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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177 - 202 (1. August 1903 - 31. August 1903)
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G»sch«i»t ti-Nch, SosntagS «uSgkNomrnm. Preis Mii FssiMMStt«» «o«atttch 50 Pfg. in'r HauS grbracht, bei der Exvrdition u«d d«k Zweigstationen sbgeholt 40 Wg. Dnrch dk WO

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«W bestimmten Tagen wird keine Berantwortlichkeii ül irnommen. — Anichlag der Jnierate auf dcn Pia kattafeln dcr Heidelberger Zeitung und den städtlfchen Anschlagstellen. Fernsprecher

-

Zur Schulprogrammrede des Herrn Combes.

In M arseille hat der französische Minlsterpräsi-
dent zwei Reden gehalten. die eine am Samstag aus
dem Lehrertag, die andere am Sonntag auf dem
M Ehren der Lehrer veranstalteteu Festmahle.
Beids Reden sind interessante Beiträge zum Schul-
hrogramm des gegenwärtigen französischen Ministeriums,
das auf eine entschiedene Trennnng des Schulwesens von
der Kirche hinarbeitet. Die „Frankf. Ztg." widmet der
Marsailler Rede des Herrn Combes eine Betrachtring, der
Äir das Nachfolgende entnehmen:

Die sranzösische Demokratie, die gegenwärtig über die
Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments verfügt, ist
davon überzeugt, daß die letztere Tätigkeit die wahre
Ausgabe der Republik ist, die nicht 'bloß ein Polizei- oder
Rechtsstaat, sondern anch ein Kultnrstaat sein soll. Die
lranzösis.che Demotratie hat in langen nnd schweren
Kämpfen die Erfahrung gemacht, daß man vergebens dem
Bolke die politische Frsiheit gibt, wenn man es nicht auch
geistig frei macht und wenn man es nicht in den Stand
seht, die ganze Freiheit zu erfassen. Es ist dieselbe Er-
lahrung, die einmal unser großer Denker Ludwig Feuer-
bach mit den Worten ausgedrückt hat: „Jch gebe keinen
Psisferling für Politische Freiheit, wenn ich ein Sklave
^ligiöser Einbildung uvd Borurteile bin. Die wahre
Freiheit ist nnr da, wo der Mensch auch religiös frei ist."
Tsiederholt ha'ben die Franzosen, mn nnr von ihnen zu
reden, die freieste Verfassnng der Welt gehabt, aber sie
llaben sis nicht zu halten vermocht. Sie waren eben zur
ganzen Freiheit nicht erzogen, ihr Denken nnd Fühlen
b»ar von einer freiheitsseindlichen Macht beherrscht. So
^ange die Bürger nicht geistig srei sind, ist darum anch der
Bestand der politischen Freiheit auf die Dauer nicht ge-
sichert. Den Beweis dafür hat die Geschichte ebenfalls
glliefert; sobald die freiheitsfeindliche Macht wieder die
Döerhand in der Bevölkerung bekam, machte sie der poli-
Kschen Freiheit den GaräN?': die Republik wurde durch
Linen Diktator odsr Kaiser umgebracht.

Jn dem Programm der französischen Demokratie, dfrs
ou Jahre 1869 von Gambetta in Bellevillc formnliert
llwrden ist, steht daher nicht bloß die äußerliche Trennung
der Schule von der Kirche, sondern auch die Erhebung
^er Schule zu einer umfassenden, national-staatlichen und
rein weltlichen Bildungsanstalt. Söbald dis dritte Re-
bublik festen Boden unter sich hatts, ging sie an die Schul-
^eform, indem sie die allgemeine Schulpflicht einsührte,
!owie die Weltlichkeit und llnentgeltlichkeit des Bolks-
^chulunterrichts zum Gesetze machte. Wer dis Durch-
sührung des Werkes geriet ins Stocken, weil der Kleri-
Ealismus noch zu mächtig war und die weitere Entwicklung
Zu hemmen wußte. Jetzt, da die Repnblik sich der kleri-
kalen Angrisfe erwehrt hat, erinnert sie sich auch gleich
llsieder der Schulresorm. Sie bekämpft den geistlichen
-^nterricht, zuerst auf Grund des Vereinsgesetzes und dann
Oiit Hilse neuer Gesetze. Herr Combes weiß, daß es nn-
uedingt nötig ist, die volle Verweltlichung der Volksschule

durchzuführen. „Die Erziehung unserer Jugend", sagt
er in seiner Rede am Samstag zu den Lehrern, „muß
den Kongregationen vollständig entrissen werden. Noch
eine kurze Zsit, noch eine kräftige Anstrengung, nnd der
kongreganistische Unterricht wird gelebt haben.. Jhr Erbe
wird der Lehrer sein, der Staats'beamter ist." Die Kehrer
klatschten begeistert Beifall. Dann leistete Herr Combes
einen Widerrus. Er hat bekanntlich im Frühjahr in der
Kammer eine Rede gehalten, in der er zur großey Ver-
wunderung seiner radikalen Freunde sagte: „Der Moral-
Unterricht der Kongregationen wird niemals ersetzt wer-
den können." Am Samstag drückte er sich über diesen
Punkt wie folgt aus: „Die Anhänger der Konfessions'schule
schwärzen die Staatsschule an nnd behaupten, sie fei un-
fähig, eine moralische Hdee beizuÜringen. Sie mögen nur
unsere Schulprogramme ansehen, aus denen sie sich über-
zeugen können, daß unsere Schule keine einzige moralische
Jöse vernachläfsigt. Sie sollen sich auch das private und
öfsentliche Leben der Masse unserer Staatslehrer ansehen;
das wird ihnsn zeigen, daß ihre Anklage unbegründet ist.
Der 'Grund der Anktage liegt auf der Hand. Man sürch-
tet, daß die Staatsschuls die Familien endgiltig ap sich
zieht dnrch die 'Geöiegenheit ihres Unterrichts, durch ihre
Moral und dnrch ihre Grundsätze, die trotz langer Kämpfe
und Prüfnngen doch einen Fortschritt zur Unabhängigkeit
des men'schlichen Geistes vollbracht haben. Aus diesem
Fortschritt entsteht ein Licht nnd dieses verscheucht die
Finsternis der Jahrhunderte, in denen der menschliche
Geist in seiner Erstarrung lag, von der man ihm einreden
wollke, daß sie eine glückliche Ruhe bedeute. Den Lehrern
vertraut die Republik die Aufgabe an, dieses Licht von
den höchsten 'GiPfeln bis in die untersten Tiefen des
Volkes leuchten zu lassen. Tank ihrer Hingebnng werden
diese Lichtstrahlen die hergebrachten Unterschiede vernich-
ten, die gewisse Leute unter den Klassen der Gesellschaft
erhalten sehen möchten, und sie werd-en auch die Niedrig-
sten zu der moralischen Höhe führen, die von den Beften
erstrebt wird." Herr.Coyrbes führte dann aus, die
Lehrer hätten her Republik treu gedient in guten wie in
bösen Tagen; gegenwärtig werden ste vom Nationalismus
gehaßt, weil ste stch nicht mißbrauchen lassen; auch haben
sie das Verdienst, daß sie siegreich jenen abtrünmgen
Repnblikanern widerstehen, die mit der Reaktion gemein-
same Sache inachen. Bei diesen Worten brach die ganze
Versammlung in den Ruf ans: „Wir werden so fort-
fahren!" Herr Combes schloß mit dcn Worten: „Jch
habe die feste Ueberzeugung, daß Sie auch in Zuknnft
das sein werden, was Sie in der Vergangenheit waren:
Apostel der republikanischen Jdee und Priester eines neuen
Knltus, dessen Altar die Freiheit, dessen Dogma die Rechte
und Pflichten der Bürger und dessen Offenbarung bon
Oben das Gewissen und die menschliche Vernunft ist!"
Dieses gar nicht mehr spiritnalistische Bekenntnis des
Ministerpräsidenten erregte dreifachen ftürmischen Beifall.

Jn seiner politischen Rede am Sonntag wies Herr
Combes die Angriffe der Opposttion gegen seine Durch-
führung des Vereinsgesetzes zurück, bekräftigte seinen

festen Willen, der übernommenen Aufgabe treu zu bleiben
und ermahnte die Republikaner zur Einigkeit, die not-
wendig sei, wenn man die nächsten großen Ausgaben, die
Vollendung der Schulreform und die Trennnng von
Staat und Kirche durchführen wolle. Ter lebhafte Bei-
fall, den die Erklärungen des Ministerpräsidenten bei
allen aufrichtigen Republikanern findet, wird- der Oppo-
sition wohl die Ueberzeugung beibringen, daß ihre Hoff-
nnng, das Kabinett Combes werde bald fallen, sich nicht
erfüllen wird. __

Deutsches Reich.

Ziegenhals (Schlesien), 10. August. Die Kai -
seri n tras heute nm 8 Uhr hier ein nnd ivurd-e vom Re-
'gierungspräsidentenl Itzoltz und vom Landrat Jsrin
empfangen. Na-ch der Vorstellung einiger am Rettungs-
werk hervorragend beteiligter Personen erfolgte die Fahrt
nach der Notbrücke an der Freiwaldauerstratze zur Be-
sichtigung der durch das Hochwasser angerichteten Vsr-
w ü st u n g e n. Um 9 Uhr trat die Kaiserin die Weiter-
sahrt nach Arnoldsdorf, Lanbenbrück und Neustadt an.

Badctt. Z

— Staatsminister Dr. L. B räue r ist zum Gebranch
einer Badekur für 3 Wochen nach Tarasp abgereist.

— Wie die „Neue Bad. Landesztg." mitteilt, hat
das Entgegenkommen der N a t i o ira I l i b e r a l e n in
Mannheim bei der f r e i s i n n i g e n V o l k s p a r t e i
den besten Anklang gefunden. Das Blatt meint, als
zweiten Kandidaten sollte man einen Demokraten auf-
stellen, damit alle demokratischen Wähler für die Kom-
promißlisten an die Urne gebracht würden. Das Blatt
weist dann noch auf Schwetzingen hin, das die Demokraten
nnr mit Hilfe der anderen Parteien gegen die Sozialde-
mokraten halten könnten und auf Durlach, das nnr durch
Zusammenschluß aller bürgerlichen Parteien der Sozial-
demokratie entrissen werden könnte.

Württcmberg.

Stnttgart, 10. August. Jm „Russischen Hos"
in Cannstadt fand.gestern eine zahlreich besuchts s o z i a l-
demokratische W a h l k r e i s k o n s e r e n z für
den 2. württemb. Reichstagswahlkreis statt. Nach einem
Reserat des Landtagsabgeordneten Tauscher über die
letzten Reichstagswahlen gelangten einige Anträge an den
Dresdner Parteitag zur Be'sprechung. Jn der Vizepräsi-
dentensrage wurde laut „Bad. Landesztg." ein Beschluß
nicht gefaßt; die Versammlung stellte sich aber einmütig
auf den Standpunkt, daß dem Vorschlag Bernsteins, die
sozialdemokratische Partei solle den V i z e P r ä s i d e n -
tenposten sür stch reklamieren, nicht zuzustimmen sei.
Auf Vorschlag des Landtagsabgeordneten Keil wurde so-
dann aber einstimmig ein Antrag an den Parteitag ange-
nommen, der dahin geht, daß die Reichstagsfraktion in
möglichster Välde für die Ve r e i n h e i t l i ch n n g der
dent s ch en Eisenbahne n dnrch Schafiiing einer
Reichseisenbahnb-etriebsverwaltung eintreten soll, wie auch
für eine VerbiIlign n g d e r P e r s o n e ntaris e.

Ailbelnilne vo« tlkerv; steiaelberger
krlnnemngen

Mitgeteilt von Heinrich H e i n z.

Däs Heidekberger Dasein der Ja'hre 1810—11 ver-
gegenwärtigen uns mit einer Fülle detaillierter Züge dis
lolgenden Aufzeichnungen, denen man dur-ch auszugsweise
Äkiedergabe gerade ihren intimen Reiz rauben würde.
Sie rühren her von einer Frau, die damals hier ihren
Wohnsitz nahm, in Leben und Schriften viel erfahren
Vnd viel gewandt. Am Abend ihres Lebens erst hat
sie die Memoiren einer jüngeren Vevwandten in die Feder
öiktiert, und so greifen über das Zustan'dsgemälde jener
Anfenthaltszeit hinans le'hrreiche Ausblicke mach Ven-
gangenheit nnd Zukunft.

„U n v e r g e s s e n e s. Denkwürdigkeiten aus dem
Leben von Helmina 'von Chezy. Von ihr selbst
erzählt." (Zwei Teile, Leipzig 1838), bringt zn Beginn
des zweiten Bandes dre Schilderung ihrer Heidelberger
Tage.

Eine „E nkelin der Karschi n", der Volksdich-
terin, der Io'hanna Ambrösius des 18. Jahrhunderts, war
sie und nicht wenig stolz daraus; schien ihr doch „die Krone
des Genius ein Kunkellehen in der ganzen Familie."
'Freilich JakoL G r i m nz, ist, sarkastisch wie immer, von
bornherein anderer Meinung, wenn er im Jahre 181Z)
on Freund Goerres schrerbt: „D i e P o e s i e d e r W e i -
ber stistet doch wenig RechteA uNd G, ^ ^ ^ s

und so muß es eigentlich >der Kars-chin zugeschrieben wer-
den, daß ihre Enkelin sich einbiid-et, eine Dichterin zu
sein." Auch wir geben Helmina von Chözy als Dichterin
unbedenklich preis — wenngleich ihr „Ach, wie ist's mög-
lich dann, daß ich dich lassen kann" zum Volkslied wurde
und Karl Maria von Weber's „Euryanthe" ihr Libretto
zugrnnde liegt —, äber ein flüssiges feuilletonistisches
Erzählungstalent wird mcin ihr zugestehen müssen.

Wilhelmine Christiane — so ihre Tausnämen, die sie
zn Helmina „poetisierte" — war am 26. Januar 1783
zn Berlin geboren aus der Ehe einer Tochter der Anna
Luise Karsch mit einem Freiherrn von Klencke. Sie ver-
heiratete sich im August 1799 mit einem Baron Hastfer;
die Ehe wurde indes schon im folgenden Jahre getrennt.
Wenn auch nicht die „Krone des Genius", sicherlich waren
seit der Großniutter die unglücklichen Heiraten erblich in
diesem Geschlecht. Jm Mai 1801 geht sie nach Paris
und lebt dort als Schriftstellerin nnd- Mitarbeiterin
dentscher Blätter. Durch Jriedrich SchIegel, der da-
mals den nenen deutschen Geist der Literatur und Philo-
sophie glänzend und wirkungsvoll in der Pariser Gesell-
schaft vertrat, Ierin,t sie dein berühmten DrientalistM,
Frankreichs ersten Jndologen Antoine Wonärd de
Chszy kennen. Jm Jähre 1803 heiratet sie ihn. Nach
sieben Jahren aber findet e!n schiedlich-friedliches Aus-
einandergöhen der Gatten statt. Helmina verläßt, mit
ihren Kindern aus dieser Ehe Mar und Wilhelm, im Jahre
1810 Paris „auf unbestiinmten llrlaüb" und läßt sich
hier in Heidelberg nieder. ^

^ Hören wir ihr zu:

„Gehen Sie nicht nach Heidelberg!" hatte der
> berühmte Arzt Koreff zu mir gesagt. „Heidelberg ist
ein Zugnest unö ein Klatschnest". Drese Worte hatten
gar keinen Eindruck auf mich gemacht, ich kannte diese
Schattenseite in Koreff's Charakter. Wenn er übler
Laune war, zog er aus alles los, was ihm unter die Hände
kam. J-ch ging nach Heidelberg. Jch hätte es nicht tnn
sollen, denn gerade ich Paßte garnicht dorthin. Jch war
nach Jean Paul's Ausdruck in einem Briefe an mich
nur aus einer großen Sta'dt in eine größere gezogen,
nämlich von Berlin nach Paris. Nnn war ich in eine recht
kleine gekommen, die damals nnbeschreiblich klein-
st ä >d ti s ch war, wiewohl große M änne r darin lebten
nnd wirkten. Dennoch hatte einer der dortigen Professoren
geäußert: Solchen Frauen, wie Amalie von Hel-
v i g"°) sollte man die Tore zusperren. Zu ineiner großen
Freude hatte ich diese dort angetroffen. Mehr noch tat
mir die Anwesenheit von S ch i l l e r's Witwe und
Kindern wöhl. Jene sagte nnter anderem: in Heidel-
bergs Gegend könne ein wundes Herz genesen. Sie er-
riet diese Wunden und berührte sie leise wie Maienhauch.

llnter diesem Nmncn verbirgt sich uns Amalie von
Jnihoff, die ehemalize Hofdame dcr Herzogin Amalie von
Weimar, die Mitarbeiterin an Schillers „Musenalmanach"
und „Horen", die Dichterin der „'«chwestern von Lesbos". Sie
hatte sich mit dem schwedischen Offizier, späteren preußischen
Generalmajor Karl Gottfried von Helvig vermählt. Ein Denk-
mal ihres Heidelberger Aufenthalts ist die mehrfach aufgelegte
„Gage vom Wolfsbrunnen" (zuerst Berlin 1314).
 
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