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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 203 - 228 (1. September 1903 - 30. September 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0485

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MtWch, 9. Leptmber 1903. Crstes 4s. AahrgaM. — . ^. 2l0.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. Preis mit Familienblättern monailich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstationen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post

bezogen vierieljährlich l.35 Mk. ausichließlick Zustellgebühr.

Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petttzetle oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für dte Aufnahme von Anzeigen
an öestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf dcn Pla kattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

Zur Pa;astrevolution im „Vorwärts". s

Ueber die auffcillende Tatsache, daß die Re- s
daktion des „V o r w ä r t s" dem sozialdem. Parteipapst s
Debel die Aufnahme zweier Erklärungm a b g e- s
schlagen hat, liegen jetzt folgende nähere Mitteilungen s
vor:

Die Fürftenwalder Sozialdemokraten hatten
danach vor einiger Zeit eine Resolution angenommen, in !
der empfohlen wurde, die Frage der Taktik der Partei s
nn künftigen Reichstag auf die Tagesordnung des Dres- ;
äener Parteitages zu setzen, dagegcn die Vizepräsi- !
aentenfrage „als eine verhältnismäßig unbedeutenüe s
Angelegenheit" nicht auf dem Parteitage zu verhandeln. s

Das wallte Bebel nicht behagm: er nahm in der „Leip- -
Ziger Volkszeitung" dagegen Stellung. Die Fürsten- s
b^alder waren nicht maulfaul, sie antworteten spornstreichs s
^lit einer Erklärung in dem sächsischen Blatt, die ihrs !
Haltung begründete. Bebel hielt es für nötig, den eigeu- !
Nnnigen Fürstenwaldern in einer Erkläruug deu Text
su lesen, die er dem „Vorwärts" einsandte. Und nun
geschah das Unglaubliche: Dex „Vorwärts" v e r-
^^igerte dem auerkannten Parteikommandanten den
Abdrnck seiner Expektoration! Der leitende Vorwärts-
^edakteur Eisner telegraphierte an Bebel nach Küsznacht
ain 30. August: „Brief über Jhre Erklärung unter-
wegs/- Um 1 September traf der so angekündigte Brief

Küßnacht ein. Er enthielt die, wie Bebel sagt, „in den
beweglichsten Ausdrücken" abgefaßte Bitte, im Jnter-
^ 1 se der Partei von der Erklärung abzusehen. Zu-
Lleich mit diesem Briefe erhielt Bebel seine Erklärung zu-
r'ückgesandt.

Das war noch nicht dagewesen. Aber Bebel
hatte den Brief nicht erst abgewartet. Er hatte inzwischen
woch andere Erklärung an den „Vorwärts" ge-
landt, die sich gegen den Genossen Heine wandte. Sek-
lger Genosse hatte nämlich in einer Berliner Parteiver-
lannnlung am 25. August die Angriffs gegen Bernstetn
ülkgen dessen Aufrollung der Vizepräsidentenfrage kriti-
Iwrt und dabei von Vebel beiläufig zu behaupten gewagt:
Bebels Entfernung von Berlin habe ihn zu eiuer falschen
Beurteilung des Vorgehens Bernsteins geführt. Gegen
blese milde Rüge wollte sich Bebel verwahren, infolgedessen
'iatts er die Erklärung gegen Heine dem „Vorwärts" zu-
lle>andt. Er wandte sich in dieser Erklärung gegen Heines
"-wrwurf, die Angriffe gegen Bernstein seien „maßlos und
^nzutreffend", und sie seien „geeignet, die Freiheit der
wberzeugung und des Wortes innerhakb der Partei zu
llefährden". Bebel bemerkte in seiner Gegenerklärung mit
rutlicher Bezugnahms auf die Rsvisionisten, wer im Glas-
Oause sitze, solle nicht mit Steinen werfen, und uuterstellte
. wri Genosseu Heine, dieser würde mit den Antirevisionisten
b°al umspringen, das heißt ihnen die Meinungsfreiheit arg
Erkürnniern, wenn er die Macht dazu» bssäße.

Auch vchsg Erklärung ist vom „Vorwärts" nicht abge-
worden. Jnzwischen geriet Bebel auf das die erste
^adrncksverweigerung ihm ankündigende Telegramm des l

„Vorwärts" in gewaltigen Zorn, er telegraphisrte, er
verlange diesofortige Aufnahme des Artikels als „sein
gutes Recht, von dem er sich unter keinen llmständsn' ab-
bringen lasse", und ebenso verlangte er die Aufnahme
einer Erklärung gegen Heine. Die Redaktion des „Vor-
wärts" wandte sich nnnmehr an die Borstanüsmitglieder
Auer und G e risch, stebilIigten die Haltung der
Redaktion, worauf diese wiederum unter Darlegung des
Sachverhalts an Bebel schrieb, daß man die Aufnahme sei-
nsr beiden Erklärungen verweigern müsse. Ganz
besonders aufgebracht scheint Bebel gegen Auer zu sein,
„desseu Bevormundungsverfahren den vollständigen Tod
jeder Meinungsfreiheit bedeute". Er spricht von einsm
Gewaltakte, einer an ihm verübten Gewalttat und „einem
in der Partci noch nicht dagewesenen Streitfalle", für
den er in der Parteiversammlung in Dresden Genugtuung
fordern werds. Offenbar ist Bebel ganz außer stch, daß
ihm, dem anerkannten Führer der Parrei, vom amtlichen
Parteiblatt die Einrückung von Erklärungen verweigert
wird, und man muß zugeben, daß ein solcher Fall etwas
überaus Merkwürdiges hat. Die Frage, ob .Bebel oder
ob der „Borwärts" mit Auer sachlich recht hat, interessiert
uns nur sehr nebensächlich; dssto mehr die Gehorsams-
verweigerung und Auflehnung des „Norwärts" und zweier
so einflußreicher Abgeordneteu wie Auer und Gerisch gegen
den Willen des bisherigen Parteigewaltigen, der >es offen-
bar noch gar nicht fassen kann, daß man im Vorwärts
seine Autorität nicht mehr als ausschlaggebend anerken-
nen will. War es schon früher mit Sicherheit anzunehmen,
daß die Verhandluntzen in Dresden sich recht interessant
gestalten und daß dort starke Gegensätze aufeinander-
platzen würden^so werden jetzt die Sitzungen stürmischer
werden als je zuvor. 'Die Politik der Alten nnd der
Jüngen wird sich hier gegenübcrtreten, und Bebel wird mit
allsn Mitteln seines alten Einflusses und feines großen
Temperaments versuchen, mit den Vollmar, Bernstein,
Heine, Auer und Gerisch eine solche Abrechnung zu halten,
daß 'diesen ein für allemal die Lust zum Opponieren
und Zu eigensn Meinungen vergehen soll. Der Einfluß,
den Debel auf die Genossen ausübt, ist nicht zu unter-
schätzen, aber wie Vollmar so ziemlich den Süden beherrscht,
so ist auch die Bedeutung von Auer und Heine so groß,
daß es Vebel nicht eben leicht fallen wird, dagegen auf-
zukommen. Daß aber diese Abgeordneten entschlossen
find, 'dsn Kampf gegen Bebel aufzunehmen, ergibt sich
aus der Verweigerung der Zulassung der Bebelschsn Er-
klärungen. Jeder der Bebels Temperament so genau
kennt, wie Auer und Gerisch, mußte wissen, welche Folge
die Weigerung haöen würde; wenn sie trotzdem so handel-
ten, wie es geschehen ist, so bedeutet das, daß sie sich stark
genug fühlen, auf dem Parteitage ihre Stellung gegen
Bebel erfolgreich zu vertei'digen.

Berlin, 8. Sept. Die P r e ß - K o m mi s s i o n des
„Vorwärts" veröffentlicht in diessm eine Erklärung,
in welcher sie das Verhalten der Redaktion iu der bekann-
ten Bebelschen Angelegenheit mißbilligt. .Wenn
Bebel die bestehenden Jnstanzen angerufen hätte, wäre

Kleine Zriiurlft.

.. .— Hochschulnachrichten. Der Privatdozent an der Berline
, ütz^rsität, Dr. L. I u st i, wurde zum a. o. Professor iu de
Äsipivphischen FakultA der llnivcrsität Halle ernannt. —Au
sn r z p ii x g wird gcmeldet: Ter ordcntliche Professor de
Mttestamentarischen Exegcse und der biblisch-orientalische
^prachen an dcr hiesigcn Universität, Gehcimrat Dr. v o
° lz , wurde auf Ansuchen von der Verpflichtung zur Ab
llfUtung oon Borlesungen enthoben. Der Privatdozent an dc
Mgen Nniversität, Dr. Hehn, wurde zum außerordent
Schw Professor crnannt und übernimmt die Lehrfäche

— Köln, 7. Sept. Das hiesige Kriegsge^icht
"Er 15. Division oerurkeilte chen Unteroffiziec schott
jahrelang fortgesetzter Mißhandluug Unter-
Sebener durch Faustschläge ins Gestcht, Fusztritte gegen
den Leib, Schläge mit Peitschen, Pferdezeug usw. zu 1
>;ahr tz Tagen Gesängnis uud Degradatiou, vou 12 mst-
^ugeklagtsn Kanonieren, die Schott zu ähnlichen Miß-
handluirtzen angesttstet hatte, wurden 9 zu Gesängnis-
"rafen vou 3 Tagen bis 4 Wochen verurteilt.

— Königsbcrg, 8. Sept. Bei der hiestgen Manö-
^rübung bei'Ortelsburg fmd der Hartungschen Zei-
zufolge ein Jäger und ein Ulan am Hitzschlage
Oestorbeu, em Jäger und drei Ulanen schwer erkrankt.
ljußerdem siud eine Anzahl von Soldaten in ärztlicher
^handlung.

, ^ Hannover, 8. Sept. Aus dem Kasino des Königs-
llanen-Rsgiments ist der gesamte Silberlchatz, 400 «tück,
«arunter die Geschenke des Kaisers, g e st o h l e n worden.

— Jlmenan, 8. Sept. Jn dem schwarzburg-sonders-
hauseu'schen Dorfe Penuewitz bei -Gehren brach gestern
Nachmittag Feuer aus, welches bei dem herrscheuden
Sturm io schnell um sich griff, daß im Verlaufe einer
Stunde drsißig Wohnhäuser iu Flammen
standen. Bei den Löscharbeiten fehlte Wasser. Bis 8 Uhr
abends, wo das Feuer auf seinen Herd beschränkt war,
wareu 44 Wohnhäuser und 44 Nebengebäude völlig uie-
dergebrannt. Meuschen sind uicht umgekommen. Etwa
60 Familien sind obdachlos. Das Feuer soll
durch Kin'der ausgekommen sein, die mit Streichhölzern
spielten.

— Altcnahitz 6. Septbr. Die diesjährige ordentliche
Hauptversammlung des Verbandes deut-
scher T o u r i st e n v e r ei n e fand gestern hier unter
dem Vorsitz des Direktors Prof. Dr. Luthmer-Straßburg
statt. Ersch'tenen waren, der „Frankf. Ztg." zusolge, De-
legierte von 19 Touristen-Vereinen aus dem ganzen deut-
scken Reiche. Nach dem Geschäftsbericht des Vorsitzenden
zählt der Verband jetzt 53 Vereins, die eine Mitglieder-
zahl von 120 000 repräsentiereu. Der erste Teil des vom
Verband herauszugebenden dsutschen Wander-
buches rst erschienen und behandelt Süddeutschlaud,
redigiert vom Obersekretär Ströhmfeld-Stuttgart; er wird
auch 'den zweiten Band, der Miüeldeutschland umfassen
soll, bearbeiten. lleber den Vsrkehrsausschuß in Frank-
furt a. M. berichtete Wilh. Staufsen, daß die Frankfurter ;
Zentral-Touristen-Auskunftstelle stark in Anspruch ge- '
nommen worden sei. Billige Sommerfrischen im Preise

eine Verständigung herbeigeführt worden. — Jm Anschluß
hieran erklärt die für die Augelegenheit verantwortliche
Rsdattiou, daß sie diesen .Veschluß der Preßkonmttssion
schon deshalb nicht akzeptieren könne, weil die Zuschrifk
Bsbels über die Furftenwalder Resolution gar nicht ab-
gelehnt, sondern dieser nur um eine Abänderung ersucht
worden fei.

Deulschcs Neich.

— Auf dem Verbandstag deutscher Gewerbe-
vereine in Mainz am 7. d. Mts. referierte zum ersten
Punkt der Tagesordnung: „P e n s i o n s k a s se fü r
selbständige G e w e r b e t r e i b e u d e" der Vor-
sitzeude der Jnvaliden-Bersicherungsanstalt für das Groß-
herzogtum Hessen, Regierungsrat Dr. Dietz - Darmstadt.
Er trat dafür ein, daß die Reichsinvaliden-Verstcherung
auf aIle Handwerker ausge § ehnt werde. Zum
Schluß seiner Ausführungen empfahl Redner folgendsn,
von Herrn Geißler-Kempten geftelltew Antrag zu geneh-
migen:

„Die Hauptversammlung des Verbandes deutscher Gewerbe-
vereine zu Mainz beschlietzt:

/e. Die Vereinsborstände zu ersuchen, mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln dahin zu wirken, daß die selbständigen Hand-
werker von dem Rechte der Selbstversicherung bezi.ehnngsweise
Weiterversicherung gemätz Paragraph 14 des 'Jnvalidenver-
sicherungsgesetzes Gebrauch macheu.

L. An den Herrn Reichskanzler (Reichsamt des Jnnern)
die Bittc zu richten: ?

1. Die Frage der Erstreckung der Jnvälidenbersicherungs-
pflicht auf alle selbständigen Handwerker einer eingehenden
Prüfung zu unterziehen und die zu ihrer Herbeiführung erfor-
derlichen Maßnahmen in die Wege zn leiten, indem durch
Gesetz das Jnvalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1890
auf alle selbständigen Handwerker ausgedehnt wird;

2. für den Fall der Ausdehnung der Versicherungspflicht auf
selbständige Handwerker ferner in Erwägung zu ziehen, ob nicht
durch 'Schaffung weiterer Lohnklassen (Paragr.
82 des Jnvalidenversicherungsgesetzes) auch Renten von höhe-
rem Betrage gewährt werden können."

Bei der Aüstimmung wurde der Antrag mit großer
Majorität angenomme n.

— Wegen Beleidigung wurds kürzlich in Bisle-
feld der verantwortliche Redakteür der -dortigen sozial-
demokratischen „Volkswacht", Hoffmann, zu 3 Mark Geld-
strafe svtl. 1 Tag Haft verurteilt. Der Kläger, Kaplan
Bendler, hatte während des Wahlkampfes in einer Zen-
trumsversammlung behauptet, die Sozialdemokratie habe
gegen das Wuchsrgesetz gesttmmt. Jn dem diese Unter-
stellung zurückweisenden Artikel hatte die „Volkswacht"
den Kaplan einen Lügner genannt, was diesen zur Klage
veranlaßte. Das Gericht begründete fein Urteil folgender-
maßen:

Die Ausführungen in dem Artikel seien in dem allgcmeinen
Wahltone gehalten. Es sei ja bekannt, daß zur Wahlzeit etn
starker Tabak angewendet werde. Aber in der Form sind die
zulässigen Grenzen überschritten worden. Der Beklagte habe

von 2 bis 3 Mk. prv Tag sind in 76 Fällen nachgewiesen
worden. Geeignete Adressen haben hauptsächlich der
Odenwald-K'luch der Vogelsbsrger Höhenklub, der Spes-
sart-Touristentzerein Hanau, der Rhön- und 'dsr Harzklub
aufgegeben. Rückgang des Verkehrs melden die Seebäder
und das bayerische Hochgebirge; in Baden, Württemberg
und in der Schweiz nimmt der Fremdenverkehr zu. Einen
längeren Vortrag hielt Pfr. Löscher-Zwönitz (Erzgebirge)
über studenten- und' Schülerherbergen, eine Einrichtung,
deren Heimat Oesterreich ist und von Osten nach Westen
vordringt. Der Hohenelber Verein umschließt die Ver-
eine, die sich mit dieser Einrichtung befassen; er zählt jstzt
164 Herbergen, 99 in Oesterreich und 55 in Deutschland.
Unabhängig davon sind die Herbergen im Harz. Es be-
stehen solche im Eulengebirge, Riesengebirge, in der böh-
mischen und sächsischen Schweiz, im Erzgebirge, Böhmer-
wal'd usw. Auch Zoptzot und Midroy an der Ostses haben
sich zur Einrichtuug solcher Herbergen bereit erklärt. Die
Kosten sind nicht hoch; sie stellen sich durchschnittlich auf
30—45 Mk. jährlich für einen Verein. Ein Antrag des
Erzgsbirgvereins, der Verband wolle die Einrichtung von
Studenten- und Schülerherbergen im Bereich der ange-
schlossenen Vereine möglichst fördern und dahin wirken,
daß die bestehenden un'd neu sich bildenden derartigen
Herbergeu dem bewährten deutsch-österreichischen Ver-
bande dsr Studenten- und Schülerherbergen stch anschlie-
ßen, wird angenommen. Als Ort 'des nä-chstjährigen
Touristentages wird Heidelberg gewählt, als Zeit
der 10. bis 12. September.
 
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