Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229 - 255 (1. Oktober 1903 - 31. Oktober 1903)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0689

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ImMz. 8. MM1VZ. E.ftes Blatt. «. Z-bWM. — M.

^rscheint tägltch, SonntagS ausgenommen. PreiS mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in'S Haus gebracht, bci der Expedition und den Zweigstationcn abgeholt 40 Pfg. Durch die Post

bezogen vierteljährlich 1.35 Mk. auSschlietzlich Zustellgebühr.

AnzeigenpreiS: 20 Pfg. für die Ispalttge Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige GeschäftS- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigrn
uubestimmten Tagen wtrd keine Verantwortlichkett übernommen. — Anschlag der Jnserate aus den Pla katiafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprccher 82.

Aus Chamberlaius Nede in Glasgow.

V Glasgow, 7. Oktober. Jm Verlaufe seiner Rede
^ ChamberIain hervor: Jn den letzten 30 Jahren
^lni der Export Englands nach fremden Ländern um
^ Millionen Pfund jährlich ab, der Export nach den
vlonien nahm um 40 Millionen Pfund jährlich zu. Der
dandol nach den Kolonien war das schätzbarste Mittel des
ölischen Handels. Jn derselben Zeit stieg der Jmport
^ fremden Ländern von 63 auf 149 Millionen Psund.

ENu der koloniale Handel nicht zunimmt, im Verhältnis
^ der Bevölkerung und der Abnahme unseres auswär-
> Handels, müssen wir zu einer Nation sünften Ranges
^^bsinken. Ilnser Handel im Reiche wird auch zurück-
h^n, wenn wir nicht Schritte tun, das zu verhindern,
.-^ge es Zeit ist. Die Kolonien wären bereit, uns mit
mäßigen Bevorzugung entgegenzukommen und nach
Nex Berechnung wiirden wir 25 Aiillionen vom fremden
, nndel mit den Kolonien an uns reißen, 750 000 Men-
. beschäftigen und fast 4 Millionen unserer Bevölke-
unterhalten. Chamberlain appelliert an die eigenen
^.^ressen der Zuhörer, appelliert aber gleichzeitig an alle
"tbsirger des größten Rsiches der Welt, Vorsorge zu
daß solche Eigenschaften den Grund legen zu einem
^^chsbunde. Chamberlain wies sodanu mit Nachdruck
^ Puf hin, daß erkeinenZollaufRohmaterial
^lchlage. Wenn England aber wünsche, den kolonialen
^ünd^l zu erobern und eine Trennung zu verhindern,
^.^fse man d Üe L e b e n s >n i t t e l besteuern.
i.^tzdem würden durch keineu seiner Vorschläge aber die
^^^rhaltungskosten einer Familie des Landes auch nur
I Farthing erhöht werden. Sein vorläufiger Plan
dahin, einen Zoll von 2 Schilling auf fremdes Ge-
a, ^ ide und einen entsprechenden Zoll auf Mehl, auf
^ll'eide aus britischen Besitzungen aber keinen Zoll zu
gen. Er schlage ferner vor, einen Zoll von 5 Prozent
^ l sremdes Fleisch und Molkereiprodukte mit Aus-
e hliie von Speck zu legen und den Kolonien eine wesent-
Bevorzugung ihrer Weine und Früchte zu gewähren.
^ fchlage andererseits vor, nur dss Zolls auf Tee,
^ die Hälfte des Zuckerzolls zu erheben und sine ent-
tzj^chende Herabsetzung des Zolles auf Kaffee und Kakao
g.^Lten zu lassen. Die neuen Zölle würden die Aus-
^ h^n des ländlichen Arbeiters um 16s^ Farthing wöchent-
d?' Handwerkers um 19^2 Farthing erhöhen. Aber
^etrag, welcher sich aus der Aufhebung der Zölle

whbbe, würde sich fiir ländliche Arbeiter auf 17 Farthing
s h^n. Es sgj eine irrige Voraussetzung, daß der ge-
dx Ee Zoll von Konsnmenten bezahlt werde. Er sage, daß
s^? Zoll hauptsächlich vom Auslande bezählt würde. Nach
Ner Schätzung würden dis Mindereinnahmen des Schatz-
2 800 000 Pfund jährlich betragen. Aber er schlage
' dies wieder einzubringen durch eine Maßregel, die
^pchmal Vergeltung, manchmal Reziprozität genannt
nämlich einen Zoll von 10 vom Hundert auf
de M a n u f a k t u rw a r e n. Dieser Zoll würde
^illionen

Pfund ergeben, die er, wenn er Schatzsekretär

wäre, dazu verwenden würde, den Ausfall von 2 800 000
s Pfund zu decken, und eine weitere Ermäßigung der Nah-
^ rungsmittelzölle sowie der übrigen Zölle, die das Land
belasten, eintreten zu lassen. ArN Schlusse seiner Reds
erklärte Chamberlain, er kämpfe für das Reich und bitte
nichts zu tun, was auf den Verfall des Reiches hinarbeiten
könnte.

London, 7. Oktober. Jn Ergänzung der bis-

herigen Berichte über die G I a s g o w e r R e d e Ch a m-
berIains wird noch gemeldet: Chamberlain begründets
den von ihm geforderten MehlzolI damit, daß dieser
den Müllern einen wesentlichen Vorzug zuteil lassen werde
und einen der ältesten Jndustriezweige Englands wieder
auflebsn lassen werde, währen'd gleichzeitig die auf dem
Lande bleibenden Müllereiabfälle dem Landwirt weit
billigeres Viehfutter liefern würden. Bei Erörterung
der von ihm empfohlenen Maßregel gegenüber dem Aus-
lande, die bald Vergeltung, bald Reziprozität genannt
werde, sagte Chamberlain: Niemand ist so sanguinisch, zu
glauben, daß Amerika, Frankreich, DsutschlaNd und Jta-
lim sowie alle Staaten thr ganzes Schutzzollsystem fallen
lassen würden, weil wir es verlangen oder ihnm drohen.
Aber ich glaube, daß sie ihre Zölle ermäßigen, damit sie
nichts Schlimmeres erfahren. Wir werden auch unsersn
.mäßigen Zoll auf alle fremden Fabrikate zu erhöhen
haben, durchschnittlich nicht über 10 v. H., aber je nach
'der von uns in den betreffenden Waren betätigten Arbeit
wechselnd. Hierdurch würden wenigstens neun Millionen
Pfund erzielt.

London, 7. Oktober. Chamberlain hatte gestern
einen Triumphzug durch, Schottland. Jubslnde
Mengm begrüßten ihn auf chen Eisenbahnstationen. Eine
mit Blumen geschmuckte Lokomotive zog von Carlisle
über die schottische Grenze nach Glasgow, und auf dem
Bahnhofe in Glasgow konnte die Volksmenge gar nicht
mshr oon der Polizei kontrolliert -werden. Jn St. Andrew
Hall, wo Chamberlain erschien, wurde der Beginn seiner
Rede mit fast endlosem Jubel begrüßt. Der Jubel galt
vor allem dem mutigen, schnei-digen Manne.

Deutsches Reich.

— Am 1. Dez. 1903 werden zwei Jahrzehnte
verflossen sein, seit das K r a n k e n v e r s i ch e r u n g s -
gesetz in Kraft getreten ist. Um zu erkennen, wie die
Entwicklung der Krankenkassen in diesem Zeitraum sich
vollzog, empsiehlt es sich, den Zustand vor und bei Beginn
dieser Periode ins Auge zu fassen. Lange vor 1883 gab
ss Krankenkassen, und zwar freie und Zwangskassen, Gö-
sellen- und Fabriktässen, Jnnungs- und Knappschafts-
kässen. Der Haupttypus der Zwangskassen, der für die
späteren Ortskrankeukassen vorbildlich geworden ist, waren
die Gefellenk-assen. Sie bestanden in der Regel nur für
die Gesellen eines bestimmten Handwerks. Jhre Verwal-
tung führte der sogenannte Altgeselle unter Mitwirkung
des sogenannten Beisitzmeisters; der eine wurde von den

x Gesellen, der andere von den Jnnungsmitgliedern gw
! wählt, beide vom Jnnungsvorstand bestätigt und vor
der Jnnungsversammlung feierlich Lurch Handschlag in
Pflicht genommen. Die Oöeraufstcht führte der Magistrat
durch einen Spezialkommissär, uNd nur alls drei zusammen
waren befugt und imstande, die unter dreifachem Ver-
schluß in der Gesellenherberge befindliche „Lade" zu öffnen,
in der das -Vermögcn der Kasse verwahrt wurde. Diese
Gesellenkassen ga-ben d-as Vorbild, nach dem das Kranken-
versi-cherungsgesetz die Ortskrankenkassen formte. Noch
heute gibt es eine Menge von Ortskrankenkassen, die sich
kaum wesentlich von jenen Gesellenkassen unterscheid-en.
Sie zählen ein paar Hundert odsr noch weniger Mitglieder.
Zu deren bescheidener Existenz bilden eiuen Gegensatz die
groß-kommunalen Ortskrankenkassen, -wie beispielsweise
die für Leipzig, die in vielen Beziehungen an der Spitze
marschiert, mit 130 000 Mitgliedern, ihrem Stab ge-
schulter Beamt-en, ihrem eigenen Vevwaltungsgebäude,
ihrem Nstz von Melde- und Zahlstellen usw. Mit -der
Leipziger wetteifern die von Charlottenburg, Chemnitz,
Cottbus, Dresden, Frankfurt a. M., Kiel Magdeüurg,
Straßburg i. E., einige Berliner, Hamburger, Münchener
Ortskrankenkassen und noch manche andere. Für die kurze
Zeit, die seit dem Erlaß des Llrankenversicherungsgesetzes
hinter uus liegt, ist dsr Fortschritt jedenfalls ein außsr-
ordentlicher.

Die Zahl der zur Zeit bestehenden Kraukenkassen be-
läuft sich auf ungefähr 23 000. Durchschnittlich zählen
sie 430 Mitgliedsr. Daß jede dieser Kassen mit no-ch so
kleiner Mitgliederzahl ihrcn eigenen Verwaltungsapparat
besitzt, und daß die Gesamtzahl des Verwaltungspersonals
an die Hunderttausend zn veranschlagen ist, gehört mit zu
den Tatfachen, welche -auf erne Vereinfachung der
Ver s i ch e ru n g s g e setz g eb u n g hindrängen.

— Der sozial-demokratische Abgeordnete Dr. Heinrich
Braun wird anscheinend nicht ohne scharfe Gegen-
wehr das Parteigericht über sich ergehen lassen. Aus
seinem Wählkreise Frankfurt-Lebus trsten heute mit Na-
mensunterschriften im „Vorwärts" an 60 Vertraums^
männer mit einer heftigen Erklärung a-uf den Plan, die
lautet: 1. Die als Folge des Dresdener Parteitages in
der Presse und in Versammlungsn zum Ausbruch gekom-
mene Verhetzung d-er Parteigmossen zervüttet -das Partei-
leben und ist geeignet, die bisherige Einfa-chheit der Vartei
zu zerstören. Wir protesüeren gegen ein solches Vor-
gehen aufs entschiedenste und sorbern die Genossen im
Lande auf, sich uuserem Protest anzuschließeu. 2. Die
Beurteilung aller Fragen, in denen es sich um die Würdig-
keit bestimmter Genossen zu Ehrenämtern der Part-ei han-
delt, ist Sache der Parteigenossen der betreffenden Kreise.
Desh-alb verurteilen die Anterzeichneten auf das schärfste
das Vorgehen einzelner Parteigenossen, iiber den Kopf
der am meisten interessierten hinweg, ohne genügenide
Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse, Anklä-ger uud
Richter in einer Person zu sein. 3. Jn -der Angelegenheit
des Genossen Heinrich Braun wird in allernächster Zsit

201 Kilometer iir einer Strmde.

^a^st.elektrischen Schnellfährtcn auf der Militärbahnstrecke
hichst^Pelde—Zosscn sind vorgestern fortgesetzt worden. Sie
dej. Pden erwarteten Erfolg gezeitigt: es ist, wie schon gemel-
tej H ö ch st g e s ch w i n d i g k c i t von 201 Kilome-
Stunde erreicht worden. Ueber das wcit über die
PkH^w Berlins interessierende Ereignis liegt dem „Berl.
der folgende Bericht vor:

vom Potsdamer Ringbahnhof abgehenden Frühzüge
doll Lesetzt; auf Station „Pape-Straße" füllten sich die
^>N P.Sweiter Klasse mit Offizieren der Jngenieurtruppen.
st^il der Fahrgäste verlietz schon in Marienfelde den Zug,
Abfahrt der Siemenswagen beizuwohnen oder gar
^ehOchhren (diesen Vorzuz genietzen nur s-ehr wenige Leute,
^bei,E l>er Staatsbahnen oder der Studiengesellschaft, dercn
EP cstwd Gesundheit hoch vcrsichert ist), ein anderer Teil
P Lichtenrade, Mählow odcr Dahlwitz. Hier entfalten
^Ouchsmotoren gerade ihre höchste Geschwindigkeit. Die
- Militärbahn, Oberstleutnant von Böhn und Major

trafen in Marienfelde mittels des sogenannten Re-
^8en ein, der nur aus Lokomotive und einem Personen-
r eichs.zPteht. Es waren ferncr erschienen der Präsident des
'^rsenbahnamts, Wirkl. Geh. Rat Dr. Schulz, die Ge-
Lachner, Zimmermann und v. Borries, Reg.-
r-hexjstller Denninghoff u. a., Direktor Dr. Berliner, die
pjge N^uieure Dr. ing. Reichel, Frischmut, Ehnhart und ei-
?Nstxn^^onicure, welche die Beobachtungen im Motorwagen
Dieser selbst wurde wieder von Dr. Reichel ge-
Uiir, i -oei einer Stromspannung von 14 000 Volt gelang es
tatsüchlich, eine Fahrgeschwindi-gkeit von 201 Mlo-
Stunde zu erreichen!

^Urtet P'uch ullen Erfolgcn der vorangegangenen Woche er-
^uhrt pj durfte, hat sich auch -Lei dieser denkwürdigen

'e gesamte elektrische Einrichtung des Siemens-Wagens

trotz der enormen Becmspruchnngen, die das Anfahren auf §
der verhältnismäßig kurzen Strecke bedingt, durchaus gut be- !
währt; cbenso tadcllos arbeitete die Fährleitung. Die 23 ^
Kilometer lange Strecke Marienfelde-Zossen wurde wiederholt ,
in dem knrzen Zeitraum von 8 Minuten (einschlietzlich An-
fahren und Bremsen) durchfahren und die erwähnte höchste
Geschwindigkeit aus der Strecke Mahlow-Dahlwitz-Rangsdorf,
welche in anderthalb Minuten durchfähren ward, in einer
Län-ge von etwa 8 Kilometer err-eicht. Mit der erzielten
Durchschnittsgcschwindigkeit von etwa 175 Kilometer die
Stunde -würde man die Eisenbahnfahrt von Berlin nach Köln
(577 Kilom.) in etwa 3>ä Stunden zurücklcgen künnen, wäh-
rend die schnellsten Züge jetzt neun Stunden fahren. Allge-
meine Anerkennung fand auch der vom Minister Budde zur
Verfügun-g gestellte neue Oberbau, der, wie die Untersuchungen
ergaben, trotz der hohen Fahrgeschwindigkeit standgehalten hat
und auch- die Gewä 'hr künftiger Betriebssicherheit
in a u s r e i ch e n d e in Matze bietet.

Die Mitglieder der Studiengesellschaft, in deren Händen
die zielbewußte Leitung der neuartigen Versuche liegt, sowie
die Vertreter der beteiligten Gesellschaften, welche in gemein-
sam-er ArLeit die elektrischen Schnellfahrten durch niühevolle,
technifche Ausa-kbeitungen vorbereiteten uüd mit Unter-
stützung d-er Militärbahn-Direktion in mustergiltiger Weise
durchführten, durften die aufrichtigen Glückwünsche der an-
wesenden Fachgenossen zu eineni beispielloscn Erfolge ent-
gegennehmen, welch-er der deutschen Jndustrie allezeit zur
Ehre gereichen wird.

Literarisches.

—^ Der Name Karin Michaelis hat in der neuesten Lit-
teratur einen guten Klang. Jn kurzer Zeit hat sich die nordischc
Dichterin zu einer unserer beliebtesten Frauenschriftstellerin-
nen aufgeschwungen. Soeben ist ein neues Buch von ihr im
Verlag der Frauen-Rundschau zu Leipzig erschienen. Es

führt den Titel „Liebe" (2 Mk.) un-d -enthält eine Anzahl Er-
zählungen, die alle Vorzüge einer hervorrazenden Begabung,
einer reichen Lebenserfahrung und eines feinen KunstinstinktZ,
wie sie Karin Michaelis zu eigen sind, in sich vereinen. Die
M-enschen, die Karin Michaclis schildert, leben. Es sind Mcn-
schen, die die gemeine Not des Lebens bedrängt und besiegt,
Menschen, denen ein schöner Traum entschwindet, ein Traum,
den sie fast für Wirklichkeit genommen hätten, und die nun mit
grotzen fragenden Augen in die Welt starren, in der sie sich
nicht mehr znrechtfindcn. Un'd so zärtlich erzä'hlt Karin
Michaelis, datz es ist, als nähme sie einen bei der Hand und
führe einen zu den Stätten ihrer Geschichten. Und als echte
Dichterin zaubert sie uns die wunderbarsten Stimmungen vor
und hüllt sie in den Purpurmantel ciner hinreitzcnd schönen
Sprache. Wer also ein wirklich vortrefflichcs, hcrrliches Buch
lesen will, der greife zu Karin Michaelis „Liebe".

—* Jn Egypten spielte der historische Roman „Der ncuc
Gott" von Leonore Frei. Jhr neuer Roman „Wegwende"
(2 Mk.), der soeben im Verlag der Frauen-Rundschau zu
Leipzig erschienen ist, hat Berlin zum Schauplatz. Jn
„Wegwende" zeichnet die hochgeschätzte Dichterin eine feine,
zartsinnige Frau, die aus den engen Fesseln konventioneller
Pflichten und Gedanken und einer liebelosen Ehe an der
„Wende ihres Weges" hinausstrebt ins freie selbftsichere Le-
ben. Aber das Vertrauen auf den g-eli-ebten Mann trog; in
die tiefsten Seelenschluchten hinabgestürzt, vergreist sie sich
in der Verzweiflung, um nicht von der Gesellschaft geächtet zu
werden, am Heiligsten, dem Kinde, das sie unterm Herzen
trägt, und geht in Elend und Jammer zu Grunde. Die Ge-
schichte selbst ist ausgezeichnet komponiert, mit starker Leiden-
schaft vorgebracht, das Wesen des Grotzstadtlebens in seiner
Schönheit und seinem Schmutz trefflich erfaßt, und das Ganze
so spannend und unterhaltend zu lesen und von so ernsten
ethischen Motiven geleitet, daß man das Buch gern seiner
Bücherei einverleiben wird.
 
Annotationen