sie allein entspricht dem düsteren Charakter des
Werkes, das einen Pessimrsmus verkürrdet, den wir ja auch Lei
dem geseiertcn Meister, bei Berlioz, durchgängig finden.
Und man mag über diese Weltanschauung denken wie man will;
 
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