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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 203 - 228 (1. September 1903 - 30. September 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0533

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Mtmch, I«i. Le>«k«kr !M. Erstes Matt. «. Mv-g. — M.

Erschetut täglich, Sonntag« »ukgenommcn. Preik wit Familienblüttcrn monatlich 50 Pfg. in'S HauS gebracht, bei der Expedition und den Zweigstationen abgeholt 40 Pfg. Durch dic Post

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an bestimmten Tagen wird keine Berantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtifchen Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

Die Ablaßrechmtngen und der Reichskanzler. ^

I, Berlin, 18. Sept. Ein Teil der Tagesprosse hatte an- i
knüpfend an die Meldungen von Ablaßaktenfunden des bis- i
herigen Direktors des preußischen Historischen Jnstituts in !
Rom, Prof. Schulte, das Gerücht verbreitet, der Reichskanzler ;
und das preußische Kultusministerium wünschten aus Liebes-
dienerei gegen Rom die Publikation des Fundes zu verhindern.
Nach den von der „Deutschen Literaturzeitung" über diese An-
gelegcnheit eingcgangenen zuverlässigen Jnformationen ist der
Sachverhalt folgender: Nach Paragraph 11 des Statuts des
preußischcn Historischen Jnstituts besitzt das Kuratoriuni das s
freie Verfügungsrecht über die Arbeiten der Mitglieder des «
Jnstituts. Es hat nach Vorlegung der Manuskripte und nach- s
dem der wissenschastlichc Beirat zur Sache gehört war, seine -
Entscheidung in dem Sinne zu treffcn, daß die jeweilige Arbeit ;
entweder unter die Veröffentlichungen dcs Jnstituts aufge- «
nommcn oder dem Verfasser zu einer beliebigen wisscnschaft- i
lichen Verwertung überlasscn wird. Demgemäß war zunächst j
abzuwarten, bis das Manuskript der Schulte'schen Arbeit fer- ;
tiggestellt war. Darüber sind natürlich Monate vergangen. f
Nachdem jetzt das Manuskript dm Kuratorium vorliegt, wird f
die Angelegenheit den statutenmäßigen Verlauf nehmen und s
zunächst wird der wissenschaftliche Beirat sich damit befasscn. ^
Taß für diesen lediglich das Jnteresse der freien Forschung ^
maßgebcnd ist, ist sclbstverständlich. Es genügt in diescr Bc- :
ziehung, daran zu crinncrn, daß Professor Harnack dcn Vorsitz i
führt und daß die vier übrigen Mitglieder ebenfalls hervor- i
ragende Historiker sind. Der gutachtlichen Aeußerung des Bei- i
rats darf also volles Vertrauen entgegengebracht werden. Daß i
das Kuratorium dem Votum cincr wissenschaftlichen Jnstanz s
sich auch in diesem Falle anfchlictzen wird, ist cbenfalls mit Zu- l
versicht zu erwarten. Die „Deutsche Literaturzeitung" schließt: ^
Aus dicser Tarlegang wird für jeden Unbefangencn sich er- '
geben, datz in der ganzen Angelegenheit lediglich nach den aus i
wissenschaftlichen Erwägungcn hervorgegangcnen Bcstimmungen !
des Statuts des Historischen Jnstituts zu verfahren ist und j
daß dabei von einem von solch' fremdartigen Gesichtspunkten §
geleitetcn Eingreifen der Behörden nicht die Rede sein kann. i
Es gehört alfo das angeblich vom Reichskanzler empfoh- j
lene Jgnorieren in das Gebiet der freien Ersin-
du n g. _

Die Zustände in Serbien.

Belgrad, 14. Sept. Wie der hiesige Berichterstatter
des „Berl. Lokalanz." erfährt, übergab während der An-
wesenheit des Königs in Nisch ein Leutnant seiner yrdon-
nanz den Aufruf dex Hsfizierö gegen bie Verschwörer.
Der Vautennünister Maschin und der Handelsminister
Gentschitsch, beide bekannt als Mitwisser dsr Verschwörer
gegen das frühere Königspaar, lasen die Namen der 1200
Unterschriften, mit denen der Aufruf gezeichnet war. An
demselbsn Tage entstand im Kaffeehaus ein Streit zwi-
schen den Offizieren aus beiden Lagern. Maschin hielt
ein Massaker für bevorstehend und sammelte seine Freunde ?
um sich. Um 11 Uhr nachts schickte er Patrouillen, be- ^
stehend aus je einem Osfizier und vier Soldatm, in die -

Wohnungen der revoltierenden Ofsiziere. Diese versuch-
ten, Widcrstand zu leisten, wurden jedoch von den Solda-
ten gefesselt und ins Gefängnis gebracht. Da Maschin
wußte, daß Oberst Jankowitsch, der Kommandant der
Morava-Division, auf Seiten der protesüerenden Offiziere
stand, ordnete er um 4 Uhr früh dessen Enthebung an
und erklärte Jankowitsch im Namen des Königs sür ab-
gesetzt. Dann telegraphierte Maschin an den Kriegs-
minister und verlangte die Einsetzung des Generals Djuk-
nitz an Stelle Fankowitschs. Djuknitz, Schwiegervater des
ersten Adjutantsn des Königs Popowitsch, war bereits
außer Diensten, wurde aber durch Ukas des Königs, der
gleichzeitig die Entlassung Jankowitschs verfügte, reak-
tiviert. Djuknitz war vom König Alexander aus der
Armee entfernt worden, und gleich dem Kriegsminister
Solarowitsch war er mit im Komplott der Königsmörder.
Am Mordtage übernahm er vorübsrgehend das Kom-
mando der Donau-Division.

Die Unteroffiziere des 7. Regiments in Belgrad revol-
tieren, weil sie von den Offizieren bei der Ermordung
des Königs getänscht worden wären. Die Offiziere des
18. Regiments haben fich sür die Proklamation der Nischer
Garnison erklärt, ebenso das 15. Regiment. Der Kriegs-
minister hat einen geheimen Erlaß herausgegeben, wonach
größere TruPPenabteilungen von den Regimentskomman-
deuren selbst geführt werden niüssen. Alle Kommandos
in Belgrad sind mit den Verschwörern oder Freunden der
Verschwörer besetzt. Das 7. Regiment sührt jetzt Oberst
Bodanowisch, ein Adjutant des Königs, der nnt dem Re-
volver in der Faust den Obersten Jankowitsch in Nisch
verhaftet hatte. Das 6. Regiment sührt Oberst Gon-
sierowski, das 18. Regiment Oberst Brankowitsch, das
8. Regiment Oberst Naumowitsch, derselbe, der am Bage
der Ermordung König Alexanders zum Chef der Gendar-
inerie ernannt worden war. Zivilisten wurden in Nisch
nicht arretiert, weil die ganze Angelegenheit vor dem
Militärgericht abgeurteilt wird. Zwei Mitglieder des
Kriegsgerichts, Oberst Raschitsch, Jnspekteur der Artillerie,
und Oberft Wlaitsch, Artilleriechef im Kriegsministerium,
wurden vor einigen Tagen abgesetzt weil sie zu den Geg-
nern der Königsmörder gehören. An ihre Stelle wurden
Oberst Geukowitsch, Chef der Belgrader Jnfanterie-Bri-
gade, und Oberst Paunowitsch, Chef der Belgrader Ka-
vallerie-Divlsion, zu Mitgliedern des Kriegsgerichts er-
nannt. Jn der Armee herrscht völlige Anarchie,
der König ist ganz ohnmächtig. Maschin und
Gentschitsch haben ausschließlich das Heft in deu Händen.

DeuLsches Neich.

— Der ehemalige Staatssekretär Freiherr von Thiel-
mann hat sich am Montag von den Beamten des Reichs-
schatzamtes verabschiedet, um sich zunächst nach seinen Be-
sitzungen in Bayern zurückzubegeben. Den Winter gedenkt
Herr von Thielmann in Jtalien und Egypten zu verleben.

— Der srühere Reichstagsäbgeordnete Dr. BöckeI
hat sich vollständig aus dem poIitischen Leben

KLeine Zeitung.

— Düsseldorf, 15. Sept. Beim Einzug der aus dem
Manöver heimkehrenden Truppen in Wermelskirchen
stürzten drei dem Vorbeimarsch zuschauende Kinder
« u s einem Fenster des zweiten Stockwerkes auf die
Straße. Eines war sofort tot, 2 Kinder wurden schwer
verletzt.

— München, 15. Sept. Nach amtlichen Erhebungen
heißt die 5köpfige Familie (Vater, Mutter, 2 erwachsene
und eine 10jährige Tochter), die sich vor einigen Tagen
im Walchensee am Fuße des Herzogsstandes er°
tränkt hat, Schmidt und stammt aus Norddeutschland,
die Familie hatte keinen festen Wohnsitz, hielt sich in Bä-
dern, 5lrirorten usw. auf, wohnte in Pensionaten, zuletzt
in der Schweiz, nnd man nimmt an, daß sie wegen miß-
licher Vermögensverhältnisse den gemeinsamen Tod gesiicht
habsn. Daß man die Leichen finden werde, wird bei den
eigenartigen Verhältnissen des Walchensees bezweifelt.

— Das Motogirl im Kammergericht. Das „Motogirl"
des Wintergartens in Berlin ist ein bildhübsches, 16jäh-
riges Mädchen, dessen Kunst indessen darin besteht, sich
anscheinend in eine Sachc, die nur durch llhrwerk beweg-
stch wird, zu verwandeln. Und so geschah das Selten-
Komische: die Künstlerin wurde vom Gericht als Sache
behandelt und der Kläger aufgefordcrt, das „Motogirl"
an Gerichtsstelle zu schasfen. Der Prozeß, um den es sich
hier handelt, hat eine interessante Geschichte. Der Jm-
Presario des „Motogirl", Herr Melville aus Newyork,

hatte beim Landgericht I um Erlaß einer einstweiligen
Verfügung nachgesucht, die sich gegen das „Motomädchen"
des Passagetheaters richtete. Der Direktion des letzteren
Theaters sollte es verboten werden, die Vorführnng ihrer
„automatischen" Künstlerin unter dem Namen „Motomäd-
chen" vonstatten gehen zu lassen. Der Jmpresario als
Erfinder und Eigentümer der Varietönummer „Motogirl"
behauptete, daß das Motomädchen des Passagetheaters
eine seiner Produktion nachgebildete Schöpfung sei und
gegm das Gesetz, betreffend deu unlauteren Wettbewerb,
verstoße. Die Direktion des Passagetheaters verlangte
indessen Abweisung des Klägers, weil dieser Amerikaner
sei und Ausländer nur dann geschützt seien, wenn der
betreffende 'Staat auch den Deutschm 'diesen Schutz ge-
währe. Dies sei bei Amerika aber nicht der Fall. Das
Landgericht erkannte den Einwand als berechtigt an und
wies üen Kläger ab. Ebenso entschied heute das Kammer-
gericht als Beschwerdeinstanz. So werden „Motogirl"
und „Motomädchm", jedes in seinem Wirkungskreise,
weiter Automatendienste tun. Der eigenartige Prozeß
hatte am 14. d. M. in die sonst so stillsn Räume des
Kammergerichts viel Leben gebracht. Schon lange vor
Beginn der Sitzung lag das „Motogirl" in seinem Korb,
bewegungslos, einer Puppe täuschmd ähnlich, da. Nur
dis Eingeweihten wußten, daß in dem schmalen Korb ein
lebendes Wesen Unterkunft gefunden hatte. Dann wurde
das „Motogirl" in den Gerichtssaal getragen, und ruhig
nahm es, von zwei Dienern in Positur gesetzt, an der
Wand Platz. Ohne mit den Wimpern zu zucken, hörte

zurückgezoge n. Wie ein ihm nahestehendes Blatt er-
klärt, hat er diesen Schritt getan „verärgert durch die ewige
Zersplitteruug und Eifersüchtelei in der antisemitischen Be-
wegung und körperlich ausgerieben in jahrzehntenlangem
Kampfe".

Badcn.

ZelI i. W., 13. Sept. 'Gestern fand hicr im „Kranz"'
eine Zentrums-Versammlung statt, in welcheir
unter anderen Tagesfragen auch die Landtagswahlen be-
sprochen wurden. Es wurde beschlossen, den bisherigen
Vertreter des Wahlbezirkes, Landgerichtsrat Birken -
m a i e r in Freiburg als Kandidaten wieder aufzustellen.
Birkenmaier hat sich bereit erklärt, die Kandidatur wieder
anzunehmm.

Karlsruhe, 15. Septbr. Der geschäftsführende
Ausschuß der f r e i s i n n i g e n Partei hält am nächsten
Samstag dahier eine Sitzung ab. Tagesordnnng: 1. Die
Parteipresse, insbesondere das „Badische Volksblatt", 2.
Vorbereitung der Landtagswahlen.

Rus der K«risrr-Ker ^eiSrmg.

— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haberr
den nachgenannten Königlich Preußischen Offizieren und Be-
amten des Militärkabinetts die folgenden Ordensauszeichnun-
gen verliehen, und zwar: dem Generalleutnant Grafen v„
Hülse n-H a e s e I e r, Chef des Militärkabinetts, vortragen-
den Generaladjutanten Seiner Majestät dcs Kaisers und Kö--
nigs, das Großkreuz mit Eichcnlaub des Ordcns vom Zührin-
ger Löwen; den: Obersten von Oertzen, Abteilungschef im
Militärkabinett, das Kommandeurkreuz 2. Klasse des Ordens
Berthold des Ersten; dem Oberstlcutnant von Z a st r o w,
beauftragt mit Wahrnehmung der Geschäfte eines Abteilungs-
chefs im Militärkabinett, das Kommaudeurkreuz 2. Klaffe,
dem Geheimen expedierenden Sekretär Scheffel das Ritter-
kreuz 2. Klasse mit Eichenlaub und dem Geheimen Kanzlei-
sekretär Kauerhaus das Ritterkreuz 2. Klasse des OrdeMt^
vom Zährinzer Löwen.

— Katastergeometer Jakob EdeI- mann in Slnsheim ist:
auf Ansuchen wegen leidender Gesundheit auf 1. November
ds. Js. in den Ruhestand versctzt.

— Betriebsasftstent Alois Heffner in Singen wurde
nach Schaffhausen, Betriebsassistent Robert Molitor in
Osterburken nach Karlsruhe versetzt.

Auslüttd.

Ocsterreich-Ungarn.

Wien, 15. Sept. Der ausgewiesene türkische Bot-
schaftsarzt Dr. DjewdetBey, der den Botschafter ohr-
feigte, war früher Redakteur der jungtürkischen Zeitschrift
„Osmane", die damals in Genf erschien und jetzt in Kairo.
.Hier beschäftigte er sich auf einer Augenklinik und schrieb
außerdem zahlreiche poetische und kulturgeschichtliche Werke
in türkischer, französischer und deutscher Sprache. Er über-
setzte „Wilhelm Tell" und „Hamlet" und gilt als hervor-
ragender Schriftsteller.

Frankrcich.

X Parich 15. Sept. Nach dem nunmehr festgestellten
offiziellen Programm sur die Reise des Königs
und derKönigin von Italien nach Paris wird
das K'önigspaar am Mittwoch den 14. Oktober, nach-

es die Verhandlungen an. Und nun geschah zum zweiten
Male ein Kuriosum, das sicherlich in der Gerichtspraxis
einzig dasteht: Kurz vor der Fällimg des Urteils trat das
Gericht zur Beratung zusammen. Zeugcn, Publikum und
Anwälte mußten den Saal räumen: denn Beratungen sind
naturgemäß geheim. Aber an das lebende Motogirl dachte
niernand mehr: es lehnte an der Wand und hörte der
richterlichen Konferenz zu. Zum zweiten Male war es
vom Gericht als Sache behandelt worden.

— Sonderbare Hciratsgeschichtc. Eine bekannte Pa-
riser Börsengröße hat sich nunmehr wiedsr rnit seinev
Frau verheiratet, nachdsm er sich von ihr vor 25 Jahren
in aller Form hatte scheiden lassen. Nach dieser Scheidung
sührts er eine andere Frau zum Altare; als diese 'starb,
hatte der alte Herr, dem das Leben als Witwer uner-
träglich schien, nichts Besseres zu tun, als seine erste Ehs-
hälste wieder aufziisuchen und sich mit ihr trauen zu lassen.
Der Mann war somit dreimal verheiratet und hatte doch
nur zwei Fraucn.

— Das Bicr anf Sanioa. Jn der letzten Nummer der
„Samoanischen Zeitung" findet sich folgende Phantasie-
reiche Anzeige eines bierehrlichen Gemüts: „Nach einenr
'GIas 'des Tivoli-Hotel-Jaßbieres vergießt man Frenden-
tränen. Nach dem zweiten reicht man seine Börse dem
ersten Manne, den man trisft. Nach dem dritten Glase
> erkennt man seine Schwiegermutter nicht mehr, falls man
^ ihr begegnet. Mit jedem neuen Glase erhöhte Freuden."

— Drr Reifrock wird im bevorstshenden Winter nun
doch seinen Einzug halten. Die tonangebenden Pariser
 
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