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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 256 - 280 (2. November 1903 - 30. November 1903)
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Dosvttstag, 26. Nmnlbtt 1303. Grftes BEsstt» 45. IahlMg. — M.

Erschriit tirltch, EonntagS «uSgenommen. Prei« mit Familtenblättern monatlich 50 Vfg. in'S HauS gebracht, bei ber Expedition «nd d«n Zweigstationen abgrhvlt 40 Pfg. Dnrch di« Psst

bezogen vierteljährlich 1,35 Mk. ausschließltch Zustellgebühr.

>«>ei i en p r ei»: 20 Pfg. für die lspaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiestge Geschäft». «nd Prtvatanzrigen ermäßigt. — Für die Aufnahm« vo» Anzeig«
a« bestimmten Tagen wtrd ketne Berantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserat- ouf den Pla kanafeln der Heidelberger Zeitnng und den städtischen Anschiagftellen. Fernfprecher W.

Rohe Gesellen.

Ebenso vergeblich wie die Beteiligung der Sozialde-
wokraten an den Preuß. Landtagswahlen gSwesen ist,
^ e nsowü st ist sie leider gewesen, und die aus allen
^silen des Rerchs einlaufenden Nachrichten lassen, der
'Köln. Ztg." zufolge, erkennen, daß es sich hier nicht um
°kale Ungezogenheiten, sonHern um eine durch-
8 ehende schIechte C h a r a k te r e i g e n s ch a s t
^ r Partei handelt. Wollte die Partei nun einmal
^bstruktion treiben, um Einspruch gegen das Dreiklassen-
^ahlsystem zu erheben, obwohl sie sich vorher hätte sagen
°^nen, daß rnan mit dem zweischneidigen Schwert der
^bstruktion gewöhnlich das Gegenteil von dem bewirkt,
man erreichm will, so hätte sie mindestens in der
^sahl der Mittel etwas mehr Geschmack beweisen können.

ist zwar nur kindisch, wenn die Genossen bei der Stich-
^nhl in Teltow-Charlottenburg für Eugen
^ichter und seine Spar-Agnes, Lubasch und Wertheim,
^ippold und Hüssener, den ollen ehrlichen Seemann und
bn Grafen Kanitz ihre Stimmen abgaben oder wenn ein
^enosst an erster Stelle Frau Landrätin v. Stubenrauch,
zweiter Herrn Landrat v. Stubenrauch wählte. Es ist
5°er einfach roh, wenn man die Kirch e, die zum
"^ahllokal dienen mltß, zum Schauplatz von Norgängen
^acht, wie sie sich nach einer Mitteilung des Pfarrers
^ottineier an den Reichsboten in der Kirche zu B e r n a u
^bgespielt haben: „Hier Prostete ein junger Mensch von
str Kanzel heräb mit der Schnapsflasche, und mit Ge-
^hle wurde dieser „Wih" quittiert, dort wankte ein Be-
kvnkener zum Altar und zündete unverdrossen die großen
wie oft sie auch von andern wieder ausgelöscht
p'Urden; dort am Altar hatte sich eine Schar ebenfalls
^Ngex Leute zu eineni „Rauchverein" zusaminengctan,
^ wurde tapfer dem Schnaps zugesprochen, die Unter-
bastung läßt sich nicht wiedergeben. Jetzt hatten sechs
?cann die Kanzel erklommen, und während einer von
Men einen Prediger nachzuäffen suchte und die Hände 'iüe
^Um 'Segnen erhob, amüsierten sich die andern darüber;
^Uer hatte sogar eine brennende Zigarre dabei im Munde.

stellvertretende Wahlkommissar wurde auf diesen
. frgerriis erregenden Unfug aufmerksam gemacht und auf
'ein mehrmaliges Bitten wurde die Kanzel widerwillig
^räuint. Doch schon nach kurzer Zeit betrat sie wiederum
^u junger Mensch, um von dort aus mit einer brennen-
^u Stalllaterne, die er bei sich führte, seinen Parteigs-
^ossen gewisse Zeichen zu geben. Diese Zeichen wurden
uuch verstanden, nnd der ganze Schwarm zog lachenö,
^UclMp, lärmend hinter dem Laternenträger her zum
fUtarrauni, woselbst die Genossen Posto faßten, um ge-
ichlosstn den Aussall der Wahl abzuwarten."

Wie die Genossen sich im Westen aufgefllhrt haben,
^oge endlich noch eine Mrtteilung der „Rhein- und Ruhr-
^stung" zeigen, in der über die Abgeordnetenwahl in
?;Uisburg folgendes berichtet wird: „Trotz ihrer ge-
stge-ri Anzahl versuchten die Sozialdemokraten, von denen

Kleine Zeitung.

p- München, 26. Novbr. Die Akademie der
s s e n s ch a f t en wählte zu korrespondierenden Mit-
8 ledern die Professoren Lenel-Straßburg, Dilthey-Berlin,
c>ststeis-Leipzig, Wolters-Würzburg, Boveri-Würzbnrg,
sturbringer - Heidelberg, Hilbert-Göttingen, Graf
oU Solms-Laubach-Straßburg, Weber-Straßburg, Wies-
st-Wien, Meitzen-Berlin, Gierke-Berlin, Fester-Erlangen,
stcher-Göttingen.

, — Berlin, 28. Nov. An der^heiitigen Schnell -

h r t der Studiengesellschaft für elektrische
^ ch neIlbahnen, wobei wiederum 200 Kilometer Per
stinde erzielt wnrden, nahmen u. a. teil: der dienst-
^sfnde Generaladjutant des Kaisers, Generalmajor von
Avenfeld, ^hef Generalstabes v. Schlieffen nnd
ohlreiche Offiziere des Generalstabes.

^ p- Berlin, 25. Novbr. (Pr o z e ß Wesierski-
wiIeck i.) Rechtsanwalt Chodriesner wendet sich gegen
Beschränkung der Fragestellung der 'Verteidigung. Die
^ oäfin verdanke es dem unerschütterlichen Gottvertraucn,
,?P sie mit so großer Ruhe ertragen konnte, daß die in-
,'Uisten Geheimnisse ihres Ehe- nnd Familienleüens ent-
wurden. Bei dem letzten Besuche der Gräfin am
, uinstag hätten die Verteidiger sie förmlich verklärt ge-
. uwen, sicher, daß ihrc blnschuld an den Tag komme. Als
^an Misstrauen hegte gegenüber der Schwangerschaft der
s^ufin, erwachte ihre ganze Frauennatur. Sie entschließt
alles zu tun, was die Agnaten ärgern kann, Jn

sich namentlich wieder ein Teil der Essener Genossen durch
rüdes Betragen unvorteilhaft hervorhob, die Wahlhand-
lung durch Geschrei, Gelächter, höhnisches Anpöbeln üer
nationalen Wähler, namentlich aber durch lümmelhaftss
Benehmen bei Abgabe ihrer Stimmen zu stören. Ter
Wahlkommissar mußte wiederholt die ärgsten Schreier zur
Ruhe auffordern und schließlich noch die Hilfe der Poli-
zeibeamten in Anspruch nehmen. Wir hätten den Leu -
teii, die gern mit der Sozialdemokratie
kokettieren, gewünscht, sich diese HerrenZu-
kunftsstaatler mal i n d e r N ä h e z u b e s e h e n,
wie sie, die Zigarre im Munde, den Hut auf dem Kovse,
in herausfordernder Haltung vor den Wahlkommissar
traten und dann so zeitraubend wie möglich unter Husien,
Protestieren und lärmenden Aenßerungen die Wahlhand-
lung zu stören suchten. Einige besonders talentierte Jüngcr
Bebels hatten sogenannte Ana r ch i stenb o mb e n,
Stinkbomben mitgebracht, die sie in der Nähe des
Wahlbureaus zum Platzen brachten. Unter dem hölli-
schen Gestank dieser Dinger hatte das Wahlbureau am
meisten zu leiden, da seine Mitglieder natürlich auf ihren
Plätzen ausharren mußten. Leider fand man später nur
die geloerten Schachteln und konnte so wenigstens die Ur-
sache des Gestanks seststellen. Die Täter sind bis jent
leider nicht ermitt-elt. Bezeichnend sür die „Krilturhöhs"
einzelner Genossen ist der Vorgang sicherlich."

Man sollte meinen, di-e Partei -arbeite seit dev Dres-
dener Tagung mit Gswalt -darauf hin, -die „M itläu-
fer" wicder Ios zu werden, die ihr im Juni zu
dem Dreimillionen-Erfolg verholsen haben. Ilns soll es
recht sein.

DeMches Neich.

B e r I i n, 25. Nov. Der Kaiser hat an den Leiter
der deutschen Südpolarexpedition, Professor W. Dry-
g a I s k i, folgendes Telegramm gerichtet:

Jch sende Jhnen, den Mttgliedern der Südpolarexps-
dition iind der Besatzung 'des „Gauß" bei der Rückkehr
in die Heimat meinen kaiserlichen Gruß. Jch spreche
Jhnen meine Freude aus, daß Sie durch Gottes Fü-
gung wieder wohlbehalten die Heimat erreichten.

W i l h e I m I. K.

— Na-ch einer Vlättermeldung ist Professor Moritz
Schmidt, der den Kaiser operierte, zum Wirklichen
Geheimen Rat mit dem Prädikat Exzellenz ernannt
worden.

Neues Palais, 25. Nov. Das heiite ausge-
-gebene Bu11etin lautet: Die Operationswunde an dsr
linken S'timmlippe ist seit dem 19. November vernarbt.
Der Kaiser bedarf noch einige Zeit der Stimmschonung,
bis die Narb-e Hinreichende Festigkeit gewonnen hat. Der
Kaiser .gebraucht jetzt eine Massagekur des KehlkopfeS,
verbunden mit Stimmübungen. Voraussichtlich wird
innerhalb einiger Wochen 'die Stimme wieder völlig ge°
brauchsfähig werden.

— Die „Nordd. Allg. Ztg." veröffentlicht einen Aus-
zng des Entwurfs des Reichshaushaltsetats für 1904. Die
Einnahmen anZölIen , Verb r a u.ch s ste uern und
Averseu werden danach auf 811 682 980 Mark
(-s- 1 430 100 Mk.) veranschlagt. Es sollen erbringen
die Zölle 490 869 000 Mk. (Z- 18 306 000 Mk.), Tabak-
: steuer 11 865 000 Mk. (— 457 000 Mk.), Zuckersteuer
: 105 322 000 Mk. (— 8 307 000 Mk.), Salzsteuer

- 60 306 000 Mk. (-st 1 233 000 Mk.), Branntweinstensr

! n) Maischbotttchsteuer 12 776 000 Mk. (— 6 784 000
s Mark), b) 'Verbrauchsabgab'e 106 400 000 Mark

j (— 2 267 000 Mk.), Schaumweinsteuer 4 531 000 Mk.

! Brausteuer, Uebergangsabgabe von Bier 29 650 000 Mk.
j (— 1 296 000 Mk.), zusamm-en 811 608 000 Mark

! (st- 1 428 000 M'k.) Die Einnahmen an Stempelab-

- gaben werden zii 88 866 000 Mk. (— 4 172 000 Mk.)

- angenommen, u. a. die Wechselstempelsteuer zu 11 468 000:
! Mark (— 472 000 Mk.), St-empel-abgabe für Aktien ic.

! zu 17 106 000 Mk. (— 2 678 000 Mk.), für Kauf- und
! sonst. Anschaffungsgeschäfte 12 799 000 Mk. (— 473 000
! Mark), für Lotterielose der Staatslotterien 39 364 000-

- Mk. (-p 710 000 Mk.), der Privatlotterien 4 704 000

- Mk. (— 1 339 000 Mk.), demnach die Stempelabgaben
i zusammen 74 762 000 Mark (— 3 746 000 Mark). —
! EinVergleich des E t a t s a n s a tz e s- -derMarine für 190-4
! mit der Geldbed-arfsberechnung znm Ges-etze, betreffend-

die dentsche Flotte, ergibt 226,3 Millionen Mk. gegen
217 Millionen Mark, also sür den Etatsansatz 8,3 Mill.
Mark mehr. — Vei der Reichspost n n d Tele -
l graphenverwaltung sind die Einnahmen auf
480 144 130 Mk. (mehr 23 924 030 Mk.) geschätzt. Die
Zahl der Assistentenstellen soll -abermals nm 2000, um
die gleiche Zahl der Stellen sür Unterbeamte im inneren
Dienst und um 800 Stellen für Unterbeamte im Laud-
bestelldienst nsw, vermehrt werden. Als neuer Titel ei>
scheinen hier 639 100 Mk. zn widerruflichen, nicht pen-
sionsfähigen Gchaltszulagm an die in der Provinz Posen
und gennschtsprachigen Kreisen Westpreußens angestellten
mittleren, Kanzlei- und Unterbeamten, so-wie zu wider-
ruflichen Pensionsziilagen sür die in diesen Landesteilen
angestellt gewesenen, dort verbleibenden Bea-mten dieser
Kategorien.

— Der soziäldem-okratische P-arteivorstand hat die
Angriffe gegen Mehring geprüft. Es wurd-e be-
schlossen, Mchring gegenüber den Wunsch auszusprechen,

! er möge die Mitarbeit an der „Neuen Zeit" wieder aus-
j nchmen.

— Fähnrich Hüssener ist ausgefordert worden,

! seinen Abschied einzureichen.

Badc«.

-— Die Zahl der P r i v a t b a h n e n, deren Ein-
nahmen eine Vergleichung niit dem Vorjahre Zulassen, ist
E jetzt auf 18 gestieg-en, da die jüngste derselben, Neckar-
bischofsheim-Hüffenhard, am 16. Oktober 1902 in Be-
! trieb genommen wurde. Jm Personenverkehr ergaben
' sich für Oktober bei 16 Bahnen Mehr- und bei nur 3

Wroblewo -herrscht d'ie Meineidsseuche. Wuttderbarer-
weise blieben nur Hechelski nnd die Hedwig Andruszewska
davon verschont. Die Stellnng der Staatsanwaltschaft
mit dem Sachverständigen Dührssen sei merkwürdig. Es
sei ein Fehler des Gesetzes, daß nicht die Geschworenen
über die Vereidigung entschie'den, sondern das Dreimänner-
kollegium. Schwurgerichte seien manchem ein Dorn im
Auge. Sie werden noch lange zur Frende der Berliner
Staatsanw-altschaft leben. (Heiterkeit.) Jch halte es nicht
für erwiesen, daß der kleine Parcka nach Berlin gekommen
ist. Der Kttabe kann schon zwischen dem 12. und 14.
Januar aus Kr-akau fortgekommen sein. Seine Spur
führte nach Oswice, aber diese hat man nicht verfolgt.
Jetzt sei sie verweht. Redner würdigt die Motive des
Grafen Hektor, Hechelskis und der Hedwig Andruszewska
und charakterisiert Hektor Kwilecki als den Versucher. Er
sei über den Gang des Vorverfahrens unterrichtet. Red-
ner bittet um Verneinung der Schuldfrage. Der dritte
Verteidiger des Grafen, Ryczlowski, sucht diese Aussagen
zu bestätigen. Es sei nicht sottderbar, daß als Hebammc
nicht die Ossowska, sondern die Czwell engagiert, und Dr.
Rosinski so spät gerufen wurde. Wenn 'das Kind der
Frau Meyer über bie schwarz-weißen Grenzpfähle gekom-
men sei, hätten die Zoll-beamten schon aus sanitären Grün-
den die Nachgeburt angehalten. Zudem- stehe fest, daß die
Reise nicht nach dem 17. Januar stattfand. Es stehe so-
dattn dem Hechelski und der Andruszewska das Zeugnis
der zwei adeligen Damen gegenüber, die der Entbindttng
beiwohnten. Rechtsanwalt Chosowski spricht hierauf für

die Knowska und Kwiatkowska. Nach einer Replik des
Ersten Staatsanwalts Steinbrecht, der sich gegen Wron-
kers Aussührungen über -die Voruntersuchung wen'det,
und des Staatsanwalts Müller verzichtet die Verteidigung
auf Erwiderungen, worauf der Vorsitzende um 2^ Uhr
die Rechtsbelehrung beginnt.

Berlin, 25. Novbr. (Prozcß Wcsierski-
Kwilecki.) Dcr Wahrsprnch der Geschwvrcncn lautet:
Allc 5 Angeklagtcn sind nicht schuldig.
Die Kostcn dcs Prozcsses wurden der Staatskasse anfcr-
lcgt, die Haftbcfehle anfgchoben.

Bcrlin, 25. Nov. Als -der Obmann znr ersten Frage^
ob die Gräfin der K i n d e s u n t e r s ch i e b u n g schul-
dig sei, mit lauter Stimme das Nein ausspricht, b-richt
das Publikum spontan in ein vi e l h u n d e r t st i m -
migesBravo aus, was dem Vorsitzenden erneut An--
laß znr Rüge gibt. Während der Obmann die weiteren
Fragen verliest, schallen von der Straße herauf die
Hochruse der M e n s ch e n m a s s e n, die sich vor
dem Kriminalgerichtsgebäude zu Tausenden angesammelt
hatten. Die Gräfin, der sich die allgemeine Aufmerksam-
keit zugewendet hat, hört den Spruch, indem sie ihre
Lorgneüe auf den Gerichtshof gerichtet hat, mit vollster
Selbstbeherrschung an. Mit leb-hafteni Dank an die Ge-
schworenen für ihre ausopfernde Pflichttreue schließt der
Vorsitzende die Sitzung. Me Gräfin w-inkt nach dem
Urteil freundlich mit dem Taschentuch nach dem Zeugen-
raum. Der Graf wirst den Zeugen Knßhände zu. Das
 
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