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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203 - 228 (1. September 1903 - 30. September 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0437

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. Mimch, z. LqtkÄtt WZ. _ Erftes Viatt. Zch«. — ?«t.

d«>ogen vierteljährlich l.,35 Mk. auSschlietzlich Zustellgebühr.

A»»»i,«»vr«i,r « Pf,. ftir die Ispaltigr Petit,eile oder drrrn Raum. Reklamczeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäft». und Privatanzeigen ermätzigt. — yür dir Ausnahmr »»« »nzeip8
»» drftimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit ül rrnommen. — Antchlag der Jn'erate auf den Vlnkattafeln der Heidelbcrger Zeitung und den städtischcn Anschlagstellen. Fernsprechrr >8.

Waxum ist der Natioualsozialismus
qefcheitert?

Auf dem Delegiertentag in Göttingen und schon vor-
her in der Tagespresse hat Pfarrer Naumann auseinander-
gesetzt. weshalb die Nationalsozialen sich auflösen nnd An-
lchlutz an andere politische Parteibildungsn suchen: die
Nationalsozialen hätten es wohl zu einem Stab von Offi-
Zieren gebracht. aber es sei ihnen nicht gelungen, eine für
ein eigenes Parteileben hinreichende Menge von Sol-
daten. d. h. Wählern, um ihre Fahne zu scharen: sis muß-
ten auch an der Wahrscheinlichkeit verzweifeln, daß ihnen
dieses in absehbarer Zeit gelingen würde; der National-
sozialismus habe keine parteibildende Kraft gezsigt.

Der Grund ist plausibel; er ist durchschlagend, allein
er läßt die Hauptfrage offen. nämlich die Frage: wes-
haIb hat das Volk dem Nationalsozialismus einen Korb
gegeben, weshaIb hat der Nationalsozialismus bei ihm
so wenig Anklang gefunden, daß seine Führer es für ge-
ratsn hielten, ihn zu liquidieren. Erst die Beantwortung
dieser Frage vermag den zu befriedigen, der sich über
das meteorartige Erscheinen und Verschwinden des Na-
nonalsozialismus völlig klar zu werden wünscht. Ilnd
diese Beantwortung ist nicht schwer. Man braucht Nau-
Manns Angaben nur in etwas anders Worte zu fassen
und das „warum" tritt deutlich hervor. Naumann sagt,
es waren wohl Offiziere da, aber keine Soldaten, d. h. der
Nationalsozialismus entpuppte sich als ein aristokra -
tisches Ünternehmen. Damit ist das Kennwort gege-
ben, das die Tore zum Vsrständnis öffnet. Eine Aristo-
kratie des Geistes, des Gemütes und des Herzens hat sich
sür das Glück der Menge hingeben, hat das deutsche Volk
erlösen wollen; aber ein Volk will zu keiner Zeit erlöst
werden, es will sich selbst erlosen unter Führern, die Geist
von seinem Geist sind. Darum hat es Naumann und seine
Apostel verworsen.

Wenn man Naumanns Taten, noch mehr aber wenn
wan seine Reden u. Aeußerungen in der Presse verfolgte,
bann wurde man unwillkürlich an ein Jdealgebilde neuerer
Zeit, an Nietzsches llebermenschen, erinnert, der von der
Hohe seiner Jntelligsnz, aus der Einsamkeit seines staub-
entrückten Daseins sich zum Volke herniederbeugt, trunken
w dem Verlangen sich hinzugeben, sich zu opsern für die
Menge öer Vielen, Allzuvielen, die in der Enge und in
der Niedrigkeit leben. Es ist kein Zufall, daß Naumann
von der Theologie herkam und daß viele seiner ersten An-
hänger aus christlich-sozialen Neigungsn zu ihm traten.
Ter Kultus des Klcinen, Geringen, Niedrigen, wie ihn
Naumann betrieb, hat seine Wurzel in Naumanns theo-
logisch-christlichen Anfängen. Er hat diesen Kultus in ein
Volitisches System zu bringen gesucht, und er kam damit
bis ganz nahe an die Sozialdemokratie heran. llnd doch
Welch eine tiefe, unüberbrückbars Kluft zwischen seinem
und ihrem Wesen, zwischen seiner und ihrer Auffassung!
Der Aristokrat Naumann ist dem Volke immer fremd ge-
blieüen: es hat ihn mit verdächtigem Blick immer als
oinen betrachtet, der sich zu ihm herablassen will. Gegen

Noch eine Lanze füv den „Gaudeamus"-
Sängev.

Otto von Leixner, dcr bekannte Berliner national-ethische
«chriftsteller, hat kürzlich Schcffel, Wolff, Baumbach n. a. als
witverantwortlich crklärt für die Ucberhandnahme des Al-
wholismus: „Diese ncuen Trinklieder haben mit dazu beige-
^ragen, daß die Alkoholversumpfung immer weiter um sich
Meift; . . . sie habcn mitgezüchtct die inannesnnwürdige Schnei-
chgkeit, die innerlich lcer und hohl ist". Gegen die Jdentifi-
äserung von Leben und Lied bei Scheffel hat bereits sein Ber-
Urier Freund Felix Dahn in ciner Zuschrift an die „Allgem.
"lg." protestiert, welche auchlln der „Heidelberger Zeitung"
Ium Abdruck kam. Gegen die Leixner'sche Auffassurlg macht
uun auch Heinrich von Poschinger, der Bismarck-Forscher,
bront, der im Literatnr-Blatt der Wicner „Neuen Freicn
Vresse" vom letztcn Sonntag einiges über die Entstehung der
^cheffel'schcn Trinklieder und seine cigcne Stellung zunr Al-
wholgenuß rnitteilt, auf Grund eines Vortrags, den der
Hohenzollern-Maler und Scheffel-Jllustrator Anton von Wer-
Mr bald nach dem Tode seines Freundes in engen Künstler-
rreisen gehalten hat.

Anton von Werner erzählte, wie schwer es Scheffel wurde,
>ur seine im Kommersbuch mit.„f. 8." chiffrierten vielgesun-
genen Lieder die Anonhmität zu lüften. „Jhr werdet sehen",
er aus, „daß ich mit diesen Liedern in den Ruf eines
Wrinkers und Lumpen gerate". Die Widmung zum Gaude-
«Mus" (1867) und die Stelle:

„Nun schau ich aus solidcm Schwabenalter
Auf dieser Lyrik sugendtollen Schwung"
bezeichnetx Scheffel später ausdrücklich als den Versuch einer
bistlchuldigung Herausgabe. Und er hat in der Tat

ipater unter diesen Gerüchten gelitten. Anton von Werner
erich^j- — ^ck> von andercr Seite schon mitgeteilte —
^at(ache, daß eine Tame, dcren Tischnachbar er war, noch in

nichts aber ist die Menge so empfindlich als gegen Heräb-
lassung: nichts ist ihr peinlicher als das Gefühl, daß einer,
der sich als hochstehend empfindet, sich absichtlich zu irgend
einem Zweck aus die gleiche Stufe mit ihr stellt. Für einen
unnahbaren Aristokraten kayn ste Sympathie empfinden,
ein Tyrann kann populär werden, ein Ueberlegener aber,
der sich herabläßt, u. wenn seine Absicht die beste ist, wenn
sein Herz in dem Wunsche zu helfen brennt, wird immer
Scheu und Mißtraum erregen.

Kein Zufall ist es, daß die Naumannianer jetzt in
ihrer größern Zahl zu einer Partei gehen, die, wie sie,
aus vielen Offizieren und wenig Mannschaft besteht. Aber
es ist ein Verhängnis! Der ausgesprochene Jndividual-
liberalismus der Freisinnigen und der hochgespannte So-
zialismus der Nationalsozialen werden sich nicht verbinden,
werden nicht einander ergänzen, sondern sie werden
einander konsumieren, und der Rest wird ein Schweigen des
Todes sein.

Schade nm das herrliche Rednertalent Nanmanns,
um sein großes glühendes Herz! Jm Dienst einer Partek,
die aus dem Volk herausgewachsen ist, gezügelt durch die
Parteidisziplin und dnrch die Schranken der Wirklichkeit,
hätte er Hervorragendes von bleibendem Wert leisten
können.

Deuisches Neich.

. —'Der dritte Sohn des Käiserpaares, P r i n zAda l-
bert von Preußen, der Ende September die theoretische
Ausbildung zum Seeoffizier beendet hat, und stir das
letzte Jahr seiner Fahnrichszeit zur Erternung des prak- i
tischen Dienstes an Bord von „Hsrtha" kommandiert -
worden ist, wird, der „Kieler Ztg." zufolge, mit dem am
15. Oktober von Hamburg abgehenden Fahnrichstransport
die Ausreise nach Ostasien antreten, sich aber erst nach
dem Geburtstage der Kaiserin am 28. oder 29. Oktober
in Genua oder Neapel dem Transport anschließen.

— Volksschullehrer im nsuen Reichs-
tage. Von den neuen Reichstagsabgeordneten stehen zwei
im Volksschuldienst: der freisinnige Rektor Kopsch und dsr
Lehrer Hubert Sittart (Zentrum). Dazu kommen sechs i
ehemalige Volksschullehrer: der Däntz Jens Jessen, die
Sozialdemokraten 'Fritz Ltunert, Georg Ledebour, Friedrich :
Adolf Thielc, der Antisemit Wilhelm Brnhn und der -
Pole Viktor Kulerski. i

— Der Ka t h o I i z i s m u s in Deutschla n d. j
Aus einer geschlossenen Sitzung des Augustinusvereins, l
'die bei Gelegenheit der Kölner Katholikenversammlung ab-
gehalten wurde, sührt das „Augilstinusblatt" folgend« ;
Aenßerung des Abgeordnsten Dr. Bachem an:

Die Regierung, die Presse, die Parlamente, alles j
nimrnt heute Rücksicht auf uns. Wenn wir die Dinge i
in den sogenannten kathotischen Ländern betrachten,
dann müssen wir den Satz ausstellen, daß es für den ^
Katholizismus noch am besten steht in Deutschland. i
Das Gleiche sagte seinerzeit Papst Leo XIII. zu Ge- s
ueraloberst Frhr. v. Lo6. ^

— Nach Äbschluß der Verhandlungen des national-
sozialen Parteitages hat zwischen dem bisherigen Vor-
sitzenden der national-sozialen Partei, Pfarrer N a u-
m a n n, und dem Vorsitzenden des Wahlvsreins der Libe-
ralen, Direktor Schrader, ein Telegramm-Wechsel statt-
gefunden. Prosessor Lujo Brentano aus München wird
dem „Berliner Tageblatt" znfolge nunmehr der freisin-
nigen Vereimgung als Mitglied beitreten.

— Heute findet vor der 1. Strafkammer des Länd-
gerichts I in Berlin ein A n a r ch i st e n - P r o z e ß statt,
in welchem der Redakteur der Zeitschrift „Neues Leben",
Grunwald, und der Ciseleur Jmhof-Mannheim wegen
Aufreizung zu Gewalttätigkeiten angeklagt sind. Grun-
wald wird außerdem Gotteslasterung sowie Beschimpfung
der christlichen und jüdischen Religion zur Last gelegt.

Baden.

Kon st a u z, 31. Aug. Der Großherzog empsing
heute auf der Mainau den Präsidenten des gestern iu
Basel geschlossenen Zionisten-Kongresses, Hrn. Dr. Theodor
Herzl - Wisn in längerer Audienz.

— Der Mannheimer demokratische
Verein hat den Vorschlag seines Vorstandes, ein Zusam-
mengehen mit den Nationalliberalen und Freisinnigen für
dis Stadt Mannheim bei der bevorstehenden Land-
tagswahl abzulehnen, zum Veschlnß erhoben.

Sachsen.

Dresden, 1. September. Der Kaiser hat die
angekündigte Besichtigung der deutschen Städteausstellung
abgesagt. Ter Kronprinz Withelm wird ihn vertreten.
Jn den Kreisen der Mitglieder des deutschen Städtetages,
die den Kaiser im Ausstellungspalast begrüßsn wollten,
hat die Aenderung lebhaftes Bedauern hervorgerufen.

A«Z Ler KsriSruher Zieitirng

Karlsruhe, 1. September. Am Sonntag Vor-
mittag wohnten die Großherzoglichen Herrschaften dem
Gottesdienst in der Schloßkapelle auf Mainau an, der von
Stadtpfarrer Kaiser aus Konstanz abgehalten wurde. Am
Nachmittag empfingen Jhre Königlichen Hoheiten dsn Be-
such der Gräfin Festetics, welche mit ihrer jüngereu
Tochter von Schloß Heiligenberg ankam und gegen Abend
dahin zurüchkshrte. Heute Äbend werden der Erbgroß-
herzog nnd die Erbgroßherzogin auf Schloß Mainau ein-
treffeN, um einige Zeit bei ihren Eltern zu verweilen.

UusLanS.

Ocstcrrcich-Uiigarn.

Spalato, 30. August. Der allgemeine Wirrwarr
in der Monarchie, von welchem bis jetzt wenigstens die süd-
lichen Provinzen zum Teil verschont gebtieben waren, be-
ginnt, wie man der „Köln. Ztg." schreibt, nun auch auf
DaImatien herüberzugreifen. Die Handvoll Serben,.
welche dies Stiefkind der österreichischen Verwaltung
bewohnen, kaum 60 000, haben die alte allserbische Phrass
aufgegrifsen, nach welcher Dalmätim eigentlich ser-

den letzten Jahren geradewegs an ihn die Frage richtete: „Sa-
gen Sie, Herr Doktor, ist es wirklich wahr, daß Sie so trin-
ken?" worauf er mit tiefstem Ernst geantwortet hat: „Ja-
wohl, gnädige Frau, auch fressen tut das Scheusal!"

Und dabei war Scheffel: den Werner aus fünfjährigem
Verkehr in Karlsruhe (1867—1872) genau kcmnte', in Wirk-
lichkeit alles weniger als ein Kneipgenie. So-
gar das unentbehrliche Aeußcre hatte ihm die Natur hierfür
versagt. Ein einziges Mal, im „Güldenen Knopf" zu
Säkkingeu, war's — so erzählte Werner —, im Juli
oder August 1868, als die Honoratioren des Städtchens Säk-
kingen, welches Scheffel berühmt gemacht hatte, dem Dichter
einen Ehrentrunk gaben, daß Anton von Werner ihn am Aer-
mel zupfte und sagte: „Josef, jetzt ist's Zeit!" Später hat er
sich in Radolfszell, angesichts des Hohentwiel und der Rei-
chenau, sein Landhaus „Seehalde", zwar in einen Weinberg
am Untersee, hineingebaut; das Gewächs aber, das dort ge-
zogen wird, muß gleich hinter jener Sipplingcr Auslese rau-
gieren, von welcher der Ellwanger Hunne Serewelin im „Ekke-
hard" sagt: „O Hahnenkamm und Herdenheim! von wegen
dem Getränk hätt' ich nie unter dre Hunnen zu gehen brau-
chen!" Es war, wie Werner in längerem Aufenthalt in dem
Bodensee-Tuskulum 1874, 187S, 1876, 1882 und 1884 er-
probte, nur als Bowle in geringen Dosen mit Vorsicht zu ge-
nießen.

Die gleich einer „brennenden", heitzumstrittene Frage nach
Scheffel's „Trinkbarkeit", die gleichzeitize Enquete Rudolf
Presber's unter den deutschen Poeten nach ihrer Stellung zum
Weine, die Agitationen - und Kongresse der Alkohol-Gcgner
sind charakterische „Zeichen der Zeit", doppelt vernehmlich
auf dcm Boden Heidclbergs, desscn „genius loci" — nach des
inkrimierten Sängers Zeugnis — „feucht" ist und dessen Uni-
versität andrerseits, bis zu diesem Semester, den in Askese
grimmigsten aller wissenschaftlichen Anti-Alkoholiker zu den
Jhren zählte. _ _ H. H.

Meirle ZeiLrrnfl.

— Hochschulnachrichten. Der Direktorial-Assistent am
Kaiser Friedrich-Museum in Posen, Dr. phil. G. Minde »
Ponet ist zum Stadtbibliothekar und Leiter dcr ncu gcgrün-
dcten Stadtbibliothek in Bro m berg ernannt worden. —>
Der Assistenzarzt an der chirurgischen Klinik der Universität in
Tübingen, Dr. med. K. Elsässer, wurde als Assistenz-
arzt an die Landeshcbammenschule in Stuttgart berufen.

— Münchery 1. Sept. Ein Automobil übsrfuhr
einen Arbeiter, der sofort tot war. Der Führer des-
Wagens wurde schwer vertetzt.

— Dreödcn, 28. August. Ein T i e r t r a n s P o r t im
Werte von nahezu 100 000 Mcirk, wie cr seit 25 Jahren
nicht auf einmal nach Europa gebracht wurde, ist dieser
Tage unter der Leitung des Tierimpürteurs Atenges im
hiestgen Zoologischen Garten eingetroffen. Unter
vielen anderen seltenen Tieren befinden sich auch fünf
Girasfen im Alter von sch bis l^ Jahren.

— Havanna, 31. August. An der Südküste Cuba s
richtet eine unbekannte Krankheit VerheerungeN
an. Sie tritt schlimmer auf als das gelbe Fieber.

Jm Bilde geblieben. Dame: „Jawohl, Herr Leutnant, wir
Frauen sind Rätscl." — Leutnant: „Stimmt, Gnädigstc, und
wir Männer suchen uns deshalb nur die — Preisrätsel darun-
ter aus."

Arbeitsam. Maurer (sich die Augen reibend und erschreckt
nach der Uhr schauend): „Donnerwetter, fünf Minuten vor
neun Uhr . . . da hätte ich beinahe die Frühstückspause ver-
schlafen."
 
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