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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229 - 255 (1. Oktober 1903 - 31. Oktober 1903)
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I-mrStG 15. LN-ter 1VZ


1.1. Myg. — E1I.

^rschrint tSglich, Sonntagr auSgenommcn. Preir mit Familienblättern monatlich 50 Vfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstationen abgeholt K> Pfg. Durch di« Post

bezogen vierteljährlich 1.35 Mk. auSfchließlich Zustellgebühr.

^"ieigtnpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder dcren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige GeschäftS- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigm
""bestimmten Tagen wird keinc Berantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Pla kattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anfchlagstellen. Fernsprecher 82.

Bayerns Zukunst.

Schwcr und dumpfig —
Eine Wetterwolke.

V.Schwarz un- immer schwärzer überzieht sich der Po-
."iche Himmel in Bayern. Die „regierende Partei",
^ Zentrum, .stcht im Begriff, zu ernten, was es in stiller
^chlarchit auf Hintertreppen u. in Damenboudoirs, was
^ grobem Poltern in Volksversammlungen und im
, cheordnetenhaus gesät hat. Seit Graf Crails-
m der rasenden See geopfert wurde, ist es rasch, schr
obwärts gegang^en, hinein in den Zentrumssumpf.
^leser Situation wird man sich am meisten bewußt, wenn
"ll stch dw Haltung der bayerischen Beamtenschaft
. ^'gegenwärtigt, die stch duckt, jetzt, wo der Sturmwind
^lft. Diese Situation wird ganz klar, wenn man an die
^rbesch^idung des berühmten Ludwigshafener Handar-
^dltslehre^f^^enstreites durch den Kultusminister von
"st^hner denkt, wo es hieß: fch sage nein; es tut mir
llk sehr leid, ich wills gewiß nicht wieder tun.

. ^nd in disfem Augenblick, in dem das Zentru m
ste alles beherrschende Position inne hat, geht man an
tiefgreifende Wahlreform, über der man cigent-
Ä? !chon feit dem „tollen Jahr" 1848 brütet. Jn dieseni
coirient präsentiert dic Regiernng, die freilich nicht an-
^lls kann, weil ein einstimmiger Beschluß sowohl der Kam°
!A' der Abgeordneten als auch der Kammer der Reichs-
^le vorliegt, eine WahIrechtAvorlage, die iiberall, na-
'Htlich in den freisinnigen Kreisen Preußens, in den
Minmel gehoben wird, weil ste das direkte Wahlrecht ein-
^llhrt, die praktisch aber für unabsehr'bare Zeiten die ab -
loIufe Z e n t r u m s m a j o r i t ä t
^rantiert.
ha

verfassungsmäßig
zn Verfolg einer altbewährten Taktik be-
wpwt freilich das Zentrum, daß der lGesetzentwurf die
sflberalen begünstige. Es we.iß aber ganz genau, daß es
llach tz^i: Verabschiedung der Vorlage in dcr jetzigen Form
Her r und Gebieter aus der kommenden und
^^hen folgenden Landtagswahlen hervor-
^hen wird.

Diesem Gesetzentwurf gegenüber befindet sich die libe-
Kammerfraktion in einer äußerst mißlichen Lage.
Z-Wn sie den geringsten Versuch macht, den Ereignissen
..lne Wendung zu geben, die das Schlinimste, die Stabili-
hkrung der Zentrumsherrschaft ad infinitum abwendet,
^?Nn läuft ste Gefahr, von rechts und links und aus dem
^lgenen Lager — soweit man bereit ist, lieber Selbstmord
^ begehen, als auf Prinzipienreiterei zu verzichten —
?r Preisgabe aller liberalen Grundsätze geziehen zu wer-
Jn diesem Dilemma hat ste schon im vorigen Jahrs
herbeigefunden, den Ausschußantrag anzunehmen, der
relative Mehrheitsprinzip eingeführt wissen will, nach-
nirgsnds, weder in dem Wahlrechtsausschuß, noch im
.^lnrnerplenum, noch in der Kammer der Reichsräte, noch
Ichließlich in der Oeffentlichkeit nnd in der Presse die Frage
llach künstigen Wahlverfahren auch nur einigermaßen
^friedigend, geschweige denn erschöpfsnd behanüelt wor-
war. So muß sie jetzt hilflos zusehen, was aus dem

Entwurf wird; sie muß froh fein, wenn er nicht noch ver-
schlechtert wird. Daß das liberale Bürgertum in seiner
Gesamtheit angesichts der drohenden Gefahr stch zü dsr
Erkenntnis durchringen könnte, daß eines stch nicht für
Alle schickt, daß über dem Prinzip die E xistenzfrage
steht und daß ein direktes Wahlrecht nurso Iange wiE
lich liberal ist, als es nicht die brutale Unterdrückung der,
Minorität fördert — das ist leider nicht zu hoffen. Und
so wird wohl der neue Wahlrechtsentwurf höchstens mit
unwesentlichen Modifikationen 'Gesetz werden; damit wird
eine Aera in Vayern hereinbrechen, wie sie in den
schIimmften Zeiten des ultramontanen Mi-
nisteriums AbeI nicht düsterer war.

llltramontaner Terrorismus.

Aus Nürnberg schreibt man der „Münch. Allg.
Ztg.": Als vor vor stwä Ist^ Jahren das hiestge ultra-
montane,Blatt Artikel über die hibsigen Schulverhältnisse
brachte (welche, beiläufig bemerkt, in offizieller Weise als
vollftändig unrichtig charakteristert wurden), stieß ein be-
kannter, durch seine Lungenkraft sich auszeichnender Zen-
trumsführer in einem Parteikreise die Drohung aus, daß
,die Nürnberger bei der Beratung der Polytechnikums-
frage im Landtag ihre Strafe erhalten würden. Wie
erinnerlich, wurde diese Drohung auch verwirklicht, indem
die damalige Vorlage der Regierung abgelehnt Wurde.
N'un brachte dieser Tage ein Kiesiges nichtultramontanes
Blatt einen Artikel aus Rom, der nicht den Beifall des
hiesigen ultramontänen Blattes hatte. Würde das ultra-
montane Blatt sich nut einer Entgegnung begnügt haüen,
dann würden wir wohl nicht weiter die Sache berühren.
Aber das uttramontäne Blatt bemerkt, „es sei schr unvor-
sichtig, den Ultramontanen nicht passende Zeitungsartikel
zu bringen, denn die Kämmermehrheit sei imstande, den
klebermut Zu dämpfen!" Ein Zsichen der Zeit!

DeuLsches Reich.

Baden.

V o m See wird der ultr. „F r. Stim m e" berichtet:
Die Geistlichen, welche dieser Tage in Audienz bei Prinz
M a x von Baden in Salem waren, häben den Eindruck
mitgenommen, daß die Stimmung für Qrdenszu-
I a s sung in Baden in den höchsten Kreisen zur Zeit
eine sehr ungünstige sei."

Triberg , 13. Okt. Bekanntlich brachte der u ltra-
m o n t a n e „Tr ib er g e r B o t e" vor dem jüngstsn Be-
such des^Großh. Paares einen höchst taktlosen Artikel.
Selbst Stadtpfarrer Friss, welcher Gelegenheit nahm,
sich wegen des skandalösM Vorkommnisses beim Großher-
zog zu entschuldigen, erklärte beim Festfrühstück im
Schwarzwaldhotel, er werde dafür besorgt sein, daß Der-
artiges nicht mehr geschehe.

Freiburg, 14. Okt. Die Vertrauensmänner der
Zentrumspartei des 15. Wahlbezirks (Staufen-Freiburg)
waren gestern hier zu einer Wahlbesprechung vereinigt

und behandelteü zunächst die Kandidatenfage. Da der
Lisherige Vertreter, Dekan Dieterle in Dogern, bereits am
Schlusse des vorigen Landtages erklärt hatte, daß er seine
Kandidatur nicht mehr übernehmen würde, so wurde als
Kandidat für die nächste Landtagswahl einstimmig Rechts-
anwalt Ferd. Kopf in Freiburg aufgestellt, der diesen
Wählbezirk bereits in der Legislaturperiode 1893—1897
vertreten hat. Kopf hat demnach wieder Gnaden in den
Augen Wackers gefunden.

Oberkirch, 13. Okt. Weinhändler GePpert von
Bühl, bisheriger Äbgeordneter des Bezirks, hat die ihm
angetragsne Kandidatur wieder angenommen.

Offenburg, 14. Okt. Gegen die „Volks-
freund" - Redaktion nahm am verflosssnen Sonn-
tag die sozialdemokratische Konferenz für den 7. Reichs-
tagswahlkreis (Offenburg-Kehl) Stellung. Redakteur
Kolb, der selbst anwesend war, erklärte, was er im
„Volksfreund" vertrete, sei seine blebsrzeugung, die er
nicht opfere; eher würde er die Fedsr wieder nüt dsm
Pinsel vertauschen. Er werde von seinem Posten zurück-
treten, wenn es die Mehrheit der Genossen im Lande vsr-
langen. Die Meinung der Offenburger und Pforzheimer:
Genossen allein sei für ihn nicht maßgebend.

Elsaß-Lothringcn.

Straßburg, 14. Okt. Der Präsident des Landes-
ausschusses, Staatsrat Dr. Jean v. SchIumbsrger,
hat sein Landesausschußmandat n i e d e r g e Ie g t. Die
Ursache seines Rücktritts bildet ein Gehörleiden. Schlum-
berger war seit der im Jahre 1875 erfolgten Konstitu-
ierung des Landesausschusses ununterbrochen 30 Sessionen
hindurch der erste Prästdent 'dsr reichsländischen Volksver-
tretung.

Bahcrn.

München, 14. Okt. Jm F i'n a n z a us sch u tz
wenden sich die Liberalen beim Etat des neuen
V e r k eh r s m i n i st e r i u m s gegen die Genehmigung
dieses Etats, da die Verhältnisse zu wcnig geklärt, sin
Ausgleich in den Arbeitsgebieten der anderen Ministerien
nicht getrosfen sei und die Pfalzbahnen nicht Verstaatlicht
würden. Diese Haltung der Liberalen hat eine Spitze ge-
gen den Ministerpräsidenten von PodewiIs. Dis KI e°
rikalen traten einhellig für sofortige Schaffung
'dss neuen Ministeriums ein und deckten damit den Mini-
sterpräsidenten. Die Beratung des Etats wird heute
Abend fortgesetzt.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben
dem Bürgermeister Karl Müller in Haagen die kleine gol-
dene Verdienstmedaille verliehen.

KarIsruhe, 14. Okt. Der G r otzherzog und
die Großherzogin bsgaben sich gestern Vormittag
halb 12 IHr von Schloß Mainau mit Extraboot nach
Friedrichshafen, um den König und die Königin vön
Württemberg zu besuchen. Jhre Majestäten erwarteten
Jhre Königlichen Hoheiten am Hafen und geleiteten die-
selben zum Schlosse, wo Frühstückstafel stattfand. Nach-

Meine Zeitung.

Ttraßburg, 14. Okt. Der „Lothr. Ztg." zufolge
^Ur'de Leutnant Bilsen vom 16. in Fohrbach garniso-
^renden Trainbataillon verhaftet. Die Ursache
Verhaftung bildst ein von Bilsen veröffentlichter R o -
an, in welchem die Verhältnisse der Fohrbacher Garni-
und dortige Persönlichkeiten unter fingierten Namen
^ überaus ungünstiger Weise geschildert sein sollen.

Tortmnnd, 14. Okt. Der „Dortm. Ztg." zufolge
^'Urde der Bankier Wulff (Dortmunder Handelsbank)
^gen Vergehens gegen das Handelsgesetz und wegen
^sineids zu zweieinhalb Fahren Zuchthaus, 6000
xnark Geldstrafe und 5 Jahren Ehrverlust verurteilt. Der
^itangeklagte Woldering wurde freigssprochen.

^ ^ Elbing, 14. Okt. Der B r a n d in M a r i e n b u r g,
dem 5 Personen nmkamsn, ift auf vorsätzliche B r a n d°
uiftnng der Eheleute Salewski zurückzuführen;
oaZ Ehspaar wnrde verhaftet. Es hatte, nachdem 'der
^U'and angelegt war, die eigenen Sachen aus der Wohnung
^utfernt. Vor zmei Jahren war dasselbe Gebäude total
^^gebrannt; damals wurden 20 000 Mark Entschädigung
?HZahlt. Jetzt war das Gebäude mit 34 000 Mark ver-
iEiert. Salewski befand sich in Geldnöten.

^ — Tas sitteubcrlebcndc Bild dcr Kaiscrm. Jn einem
stkleidigungsprozeß in Weiden (bayr. Pfalz), wnrde, wie
rfr „Fränk. Kur." berichtet, festgestellt, datz öer Expositus
^ von Mantel 'bei einer einem Schwerkranken gereichten
^uinmunion verlangte, daß die beiden Kaiserbilder aus

dem Wohnzimmer entfernt würden; wenn er wiederkomme, >
wolle er sie nicht mehr darin fehen. Auf Defragen erklärte
er, daß er die Entfernung der Kaiserbilder deshalb ver-
langt habe, weil das Kleid auf dem Bild der Kaiserin zu
weit ausgeschnitten (!) und für Kindsr sittlichkeitsver-
ketzend (l!) gewe'sen sei..Auf den Vorhalt, warum das Bild
des Kaifers denn anch mit herausgenommen werden
mußte, gab er die Antwort, daß die beiden Bilder doch
zusammengehörten.

— Millionenerbin ist das Dorf Rhodt bei Edenkoben
geworden. Der dort verstorbene Dr. phil. Th. Pauli
hat sein ganzes Vermögen im Betrage von ca. 1 Million
Mark der Gcmeinde verniacht.

Berliner Schulgeschichten nach wahren Erlebnissen erzählt
die „Tägliche Rundschau": Lehrerin: „Mmm dein Taschen-
tuch." Junge: „Jck habe keens." Lehrerin: „Warum nicht?
Du follst doch immer eines bei dir haben." Junge: „Mutter
sagt, die stnd noch zu reene." Lehrerin: „Was soll denn das
heiszcn, sie sind noch zu rcin?" Junge: „Erst kriejet se meine
jrotze Schwester un nachher k'riej ick se, un jetzt sind se noch zu
reene for mir." — Ein Lehrer will den Kindern den Begriff
der Bescheidenheit klar machen und fragt zu dem Zweck: „Wenn
deine Mutter hereinkommt mit einem Teller voll Stullen (But-
terbroten) und du nimmst dir die allersteinste, was bist du
daim?" Antwort: „Dann bin ick scheene dumml"

Jnstruktionsstunde. Der Soldat soll ängstlich darauf be-
dacht sein, sich in allen Lebenslagen kouragiert zu zeigen.

Praktisch. Dame: „So sehr schön kann ich die Vase eigent-
lich nicht finden. — Händler: „Nn, ist sic nicht so schön, —
aber praktisch, sehr praktischl" — Dame: „Wieso praktisch?" —

! Häüd'ler: „Nu sehn Sie, wenn Sie sie kaufen und Sie nehmen
! sie nach Haus und Sie haben dort eine Kousole, oder einc Säule,

oder eine Ctagere, oder auch bloß 'n Tisch, und Sie nehmen
die Vase und stellen, se Lrauf — bleibt se von selbst weiter
stehen."_

Literarisches.

—* Wie liest man etne Bilanz? Es ist eine leidige Tatsache,
daß von ber Unzahl Bilanzen, die jährlich veröffentlicht werden^
nur wenige den Anforderungen der Logik entsprechen; deshalb
nimmt es nicht wunder, wenn viele aus der Bilanz nicht klug
uud klar werden. Für den Kunöigen mag ja die bisherige Bi-
lanzform genügen; für die meisten Aktionäre aber ist mehr
Bilanzklarheit. ein unbebingtes Erfordernis, um die wirtschaft-
lichen Verhältnisse einer^ Unternehmung beurteilen zu können.
„Wie liest man eine Brlanz?" ist daher einc wichtige Frage,
besonders wo Äe bekannten.Zusammenbrüche von Banken und
anderen Aktienunternehmungen der letzten Jahre noch in frischeu
Erinnerung sind. Sie wird in einer soeben erschienenen, von
dem Handelsschul-Professor Theodor Hüber in iStuttgart ver-
satzten Schrift (MutUche Verlagshandlung, Stuttgart, PreiK
Mk. 1.—) in anschaulicher Weise und mit praktischen Beispielen:
belegt beantwortet. Das Buch, dem drei Bilanzübersichten bei-
gegeben sind, bietet eine leicht fatzliche Einführung in das Ver-
ständnis der Bilanzen; es bringt autzerdem noch eine Anlei-
tung: das Geschäftsergebnis am 'End'e jedes Monats ohne Bilanz
und Gewinn- und Verlustrechnung zu ermitteln. Jn 10 AL-
schnitten behandslt der Verfasser den relcheu und autzerordentlich
wichtigeu Stoff. Die Huber'sche Schrift ist eine hochbedeutsame
Neuerscheinung in der kaufmännisch-industriellen Literatur und
verdient weiteste Verbreitung. Unbedingt wichtig ist dieselbe
für Aktionäre, Aufsichtsräte, Banken, Bankdirektoren, Direk-
toren von Aktiengesellschaften jeder Art, Handelskammern und
Handelsrichter, Handelsschulen und Buchhalter, wie überhaupt
für jeden Kapitalisten.
 
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