Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229 - 255 (1. Oktober 1903 - 31. Oktober 1903)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0639

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
(Rrstes Blntt

I-mMg, 1. SN«ikk IM,

Trscheint täglich, SonntagS auSgenommcn. Preir mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in'S HauS gebracht, bei der Expedition und den Zwcigstationen abgeholt 40 Pfg. Durch di« Post

bezogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschlietzlich Zustellgebühr.

AnzeigenpreiS: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Psg. Für hiesige GeschäftS- und Privatanzeigen ermätzigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bcstimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

An <ISe imgüdelÄen MSnner Saäenr.

Der Wahlaufrus der Nationalliberaleu Partei, welcher
Unter unserer Mitwirkung zu Stande kam, ist erschienen.

einem besonderen Ausrufe weuden wir uns an Euch
und legen Euch die Ziele der Nationalliberalen Partei dar. i
Die Jugend ist vor allem berufen und befähigt, die z
Mr dsx. Sammlung der liberalen Elemente unerläßliche !
T^rganisation in die Wege zu leiten und durchzusühren, z
haben die jungliberalen Vereiire Badens bewiesen. ^
^hre Arbeit hat sich bei den vergangenen Reichstagswahlen j
bewährt. j

Stolz und mit frischem Mute dürsen wir daher von ^
UEUeni ans Werk gehen, um in unverdrossener Tätigkeit ^
nationalen Liberalismus zum Siege zu führen.

H o h c A u f g li b c n hat das Politische Leben in Ba- !
zu erfüllen. Sie crfordern aber maunhafte Be- j
^tigung cntschicdcner nnd wahrhast libcraler Gesinnnng. -
Wir sordern sür den badischen Landtag an Stelle des
^nd'irekten Wahlrechts das allgemeinc, gchcimc, glcichc, s
oirekte Wahlrecht ohne Kantelcn. i

Gleichzeitig erachten wir eine andcrc Wahlkrciscintci- s
für unbedingt notwendig, wobei die Städtc in gc - j
trenntc Wahlbczirke einzuteilen oder in deuselüen das !
'proportionalwahlverfahren einzuführen wäre.

Das Gebiet der Schnle bedarf einer dnrchgreifenden I
^eforM. Ww wollen insbesondere erhöhte Volks- f
" u d L e h r e r b i l d u n g , Erweiterung der II n- ;
t^rrichtszeit der einfachenVolksschule,k
^erminderung der Schülerzahl der ein- !
beInsn K' lassen, w i r t s ch a f tl i ch e Besser - z
l^ellung des Lehrerstandes, ausschließ- j
sachmännische Schulaufsicht und aus- !
Ichließliche Erteilung des Religionsunterrichts durch die
Geistlichkeit.

Die Einkommcnsverhältniffe sämtlichcr Beamtcn nnd
^tantsbcdienstcten müssen den Anforderungen der Ncnzcit
bntsprechend gcrcgclt werden.

Wir halten an der Sclbständigkeit der badischcn Eiscn-
olihncn sest. Der Frage der Eisenbahn- oder Be-
i e'b D g e m e i n s ch a ft mit ande'ren Bundesstaaten
Eönnten wir nur dann näher treten, wenn Baden der
Lebsthrende Einsluß auf die Stellenbe-
tetzung, die Verwaltung, den Betrieb und
^ a n der E i s s n b a h n I i u i e n ge s e tz l i ch g e w ä h r-
^eistet wird.

Wir verlangen, daß die Großh. Regierung auf genaue
^inhaltung der mit der Rcichspostbcrwaltung festgesetzten
"^creinbarungen über Stellenbesetzung und Ma.

Eli r i a l I i e f e r u n g besteht.

Steuerborlagen der Regierung werden wir nach dem
^cundsatze der g e r e ch t e n V e r t e i I un g der S t a at s-
iaste n prüfen.

Den Auswüchsen des Warenhaus- und Ausvcrkanfs-
ivcscns treten wir entgegen, indcm wir eine energijche
Handhabung der bestehenden Schutzgesetze
öerlangen.

Deutsches ReLch»

— Jn der Rede, mit der kürzlich der Reichskanzler
Graf v. Bülow beim Befuch der deutschen Städteausstel-
lung in Dresden die Ansprache dss dortigen Oberbürger-
meisters Beutler beantwortete, wies'er darauf hin, daß man
die Männer, die an der Spitze der deutschsn Großstädte
stehen, mit Stolz zu den besten Arbeitern im Dienst des
Gemeinwohls zählen dürfe. „Aus diesen Kreisen der
Städteverwaltung", so fuhr der Reichskanzler fort, „sind
Männer Hervorgegangen, die sich an anderen leitenden
Stellungen als erstklassige Diener ihres Staates bewähri
haben, und ich denke, wir werden noch manchen Bürger-
meister als Minister oder O b e r p r ä s i d e nt e n
erleben." Die „Magdeb. Ztg." bezieht diese Anspielung
auf die Herrm A d i ck e s - Frankfurt und Becker-
Köln.

— Jm „Vorw ä r t s" werden die Auseinandsrsetzun-
gen der Sozialdemokratie vom Dresdener Partei -
tage lustig fortgesponnen. Dieses Mal redet Herr
Stadthagen mit seinem Fraktionsgenossen Heinrich
Braun „Fraktur". Er schließt seine Epistel mit den

Wir fördern die Bestrebungen des Handwerkerstandes, ,
welche abzielen auf Pflege des gewerblichen Un- ?
terrichts, Betämpfung der Auswüchse des !
S u b m i s s i o n s w e f en s, der K r e d i t w i r t s ch a f t ,
und auf Schutz des s e I b st ä n d i g e n Hand-
w e r k e r s.

Wir unterstützen kräftig alle Bestrebungen der Regie- s
rung zum Schutze der Landwirtschaft, des Handels und der
Jndustric und auf dem Gebiete der Arbeiterfürsorge. Deu-
Schutz des wirtschaftlich Schwachen, des Arbeiters, des
Kleinhandwerkers, des kleinen Bauern, des kleinen Be-
amten betrachten wir als eine Forderung der sozialen Ge-
rechtigkeit.

Auf kirchcnpolitischem Gsbiet bekämpfen wir die kon-
fessionelle Ueberhebung und die konfessionellen Uebergriffe
jeder Art.

Hier begegnen wir dem Zcntrnm als unserem Haupt-
fcind.

Wir sind gegen die ZuIafsung der Män n e r-
klöster in Baden. Wir bestehen auf Veibehaltung
Ler gemischten Schulen und verlangen die E i n-
führung gemischter Lehrerseminare.

Freiheit der Lehre und Forschung ist unsere
Losung für die HochschuIen.

Jungliberale Männer! Auf zum Kampf für unsere
Zisle!

Heißes Ringen tut not, damit unsere Forderungen
erfüllt werden.

Darum organisiert Euch, tretet allerorts den
j u n g l i b e r a l e n V e r e i n e n b e i und unterstützt
nach Kräften die Gründung neuer Vereine. Nur
Lie Einigung aller liberalen Elemente
führt uns zum Sieg.

Dcr Landcsvcrbaud der jungliberalen Bcreine Badens.

Worten: „Von einem Heinrich Braun ver-
dächtigt zu werden, halte ich für benesi-
denswert." Herr Braun gibt eine neue Zeitschrift
heraus, deren erste Nummer eben erschienen ist. Ueber
diese Wochenschrift verhängt der sozialdemokratische Partei-
vorstand alsbald den großen Bann durch folgende Er-
klärung: „Auf Anfragen, wie der Parteivorstand zu Ler
von dem Genossen Dr. Heinrich Braun herausgegebenen
Zeitschrift „Die neue Gesellschaft", Sozialdemokratische
Wochenschrift, steht, erklären wir, daß dieses Unternehmen
ein reines Privatunternehmen ist, mit dem der Partei -
vorstand nichts gemern hat und für dessen Pro-
paganda ^diejenigen Parteiunternehmungen, für deren
Verwaltung Ler Parteivorstand verantwortlich ist, nicht in
Anspruch genommen werden können."

Baden.

— Der Wahlaufruf des L a n d e s v e r b a n--
des der j u n g l i b e r a I e n Bereine, den wir an Ler
Spitze des heutigen Blattes veröffentlichen, deckt sich im
allgemeinen mit dem der nationalliberalen Partei und ist
nur in einigen Punk'ten schärfer gefaßt. Wir hoffen, dast
er in seiner entschiedenen, flotten ReLeweise die Jugend'
ansprechen wird und empfehlen ihn der Aufmerksamkeit
und dem Studium des Lesers.

— Die „Kraichgauer Zeitung" nennt stch von jetzt ab
„Bruchsaler Zeitung". Jhren alten Namen be-
hält sie als Nebenbezei-chnung bei.

Prcußcn.

Berlln, 30. Sept. Jn sechs s o z i a l d e m o k r a--
tischen Versammlungen wurde gestsrn Abend über die
Brandenburger ProvrnziaüKonferenz und Len DreWener
Parteitag berichtet. Vor Eintritt in die Tagesordnung,
wurde das Flugblatt über den Streik Ler Omnibus-Ange-
stellten verlesen und bezüglich der Landtagswahlen eine
Resolution angenommen, in der gegen die Anberaumung
der Wahlen für die 3. Klasse auf 3 Uhr nachmittags pro-
testiert wird. Die Berichte über die Parteikonferenz bil-
deten 'die Abrechnung über die für Wahlzwecke veraus-
gabten Beträge. Jn allen Versammlungen, die sämtlich
gut besucht waren, zeigte sich Unzufriedenheit mit
dem Verlauf des D r e s d e il e r P a r te i t a g e s, der als
unproduktiv bezeichnet wurde. Jm Gewerkschaftshause hielt
Singer eine große Rede gegen die Revisionisten. Nach leb-
hafter Debatte gelangte eine Resolution zur Aunahme, in
welcher dis Beschlüss« des Parteitages gut geheißen werden
und gegen die unnütze ZeitverschwmLung für persönliche-
Auseinandersetzungen protestiert wird.

Mccklcnbnrg.

Schwerin , 29. Sept. Der L e h r e r in a il g e l in
Mecklenburg hat infolge der kläglichen Besoldung der
Volksschullehrer eine bedauerliche Höhe erreicht. Ueber
einen besonders krassen Fall, der aber keineswegs verein-
zelt dasteht, berichtet die „Nsubrandenb. Ztg.": Der zweite
Lehrer Hagsn aus Hohcn-Pritz, der außer der ersten auch
noch die zweite Schulklasse in Hohen-Pritz verwaltet, un-
terrichtet jetzt täglich drei StunLen in öer Schule zu Ko-

Stadttheater.

Heidelberg, 1. Oktober.

„Tchuldig", Drnma in 3 Akten von Rich. Voß.

^ Thomas Lehr, em redlicher Kammis, führte mit seiner
Urau und zwci blühenden Kindern ein Leben Uoll bescheidencn,
B>er tiefen Glückes. als er durch einen unzlückseligcn Zufall
lieuge eines Mordes wurdc, den scin Arbcitsgenasse an dem
öcmeinsamen Prinzipal beging. Welche Umstände es nun im-
^>er veranlafsen mochten lbei Voß ist die Sache etwas unklar),
^chr galt als der Schuldige und wurde zum Zuchthaus auf
^ebenszeit verurteilt. Sein Weib mit den Kindern machte
alle Erniedrigungen der Not durch. Ein Jndividuum drängts
iich ihr zum Beschützer auf und beutete ihre elende Lage nach
Plen Richtungcn aus. 20 Jahre hat sie dies Leben erduldct.

Tochter betäubt die Empfindung des Elends, die im Hause
ssr Mutter und des Quasivaters, einer Kellerwirtschaft übelster
^vrte, nicht von rhr weichen kann, durch Vergnügungen, die
sjpc bunte Abwcchslung in ihr Dasein einer Ladnerin hincm-
vringen. Der Sohn, ein Malergehilfe, bringt seine Nächte
jsach der Darstellung des Herrn Voß aus den Umsturz des Be-
llehenden sinnend in einem Wahlverein zu. Heute hat er fich
stztschwsstn, diesem Kreise fern zu bleiben, er trintt sich bei
leiner Mutter Mut an, dcnn mit einem Beil will er den Kerl
?us der Welt schaffen, der seine Mutter aufs tiefste erniedrigt
Pit und seine Schwester zu Zwecken des Gewinns zur Dirne
jUachen möchte. Aber es kommt zunächst nicht zum Morde.
Zfe Mutter ist ganz gebrochen, ihr Wille ist ganz paralhsiert;
stw damals das Unglück über sie hereinbrach, hat ste keinen
stohen Tag mehr gehabt, ja nicht einmal den Trost hatte ste,
Lren Gatten unschuldig zu wissen. Sie glaubtc ihm nicht.
stcr Mann, der an seine Stclle trat, hat ihr alles gcnommen.
fstre, Reinheit und freien Willen. Dies ist Thomas Lehrs Fa-
'stUe. diesem Kreisc soll sich das abspielen, was man
k'ne Heimkehr nennt. Tenn der Zufall will es, daß der

Mordbube von damals als reicher Mann auf der^Durchreise
durch die Stadt, die der Schauplatz seiner Untat war, erkrankt
und ein Geständnis ablegt. Das Drum und Dran dieses
gweimaligen Geständnisses füllt den ersten Akt. Die beiden
andern hcmdeln von Lehrs Heimkehr. Wir vergegenwärtigen
uns, daß diefe an dem Tage erfolgt, da Lehrs Sohn den Pei-
miger seiner Mutter ermorden will. Am gleichen Tage verlobt
sich Lehrs Tochter einem ehrenhaften Manne. Lehr erfährt,
ohne zunächst erkannt zu werden, die ganze Sachlage von seineS
Hauses Schmach und, Elend, hat Gelegenheit, seinen Sohn un-
beobachtet zu sprechen, errät, daß er einen Mord vorhabe, weiß
ihm den nuszureden und wird, nachdcm er mit seiner Frau
ein Wiedersehen gefeiert, Zeuge einer brutalen Szene. Er
erschlägt mit dem Beil, das der Sohn fortgelegt, den Peiniger
seiner Frau. Der Tatbcstand dicses Totschlags, wie er hie und
da sich ähnlich ereignen mag, erweckt jedem, der für das Volk
Augen und Teilnahme besitzt, widerstreitende Gefühle, und ge-
wiß ist es Vielen nützlich, daß vor ihnen das Bild eines solchen
Lcbcnskreises entrollt wird. Das Schema, das Voß zeichncr,
ist richtig: Umriß und Lokal. Aber die Farben, dic Jllumi-
nation! Gustav Kühn in Neu-Ruppin schickt Bilderbogen in
die Welt, wo die Figuren so angetuscht sind, wie hier bei Voß
die Färbung der Handlunz und Diktion ist, der sich seine Per-
sonen befleißen. Keine Spur von Wirklichkeit, Schlichtheit des
Tatsächlichen, Tönen des Lebens, alles Bombast, schöne, voll-
tönende Redensart. Es gibt einen Einakter von Alexander
Kielland, wo ein Mann zu seiner Frau heimkehrt aus dem
Gefängnis, ein einfacher Vorgang, knapp, scharf, ruhig ge-
zeichnet. Herr Voß wird den nicht kennen und nicht kennen
wollen, denn er hat gar kein Organ für das Leben, die Wirk-
lichkeit und die Poesie, die trotz allem und allem darin steckt.

Wenn der Abend so recht verstimmlich war, er gab uns
Gelegenheit, einen Darsteller in der reichen Mannigfaltigkeit
seiner Ausdrucksmittel wählen und damit schaffen zu sehen.
Herr Steinmann zeichnete in Geste, Haltung und Stimme
die Seele eines braven Menschen, den das Leben gebrochen hat,
cr lietz uns hineinsehen in alle Vorgänge des Wiedererkennens,

der Ueberraschung, der Zärtlichkeit, der Berzweiflung. Ev ist
cin Darsteller von großer Sicherheit und Feinfühligkeit. Die
Familie Lehr ward dargestellt von den Damen Huch und
Hartmann und Herrn Eckhof mit beträchtlichem Auf-
wand an Hingabe und Liebe zur Sachc. Diesen Figuren hat
der Schriftsteller fast kein cchtes Wort in den Mund gelegt.
Herr Sigl zeichnete mit ein paar Strichen den scheusäligen
Menschen, der zum Schluß erschlagen wird, ganz vortrefflich.
Von den Darstellern der kleineren Rollen secen mit Anerken-
nung genannt die Herren H o l st e i n und S ch ü t t , Wag -
ner und Plank, Steffens und Brenner.

L. IV.

KLeine Zeiümsi,.

— Berliu, 30. Sept. Jm Prozeß gegen Len Staats»
anwaltsschaftssskretär Baganz nnd Genossen wegen
Amtsverbrechens, bezw. Bestechung wurde Baganz zu vier
Jahren Zuchthaus, die Frau zu sechs Monat Gefängnis'
nnd Aufrecht zu 600 Mark Geldstrafe ev. 60 Tagm Ge-
fängnis, Puchmüller zu 3 Wochen Gefängnis, Ed. Sandem
zu 1 Monat Zusatzstrafe, Störmann zu 4 Monat Gefäng-
nis, Colzin zu 300 Mark Geldstrafe ev. 30 Tagen Ge-
fängnis veriirteilt. Justizrat Raetzel wurde freigesprochen.

— Berlin, 30. Sept. Für das Bennigfendenk-
m a I sind bisher 97 390 Mark gesammelt. Für das Denk-
mal ist in erster Linis eine Vrunnenanlage geplant, air
der das Porträt des Verewigten anzubringen ist.

— Asch, 30. Sept. Die wegen ihrer seltenen Kunst--
schätze und ihrer historischen Vergangenheit berühmte
Kirche in Wunsiedel ist infolge Blitzschlags voll»
ständig n i e d e r g eb r a n n t.
 
Annotationen