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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 305 (1. Dezember 1903 - 31. Dezember 1903)
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Freitag, 11. LeMber i-

43. MrMs. — ^ 290.

Arschei»t ttiltch, Sosntag» «ulgensnimen. PreiS mit Familienblätter« monatlich 8V Pfg, tn'» Haut zebracht, bei her Erpeditio« und dr« Zweigstotiose« abgehM tO Pfg. Durch bie WO

bezogen vicrteljährlich 1.38 Mk. au»schließlrch Zustcllgebühr.

>»»«tt«nPrei»: W Pf». für bie Isvalttge Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiefige Gcschäft»« und Privatanzeigeu ermäßigt. — Für die Aufnahme v»n «nzeig«
a« hestimmten Tagen wird krine Berantworklichkett übernommcn — Nnfchlag der Jnserai aus den P!a tattaseln d-r Heldelberger Zeitung und den städtischen Anschisgstellcn. Fernsprecher W.

Deutscher Neichstag.

BerIin, 10. Dezember.
Beginit der Sitzuitg 1 Uhr. Die c r st e L e iung
Etats wird fortgesctzt.

. Abg. Beüel (Soz.): Die Schilderung, die der Staats-
^kretär von der Finanzlage entworfeu hat, ist wohl noch
5^er, als die Thronrede sie gemalt hat uwü gibt Anlaß zu den
jcharfsten Bedenken. Durch die Bewilligung des 'Flotten-gesetzeZ
I auf unabsehbare Zeit für eine Steigerung der Abgaben ge-
s^kgt worden. Trotz vorsichtiger Verauschlagung der Ein-
Mrnen wird auch jetzt wieder zu einer Zuschußanleihe zur
^ckung ordentlicher Ausgaben gegriffen. Uwd so wird es
in Zukunft weitcrgehen, denw die Ansprüche des Reichs
Akchsen bon Jcchr zu Jahr. Aus einer solchen Lage heraus ist
r'E Finanzlage der Rcgierung wohl bezreiflich, aber tatsächlich
^reutet diese Borlage die Aushebung des Budgetrechts des
r^ichstags. Sie nimmt durch dte Beseitigung der Matrikular-
/bsträge den Einzelstaaten die Verantwortung für die Ent-
^cklung der Dinge im Reiche, schwächt ihren Wtderstand gegen
Steigerung der Ausgaben, und deshalb lehnen wir
I? e g p, Bischof Anzer hat das Hauptverdienst um die Er-
Astbung Kiautschou, wenn Sie auch noch! so den Kopf
lfhütteln. Die Erwerbunz von Kiautschou hat dann zu der
Ehinaaktion mit ihren unheilvollcn KonsLquenzen ge-


^rt und dabei weiß man noch! gar nicht, was aus dieser Ko
onst werden wird. Das erreichte Resultat steht in traurigstem
^sttzverhältnis zu den gcmachten Auswcndungen. Die neue Mi-
Mrvorlage ist angekündigt worden, wenn sie auch kluger-
^ise um ein Jahr zurückgestellt ist. Kommen wird sie und
A^hr-Forderungen wird sie sicher Lringen. Uns trifft frei-
M dieser Spott und Vorwurf nicht. Die neue Feldhaubitze
M eingeftihrt worden, kostspielig wie sic war und nun hat sich,
ein militärischer Fachmann erklärt, ihre völlige Unbrauch-
T^tteit herausgestellt und es wird für ein Rätsel erklärt, daß
sie überhäupt hat einführen können. (HLrt, hört, links.)
^ welchem Maße muß das Ansehen Deutschlands bei dem
Mswärftgen Militär sinken, wenn solche Tatsachen bekannt
^rden. Tazu konimen die Ersahrungen, die man bei den Ka-
^Üeriemallövern macht, die uns noch mehr beschästigen wer-
und nur beweisen, daß man den Kritiken an der entschei-
^den, Stelle nicht das nötige Gewicht beilegt. Auf dem Ge-
stfte der Neuorganisation schweben die weiiestgehellden Plälie,
Ae Ms p«n Artikeln berufener und unberufener Militär-
^AriftsteHer hervorgeht. Eine Vermehrung der Kavallerie ist
^ Werke und eine Umbildung der Artillerie desgleichen. Nur
A deutschen Reichstag ist es möglich, daß eine kostspielige Ar-
genehmigt wird, während iuenige Fahre darauf
^ou erklärt wird, daß das Material im Falle
-üies Krieges wertlos sei. Es hat sichl herausgestellt, 'daß schon

Jahre 1896, als d

Nhrrücklausgeschütz in der Hauptsache schon fertig war. Das
^,doch ein starkes Stück, und gegen derartige Uebergriffe der
> "litärverwaltung muß auf das Energischste protestiert wer-
Da wundert man sich, daß man in militärischen Kreisen
^r den Reichstag spottet und höhnt.
j>. Reichskanzler Graf Bülow: Die Darstellung Schaedlors
i"Er Sol'datenmißhandlnngcn sei nicht ganz zntresscnd. Wohl
im Prozeß Bilse zahlreiche Mißstände aufgedeckt wordcn,
e.s^r man solle nicht verallgemeincrn; sie seien nicht thpisch
das deutsche 'Offizierkorps. Dieses sei von ehrenhafter
^sinnung durchdrungen und der Erfolg des 70er Krieges sei
sOch wesentlich zurückznführen auf die Tüchligkeit und An-
»^UchNosigkeit des Osfiziertorps. Gegenüber Bebel sage er,
^ 8Äe kein Land, wo wir so wenig zu tun hätten, als in dsr
L^Utschurei. Komplikationen könnten nnr' durckj andere
O^uld entstehen. Jm Venezuelastreit habe sich Castro cmfangs
E^igert, sich auf das Hacrger Schiedsgericht einzulassen. Trotz
be'dauerlichen Angriffe Bebels werde er unsere Beziehun-
zu Rußland Weiter pflegen. Wie ihm Sanftmut gegen-

die Artillerievorlage bewilligt wurde, das

üb-er Amerika vorgeworfen werde, so erhebe die dorftge gelbe
Presse den gleichen Vorwurf gegen ihre Regierung. Das be-
weise, daß nur Unverständige und Unbesonnene die guten Be-
ziehungen zu stören suchten. Die Regierungen hielten nach wie
vor an dem Wunsche sest, aus sür uns annehmbarer Basts
bald zu Handelsverträgen zu kommen. Eine Erhebung von
Abgaben aus den Wasserstraßen sei verfassungsmätzig ohne
Reichsgesetz ntcht möglich; dem Bundesrat liege auch kein sol-
cher Antrag vor, er brauche daher nicht aus diese theorettsche
Frage einzugehen. Welche Partei übe solchen Terrorismus
wie die Sozialdemoktatie? Wo gcrb es im finstersten Mittel-
alter ein Konzil mit solcher UNduldsamkeit und solcher Ketzer-
richterei, wie auf dem Dresdener Parteitage? Wo eine Bulle
so voll Jntoleranz wie Bebels Erklärung gegen Bernstein?
Die sozialdemokratische Freiheit heißt Willkür: Willst Du nicht
mein Bruder sein, so schlag' ich Dir den Schädel ein. Trotz
aller Disziplin habe die Sozialdemvkratie keine positivcn Lei-
stungen und kein klares Programm. Bei ihrer jetzigen Stärke
müßte sie mtt positiven Vorschlägen Hervortreten, seit ganzen
20 Jahren habe man nichts davon gehört. Millerand, den Be-
bel hisr vermtsse, sei trotz allem etn französischer Patriot und
einem üeutschen Millerand würde niemand mehr -Knüppel zwi-
schen die Räder stecken als gerade Bebel. Die sozialpolitische
Gesetzgebung schreite fort, die Rechte der Arbeiter zu schützen,
die Arbeitszeit der Frauen und Kinder herabzusetzen, Lohn-
zahlungsmetho'den festzusetzen. Er werde aus die Witwen-
und Waisenversicherung kommen. Nun habe Bebel den Un-
tergang der bürgerlichen Gesellschaft für nahe beDorstehend
erklärt, da müsse er doch einen detaiÜierten Plan des Zu-
kunftsstaats besitzen. Es gehe aber geräde, wie ber den Hum-
berts in Paris, wo der Plan immer bei einem Notar oder Te-
stamentsvollstrecker, aber nte zu finden war. Und was sollen
wir machen ohne Armee, wenn wir angegriffen werden? Ge-
rade nach Bebel müßten wir eine große Armee haben, wenn
wir uns in Finnland, Rumänien, der Mantschurei einmischen
sollen. Rutzland iverde sich -gewiß nicht ignorieren lassen; er
könne nicht wie Bebel Nußland zum Abscheu der deutschen Welt
machen. Bebel würde besser tun, seine Kritik zu mäßigen.
Wir werden die bestchcnde Ordnung der Dinze, die vielen
Geschlechtern ein Obdach gewährte und unseren Kindern ge-
währen soll, zu verteidigen wissen, Künstler, die Tempel er-
bauen, werden selten geboren, solche, die bereit sind, sie anzu-
zünden, wie Herofrat zu Dutzenden. Wir werden ihn vertei-
digen mit voller Festigkeit, aber mit voller Ruhe und alle Ver-
suche, an Stellc der gesetzmcißigen Fortentwicklung Revolution
zu setzen, wer'den scheitern an dem gesunden Sinne des deut-
schen Volkes, das sich aufgeben würde, wenn cs Bebel folgt.
(Langanhaltender Beifall.)

Sächsischer Ministerialrat v. Fischer weist die Angriffe
Bebels auf die sächsische Regierung wegen des Streikes in
Crimmitschau zurück.

Abg. Graf Stolberg (kons.): Die Regelung des Ver-
hältnisses zwischen Reich und Einzelstaaten sei schwierig. Die
Franckensteinsche Klausel habe sich nicht bewährt. Der neue
Zolltarif werde die Depression überwinden helfen. Die Kon-
servativen seien nicht Gegner langfristiger Hcm'delsverträge;
sie wollten aber sicheren Schutz der Landwirtschaft. Die Po-
sition der Regierung wäre besser, wenn in das Tarifgesetz der
Einführungstermin aufgenommen wäre.

Nach perfönlichen Bemerkungen wird die Weiterberatung
nach 6 Uhr auf morgen 1 Uhr vertagt.

— Dem Reichstag giug gestern ein Antrag
Rettich und Genossen zu, die verb. Regierungen um 'bal-
dige Vorlegung eines Gesetzentwurfes über das Aus-
verkaufswesen zu ersuchen, wodurch die Anmelde-
pflicht für alle Ausverkäufe fest-gesetzt nnd die Veranstal-
tung von S-cheinausverkäufen unid der Nachschnb von
Waren zum Ausverkauf unter Strafe gestellt wird.

Derrtsches Reich.

— Eine lebende S t. I o s 6 - S ch i l d l a n s
ist in einer Obstsendung entdeckt worden, die von Rotter-
dam mit der Bahn nach GeIsenkirchen gekommen
war. Die Sendung ging sofort zurück. Merkwür-dig
bei dieser Feststellung ist noch, datz das llrsprungsland
nicht Amerika, sondern Italien sein soll.

— Das W a ch s t u nl des deutschen Volkes
war im J-ahre 1902 grötzer als je. Nach der Reichs-
statistik war zwar die Zahl der Ehes-chließungen um rund
11 100 und die der Geburten um rund 8300 niedriger
als 1901, wo jene die Ziffer 468 329 und diese die Ziffer
2 097 838 erreichten. Dafür waren es letztes Jahr nur
1 187 201 Sterbefälle, also fast 53 000' weniger als 1901.
Der Geburtenüberschuß betrug 902 312 Köpse (1901:
857 824 und im Durchschnitt des Jahrzehnts 1893—1902
s 780 247) ,od-er auf das Tausend 15,6 Köpfe.

^ Bades.

KarIsr u h e , 9. Dez. Die Berechtignng zum Be-
trieb einer selbstäudigen Apotheke in Gondelsheim,
Todtmoos und Blumberg (Amt -Donaueschingen) ist vom
Ministerium des Jnnern den Apothekern Heinrich F ö h-
l i ch aus Brombach, Marl Junghanns aus Heidel-
berg und Friedrich Hartweg aus Schwetzingen ver-
liehen wovden. Die persönli-che Berechtigung zum Be-
trisb der Apotheke in Königshofen (Amt Tauberbischofs-
heim) ist wegen Ablebens des Juhabers mit Frist von 14
Tagen zur Bewerbung ausgeschrieben.

Als vorgesterm in der Zweiten Kammer die Vorlage
betr. die V e r f a s s u n g s r e v i s i o n vorgelesen wurde,
herrschte im Hause lautlose Stille. Kein Zeichen, weder
des Beifalls noch des Mißfallens wurde laut. Dis Abgs-
ordneten wollten sich ihr Urteil bis na-ch- näherer Prnsung
vorbehalten. Ebenso hat es die Presse gemacht; sie hat
stch zunächst damit begnügt, den Jnhalt des Entwurfs
bekannt zu gebm. Jn einer so wichtigen Sache wäre es
nnrecht, mit s-chnellfertigem Ilrteil der Vorlage zu wider-
sprechen o-der sie zu preisen. Jnzwischen hat man Zeit
gehabt, sich ihre Bestinnnungen nä'her zn überlegen und
da darf man wohl sagen, daß sie als Grundlage für eine
Vereinbarung geeignet er'scheint. Nicht, daß sie unverün-
dert znr Annahme gelangen wird, aber sie ist doch so,
daß man hoffen darf, zu einer Ue'bereinsttmmung zu gelan-
gcn. Das Erfordernis 2jähriger Staatsangehörigkeit für
den Wähler nnd die Besttmmung, daß er seine Staats-
und Gemeindestener im letzten Jahre entrichtct haüen ntUtz,
wird nach unserer Schätzung bei der Mehrheit keinen
Schwierigkeiten begegnen, dagegen wird die Erweiterung
des Budgetsrechts der Ersten Kammer im Verein mit
einer Verstärkung derselben, die verhältnismäßig größer ist
als die der Zweiten Kannner, ansBedenken stoßen. Hoffent-
Iich"wird es gelingen, eine Fassung zu finden, welche der
.Zweiten Kainmer, die natürlich mit einer gswissen Eifer-
jucht an ihrem bisherigen maßgebenden Budgetrecht feft-
halten wird, Genüge leistet. Selbst die „Frankf. Ztg."

' erkennt an, daß die badische Regierung mit der Vorlage

Heetor BerUoz.

geboren am 11. Dezeniber 1803.

Zuvi 3. Bachvereinskouzert.

Än einem wenig bckannten, erst nach der Veröffentlichung
»si Brieftvechsels aufgefun'denen Brief, schveibt Richavd Wagner
^ 22. Mai 1860 von Paris aus an 'Fran-z Liszt: „Jch las
neuestes Feuilleton über „Fidelio". Seit meinem Kon-
ick» ihm nicht wicder begegnet. 'Jch war es vorher, der
stets cmfsuchen oder einladen mußte; er bekümmerte sich
mich. Er hatte mich sehr traurig gemacht; -böse war ich
^ nicht, nnr frng ich mich, ob der liebe Gott nicht besser die
lieber aus seiner Schöpfnng ausgefchlossen hätte. Sie nü-
hm. ^ngeheuer sclten ettvas, ganz in der Regel aber schaden sie
am Ende selbst etwas dabon zu haben. An Berlioz
ihva ^ es wieder einmal bis zur anatomischen Gcnauigleit
jnHeren können, wie eine böse Frau einen gcmzen, brillanten
?nnz nach Herzenslust ruinieren Uud zur Liederlichkeit
,i,^bbringen kcmn. Was mag nun so ein armer Mann für
tzT Tenugtuung finden? Vielleicht die traurige, -das' übelste
seines Wesens so recht eklatcmi zur Geltung gebracht zu

lj^^erade auch Berlioz' Artikel über „Fidelio" hatte mir deut-
^.tvixder gezeigt, tvie allein dcr Unglückliche steht, und daß auch
Zart und ftef cmpfindet, daß ihn die Welt unr üeleidigeu
Wine beleidigte Gereiztheit mißbrauchen kann, datz sie und
hs,. ^hn unnzebenden Einflüsse ihn iu wunderbare Jrre führen
ielbst ihm enftremden, datz er u-nwisseud Mgen sich
schlägt. Aber gerade 'durch dieses helle Phänomen hin-
crkcmnte ich, datz 'der hoch'bcgabte nur wieder den sehr
vq.tz fNrbten zum eigentltch erkennenden Freunde haben kann,
"as befftmmte mich zu der Einficht, daß in dieser
ljLenmart doch nur wir drei Kerle eigent-
OpSu uns gehören, weil wir nns g 'leich sind;
° die stnd: Du — Sr — und Jch! Mber das

muß man ihm am wcnigsten sagen; er schlägt aus, wenn er's
^ hört." — Hatte sich Wagner 10 Jahrc früher in „Oper un>d
Drama" über den Gesamtcharakter des Berlioz'schen Schaffens
prinziptell ablehnend geäutzert, so sah er doch der künstlerischen
Perfönlichkeit des genialcn Franzosen zu tief auf dsn Grund,
um nicht die wärmste Teilnahme un-d Verehrung für deU Un-
glücklichen zu fühlen. Trotzdem der verbitterte Berlioz sich
ihm hartnäckig verschloß, fuchte Wagner tvieöevholt seine Freund-
schaft. Jm Januar 1860 überfandte er ihm mit einem erst
kürzlich aufgefundenen, herzlichen Schreiben >das -erste Exem-
plar des „Tristcm", und noch lang nach Gerlioz' Tode trug er
sich mit 'dem Gedanken, in zufammenhängcknder Darstellung den
Menschen un>d Künstler Berlioz zn schildern (Einleiftmg in
den „Frcrgmenten, Entwürfen").

Fn der Tat gehören diese „drei .Kerle" zusammen, die Namen
Berlioz, Liszt, Wagner bezeichnen den gewaltigen Fortschritt
der Mnstk nach Beethovcn. von jeher haben sich die musikalischen
Quietisten vor 'diefen ldrei „Zukunftsmu'sikern" bekrenzigt,
(tun's wohl auch noch). Berlioz hcrtte die Pfähle eingerammt,
auf denen Liszt u. -Wagner ihre Wundebbauten errichten follten.
Er strebte nach erner evweiterten Ausbildung der Jnstrumen-
talmusik nach der Seite- der poetischen Jdee, auf -deren mufika-
lische Gestaltung es ihm vor allem ankam. Das Schaffen Liszts
schlietzt sich in die'ser Beziehnng unmittelbar an Berlioz an.
Hatte dieser zwar die Sonatenform gefprengt, fich aber noch nicht
von der stereotbpen >Mehrsätzigkeit der alten Symphonie los-
machen können, -so tat sein Erbe Liszt den entscheidenden Schritt
unid ovdnete in feinen „Symphonischen DichtrMgen" dem Pro-
gramm auch die Formen der Komposition un-ter. Nicht weniger
bedeutungsvoll für die gesamte nroderne- Mufik wurde Berlioz'
Aufstellung des von Liszt un'd befonders von Wagner so er-
staunlich entwickelten Prinzips des „Leiftnotivs" (zuerst in der
„Symphonie 'Fantasftque" und Haroldsymphonie). Endlich ist
uns Berlioz der unerreichte, auch von seinen evbiftertsten Geg-
nern anerkannte Meister der Jnftrumentation. Keiner verstand
es vor ihm, so lebensvoll die Jnstrumen-te, gleichfam wi« Jn-

diviidualitäten, sprechen zu laffen, er erhachte die Melodieen
aus dem Charakter des Jnstruments heräus. Richt nur mit
ungeheuren Orchestermassen verstand er zu -wirken, oft weih
er mit den einfachsten Mitteln, ja mit eincm cinzigen Jnstrn-
ment die erstaunlichste, tiefste poetische Wirkung hervorzubrin-
gen. Berlioz ist der -Schöpfcr des modcrnen Orchcsters, weder
Wagner's noch Liszt's Partitur ist denkbar ohne ihn. — Es
muß hier ausdrücklich betont werden, daß wir in Berlioz nicht
nur eine ungeheure musikalische Jntelligenz zu bewundern
yaben: er war ein gvotzer Künstler, -den wir trotz aller Kanten
und Ecken liebcn müffen. Man mag die Wahl des Stoffes
in ber phantastischen und der Ha r o l d - S y m p h o n i e
verurteilen, man mag den Versuch der „Sinfonie dramatique"
in „Romeo und Julie" als mitzlungen bezeichnen, man
schelte die arigebliche Theatralik im Requiem und im Te -
deum, das ungoethische an „Fausts Berdammung",
— datz htnter diesen Werken eine gewalftge Persönlichkeit von
sel-bstschöpferischer Kraft und Origin-alität steht, das m-utz jeder
fühlen, der auch nur entfernt eine Ahnung vom Wefen -des
künstlerifchen Schaffens besitzt. Dieser „Titcme an mufikalifcher
Kraft", wie ihn Schuniann nennt, schuf, wie er mntzte, ihm
war die Musik nicht Vergnügen („Uen8er-vou8, Uonftenr,
que )'entenck8 cke 1a inuftque pour mon plai^ir?"), sie War ihm
ein erschütternder Seelenkampf, ein ernstes und heilige^ Rin-
gen nach dem Höchften. „Die Musik", ruft er in seinem Glan-
bensbekenntnis aus, „ist die poctifchste, die mächftgste, die leben-
digfte von allen Künsten. Sie sollte auch die freiefte fein, ader
> - ist es leider nvch mcht. Dccher un-sere Künstlerleiden, unsere
unvcrstandencn Opfer, mffer Ueberdruß, unsere Hoffnungs-
losigkeit, nnsere Todessehnsucht."

Von lerdenschaftlich-dämonischem, unglücklichstem Tempera-
mcnt, das ihn ftets znm unbedachtesten rmid imklügsten forttiß,
durch unglückliche Liebe und Ehe gsfoltett und im Jnnersteiii
enttäuscht, unverstanden von seiner Umgebnng, von seiner Ncrfton
verleugnet, ging dieser Mann unter dem Verhängnis feiner
Größe durchs Lebeu. Hart fatzte ihn die Welt an, er begegneto
 
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