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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177 - 202 (1. August 1903 - 31. August 1903)
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18. SlWß IVZ.

ALhtes

45. ZchWNg. — 191.

O»1ch«t»t täzltch, So«ntag» »riS«kns!n«!rn. Drrik mit Fsmtüendlättrr» mona:Uck V6 Pfg. Ui'S HonL grbracht, bei der Exvrditisn «nd drn Zweigstationrn abzeholt 46 Bsz. Dsrch N? WG

brzozrn vierteijäyrlich 1.35 Mk. «Lsschlietzlich Zustellgebühr.

S«grizr»pretS: SO Pfg. skr die Ispaltig« Petttzriie vder »ere» Ranm. Reklamereile 40 Psg. Für htesigr Geichästs-- «nd Privatan»eigen. ermätzigt. — Für die Ausnahme v« «xpsx«
a» Bestimmten Tagen wird keine Verantwartlichkeit ülirnLwmcn. — Nnichlag der Jnierate aus den Plakattafeln der Heidelberger Zritung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprecher LZ.



Die Vorgänge auf der Balkanhalbinsel.

— Mit rücksichtsloser Sch-neidigkeit benützt Rußland
den Zwischensall in Mona st i r, nm die Türkei zu de-
Mütigen. Am Samstag veröffentlichts der Petersburger
„Regierungsbote" ein Telegramm des Grafen Lamsdorff
on den russischen Botschafter in Konstantinopel. 'Darin
sagt der Minister des Auswärtigen, der Kaiser sordere
unter Äblehnung leerer Versprechungen die strengste Be-
strafung des Mörders Rostkowskis und des Jndividnnms,
das auf Lie Equipags des Konsuls schoß, die sofortige
Vorlegnng positiver Angaben über die Verbannnng des
Wali von Monastir und die sofortige strenge Bestrafung
aller für den Mord verantwortlichen Zivil- und Militär-
tzersonen. Außerdem wird der Botschafter beauftragt,
solgende Forderungen zu stellen: alle türkischen Beamten,
auf deren empörende Handlungsweise dsr Konsulatsver-
tveser in Uesküb und der österreichische Konsnl hingewiefen
haben, sind unverzüglich strengstens zu Lestrafen; der ver-
abschiedete Jsmail Hakki, über den Hilmipascha ein gün-
stiges 'Gutachten zugsgangen ist, wiedsr in sein Amt einzu-
setzen: die Bauern, welche diesen Konsuln türkische Grau-
samkeiten berichteten, sind sofort in Freiheit zu setzen; die
Rerwaltungsbeamten, denen Mißbräuche nachgewiesen
werden, sind sofort abzusetzen und zu bestrafsn; endlich
sind ausländische Offiziere in der Gendarmerie und Po-
lizei unverzüglich zu ernennen, zur Beruhigung der fried-
lichen Bevölkerung und Herbeiführnng gesetzlicher Orö-
vung.

K o n st a n t i n o P e l, 16. August. Die I n s n r-
8 enten haben nun beschlossen, an die Z erftörung
dsr größeren Bahnoöjekte zu gehen, besonders der
sangeren über den Wardar führenden Brücken, deren Re-
baratur nicht leicht durchzuführen wäre. Auf den Orien-
talischen Bahnen stockt der Personenverkehr fast gänzlich.
Höchstens zwei bis drei Passagiere befinden sich in den
^äglich mit Europa verkehrenden Schnellzügen. Jn dem
^efechte bei Perlepe wurden 200 Jnsurgenten ge-
tötet und 80 gefangen. Jn der Nähe von Monastir be-
sinden sich 300 Jnsurgenten in einer Lulgaris ch e n
K i r ch e. Dieselbe wurden von den türkischen Truppen
Ängeschlossen. Der Sultan verbot die Beschießung christ-
sicher Kirchen und veranlaßte den Exarchen, die flüchtigen
Dulgaren zum Verlassen der Kirche auszufordern. Ein
Mitsetzliches Blutbad veranstalteten die Bnsurgenten in
Äschobina, in der Kasa Jsbiwitsche., wo 800 Muselinauen,
Frausn und Kinder: massakriert wurden.

Sofia, 17. August. Der K r iegsmini st e r be-
ruft zu drsiwöcheutlichen llebungen 12 ReservekIa s-
sen der beiden südbulgarischen Divisionen ein, wodurch
"0 000 bis 10 000 Maun unter die Fahnen kommen.
Heute Nacht ist ein Lastzug zwischen Amatowo und
^arasuli (Linie Salonik-Nesküb) infolge Enkfernung von
^chienen e n t g l e i st. Mehrere Wagen wurden zer-
Erümmert. Drei Bedienstete sind tot.

Cin 300 Jahve altes SonetL auf den
Königstnhl.

Von Heinrich Heinz.

Nus dcr Zeit Friedrichs des Siegrcicheu ftammt wohl dic
^rste „poetisch" zu nennende Erwähnung unseres Königstuhls,
Und wir finden den „biccps collis plurimus prerupti in montis
satcre urbi desuper imminet" in dem der Lobrede auf den Kur-
Rrstcn cingeflochtenen Prcise Heidelbergs durch den ersten
hicr lehrcnden Humanisten, Pcter Luder (1157), und ebenso
>N deren Ucbersetzung durch den Hofkaplan Matthias von Kem-
Nat, Ludcr's Kumpancn, und in der gereimten Paraphase deZ
-Neistersängers Michael Behcim. Aber ein menschlicher An-
leil, geschweige denn etwas 'wie Naturgefühl, dringt daraus
nicht cntgcgen. Der ergriff uns indeß in dcni zeitlich nächsten
Lobpreis, Len wir vor Jahren, mit ganz cmderen Untersuchun-
klen bcschäftigt, gelegcntlich entdecktcn. Die betreffende Stelle
sindet sich in „Ein ?lcw, Lustig, Ernsthafft, Poetisch G a st-
sn n l , und Gespräch zwcper Bergcn, in der löbl. Epdgenotz-
Ichafst und im Berner Gcbiet gelegen: ncmlich dctz Ricsens und
Stockhorns. . . Wclches Jnnhalt cin Physicam Chorographicam
Nnd Ethicam Deskriptioncn Von der gantzen Welt. . . Sonct-
ienweiß gestellt durch Öans Rudolph Räbma n". Wie
oer wcitschwcifigc, im Stil der Zeit das Jnhaltsverzeichnis ver-
irctendc Titel bekundet, ist dies, im Jahr 1606 zu Bcrn er-
Aienerie, 241 Blätter in 8" starke Biich ein Lehrgedicht, ein Lebr-
duch der Geographie in Bersen. Uns dünken selbst die recht
draktischen Memorialberse der lateinischen Grammatik abge-
Ichmackt, und wir habcn sie aus der Schule ausgemerzt, aber
oamals goutierte man wcit grötzere Portioncn aus allen
-Vissensfächern mit viel Behagen. Die Darstellnng Räbman's
stt autzerordentlich ernst und farblos. Aber ein einziges Mal
slackert eine lyrische Stimmung auf, dort, wo cr in der Be-
schreibung sämtlicher Berge der Erde auf den Königstuhl
dei Heidelberg zu reden kommt:

Deutsches Reich.

HeIgoIand, 16. August. Jn der Nacht vom 14.
auf den 15. d. M. l i e f das T o r P e d o b o o t „61 112"
beim Nachtangrisf gegen das Linienschiff „Kaiser Fried-
rich III.". Von der Besatzung wurde niemand verletzt
bis auf den Obermatrosen Zulius Stohr aus Stuttgart,
der Quetschungen.erlitt. Er ist seiney Verletzungen heute
Morgen erlegen. Das T o r p edoboot wird in Wil-
helmshaven anßer D i e n st gestellt.

— Eine Meldung aus Wilhelmshaven besagt, daß
nicht nur ein sondern drei Torpedoboots angerannt wnr-
den. Zwei der Boote sind Sormtag Nachmittag zu Aus-
besserungen in Wilhelmshaven eingelaufen.

Baden.

— Jn I s Pringen, wo unlängst ein Sozialdemo-
krat zum Bürgermeister gewählt wurde, aber bald wieder
zurücktrat, scheint seitdem eine sehr erregbare Stimmung
zu herrschen. Dabei zeigt sich der Terrorismus der Ge-
nossen von seiner schönsten Seite, Der dortige Lehrer ge-
riet in den Verdacht, einen Artikel des „Psorzh. Tagebl."
verfaßt zu haben, worin einige Politische Vemerkungen
zu den Vorgängen gemacht 'waren. Er erschien persönlich
auf der Redaktion des Tagblattes mit der Bitte, ihm zu
bezeugen, dciß er nicht der Verfasser sei, denn er könne es
in Jspringien vor den Sozialdemokrateu sonst nicht
mehr anshalten. Nus Schritt und Tritt werde er
von den gebildeten, „Brüderlichkeit"' ubenden Genossen
verfolgt, und die.Läden müsse er srüh schließen, weil ihm
sonst die Fsnster eingeworfen würden. Ein recht nettes
Kulturbild! Bei der in kommender Woche stattfindenden
Bürgermeisterwahl kandidiert Genosse Benz statt des
zurückgetretenen Haug; die Nichtsozialdemokraten haben
den früheren Vtirgermeister Hemminger wieder aufgestellt.

KarIsruhe, 17. August. Verlag und Redaktion
des Freisinnigen Wochenblattes „B a d. V o I k s b I a t t"
werden auf 1. September von Herrn C. Nuf-Karlsruhe
übernommen werden. Der bisherige Herausgeber, Re-
dakteur I. Straub, gedenkt wieder 'Stellung an einer
Tageszeitung anzunehmm.

Karlsruhe, 17. August. Das gegen den Redak-
teur des „Volksfreund", Herrn Willi, wegen Belei-
digung der M i I i t ä r b e h ö r d e durch die Presse
eingeleitete Strafverfahren ist auf Antrag der Staats-
anwaltschaft eingestellt und der Angeschuldigte außer Ver-
folgung gesetzt worden. Ter zur Strasversolgung erfor-
derlichs Strafantrag ist zurückgezogcn worden, nachdem
im „Volkssreund" eine entsprechende Erklärnng erschie-
nen ist.

Hesscn.

Mainz, 17. August. Bis jetzt sind 9 Personen,
die der Teilnahme am UeberfalI anf die Ita -
Iiener verdächtig sind, in Ilntersuchungshaft. Täglich
sinden Vernehmung statt. Nur einer der Beteiligten, der
Maurer Barth, hat seine Beteilignng am Ueberfall zu-

Detz Giüel sind so hoch getan,

Datz man drauff Cöllen sehen kan.

Also das birg der Statt ligt nach,

Wie ichs mit meinen Augen sach.

Wann ich gedenk an liebe tag,

Datz sie sind hin, ich bitter klag,

Die ich in diesem birg verzecrt.

Wie hat sich zeit und tag verkeert!

Der Dichter, der mit solcher Sehnsucht am Königstühl zu
Heidelberg froh vcrlebter Aigendtage gedenkt, ist ein Schwei-
zer Pfarrherr, Aus einem Bremer Patriziergeschlecht (däs
jetzt ausgestorbcn ist) entsprossen, war er am 4. Juli 1566
geboren. Auch sein Vater war „ein guter Poet gewesen" und
sein Grotzvater mütterlicherseits der durch mancherlei Schrift-
steller.'i bckannte Wolfg. Meutzlin. Jm Jähre 1600 wurde
er Pfarrer zu Muri; als Pfarrer zu Thun ist er 1605 bereits
gestorben. Das „Poetisch -Gastmal" ist demnach aus seinem
Nachlatz herausgegeben worden, wahrscheinlich durch seinen
Sohn Valentin, der, gleichfalls Pfarrer, Bern 1620 noch eine
sehr erweiterte Ausgabe veranstaltet hat.

Das Gedicht ist aber auch merkwürdig, als eines der er-
st gn, das in 'die deutsche Literatur die romantische Versform
des Sonetts eingeführt hat. Hoepfner bemerkt dazu in
seiner grundlegenden Programrnschrift „Die Reformbestrebun-
gen usw.": „Die sonettenartige Stellung aus biermal im
Sinne des 16. Jahrhunderts gehobcnen, fast immer stumpf ge-
rcimten Versen, dern Reime niemals überschlagen, scheint hier
wenigstens durch den Versuch des Dichters gerechtfertigt/ ohne
alle Strenge in der Durchführung ab und zu Absätze von 14
Zeilen zn machen." Räbmann bringt einer aufkommenden
Modc mit dem fremden Namen wenigstens den Zoll, den er
nnt seiner Knnst nicht zu bringen imstande jst.

Bei dieser Gelegenheit sei auf eine wenig beachtete literar-
historische Tetfache hingewiesen, dah nämlich Heidelberg
die Hauptstation für die Einbürgerung des Sonetts in die

gestanden. Er weigert sich ciber, irgend einen der Betei-
ligten anzugeben. Barth hat von den Jtalienern einen
Schuß in den Fuß bekommen. Diese Verletzung wurde
zum Verräter an ihm. Die italienischen Arbeiter, 90 an
der Zahl, weigern sich immer noch, die Arbeit aufzuneh-
men. Dis Verhandlungen mit dem Franksurter Konsul
und den Bauunternehmern haben noch zu keinem Resultat
gsführt. Die letzteren bestehen ciuf Ersüllung des Ver-
trags, der bis zum 1. Oktober käuft.

Bnycrn.

Neustadt a. H., 17. Aug. Der gestern im Saal-
bau hier stattgehabte Verbandstag pfälzischer
Schneider-Jnnungen nahm eine Resolution an,
in welcher befürwortet wird, daß die Verbandsinnungen
dem A r b e i t s n a ch w e i s nnd Herbergswesen
ihr ganz besonderes Znteresse zuwenden. Es seien deshakb
die Jnnungsarbeitsnachweiss in engste Beziehung mit den
Arbeitsämtcrn zu bringen, nm mit dem Arbeitsmarkt in
steter FüHIung zu bleiben. Es sei danach zn streben, daß
in der Verwaltung und Einrichtüng der Arbeitsämter die
gewerblichen Korporationen beteiligt werden, insbesondere
erscheine dies dringend geboten durch die Aufnahme öer
Lehrlingsvermittlung in den Arbeitsplan der Arbeits-
ämter. Eine weitere Resolution befürwortet die obli -
gatorische Einsührung" der Gesellen- nnd Meister-
prüsungen.

Prenßcn.

Berlin, 17. August. Ter Oberpräsident der Pro-
vinz Hessen-Nassau, 'Graf v. Zedlitz und Trüsch-
ler, ist zum Oberpräsidenten von Schle-
sien ernannt worden. Graf Zedlitz-Trützschler, der frü-
here Kultusminister, war seit dem 31. Dezember 1898
Oberpräsident von Hessen-Nassau. Er ist zweifellos ein
töchtiger Verwaltungsbeamter und als früherer Oberprä-
sident von Posen (1886—91) mit den Verhältnissen der
östlichen Grenzprovinzen gut vertraut. Ob chas schlesische
Oberpräsidium etwa nur Durchgangsposten für ihn sein
soll, muß sich erst zeigen. Von 1891—1892 war v. Zed-
litz Kultusminister. Als solcher erhielt er seinen Abschied,
als ssin Schulgesetz das Bürgertnm nicht nur in Preußen,
sondern in ganz Deutschland in eine außerordentliche Auf-
regung versetzt hatte. Herr L. Zedlitz steht jctzt im 66.
Lebensjahre. Jn Schlesien war v. Zedlitz früher lange
in der Selbstöerwaltung wie im Staatsdienst tätig.

— Seine Künigliche Hoheit der. Grotzherzog haben
genehmigt, datz dcr Vorstand des Salincnamis Dürrhcim,
Obersalineninspektor Dr. Leonhard B uchruckc r auf sein
Ansuchen aus dem staatlichen Dienft entlassen wird.

Auslüird.

Frnnkrcich.

61 Paris, 17. Augnst. Tie Tagung der Gene -

deutsche Literotur gewesen ist. Das älteste deutsche Sonett (in
achtsilbigen Versen) wurde im Jahre 1556 von Christ. Wir -
sung, Ler 1571 zu Heidelberg starb, seiner Uebersetzung der
Apologi Bernhardini Ochini vorangestellt. Die Einführung
des Sonetts — so abweichende Formcn dicser Name anfcmgs
auch deckt — bezeugt. wie sehr die ursprünglich gesungene und
im Muäde des Volkes leben'dige Lyrik zu einer Sache des
Lesens, Schreibens und Druckens geworden war. Sein erfolg-
reichster Propagator war der Heidelberger Bibliothekar Paulus
Melissus (eigentlich Schede, 1589—1602).

Und ein Sonett ist es, worin ein Gröhercr bald darauf in
Heidelberg den Königstuhl verherrlicht, der Heidelberger Stu-
dent Martin Opitz, der in den Jahren 1619 und 1620 hier
im Hause des Geheimrats Lingelsheim einc junge Poeten-
generation um sich scharte (vergl. die Publikation von Alex.
Reifferscheid):

An einen gewissen Berg.

Du grüner Berg, der du mit zwehen Spitzen
Parnasso gleichst, du hoher Felh, bei dir^

Wünsch' ich in Ruh zu bleibcn sür und für,

Und deine Lust ganz einsam zu besitzen,

Weil du mir auch vor aller Welt kanst nützen;

Dann wenn ich bin auf deinen Klippen hier,

So feh ich stets der jenen Ort für mir,

Die für dem Tod alleine mich kann schützen,

Mein' höchste Freud' und meines Lebens Leben:

So weih ich auch, datz man sonst nirgend findt
Mit solcher Zier ein einig Ort umgebcn:

Natura hat die Lust allher gesetzet,

Datz die auf dich mit Müh gcstiegen sind,
Hinwiederumb auch würden recht ergetzet.
 
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