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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177 - 202 (1. August 1903 - 31. August 1903)
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Wtag, 28. Allgllß 1903.

43. Zahrgllllg.

2V.


^rjch«I»t tüßlich, Tonntag» ««»zenommrn. Prei» mit Famtlirnblättern monatlich so Pfg. in'r HanS gebracht, bei der

bezogen viertcljährlich 1.3S Mk. auSschließlich Zustellgebühr.

>»z«iie,pretS: « Pfz. fttr die Ifpaltig« Petitzeile oder deren Siaum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Gefchäfts. und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme vr» A«»«iz«
«» destimmte« Tagen wird keine Berantwortlichkeit üiirnommen. — Bnschlag dcr Jnserate auf den Plakattafeln der Heibelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fcrnsprecher W.


Die Reichsfinanzen.

Es läßt sich denken, daß die Genossm, Kautsky allen
boran, über diesen Abgeordneten, der eine so unangenehme
Äiahrheit verkündet, aufs höchsts erbittert sind. Aber
eben weil sie das sind, ist dadurch der Beweis erbracht,
b'aß die Sozialdemokratie an ihren r e v o l u t i o n ä r e n
Zielen festhalten will und alle diejenigen Momente
ouszuscheiden sucht, die sie hindern könnten, diese Ziele
zu verwirklichen.

Daß die Rsichsfinanzen fchon feit längerer Zeit nicht
io in Ordnung sind, wie es gewünscht werdm müßte, ift
kein Geheimnis. Der Etat für 1903, enthält im ordent-
lichen Etat eine Zuschußanleihe von 72 Millionen Mark;

- es ist auch sicher, daß, wenn keine Aenderung in dm
Cinnahmeguellen des Reichs eintritt, die mißliche Lage
I>es Reichsbudgets anhalten wird. Denn es ist nur zu
ll>ahrscheinlich, daß die verschiedensten Etatausgabeposten
steigern werden, wie die des Reichszuschusses zur Jnva-
Ildenverstcherung, der Zinsen für die Reichsschuld, der
Pensionen usw., es ist auch sicher, daß zunächst wenigstens
infolge der Herabsetzung der Zuckersteuer von 20 auf 14 Mk.
der Ertrag dieser Einnahmequellen Zurückgehm wird;
höchst unsicher aber ist es, daß die anderen bestehcnden
Neichsemnahmequellen von selbst reichlicher flietzen wer-
den. Lassen doch die bisherigen Erträge der Reichs-
ftempelabgaben darauf schließen, daß im laufenden Finanz-
lahre von ihnen ein recht beträchtliches Defizit herstammen
tvird. Also, daß finanzpolitische Neuerungm in die Wege
geleitet werden miissen, darüber ist wohl nirgends ein
Zweifel. Die verbündeten Regierungen haben sich früher
ichon die größte Mühe gegeben, solchen Eventualitätm,
ivenn sie jctzt eingetreten sind, vorzubeugen. S.owohl in
B'ezug auf dis Neuregelung des finanziellen Verhältnisses
des Reichs zu den Bundesstaaten, wie die Vermehrung der
Peichseinnahmen sind die verschiedensten Vorschläge an
den Reichstag gemacht. Dieser hat sie abgelehnt. Daß
der Reichstag einige neue Steuern eingeführt hat, wis
die Schaumweinsteuer, daß er Erhöhungen der Reichs-
stempelabgäbmsätze angeboten hat, kann unberührt blei-
hen, denn die von ihm angeregten neucn Steuern fallen
vicht zu Buch und seins Steuererhöhungen haben die zur
Peichskasse fließenden Summen eher vermindert als er-
höht. Wenn also die gegenwärtige Finanzkalamität vor-
handm ist, so wird man weniger den verbündeten Regie-
rungen als den Reichstag dafür verantwortlich machen.
Cs ist gut, daß man sich dieses Verhältnis auch für die
Zukunft vor Augen hält. Me Welt spricht von dcr Not-
wendigkeit der Vornahme einer Reichsfinanzreform durch
die verbündeten Regisrungen. Niemand aber weist darauf
hin, daß bisher stets der Reichstag es war, der sich einer
Reichsfinanzreform widersetzte. Hier ist anzusetzen, wenn
wan weiter kommen will. Auf die Dauer wird ja auch
der Reichstag nicht umhin können, die Reichsfinanzen in
Ordnung bringen zu helfen, denn ein Reich mit ungeord-
Nsten Finanzverhältnissen kann bedeutende Leistungen
nicht vollführm. Der Reichstag soll aber nicht etwa wie- :

der meinen, es wäre auch diesmal mit bloßem Flickwerk
auszukommen. Sobald die Finanzreform fällig sein
wird, wird sie auch in umfassender Weise vorgenommen
werden müssen.

Ans dem sozialdemokratischerr Lager.

Jn der Sozialdemokratie gährt und brodelt es zurzeit
nicht wenig. Es sind vornehmlich zwei Fragen, die von
den Parteiführern lebhaft erörtert werden und auch in
der bürgerlichen Presse Aufmerksamkeit verdienen. Da
wird zunächst betreffs des V i z e p r ä s i d i u m s im
Reichstage gestritten, ob die Sozialdemokratie als
zweitstärkste Partei ihren Anspruch auf den Sitz geltend
machen solle oder nicht. Die M'ehrzahl der „Neueren"
und „Borgeschrittenen" hat sich für die Annahme ausge-
sprochen, während der Parteipapst Bsbel, der hier als
ausgefprochen Konservativer erscheint, am Älten festhält
und die Ilebernahme von Verpflichtungen verhindern will,
die seiner Ansicht nach Charakter und Stellung der Partei
erheblich berühren müssen.

Noch unangenehmer als diese Angelegenheit ist den
Genossen vom alten Schrot und Kvrn dis Veröffentlichung
des Hauptwerkes eines sozialistischen Abgeordneten über
Sozialismus und Agrarfrage, in dsm dieser
mit der längst als haltlos erkannten marxistischen Theorie
aufräumt, daß in der kapitalisiischen Wirtschaftsordnung
der Großbetrieb stets dem Kleinbetrieb überlegen sei,
bis schließlich die Großbetriebe an ihrer eigenen Größe
und Unersättlichkeit zu Grunde gingen und aus ihr die
kommunistische Gssellschaftsordnung emporblühe. Unter
dem Banner dieser Lehre sind, so sagt der Abgeordnete
Tr. Daoid, iseit Jahrhunderten die sozialdemokrati-
schen Agitatoren ins Feld gezogen. Für die Jndustrie
mochte es auch zumeist gelingen, die Lehre mit der tat-
sächlichen Entwicklung in Einklang zu bringen. Desto
weniger stimmte sie iu der Landwirtschaft. Der Bauer,
dem man mit untrüglicher Sicherheit vorrechnete,
daß sein letztes Stündlein geschlagen habe, fühlt sich viel
lebensfrischer als der Großgrundbesitzer, der nach der
Behauptung der Agitatoren über seine Leichs hätte trium-
phieren sollen.

Kurz darauf lieferte die deutsche Berufszählung von
1896 den zahlenmäßigen Beweis, daß die Kleinbe-
triebe bis zu 20 Hektar Umfang auf Kosten der grö-
ßeren zugenommen hatten. Der Grund hierfür ist,
daß in der Landwirtschaft jsne Elemente, die in der
Jndustrie den Großbetrieb 'dem kleineren überlegen
machen, entweder nicht vorhanden sind oder eine weit ge-
ringere Rolle spielen. David legt scharf den Wesens -
unterschied landwirtschaftlicher und industrieller Pro-
duktion klar. Hicr handelt es sich nm die Entwicklung
lebender Wesen, 'dort um dis Bearbeitung toter Dinge,
hier nm einen organischen, dort um einen mechanischen
Prozeß. Daraus ergeben sich tiefgreifende ökonomische
Unterschiede. Jn der Landwirtschaft fehlt die sslbsttätige
Kontrolle, die in der Zndustrie jeder Teilarbeiter 'dadurch

Kleine ZeLLuug.

— Blünchcn, 26. August. Eine Veröfsentlichung des
hiesigen Polizeipräsidiums enthält folgende Warnung:
„Nicht selten wird sogen. rotes Viehsalz zur Herstellung
von Bädern gebraucht und wird auch angeblich die Ver-
wendung solchen Sülzes statt .Kochsalz, wsil es billiger
Zu stehen kommt als letzteres, von Aerzten empfohlen.
Es scheint daher nicht überall bekannt zu sein, daß die
Herstellung von Bädern mittels solchen für den mensch-
lichen Genuß unbrauchbar gemachten und deshalb steuer-
freien Salzes verboten ist (Z 20 des Salzsteuergesetzes)
und im Betretungsfalle unter Umständen nicht unerheb-
liche Geldstrafen nach sich zieht und zwar nicht nur für
jenen, welcher Viehsalz dem bestehenden Verbote entgegen
verwendet, sondern auch für den abgebenden Salzhändler,
wenn ihm dsr Verwendungszweck des Salzes bekannt ist.
Zur Vermeidung von Unannehmlichkeiten irgend welcher
Art wird es sich öaher cmpfehlen, zur Herstellung von
Vädern ausschließlich Kochsalz zu verwenden."

— Miihlhnusen i. Thüringen, 26. Aug. Der Arzt
Schloß, dessen plötzlicher Tod zu allerhand Gerüchten An-
latz gab, ist als Opfer eines Due11s gefallen, das er mit
dem Arzte Schwarz, einem der infolge des Streites mit
der Krankenkasse neu hier zugezogenen Aerzte, hatte. Schwarz
wurde als fluchtverdächtig verhaftet.

— B'crlin, 27. August. Um ein Unglück, wie auf der
Metropolitanbahn in Paris, zu verhüten, beabsichtigt die
Verwaltung der Berlincr H o ch - uud Untergrund -
bahn folgende Maßregeln zu treffen: Die Tunnelstrecke

soll elektrisch beleuchtet werden, sodaß es hell Lleibt, auch
wenn die Beleuchtung des Zuges versagt. Dem Zug-
Begleitungspersonal soll es möglich sein, an jeder Stelle
der Bahnstrecke sofort den Arbeitsstrom auszuschalten,
sodaß einerseits alle Züge sofort halten können, auderer-
seits daß die Gleise ohne Gefahr vom Publikum betreten
werden können, da die Kontaktschiene stromlos ist.

— Andrcksche Expcdition? Ein Goldsucher, der bis zum
Polarkreis vorgedrungen ist, will Ueberreste der Andr6-
schen Nordpol-Expedition gefunden haben und hat Teile
einer Ballonhülle mitgebracht. Er erklärt, sie an der
Mackenzie-Vai gefunden zu haben.

— Adalbcrt Matkowsky hat sich im Süden von 'G e -
nua, unweit vom Cafs Portofino, ein herrliches Schloß
gekauft. So ist nun aus dem Spiele Wahrheit geworden,
ruft der Berliner Börsenkourier aus: Genua als Fiesko
auf der Bühne. „Diese majestätische Stadt" rief er dann,
wenn im dritten Akt die Sonne über der Kulissenwelt
aufging, bewundernd aus, der neue Herzog von Genua.
Jetzt sieht er in Wirktichkeit die Sonne in seinem Schlosse
über Genua aufgehen, Fiesko-Matkowsky.

Theater- und Kunftnachrichten.

— Aus Freiburg wird der „Neuen Bad. Landesztg." 'ge-
schrieben: Die Spielzeit am hiesigen Stadttheater beginnt
Mittwoch den 16. September. Zu dem erhaltenen Personal
kommen im Schauspiel zwei Damen und drei Herren hinzu,
darunter Märie Hohenau (Heldenmutter und Anstands-
dame) vom Stadttheater in Heidelberg. Jn der Oper

ausübt, daß er aus der Hand seines Vorarbeiters nuv
ein fehlerfreies Teilprodukt entgegennehmen will. Da-
rum macht sich in viel höherem Maße der Mangel aw
eigenem Jnteresse geltend, den der Lohnarbeiter an den
Tag legt. Hieruuf gründst stch die bedtzutende Ueberlegen-
heit des mit semer Familie für sein Haus und seinen Hof
arbeitenden Bauern über den mit fremden Arbeitern wirt-
schaftenden Großgrundbesitzer. Daraus folgt, daß der
ßa n d wst r t s ch a ft I i ch e KI efi n b!etrieb idurchaus
lebensfähig ift und hoffnungsfreudig in die Zukunft
fchauen darf.

Tentsches Reich.

— Der Ausbildung der Mannschaften der Marine
in der F u n k e n t e I e g r a P h i e foll die größte Auf-
merksamkeit zugewendet werden. Es finden deshalb in
diesem Jahre drei vierwöchige Kurse zur Ausbildung der
Maunschaften in der Funken-Telegraphie an Bord eines
Schulschiffes statt.

— Von den bekannteren Mitgliedern des uational-
sozialen Vereins wird auch Adolf Damafchke, der Vor-
sttzende des Bundes der Bodsnreformer, wie die „Tägl.
Rundsch." erfährt, den Anschluß an die Freisinnige Vet--
einigung nicht mitmachen, sondern neutral bleiben..

— Das Z e u g n i s z w a n g s v e r f ah r en ist dem
„Worwärts" zufolge gegen den Redakteur der „Hilfech
Hildebran'd, eingeleitet worden, weil er sich weigert, den
Verfasser eines Artikels zu nennen, in dem eine Dieust-
anweisuug für die unmittelbar dcn Kreisschulinspektoren
unterstellten Rektoren im Mogierungsbszirk Potsdam kri-
tisiert wird. Hildebrand lehnt unter Hin'weis auf das
Redaktionsgeheimnis jede Mitteilung über den Verfasser
als unmoralisch ab, wofür er mit 100 Mk. Geldstrafe
belegt wurde. Am Dienstag ging nun Herrn Hildebrand
'dle Aufforderung zu, fich am Donnerstag zurn Antritt
der Zwangshaft wegen Zeugnisverweigerung zu stellem

— Mit eineni beIiebteit Z e n t r u m s m ä r ch e n
räumte auf dem Katholrkentage inKöl n der Abg. Trim-
born auf. Er sprach in der Generalversammlung des
Volksvereins für das kathol. Deutschland über die Zu -
nahme der sozialdemokratischen Stimmeu
bei den letzten Reichstagswahlen und sagte dabei:

Dic Wahlen haben gezeigt, daß die kath. Arbeiterschast
gegen die Verführung der Sozialdemokratie durchaus nicht so
gefeit ist, wie man bisher annahm. Wir glaubten, datz die
kath. Arbeiterschaft der sozialistischen Verführung nicht zugäng-
lich sei. Wer halbwegs die neuesten Wahlergebnisse zu leseit
versteht, wird eines andern belehrt sein. Festgestellt muß auch
werden, daß auch das platte Land gefährdet ist. Wie törichi.
ist es, angesichts der heutigen engen Beziehungen von Stadt
und Land zu sagen: Das platte Lcmd ist nicht gefährdet. Jch
halte cs für meine Pflicht, auf den Ernst der Lage hinzuwci-
sen; die Zahlen sollen unsre Gewissen schärfen. (Beifall.) Wir
müssen uns über die Grötze der Gefahr für Kirche und Vater-
land klar werden. (Beifall.) Zur Abwehr dieser Gefahi ist
in erster Reihe notwcndig, datz die Gcschlosscnhcit der kath.
Männer Deutschlands hergestellt und bewahrt wird. Diese Ge-
schlossenheit kann nur der Volksverein herbeiführen, denn er
einigt bei Len schweren wirtschaftlichen und sozialen Kämpfem

sind drei weitere Kräfte gewonnen worden: eine Dame nnd
zwei Herren. An unserem Theater haben wir nun drei Sän-
ger, die den Dzstortitel führen: Dr. Hans Copony, Dr. Paul
Kuhn, Dr. Wilhelm Jung. Jm Schauspiel wurden folgende
Neuheiten in Aussicht genommen: Hauptmann, „Dcr arme
Heinrich"; Jbsen, „Das Fest auf Solhauz" und „Die Wild-
ente"; Hilbe, „Haus Rosenhagen"; Gorki, „Die Kleinbürger"
und „Nachtasyl"; Wilde, „Ladh Windermeres Fächer"; Capus„
„Die Schlotzherrin"; Engel, „Ueber den Wassern". Dazu
kommen noch einige Schwänke und Lustspiele. Jn der Oper
sollen erstmalig folgende Werke aufgesuhrt werden: Massenet,
„Der Gaukler unserer lieben Frau"; Goldmark, „Götz von
Berlichingen" und Donizetti, „Don Pasquale".

Literarisches.

—* Goetl?es Romantcchnik von Dr. Robert Riemann.
(Leipzig 1902, Hermcmn Seemann Nochfolger. Preis 6 Mk.).
Es ist eines der reizvollsten Kapitel aus Goethes praktischer
Acsthetik, das sich Robert Riemann als Vorwurf nahm, um
in die geheime Werkstätte des Dichters einzudringen. Mit
gründlichster Sorgfalt untersucht er den nur schwer zu mei-
sternden, breiten Romanstoff, und gibt damit der Gocthefor-
schung, wie der Literaturkritik überhaupt, einen mächtigerr
Anstotz. Denn nicht nur Goethes Romantechnik wird behan-
delt, sondcrn auch ihr Verhältnis zu Wieland, Hippel, Klin-
ger, wie Riemann überhaupt die Entwicklung des Romans
seit dem 16. Jahrhundert vorzeichnet. Das Buch hat die best-
begründete wissenschaftliche Methode und lätzt das ganze Rüst-
zeug des Gelehrten erkennen. Seine allgemein verständliche,.
auch den Laien unterhaltende Darstellung ist aber ein Vorzug„
der kaum genug hervorgehoben werdcn kcmn. So werden sich
in der hohen Wertschätzung des Buches alle Goethe-Kenner
und -Frcunde einig finden.
 
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