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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 203 - 228 (1. September 1903 - 30. September 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0547

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Fnitq, 18. sqtkmder lVZ.

4». ZlhWW.

r. A8

Znm sozialdemokratischen Parteitag in
Dresden.

Was man bis jetzt von dem sozialdemokratischen Par-
teitag in Dresden gelesen hat, ist durchaus nicht geeignet,
Nespekt vor der sozialdem. Bewegung einzuflößen;
sie erscheint im Lichte dieses Parteitags keineswegs
als eine Bewegung ;ur Höhe, als der vielgerühmte Fort-
schritt zu neuer geläuterter Kultur, den man in
ihr bewundern soll. Wenn man sich fragt, womit man die
Versammlung von etwa 400 Leuten im Trianonsaale in
Dresden vergleichsn soll, so braucht man nur sich an Herrn
Singer zu halten, der, erfüllt von der ganzen Wichtigkeit
des Augenblickes, in den Saal hereinschrie: „Sie benehmen
sich wie Schulbuben". Jn der Tat, die Versammlung in
Dresden schmeckt sehr na-ch einsr ungezogenen Schulklasse,
der die richtige Selbstzucht noch fehlt. Das Wort „Lügner"
und „gelogen" schwirrt im Saale hin und her; Bebel und
Goehre rufen einander mit Nachdruck ein Pfui zu, und
der Chorus ruft: „Prügel Prügel", obgleich die Prügel-
strafe sonst das Gräßlichste ist, was ein sozialdemokra-
tisches Gemüt sich vorstellen kann. Mit dem Ehrabschneiden
ist man schnell bei der Hand; wenn alle an ihrer Ehre Ver-
letzten in ein Spital hätten gebracht werden müssen, dann
hätte man eine sehr große Sanitätskolonne gebraucht.

Dieses sind so die erhebenden Aeußerlichkeiten vom so-
zialdemokratischen Mustsrparlament in Dresden. Ewas
Verlockendes haben sie, wie gesagt, nicht; sie erwecken
durchaus kein günstiges Vorurteil für die parlamentari-
schen und sonstigen Verhältnisse in dem Zukunfsstaat
Bebelscher und Singernscher Mache. Wichtiger als diese
Aeußerlichkeiten ist aber die Kluft, die sich zwischen dem
orthodoxen Köhlerglauben der Menge und dsr geistigen
Führung, den Literaten und Akademikrrn, wie sie verächt-
lich genannt werden, aufgetan hat und die in Dresden in
ihrer ganzen Breite zu überschauen ist. So lange es sich
nur um den sozialdemokratkschen Glauben handelt, geht
alles gut, glatt und leicht, wenn sich aber der Glaube be-
tätigen soll, wenn die Jdeen in die Praxis umgesetzt wer-
den sollen, dann beginnt es bedenklich zu hapern. Die
sozialdemokratische Masse, die in der Tiefe haust und auch
dgs Gros der Vertreter auf dem sozialdemokratischen Par-
teitag gestellt hat, ist augenscheinlich von dem richtigen z
Gefühl erfüllt, daß man nicht ohne Gefahr aus dem Be-
reich des Glaubens heraustreten darf; sie will deshalb
von den „Spirituellen" nichts wissen, sie liebt sie gar
nicht, und der Zehngebote-Hoffmann ruft einmal über
das andere, man solle sie beseitigen. So weit kann und
will Bebel natürlich nicht gehen; er sieht ein, daß die So-
zialdemokratie die Spirituellen trotz allem und allem
braucht und so deckt er sogar Herrn Franz Mehring, der
nach und nach bei allen Parchien hospitiert und allen in
die Suppe gespukt hat, mit dem Schilde seiner Beredtsam-
keit. Herr Mehring ist ihm nur eine psychologische Merk-
würdigkeit, und zu der Tatsache, daß Mehring, vom Ge-
nossen Schönlank sprechend, sich erboten hat „den Lüm-
mel zahm zu machen", hatts er nur ein erstauntes und
bedauerndes Achselzucken. Mehring scheint ihm im übrigen

KLeine ZeitANg.

— Nürnbcrg, 16. Sept. Die P o I i z e i b e h ö r d e
verfügte, daß die beiden Warenhäuser von S ch m o I-
Ier und Tietz eine große Reihe eingreifender und sofort
zu vollziehender baulicher Veränderungen vor-
zunehmen habsn. Die wichtigsten darunter sind, daß die
Verkaufsräume nur im Erdgeschoß und im ersten Stock
liegen dürfen, ferner das gänzliche Verbot von Wohnungen
und sogar von eigenen Werkstätten über den Verkaufs-
räumen, sowie getrennte Ein- und Ausgänge nach der
Straße. Auch die Kellerrisiimlichkeiten dürfen nicht zu
Werkstätten verwendet werden.

— Aus dcm Berlincr Bcreinslebcn. Jn Berlin erschien
soeben ein Verzeichnis der dortigen Vereine, das mehr als
3000 Adresssn aufweist. Die wunderbarsten Vereins-
namen haben die Kegler entdeckt. Neben einer „Mobilen
Acht" gibt es eine „Kalte Achte", dazu gesellen sich die
Kegelklubs „Neune" und „Pinke". Recht energisch klingt
der Name „Wilde Männer"; auch der Name „Ratte" und
„Ratze" kehrt oft wieder. „Wüstenlatscher" ist jedenfalls
ein richtiger Berliner Ausdruck, ebenso die Namen „Gurke"
„Erpel" und „Fidele Frösche", die von den Kegelbrüdern
zum Unterschiede von anderen Dereinen, die sich harmloser
nennen, gewählt wnrden. Eine zweite Kategorie, die recht
sonderbars Namen aufweist, ist die Gruppe der Rauchklubs.
Auf den Tabak, der dort konsumiert wird, beziehen sich
die Namen nur in den seltensten Fällen. „Kuba" und
„Sumatra" ist allerdings einigemale vertreten, aber hier

wenigstens zur Zeit sichsr zu sein. Die andern, die teils
Seitensprünge schon gemacht haben, teils im Verdacht
stehen, solche riskieren zu wollen, wurden von Bebel scharf
unter die Fuchtel genommen; der 'Genosse Bernhard von
der freisinnigen „Berliner Morgenpost" hat sogar vor
der ganzen Gemeinds sein Sündenbekenntnis ablegen und
laut und deutlich für die Zukunst ein gutes Betragen ver-
sprechen müssen. Bebel wird jedenfalls äußerlich einen
eklatanten Sieg erringen, denn die Masse der Genossen
steht hinter ihm, aber auch er kann den Geist, der sich in den
Literaten und Akademikern regt, nicht niederknütteln.
Er kann nicht verhindern, daß die sozialdemokratischen
Lehren und ihre Eirfführung in die Praxis von den wissen-
schaftlich geschulten Männern der Partei wieder und immer
wieder unter die Lupe genommen werden; er kann dies
um so weniger als die ganze Partei ihren Ausgang von
der Kritik genommen und auch heute nur in dieser stark
ist. So mag man in Dresden in den kommenden Tagen
beschließen, was man wolle, der Parteikongcsß »rag aus-
ge'hen wie er wolle, am Ende werden doch di^ Spirituellen,
die Literaten, die Akademiker obenauf bleiben, denn lsis
Führung hat überall in der Welt der Geist und nicht die
Masse; jede Demokratie schafft sich wohl oder übel ihre
Aristokratie. Wenn Genosse Bernhard auch die Leit-
hammeltheorie abschwören mußte: richtig bleibt sie trotz-
dem. Heute sind Bebel und Singsr die Leiter der Sozial-
demokratie, aber einmal wird der Herzogsmantel ihren
Schultern entgleiten und dann wird die Zeit der Spi-
rituellen und Revisionisten mit Macht einsetzen.

Deursches Neich.

Baden.

Triberg, 17. Sept. Jn einer Wahlmännerver-
sammlung der Zentrumspartei wurde Herr Gutsbesitzer
Josef Duffner in Furtwangen einftimmig als Kan-
didat für den badischen Landtag für Triberg - Wol -
f a ch aufgestellt.

Aus der Karlsrnher Zeitung.

Karlsruhe, 17. Septbr. Der Großherzog, die
Großherzogin und der Erbgroßherzog begaben sich gestern
Vormittag 10 Uhr von Schloß Mainau nach Weinburg,
um ihren hohenzollernschen Verwandten einen Bssuch ab-
zustatten. Jhre.Königlichen Hoheiten fuhren mit Extra-
boot nach Rorschach, wo der F-ürst von Hohenzollern die-
selben erwartete und mit Wagen nach Schloß Weinburg
geleitete. Die Fürstin von Hohenzollern empfing ihre
Gäste im Schlosse. An fürstlichen Verwandten waren an-
wesend: Die Königin-Witwe von Sachsen, der König von
Rumänien, die Gräfin von Flandern, der Prinz und die
Prinzessin Karl von Hohenzollern und der Prinz und die
Prinzessin Friedrich von Hohenzollern. Nach der gemein-
samen Frühstückstafel verweilten die höchsten Herrschaften
no-ch längere Zeit im Kreise der fürstlichen Familie und
kehrten gegen 6 Uhr von Rorschach mit der Eisenbahn
nach Konstanz und von da nach Schloß Mainau zurück.

hört es schon auf. Dann kommen „Seegras", „Ohne
Furcht", „Feste Männere", alles Namen, die auf die Qua-
lität des Krautes, das man raucht, ein bedenkliches Licht
werfen. Charakteristischer sind schon die Namen „Sieben
roocht", „Nasenwärmer" und „Schmokbrüder". Daß die
Radfahrervereine Namen wie „Klub der Harmlosen" und
„Wodan" wählen, dürfte auch wenig bekannt sein. Skat-
klubs fehlen in einer Vereinsstadt wie Berlin natürli-ch
nicht, sie blühen aber recht im Verborgenen. Die Namen
dieser Vereine beziehen sich in der Regel auf das Karten-
spiel, daneben gib't es Namsn wie „Deutscher Michel",
„Dalles", „Sitzfleisch", „Mit dem Hausschlüssel" und an-
dere, die auf die Dauerhaftigkeit der Vereinssitzungen
Bezug Habe-n. Unter den gemischten Vereinen bieten manchs
Gelegenheit zum Spezialstudium. Da habsn wir zunächst
die seit vielen Jahren heimische Gesellschaft „Blauc Zwie-
bel", einen Versin „Urfideler Kahlköpfe", Vereine der
„Achtmonatskinder" llnd viele andere, die aus einer über-
mütigen Laune sntstanden sind. Von den Billardklubs,
die neuerdings Zur Aufnahme kommen, haben nur einige
originelle Bezeichnungen gewahlt, so unter anderen der
Verein, der unter dem Namen „Nicht schielen" figuiert.
Mit d-er jüngsten Gruppe der Vereine, mit dsn Lotterie-
Vereinen, wöllen wir unsere Zusammenstellung schließen.
Da sind zunä-chst die klassischen Namen „Geduld", „Froher
Mut" und „Füllhorn" zu finden. An den Burenkrieg er-
innert der Verein „Burenglück". Den Rekord in einem
passerden Namen scheint jedoch der Verein erreicht zu
haben, der den Namen „Schweineglück" führt.

wo dis Ankunft gegen 8 Uhr erfolgte. Staatsmn
von Brauer ist gestern Abend auf Schloß Mainau a
kommen. Oberhofmarschall Graf Andlaw hat am l>
Montag Schloß Mainau mit Urlaub verlasfen und L
schloßhauptmann von Berkholtz hat vertretungswsise
Dienst übernommen'.

Ausland.

Oesterrcich-Ungarn.

— Der wegen der Affäre in der türkischen Bots
aus Wien ausgswiesene B o t s ch a f ts a r z t
sich in Preßburg niedergelassen, um die weitere Z
wicklung der Affäre abzuwarten.

— Nach -einer Wiener Meldung hat Kaiser Will
den Wunsch geäußert, daß zu dem Diner in d-er deut- ' -
Botschaft, welches ihm zu Ehren am Samstag stattfi l- .
auch die Fürstin Pauline Metternich geladen werde. -
Fürstin kommt deshalb von ihrem ungarischen Gute
Wien.

Wien, 17. Sept. Der Kaiser erließ e
größtes Aufsshen erregenden ArmeebefehI, d-a > l
aus ChIoPy, den 16. September, in dem er zunächf >:
Befriedigung und Anerkennung über das Manöve - >

llngarn und Galizien ausspricht und dann fortfährt
sicherer begründet mein günstiges Urteil über dsn l > -
tärischen Wert, die hingebungsvolle Disnstfreudigkeit -
d-as einmütige Zusammenwirken aller Teile meiner
samten Wehrmacht ist, desto mehr muß und will i-cl
deren b e st e h e n d e n u n d be w'ä hrten Einr
tungen festhalten. Mein Heer insbesonder
dessen gediegenes Gefüge einseitige Bestrebungen in
kennung der hohen Aufgaben, welche dasselbe zum W
beider Staatsgebiete der Monarchie zu erfüllen hat,
lockern geeignet wären — möge wissen, daß ich nie
Rechte und Befugnissemichbegeben werd-e,
seinem obersten Kriegsherrn verbürgt sind. Geme - -
sam und einheitIich, wie es ist, soIl m >
Heer bleiben, die starke Macht zur Verteidigung
österreichisch-ungarischen Monarchie gegen jeden Fs -
Getreu ihrem Eide wird meine gesamte Wehrmacht . '
schreiten auf dem Wege ernster Pflichterfüllung, durch-
drungen von jenem Geiste der Einigkeit und Harmonie,
der jedenationaleEigenart a-chtet und alle
Gegensätze löst, indem er die besonderen Vorzüge
jedes Volksstammes zum Wohle des großen Ganzen ver-
wertet.

Danksagungerr Heide!berger Ehrendoktoren.

Heidclberg, 18. Sept.

Der juristischen Fakultät sind die nachstehenden Dank-
sagungcn dcr von ihr anläßlich der Jahrhundcrtfeier der Uni-
versität creierten Ehrendoktoren zugegangen:

(Telegramm.) Karlsruhe, 8. August.

Dem Dekan und der Fakultät herzlichsten Dank für die
mir gcwordene Auszeichnung. Jch werde mit Stolz den
Doktortitel führen, den ich so hervorragcnden Leuchten der
Rechtswissenschaft zu danken habe.

Dr. von Brauer, Staatsminister.

— Am Dortmunder Gymnasium bestand am Samstag
Fräulein Emy Crämer aus Witten, Tochter der Pa-
storin Crämer, das Abiturientenexamen. Es ist dies dev
erste Fall in Westfalen, daß eine Dame sich der Prüfung
unterzog. Fräulein Crämer will den Arztberuf wählen.

— Newyvrk, 17. Sept. Präsident Roosevelt hatte
an Bord seiner Uacht einen äußerst heftigeu Orkan
gegenüber der Meerenge von Long Jsland zü bestehen,
Die Jacht war mehrsre Stunden in sehr ernster Gefahr,
widerstand jedoch den Elementen und lief mit kleiner
Havarie in den Hafen öon Newyork ein. Außer Roosevslt
befanden sich auch seine Gattin und seine Kinder an Bord.

— Die höchstcu Temperaturen, bci dcncn organisches
Lcben noch bcstehcn kann. Da die Ansichten der Fors-cher
über die Höhe der Temperatur, bei der Qrganismen noch
gedeihen, ziemlich auseinandergehen, hat W. N. Setcheli
die Gelegenheit, die ihm zu solchen Untersu-chungen ver-
schiedens heiße Ouellen und Geystre in Nordamerika dar»
boten, benutzt, um bezügliche Messungen anzustellen. ^ Es
ergab sich, daß in heißen Wassern von 43 Gräd- Cels. an
kein tierisches Leben angetroffen wird, sondern lediglich
sehr niedrige Pflanzen aus der niedrigsten Abteilung der
Algsn, Spaltalgen und Spaltpilze (Bakterien). Die er-
steren kommen in heißen Ouellwassern von 65 Lis 68 Gw
Cels., ausnahmsweise sogar in solchen bis zu 77 Gr. C.
vor, während dse Spaltpilze in heißen Wassern von 70 bis
71 Gr. sehr gut gedeihen und selbst noch in solchen von
89 Gr. angetroffen werd-en. Stets gehören die Orga-
nismen der heißen Ouellen zu den niedrigsten Gliedern
 
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