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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 256 - 280 (2. November 1903 - 30. November 1903)
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. KcitG N. Ä,mi-r IVZ._Erstes Blatt. 1S. MgW. — ^ M.


8rschei»t tügltch, Sonntag» iu»gmomme». Prei« mit Familienblättcrn monatlich 50 Pfg. in'» Hau» gebracht, bei ber Erveditio« unb ben Zweigstationen abgehe^l »0 Pfg. Dnrch bt« Uoß

bezogen vierteljährlich 1.35 Mk. aurschliebltch Zustellgebühr.

>«,ei,enpr«i»: 20 Pf,. für bte Ifpaltig« Petitzetle oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiefige Seschäft». und Prtvatanzeige» ermätztgt. — Für bie Aufnahme »«« »nzei^a
a» bestimmte» Tagen wird keine Berantwortlichkeil übernommen. — Anschlag der Jnierat auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitnng uud den städttfchen Anichlagftellen. Fernsprecher W.

Zum Prozeß Kwilecki.

Der Prozeß der polnischm Gräfin hat eine viel
^ößere Sensation hervorgerufen, als er an sich wohl zu
eanspruchen hätte. Aber zwei Dinge sind es, die wohl
^öei zusammengewirkt haben, das Jnteresse zu erhöhen.
große Ausdehnung des Prozesscs (die große Zeugen-
und die Haltung des Staatsanwalts und dcs llnter-
^^chungsrichters in diesem Prozesse. Es ist schon oft auf-
ökfallen und erörtert wor-den, warnm gerade Berlin so
*^ch an großen Sensationsprozessen ist, trotzdem auch in
anderen großen Städten die Menschen nicht besser sind,
? ^ in Berlin. Der Grund dazu ist wohl darin zu suchen,
auch Staatsanwalt und llntersuchungsrichter in Ber-
großstädtischer sind, als sonst. Man liebt die Sen-
^ion, oder man geht ihr wenigstens doch nicht aus dem
o^ge. Der Staatsanwalt hat die Rechtspflicht, das Ent-
^stungsmaterial ebenso zu berücksichtigen, wie das Bo-
Mtungsmaterial. Das hat der Berliner Staatsanwalt im
ls^ozeß Kwilccki wohl nicht getan, sonst hätte er die An-
^ge nicht erhoben, sonst hätte er nicht Hunderte von
steugen herbeigeschleppt, sonst hätte er nicht die Geschwo-
^^n, die keinen Pfennig für die Ausübung ihres Ehren-
^Mts erhalten, wochenlang ihren -heimischen Avbeiten ent-
^gen. Derselbe Staatsanwalt, der den Geschworenen
.s'gt. wenn sie die Angeklagte nicht verurteilten, würden
^ dem viel angefeindeten Sch'wurgerichtsverfahren das
d^desurteil sprechen und der die kühnen Worte ausspricht,
jeder Preußische Richter auf Grund der Beweisauf-
^ahiuo den jungen Baron für den kleinen Meher im Zi-
..uprozeß erklären würde, derselbe Staatsanwalt muß
bei objektiver Prüfung sagen, daß seine Beweise nicht
^Nreichen ivürden, die angeklagte Gränn dem Gefängnis
iiberantworten. Nicht "däs Gejchworenengvrichr i'sr'
ähuld an dem Fiasko, das Staatsanwalt nnd Staatskasse
^Uiachf haben, sondern einzig und allein er selbst. Die
^taatsanwaltschaft in Berlin ist eben großstädtisch gcwor-
es kommt ihr aus ein bischen me'hr oder weniger
^nsation nicht an. Dädurch erhielt die polnische Gräfin
^Uen Glorienschein, der ihr in Wirklichket nicht gebührt,
das Publikum anerkennt 'bewundernd die Tapferkeit,
n der sie dem großen Aufwand des Staatsanwakts be-

^griete.

Die nächsten Aufgaben des Neichstags.

. Der Reichstag wird am Donnerstag nächster Woche
. luinrnentreten, voraussichtlich aber erst am 9. seine
^ntlichen Beratnngen aufnehmen können. Denn da
w den 8. ein kathokischer Feiertag fällt, ist die Abhaktung
Nei Sitzung am 7. nicht wahrscheinlich. Am 4. findet
P r ä s i d e n t e n w a h l statt und einige Tage müssen
^ Abgeordneten für das Studium des Etats frei haben.
Man annimmt, wird die Zahl der Jnterpellationen,
vornherein regnet, ungemein groß sein. Viel-
kann dadurch die erste Lesung des Etats entlastet
^ben. Vor Weihnachten bleibt nach der ersten Lesung

des Reichshaushaltsvoranschlags schwerlich
Zeit zu Weiterem als zur Erledigung der Borlage wegen
des englischen Handelsprovisorinms und
vielleicht der einen oder anderen Jnterpellation. Zu den
Vorlagen, die dem Reichstage in seiner ersten Tagung
'in der neuen Legislaturperiode bestimmt zugehen werden,
gehören das Militärpensionsgesetz, das Gesetz
wegen der kaufmännischen Gerichte, das A u°
tomobil - Polizei-Gesetz und der Entwurf wegen Ent-
schädigung unschuldig Verhafteter.

Ob von den neuenHandelsverträgen einer
wird vorgelegt werden können, ist einstweilen noch nicht
abzusshen. Von dem schweizerischen wird es für möglich
gehalten.

Der Gesetzentwurf über den V e r s i ch e r u n g s v e r-
trag wird dem Reichstag in 'der ersten Tagung schwerlich
noch zugehen können, da er vor Ende Januar kaum an den
Bundesrat gelangt nnd dieser einige Zeit mit der Bera-
tung zubringen wird.

Was ansozialpolitischenVorlagen außer
der wegen der kaufmännischen Schiedsgerichte in der be-
vorstehenden Session dem Reichstag wahrscheinlich zugeht,
haben wir mehrfach dargelegt.

Delttsches Ksich.

— Die Probefahrten mit dem auf der Kruppschen Ger-
mania-Werft befindlichen Unterfeeboote, das von
einem 'spanischen Schiffsingenieur konstruiert wurde, ha-
ben sich, der „Deutschen Warte" zufolge, derart g ü n st i g
gestaltet, 'daß dis Marinevevwaltung auf Grund dieser
Versuche nnd nvch kingehenden Erwägungen ihre im
Prinzip ablehnende Haltnng in der Unterseebootfrage
' KEü'ZÄ'MMschwssen' IM. Man hat die technischen Ver-
vollkommnungen aller dieser Fahrzeuge genau verfolgt
und wird sich nun mit Rücksicht auf die praktischen Er-
gebnisse bei den Fahrten des Kruppschen Bootes, dessen
technische' Einrichtung wesentlich zur Zufriedenheit funk>-
tionierte, selbst mit Versuchen befassen. Nach Mitteilun-
gen von gut unterrichteter Seite sind in dieser Beziehung
bereits Entschlüsse gefaßt und dis Marineverwaltung wird
demnächst die Beschaffung von Versuchsbooten oer-
schiedener Systeme vorschen. Zu diesem Zwecke soll auch
in 'dem Etat der Marine eine Summe für Versuchszwecke
mit diesen Fahrzeugen Vovgesehen werden.

— Dem Fähnrich Hüssener wurde mit dem gleich-
zeitigen völligen Ausscheiden aus dem militärischen Dienst-
verhältnis der Abschied erteilt.

Badeu.

Karlsruhe, 26. Nov. Der badischeLand -
w i r t s ch a f t s r a t wird am 9. Dezember, vormittags
9^/2 Uhr, zu einer Sitzung hier zusammentreten, welcher
in 13 Punkten eine außerordentlich reichhaltige Tages-
ordnung zugrunde gelegt ist. Zwei Denkschriften über die
Einführung von Probemelken und über den badischen
Tabakbau liegen vor. Sie werden, wie alle Gegenstände

der Tagesordnung, von je zwei Referenten befprochen
werden. Für die erste Denkschrift sind Qekonomierat
Frank hier nnd Stabhalter Schuh-<Irenzhos, für die
zweite Geh. Kommerzicnrat Reiß hier und Bürgermeister
Herbst-Hochstetten als Berichter'statter anfgestellt. Ueber
'dre Förderung der landwirtschaftlichen Buchführung wer-
den Bürgermeister Dr. Weiß-Eberbach und Ockonomierat
Würtenberger-Schloß Ebevstein sprechen. Ersterer, wie
auch Bürgermeister Schüler-Ebringen, werden sodann die
Verbreitung der freiwilligen Alters- und Jnvalidenver-
sichernng in den kleinbürgerlichen Kreisen erörtern, worauf
j die Behandlung von Anträgen lanöwirtschaftlicher Be-
z zirksvereine folgen soll. Den Antrag Emmendingen auf
l Gewährung von Staatsbeiträgen an Gemeinden zur An-
j schaffung größerer landwirtschaftlicher Maschinen werden
j Geh. Regierungsrat Salzer-Emmendingen und Oekonom
Brandenberg-Mosbach, den Antrag Waldkirch wegen wirk-
samerer Förderung der Obstbaumzucht durch staatliche
Mittel, insbesondere Gewährung einer größeren Anzahl
Prämien für die Obstbaumanlagen und Obstbauinpflege,
werden Qekonomierat Würtenbergev-Eberstein und Oeko-
nom Brandenberg-Mosbach, enblich den Antrag Rastatt
wegen Dertilgnng der der Landwirtschaft schädlichen Vögek
werpen Landtagsabgeordncter Dreher-Wittlingen und
Oekonomierat Schmid-Freiburg behandeln. Jm übrigen
beschäftigt sich die Versamnilung mit den Beschlüssen ihrer
letzten Tagung und der letzten Tagung des deutschen Land-
wirtschaftsrats, mit den Denkschriften über den Stand des-
genossenschaftlichen Getreideabscitzes, über die Erhebungen
über den Anbau von feineren Obstsorten und Gemüse auf
dem Felde und der Abänderung 'd-es Reichsviehsenchenge-
setzes, sowie mit dem Jähresbericht der landwirtschastlichen
Versuchsanstalt Angustenburg für 1902 und anderen land-
wirtschaftlichen Fragen, die aus der ZNitte dcr Versamur--
lung gestellt werden sollten.

Aus dev Karlseuhev Zeitung.

— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben
dcm Stadtbauamtsassiftenten, Architekten Johannes Kling
in Darmstadt, die Erlaubnis 'zur Annahmc und zum Tragen
bes ihm von dem Kaiser von Itußlanü verliehenen Stanislaus-
Ordens dritter Klasse erteilt.

— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben
den Geheimen Finanzrat Sahm bei der Steuerdirektion und
dcn Verwaltungsgerichtsrat von Rotteck zu stellvertreten-
den Mitgliedern der Oberrechnungskammer für die Budget-
periodc 1904—05 crnannt.

— Es wurden die Betriebsassistcnten Karl Buff in'
Mannheim, Peter Kaiser in Emmendingen, Georg Dosch
in Wertheim, Richard Schaub in Appenweier, Wilhelm
Reichert in Offenburg und Robert Heidt in Karlsruhe
zu Betriebssekrctären ernannt.

— BetriebSassistent Wilhelm Söhner in Offenburg
wurde nach Haslach versetzt.

Karlsruhe, 26. Nov. D-er Großherzog nnd
die Großherzogin trafen gestern morgen gegen
9 Uhr aus Schloß Baden hier cin. Von halb 10 Uhr an
meldeten sich bei Seiner Königlichen Hoheit eine Anzahl
Offiziere. Um 11 Uhr begaben sich d-ie Großherzoglichen
Herrschaften nach der Großherzoglich Technischen Hoch-

Meine ZeilANß-

^ Aschaffcnburg, 21. November. (H i st orische r
h ^ d.) Kürzlich wurden bei Klein-Krotzenburg unter-
sm" don Aschaffenburg bei einer Strombefahrnng des
s^Rns durch die Flußbaubehörde unterhalb des Wasser-
f^^els die Reste einer mächtigen Römerbrücke ge-
»on Manche Pfeilerfunpamente erwiesen sich ais
^ i vollkommen gut erhaltm. Jn den letzten Tagen hat
yM Nun auch 'die Reste eines Landpfeilers entdeckt; na-
i,^EIich vso zuständigen hessischen Behörden haben sich
^ ^ie Entdecknng desselben verdient gemacht. Die von
Dchörde veranlaßten Nachgrabungen ergaben das
^iM^ndensein von 8 Pfeilerpsählen von genau der-
^Veschaffenheit, wie sie vorher auch gefunden worden
Länge der inr September aus dem Fluh-
hervorgeholten eichenen Pfeilerpfähle schwcinkt zwi-
Zentimeter und 2 Meter; meistens sind sie ver-
stn ^ otwa 36 Zentimeter langen, zweilappigen, sel-
dreilappigen Eisenpfa-hlschuhen. Jm ganzen wur-
tzc^isher 46 vortrefflich erhaltene eichene Brückenpfeilev-
Ml - ^ns Tageslicht gefördert. Die Römerbrücke hat
^^scheinlich auf 9 Pfeilern gericht.

Ein aufregendes Erlebnis hatten dieser Tage zwei
ih.llziere der Berliner Militärluftschiffer-Abteilung, die
^em Ballon nach neunstiindiger Fahrt in der Ge-
don Leobschütz in Oberschlesien zu landen beabsich-
dlls sich d-er Ballon auf dem sogenannten Hut-
m Neudorf bei Leobschütz niederlassen wollte, er-

faßte ein 14jähriger Knabe beherzt das herabhängende
Tau. Jn demselben Augenblick ging der Ballon wieder
in die Lüfte, riß den Jungen über eine 100 Meter breite
und 16 Meter tiefe Sandgrube hinweg und ließ sich auf
der anderen Seite der Grube nied-er, wo der Knabe von
seiner Todesangst befreit wurde. Er hat bei der Luft-
fahrt wider Willen keinen Schaden, erlitten. Die Lan-
dung selbst ging mit Hilfe herbeigeeilter Dorfbewohner
glatt von statten. Der Ballon hatte eine Höhe von 7100
Mctcr erreicht.

— Eichhörnchcn als Wctterprophctcn. Einen stren-
gen Winter scheinen die Eichhörnchen Vorzuahnen. Jm
Grunewald bei Berlin fand man kürzlich das Vorratsnest
eines Eichhörnchens und entdeckte in demselben nicht we-
niger als 423 Haselnüsse, 39 Eicheln, 121 Buchkerne usw.
Jn vielen Gegenden wird aus der' Reichhaltigkeit der
Eichhörnchen'-Vorratskammern auf einen milden oder
strengen Winter geschlossen.

— Vom Brettl. Mit einer eigentümlichen und wenig
nachahmungswertcn Novität wartete vor einigen Tagen
ein Varietä-Theater im Osten von London seinem Publi-
kum auf. Es war dies ein „Pudding-Weitessen". Das
sogenannte Amüseinent ging in folgender Weise vor sich.
Sechs junge Leute traten auf die Bnhne und jeder bekam
einen großen, brühheißen Pudding vorgesetzt, mit dein
er sich, sobald die heißen Dämpfe dies gestatteten, ein-
gehend beschäftigte. Der Gebrauch von Messer, Gabel,
Löffel, ja selbst der Fin-ger, war dabei vevboten, und die
Esser mußten in derselben Weise zu Werke gehen, wie das

liebe Vieh, was ihnen natürlich schwer fiel, da sie hierzu
nicht die nötige llebung besaßen. Wer zuerst fertig wnrde,
gewann einen Anzug, die übrigen mußten sich mit chren
verbrannten Lippen und Zungen begnügen, ja einer der-
selben soll sich innere Verletzungen zugezogen haben, die
seine Ueberführung in das Hospital notwendig machten.

-— Ein jungcr Riesc. Ein Knabe im schulpflichtigen
Alter, der -dem Gesetze zum Trotz vom Schulbesuch fern-
bleibt und schließlich geradezu von diesem Besuch entbunden
wird, ist selbst in England, wo man, es mit der Durch-
führnng des Schulzwanges nicht ganz so ernst nehmen
kann wie beispielsweise in Deutschland, eine seltene Er-
scheinung, aber dieser sechsjährige Knabe ist ein solches
Monstrum an Körpercntwicklnug, daß er wohl in keinem
Lande der WM -zum Schulbesuch gezwuugen werden
würde. Der Jnnge ist das Mnd eines Arbeiters in dem
Londoner Vororte Peckham. Bei einer Größe Vvn visr
Fuß hat er einen Brustunifang von 44 Zoll und ein Ge-
wicht von 240 Pfuttd. Für ein solchss Riesenkind ist na-
türlich in den Schulbänken der Sechsjährigen kein Raum.
Der Arzt Äer Schulverwaltung teilt über das Kind in
der „Times" mit, daß 'das Gewicht keineswegs einer
krankhasten Fettentwicklung zuzuschreiben sei. Auch die
Muskulatur ist so entwickelt, daß der Kleine erwachsene
Personen mit Leichtigkeit aufhebt. Geisttg soll der Knabe
eine gelvisse Frühreife zeigen. Jack, so heißt das Riesen-
kind, legt selbst nicht das geringste Verlan-gen an deirTag,
Schulnnterricht zu genießen. Wenn er nicht schläst, was
seine Hauptbeschäftignng ist, so bewegt er sich in wiegender
 
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