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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 305 (1. Dezember 1903 - 31. Dezember 1903)
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45. ZshW»-. — ^ 305

8»fch»t«t tißltch, Gl>»nta-« «urgenomme». Preil mit FamiUeudlLtter« monatlich Sv Mg. tu'» Hoii» »edracht, det de; Exvedttto» und de» Zwetgftattsne» abgeholt «6 Pfg Dnrch dde GsK

dezogen vierteljähriich 1.3b Mk. aurseblikßfich Zutzellgebühr.

pret»: X) Pig. fttr dt« Itpaltig« Petitzeile od« derni Staum. Reklamezctle 10 Pfg. Für hteitge Seichäit». m«d Privatanzeigei- ermähigt. — Für tt« Nufnahm« va«

«, d«itimmte» Tagen wtrd keine Verantwortltchkeit übernou rien — Antchlag der Jnierat- -ui den Pla kanoiel« der Heidelderger Zeiwng imd den stSdtiicheu Notchlagtteüe«. Ferntprechrr SL

rmttStU, Zl. Ieitī 1SSZ.

Des Neujahrtages wcgcn crscheint dic nächste Num-
mer am Samstag.

Noch immcr wcrdcn Bcstcllnngen aus dic

Möelberger ^eitung

von unscrcn Trägern, dcn Briefträgcrn, und der Post,
sowic in dem Ncrlagc, Untcre Ncckarstraßc 21, für das
erstc Vierteljahr 1904 entgcgengenommcn.

Neucintrctrndc Wonnentcn erhaltcn den Anfang des
Romans „Falscher S t o l z" nachgeliefcrt.

Soldatenmißhandlungen.

Heidelberg, 31. Dez.

Gestern Abend fano tm oberen Saale bes „Tannhäuser"
stne junglibernle Bersammlung statt. Trotz dem Frost und
dem schnetdenben Wtnd, der den Weg dort hinans nicht gerade
zu eincm angcnehmen machte, war die Vevsammlung gut be-
sucht. Sie nahm einen allseits befriedigenden Verlaus. Der Vor-
sitzende des Junglib. Vcrcins, Dr. Müllcr, erösfnete dic
Versammlung mit Dankesworten sür das zahlreiche Erscheinen
von Parteiangehörigen nnd Gästen und crteiltc dann das
Wort dem Reserenten, Herrn Dr. Munzinger, zu dem
angeküudigten Lhcma: „Soldatenmißhandlungen, ihre Vor-
aussetzungen u>«d ihre Betämpsnng".

Jn seinen Ausführungen, di« etwa eine Stunde in An-
spruch nahmen, ging der Redner von dem Gegensatz zwischen
den Söldnerheeren srüherer Zeiten und den modernen Volks-
heeren aus. Mit der Einführung der Letzteren sah man ein,
dah sich nicht die gleichen Erziehungsmethoden wie'". i den
Söldnerheeren weiterhin antvenden liehen. Es war ^itber
tvährend des ganzm vcrs.lossenen Jahrhunderts das Bestret r
ber Heercsvcrwaltungen in Deutschland, die Soldatcnmihhand?>l
lungen tunlichst zu beseitigen. Der Erfolg aber !var bisher
kein durchschlagender, wenn sich auch die Anzahl der vorkom-
mendcn Fülle relativ wohl kaum vermehrt hat, so kommen im-
mcr noch viel zu viel derartige Ausschreitungen vor. Durch
das seit dem 1. Oktober 1900 in Geltung befindliche öffentliche
Militärstrafprozehvcrfahren, dei dem die vor Gericht verhan-
delten Mihhandiunzen in -weiterer Oefscntlichteit bekannt
iverden, will es zlvar scheincn, als ob dic absolute Zisfer der
Mihhemdlungssällc gcstiegen sei; indessen ist das cine Täü-
schung. Es kommen nicht mehr, leider aber auch nicht viel
Iveniger Mißhandlungen vor wie früher. Darüber dürfen sich
insbesondere die national gesinnten Parteien, dencn an der
Erhaltung unserer Wehrkraft gelegen ist, keincr Täuschung hin-
geben. Sie müssen sich also dringcnd fvagen, was zur Hint-
mihaltung dieser Mihstande gcschehen kann, die so verbittcrnd
auf die Volksseele wirken, dah ein sozialdemokratischer Agi-
tator nicht ganz mit Unrecht die Armee eine Vorschulc der So-
zialdemokratie ncnnen konntc.

Weiter ging dann der Rcdner im einzelncn auf dic Gründc
«in, die dahin wirken, dah den Soldatenmihhandlungen bis-
her noch nicht wie gcwünscht, Abbruch getan werden konnte.
Er bezcichncte es zunächst crls Utopie, wollte man annehmen,
daß in einer Armee mit 25 000 Öffizieren imd 80 000 Un-
tcrossizieren als Vorgesetzten jegtiche Mihhandlnng verhindert
tverden könnte. Er wies dann weiter darauf hin, dah bei der
gewaltigen relativen Vergröherung der ?lrmce und der gleich-
Kitigen Jndnstrialisiernng nnsercs Vaterlandes das Men-
sähenmaterial bei gesticgenen Anforderungen durchschnittlich ge-
ringer geworden sci. Dazu kam dann die zweijährige Dienst-
zeit, insolge deren cs nötig wurde, dieses minderwertigere Ma-
terial in kürzerer Zeit ausznbilden. Dcr Paradedrill, so not-
tvendig er in einem gewissen Umfange ist, nimmt viel zn viel
Zeit in Anspruch und das Besichtigungswesen hat einen Um-
fcmg anaenommen, dcr anf die Untcrgebenen abstumpfend
»virkt. die Vorgesetztcn abcr nervös macht. Hinsichtlich des
Dienstbetriebes wies dcr Vortragende weiter darauf hin, dah
bie Rekrntenausbildnng, diescr wichtigste Dienstzweig gewobn-
heitKmähia dcm jüngsten, also dem unerfohrensten Offizier der
Nomvagnie Lbertragen werde — ebenfalls eine Quclle viclcr
Mihhandlnngen. Abcr ntcht nnr der Dienstbetrieb und die sich
lhier offenbarende nngeeignete Bcrwendung des süngcren Offi-
ziennaterials, sondern auch in der Erziehungs- und Heranbil-
Dungsmethodc, sowic in der Zusammensetzung des Offizier-
korps crblickte der Redner 'Mängcl, denen vielfach eine iinae-
eignete Behandlnng der Untergebcnen entsvringt. Aehnliche
Vorbedingimaen für Mihhandlungen sind bei der Znsammen-
setznna des Unieroffizierkorps vorhanden. Auch die oft unge-
»rügende Unterstützimg der unteren Charaen durch den Kom-
pagniechef gebört hierber; sie bat ibren Grnnd darin, dah die
Strcrflisten von den böheren Vorgesetzten eingefordert werden
und batz dann bei der Benrieiluna derselben zu fchenratisch
vorgcgangen wird. Schliestlich bezeichnete der Vortraaende
mieb daß geltende Beschwerderecht trotz mannigsacher Verbes-
fernng gegcn früher alS inrmer noch nicht gangbar genug.

Jm folgenden machte der Vortragende entsprechend dieser
Summe von Wurzeln des Uebcls eine Reihe von Vorschlägen,
zur Besserung der Verhältnisse, die, wie er betonte, kein fcstes
Programm, sondern nur die Aufzählung all der Fdealforde-
rung darstellen sollten, die vom jungliberalen Standpunkt aus
zu stellen sind. Er redete u. a. einer Hinaufsetzung des Mindest-
mahes an körperlicher Tauglichkeit, einer Vereinfachung des
Dienstbctriebes und einem Aufräumen mit dem überwuchern-
den Bcsichtigungswesen das Wort. Weiter rneinte er, dah man
für die Rekrurenausbildung und hier insbesondere für den
DienstnnterriD nur ältere grreifterei Offiziere iverwenden
solle. Dem heranwachsenden Offiziercrsah muh mehr mensch-
liches Jnteresse und mehr pädagogisches Berständnis für den
Mann in der Front anerzogen werden; in dieser Hinsicht muh
übcrlegt wcrden, ob man «nicht die Kadettenhauserziehung
stark beschränkt, etwa anf Offizierwaisen und im übrigen ein
möglichst gleiches Bildungsniveau für alle Offiziere verlangt,
das in einem möglichst lange gemeinsamen Erziehung mit den
Aspiranten bürgerlicher Berufe zn erlangen wäre; auch wäre
zu überlcgen, ob man nicht den Offizieren, die doch bcrnfen
sind, nicht Schulbüben, sondcrn cmgehende Staatsbürger mili-
tärisch zu erziehen, in gewisscm Umfange das Stndium der
Staats- und Sozialwissenschaften in irgcmd einer Form zur
Pflicht machen, oder wenigstens cin dahin gehendes Streben
Einzelner untcrstützen sollc. Auch eine längere Dienstzeit ohne
Charge ist für den znkünftigen Offizier unbcdingt notwendig,
um dic Mannschaft menschlich mehr kennen zu lernen.

Diese letzten Ausführungen fahte der Redner etwa mit
folgendcn Worten zusammcn: Es ist bisher der Stolz unserer
Nation gewesem, dah das Offizicrkorps es ist, das unserer Armce
den Stempel der Tüchtigkeil aufdrückt; was im Offiziertorps
als brav, tüchtig, emes ehrliebenden Soldaten würdig gilt, das
särbt auch auf das Unterofsizicrkorps ab. Soll also im Unter-
offizicrkorps die Auffassung geltend iocrdcn, dah es unsoldatisch
und nnchrcnhaft ist, wehrlosc Untcrgcbcnc zu peinigen, so
muh diese Anschauun-g erst dem Ofsizirrkorps in Fleisch nnd
Blnt übergegangcn sein. Demnach muh es das Ziel der ver-
antwortlichen Stellen sein, dahin zu wirken, dah die Auffassung
des Verhältnisscs„, in dem dcr gcmeinc Mann zum Osfizier
steht, cine andere tvird, dah der Offizier sich mehr und mehr
auch sozialer Pflichten bewnht wird, nnd in der sozialen Be-
wcgnng nicht lediglich ein antimonarchisches, staatsfeindliches
Phänomcn zu crblickcn, gclehrt wird. Hcutc schon gelten hin-
sichtlich der Fürsorge für das leiblichs- Wohl der Untergcbenen
Grundsätze für den Offizicr, gcgen dic zn vcrstoßen, als eine
Verletzung der Berufspflicht gilt. Doch das gcnügt nicht, auch
für das seelische Wöhlbefinden der Kannschaft muh dcr Osfi-
zier vcrantworilich gemacht werdcn; §r mnh schon an dechi'ge-
drückten Wesen des Manncs merken, dah jener mihhändelt
wird. Allcs in Allem: Ter Offizier mnh dcm Mann mensch-
lich näher rücken. muh mchr menschlickics slnteresse an ihm ge-
wmnen, dann wird ihm auch scine Anfsichtspflicht wesentlich
erleickitert. Das ist dcr Kernpunkt; wird hier cingesctzt, dann,
ober aucb nnr dann haben die andcrn mehr äuherlickie Mittel
Ausiicht aick Erfolg.

Durch Ersüllung all dieser Forderungen würde vielleicht,
jö Mhr 'der Redner fort, Mangel an genügendem Offizier-
ersatz pinrrcten, da vielcn dic Lust vergehen würde, unter so
erschwercnden Bedingungcn den Beruf des Osfiziers zu er-
greisen. Doch bezweifclte er, ob das ein Schaden sein werde,
dcnn ein klcineres, abcr tüchtigercs und homogeneres Nur-
Berufsofsizierkorps wjrd gewih dieselben Lcistungen erzielcn
wie das jetzige Massenoffizierkorps. Weitev bezeichnete
cr ein unnachsichtliches Vorgehen gegen die Bcstechungswirtschaft
im Jnteresse der Hcbung der Moralität im Unteroffizierkorps
sowie cine weitere Revision dcr Beschwerdeordnung als prak-
tische Gegenwartsaufgaben. Eine Beschwerdeordnung müsse auch
durch ihren Jnhalt absolut dcn Gedanken wahr machen, dah sie
zum Schutze dcr Mannschaft da ist und nicht zum Sckmtze der
Vorgesetztcn vor den Bcschwerden der Unrergebencn.

Das sind imgefähr die Mittel nnd Wege, um das Vorkom-
mcn von Mihhandlungen von vornherein zu verhüten. Jndessen
müssen, da man es nun einmal mit Menschcn zu run hat, auch
Strafbestimmimgen vorhandcn scin, nm trotzdem vorgekommene
Ausschreitungen zu ahnden. Hier forderte der Vortragende
eine prinzipielle Trennung von Gelegenheitsmitzhandlungen
und Mihhandlnngen, die mit Ucberlegung, aus Roheit oder
Grausamkeit, oder in fortgesetzter Wcise bsgangen werden. Für
die Erstercn reicht das bestehcndc Geseh vollständig aus; ent-
schicden ungenügend ist es aber für die andere Klasse der Mih-
handlungcn; die einschlägigen Paragraphen 121 bis 123 des
Militärstrafgcsetzbuches sind in falschcr Analogie zum Bürger-
lichcn Strafgesetzbuch aufgestcllt. Der Redner meinte, daß
hier Min-deststrafen einzuführen seicn, und daß die Verhängnng
der Zuchthausstrafe in den Fällen roher und gemeiner Mih-
handlmigen, insbcsondere bei fortgesetzten Mihhandlungen die-
ser Oualität nicht mehr !vie bishcr lediglich an das Tatbestands-
mcrkmal der schweren Körperverletzung geknüpft werden solle.
Hierbei berührte der Redncr auch den Fall der Heidelberger
Grcnadiere, die seiner Meinnng nach ihre schwere Strase mit
vollem Recht erlitten haben, denn sie haben an der Disziplin
gerüttelt, dieser Grundsäule unseres Heeres, das bestimmt ist,
in schwerer Zeit der Hort des Vaterlandes zn sein. Das darf
man nicht vergessen, so sehr man auch mcnschliches Mitgefiihl
mit dcn jungen Lenten haben kann; sie sind eben soziisagen
Menschenopfer anf dem Altar des Vaterlan'des geworden. Was
aber bci solchcn Vorkommnissen das Volk, das sich der tieferen
Zusmnmenhänge in der Aiifwallnng seiner Gefühle nicht be-
wuht ivird, so sehr empört und befremdct, das ist der Kontrast,
Mnschcn der Beurteilung, die das Gesetz bei Verfehlungen der
Mannschaften aiifweist. ?lls eine represive Garanfie gegen die
Soldatenmißhandlimgen bezeichnet der Redner die solidarische
Haftbarmachung aller Vorgesetzten einer Kompagnie, die anch
nach dem urmilitärfichen Grnndsatz, dah der ältere für den
tüngeren mitberantwortlich ist, durchaus gerechtfertigt er-
scheint. Mitböstrast bürfen natürlich nur die Dienstälteren des
Mihhandelnden werden.

So brachte der Redner ein ganzes BLndel von Reform-

wünschen vor, von dem er, wenn es schrittweise durchgcführt
werde, sich Bessermrg der jetzigen Verhältnisse versprach. Wir
brauchen, so führte er zum Schluh aus, durä^ms uicht nervös-
zu werden und zu meinen, oah es in der deutschen Armee
ganz besonders schlimm stehe; auch die andcrcn Staatcn haben
rccht viel und zum Teil noch schmutzigcre Wäsche. Weil !vir
aber wollen, dah unsere Armce in jeder Hinsicht äußerlich uird
innerlich die beste und tüchtigstc ist, und weil wir nicht Pa-
trioten sein wollen, die ihrem Patriotismus nur durch Hurra-
gcschrei Ausdruck geben, so ist es nnsere vaterländische Pflicht,
Kritik zu üben, wo wir nach reiflicher Ueberlegung Mihsiände
zu erkeimcn glauben. Nicht die Parteiphrascn der Sozialde-
mokrafie, bei denen die Kritik Sclbstzweck ist, sondern nur
eine unerschrockene, das Wohl des Ganzen verfolgende nnd da-
rum allein wirksame Kritik der Vaterlands- nnd Arineefreunde
wird das Verschwindcn der Soldatenmihhandlungen, soweir das
menscbenmöglich ist, errcichen können. Und darnm ist es eine
der erstcn nationalcm Pflichtcn dcs libcralen Bürgcrtnms, ins-
besondere sciner Vertreter in den Landtagcn und im Reichs-
tage, hier ihre Sfimmc zu erheben im Jnteresse dös Heercs
und im Jnteresse des Vaterlandesl

Der Vortrag des Herrn Dr. Munzinger fand lebhaften
Bcifall. Nach einer kurzen Pause wurde dvnn in die DiSkuffion
eingetretcn. Zunächst ergriff 'der Vorstand des Jungliberalen
Vcreins, Rechtsanwalt Diüller, das Wort. Er erklärte sich
im Wesentlichen in allen Punkten, sowohl die diretten, wie die
indirektenGründe fürSolbatenmihhanülungen betr., dic der Re-
ferent angeführt hate, einverstanden, nnd cbenso mit den Vor-
schlägen, die er zur Beseitigung des Krebsschadens gemacht.
Als den Hauptgrund bezeichnete Herr Müller daS Besichkigungs-
wescn und verlangte unbedingte Einschräntung desselben. Wer
dics fordere, könne sicher sein, 99 Prozent dcr Offizierc hinter
sich zu habcn. Die Hauptleute seicn wegen dcs Ausganges
der Besichtigungen für ihre Existenz besorgt; sie kämen in Aus-
rezimg und dicse Ilufregung überlrage sich nach unlen hin.
Des weiteren bezeichnete der Redner, man solle ältere Offiziere
zur Ausbildung der Rekruten kommandicrcn, als schr beachtens-
wert. Sehr wichtig erscheinc ihm auch die Reorganisicrung des
Unteroffiziertorps. Diejenigen Unteroffizicre, die aus Unter-
osfizierschulen kämen, scien einseitig ausgebildet und wcltfremd;
unter den Kapitulanten aber befänden sich nicht inimer die beften
Elemente. Sodann bezeichnete Redner es als unbedingt nöfir.
daß die Untergebenen eine beffere Unterstützung bei ihrcm K»«-
paniechcf fänden, und im Zusammenhang hiermit wicS-er airf
das jetzigc verwerfliche Straflistenwesen hin. ?lls nicht not-
wendig dagegen bezeichnete cr eine Aenderiing der Beffchwerde-
vrdnung. Diese genügi rmch seiner Ilnsicht, woiüber er sich des
Ansführlichen verbreitete. Auch ist cr nicht der Meinung, dah
dic Strafcn für Mih'handlungen nicht stark gcnng be'droht sind;
sie seien, wie er im Gegensatz zum Vörrcdner ausführte, höher
als die entsprecheniden im Bürgerlichen Strafgesetzbuch. Lluch
Redner meint, dah die iNihhandlungen nicht zugenommen ha-
ben, sondcrn daß ihre Zahl nur so groh erscheine, weil dnrch
das öffentliche Gcrichtsverfahren alles, was in dieser Beziehung
zur gerichtlichen Behan'dlung kommt, bekannt lvird. Er weist
zum Schluh auf Baycrn hin, das schon seit lvnge öffentliches
Militärgerichtsverfahren hat nnd wo gerade infolge hiervon
die Mihhandlungen außcrordentlich abgenomnien haben. DaS
gleiche sei mit der Zeit im ganzen Neiche zu erwarten.

.Hauptmann a. D. O e l z e - L o b c n t h a l erklärt, dah
der Jungliberale Perein allseifigcn Dank verdienc, lveil ei:
dicses Thema zur Diskuffion gestellt habc. Auch cr bezeichnet
die Ausführungen des Referenten im allgemeinen als richtig.
Den Nusdruck Soldatenniißhan'dluiigen möchte cr durch tätliche
Beleidigungcn crsetzen. Auch ihm ist dic gesteigerte Nervositat
eine Hauptursache der Vorkommnisse. Je'der Vorgesetzte gehe
mit einer unsichtbaren Schlinge um den Hals herum und müffe
jedcn Augenblick fürchten, dah sic zngezogen iverde. Mit Recht
werde das Besichttzungswesen als ein groüer Unfug bezeichnet,
als eine Farcc. Das Resultat derselben stehe oft schon värher
fest: wenn man einen abtnöpfen wollc, so fallc die Besichtigung
danach aus. Es lasse sich eine genaue Grenze in dcr Gcschicht«
der Zlrmee fcststellen; diese sci das Jahr 1888. Seit dcm Re-
giernngsantritt des jctzigen Kaisers haben sich die jetzigcn Ver-
hältnisse entwickclt. Eine Kritik sei unbedingt notwcndig. Was der
Rescrent übcr die Znsammensetzung des Ofsizierkorps ausge-
führt 'habe, sei nicht unrichtig. Jn Bayern würden nur Abi-
turienten zur 'Offizierslaufbahn zugelassen, nnd das habe sich
firr die einheitliche Ziisammensetzun-g des Offizierkorps schr be-
währt. Das Strafbuch bczeichnet auch dicser Redner als einen
grobcn Unfug. Jm Gegensatz zum Referenten glaubt er da
gegen nicht, daß die Rckruten Physisch minderwertig geworden
seien; auch hült cr es für falsch, dah jeder Rekrut mit einem
Fundus von Patriotismus in die Zlrmee konime. Desglcichen
hält er cs nicht fiir durchführbar, dah immer nur ältere Offt-
ziere zur Nekrutenausbildung kommandicrt würden. Von der
HaNdhadung der Beschwerdcordnung, meint er, diesclbe ent-
spreche nicht dem Geist der letzteren. Sodann macht er davauf
aufmerksani, dah viele tätliche Beleidigungen mit dem Schim-
pfcn ihren Ilnfang nehmen; würdc dieses cingeschränkt, so
würden auch jene zurückgehen. Die Ilngaben des Referenten
über das Bestechungswcsen hält dieser Redner für übertrieben.
Sehr richtig dagegcn ist auch nach seiner Meinung, dah mchr
erzogen, als ge'drillt locrden müsse. Jedenfalls habe jeder lib«-
rale Mann das Recht und die Pslicht, übcr die Krantheitssymp-
tomc, di« sich in unserer Llrmee zeigen, zu sprechen und in na-
tionalem und patfiotischem Jntereffe daraus zu dringen, dah
unser Heer in je'der Beziehung gesund und leistungsfähig er<
halten bleibt.

Es sprach dann noch ein hier aus 'der Durchrcise besindlicher
Sozialdemokrat namens Haüich. Jn geläufiger Rede schil
derte er, wie es ihm beim Militür gcgangen u. was er bort für
Beobachtungen gemacht. Er ist augenscheinfich ein anstelliger,
tüchfiger Soldat gewesen und hatte persönlich auch nicht zu
leiden, obgleich man von ihm bei seinem Eintrifi wußtc, dah
er Sozialdemokrat sei. Das Einzige, worüber er persönfich
klagte, war, daß cr im Manöver vier Wvchen lang znm Fleisch-
«mpfang kommandiert wurde, weil er fich über zu gefinge

Die heutige Nummer umfaßt drei Blätter, zusammeu 12 Seiteu.
 
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