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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203 - 228 (1. September 1903 - 30. September 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0569

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Msktag, 2i. Septmber 1803.

ZWeLLes BLtttt.

1Z. Zahrgallg.

Kriminalstatistlk siir das 14. Armeckorps
1902.

Von den Militärgerichten des 14. Armeekorps wurden
im Jahre 1902 im ganzen 424 militärische und 240 bür-
gerliche Delikte verfolgt. Darunter waren 78 bezw. 85
Sachen der niederen Gerichtsbarkeit. 4 militärische De-
kikte bei der niederen und 19 bei der höheren Gerrchtsbar-
keit und 7 bezw. 22 von den bürgerlichen Delikten endeten
Mit Freisprechung. Bei 2 militärischen Deliktfällen wurde
das Verfahren eingestellt. Angeklagte waren bei den 664
rlällen 718 beteiligt; bei den 52 Freisprechungen 61.
Zuchthaus wurde für 5 militärische und 3 bürgerliche
Delikte erkannt, in 3 Fällen sogar von 6 und mehr Jah-
jsn. Jn 341 Fallen wurde auf Gefängnis, in 7 auf Haft,
in 220 auf Arrest einschlisßlich Stubenarrest^ in 89 auf
Geldstrasen, darunter (ausschließlich für bürgerliche De-
iikte), in 181 Fällen ausschließlich der höheren Gerichts-
darkeit auf Ehrenstrafen, darunter 9 mal auf Entfernung
aus dem Heer, 24 mal auf Degradation und 137 mal
auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes
arkannt. Hiervon erfolgte die Entlassung aus dem Heere
6 mal, die Degradation 7 mal und die Versetzung in die
Zweite Klasse des Soldatenstandes 13 mal wegen bürger-
kicher Delikte. Rückfällige waren wegen militärischer De-
iikte der gleichen Art 48 und beliebiger Art 199, von 655
Verurteilten im ganzen also 213, fast ein Drittel. (!) Als
iiu trunkenen Zustande verübt wurden 12 militärische
Delikte angesehen, also 2,8 Prozent, während der Reichs-
kwrchschnitt 5,5 Prozent beträgt. Von den 399 abge-
Urteilten militärischen Verbrechen und Vergehen betreffen
30 Prozent Fahnenfluchk und unerllmbte Entfernung aus
dern Heere, ebensoviel die Vergehen gegen die militärische
llntsrordnung, besonderR Ungehorsam, worunter 3 Fälle
ivegen tätlichen Ängriffs Vorgesetzter von Untergebenen;
16 Prozent den Mißbrauch der Dienstgewalt, worunter
^7 Fälle (also fast 12 Prozent der sämtlichen Fälle) wegen
Mißhandlung Untergebener; fast 17 Prozent Diebstahl
Und Unterschlagung. Die übrigen Fälle zersplittern sich.
Wegen vorschriftswidriger Anbringung von Beschwerden
dwrde kein Fall, Körperverletzungen infolge unvorsich-
iiger Bshandlung von Waffen und Munition wurden im
ganzen 8 abgenrteilt. Hinsichtlich der Verurteilungen
ivegen Fahnenflucht und unerlaubter Entfernung aus
i>em Heere überschreitet das 14. Armeekorps den Reichs-
dnrchschnitt mit 20 Prozent nicht unerheblich; es bleibt
aber ebenso erheblich bei den strafbaren Handlungen grgen
bie militürische Unterordnung hinter d/mselben (40 Pro-
Zent!) zurück. Hinsichtlich des Mißbrauchs der Dienstge-
ivalt ist der Durchschnitt des 14. Armeekorps mit 15 Pro-
Zent nicht sehr erheblich höher als der Reichsdurchschnitt
Unt 13 Prozent; das gleiche gilt für die Mißhandlung
^kntergebener mit 10 Prozent Reichsdurchschnitt. Die Be-
ichlüsse gegen abwessnde Fahnenflüchtige, welche im Reichs-
durchschnitt nur 12,7 Prozent der sämtlichen Gerichtsfälle
ausrnachen, belaufen stch im 14. Armeekorps auf 168, also
28 Prozent, was auch dem höhern Prozentsatz der Fahnen-

slüchtigen und sich unerlaubt von dem Heere Entfernenden
entspricht. — Von den zur militärgerichtlichen Aburteilung
gskommenen 211 gemeinen Vergehen und Verbrechen be°
trafen 60, also über ein Viertel, gefährliche, schwere oder
tötliche Körperverletzung, dagegen nur 4 leichte Körper-
verletzung. Diebstahl kam nur in 13, Unterschlagung
nur in 5, Betrug in 9 Fällen zur Bestrafung; Sittlich-
keitsvergehen nur in 4. Dagegen kam von den 2 Fällen
Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz bstreffend den Ver-
rat militärischer Geheimnisse, 1 auf das 14. Armeekorps.
62 Fälle betrafen Uebertretungen.

Deutsches Reich.

— Für den D e u t s ch e n A r b e i t e r k o n g r e ß in
Frankfurt a. M. hat It. „Münch. Allg. Ztg." Lic.
Weber im Anschlusse an frühere Vorschläge des Professors
Dr. Hitze einen Gesetzentwurf über Arbeitskammern
ausgearbeitet. Danach sollen nur die großjährigen Ar-
beiter wahlberechtigt sein. Die Wählbarkeit beginnt mit j
dem 25. Lebensjahre. Bei der Verteilung der Kammer- l
mitglieder auf die verschiedenen Berufe zählen auch die !
Minderjährigen mit. Die Arbeiterinnen habm aktives, i
aber kein passives Wahlrecht. Was die Vertreter der z
Arbeitgeber angeht, so ist der Besitzer einer größeren
Fabrik mit der erforderlichen Mindestzahl von Arbeitern
direkt Mitglied der örtlichen Kammer, hat aber immer,
wie groß auch seine Arbeiterzahl ssi, nur eine Stimme.
Die kleineren Arbeitgeber wählen mit gleichem Stimm- j
recht die übrig bleibende Zahl der Vertreter. Die Er-
nennung der Vorsitzenden sowohl der lokalen wie der Be- j
zirksarbeitskammern steht der Staatsregierung zu. Die !
Kosten der Arbeitskammern trägt der Staat.

Baden.

Karlsruhe, 18. Sept. Nach dem Statistischen
Jahrbuch fiir 1902 beträgt die Zahl der schuIpflich -
tigen Kinder in Baden bei einer Bevölkerungsziffer
von 1 857 944 Einwohnern nur 301 570. Die die Volks-
schuls besuchenden Kinder werden in 1579 Schulverbänden
unterrichtet; das Lehrpersonal an den einfachen Schulen s
des badischen Landes betrug 3240 Köpfe (2984 Lehrer !
und 256 Lehrerinnen); an den erweiterten Schulen insge- !
samt 685 (567 Lehrer und 118 Lehrerinnen), an Biirger- !
u. Töchterschulen wirkten 206 Lehrkräfte (130 Lehrer und
66 Lehrerinnen). Es haben zu unterrichten an einfachen
Schulen 3240 Lehrkräfte 34 727 Schüler; an Bürger- u.
und Töchterschulen 206 Lehrkräfte 6462 Schüler. Jm
Durchschnitt kommen auf eine Lehrkraft an einfachen Schu-
len 74 Kinder, an erweiterten Schulen 50 Kinder, an Bür-
ger- nnd Töchterschulen 31 Kinder. An den 6 Privtschulen
im Lände (der einf. u. erweit. Volksschule entsprechend) l
wirkten bei 817 Schülern 10 Lehrer und 31 Lehrerinnen. !
Jn den 4 Seminarien des Landes wurden in 14 Jähres- E
kursen mit 17 Klassen 556 Zöglinge unterrichtet (132 j
evangelische, 417 katholische und 7 israelitische). Die zwei !
Präparandenanstalten zählsn 117 Zöglinge, wovon 67 !
intern sind.

Aus Ltaöt und Land.

— Aus dem Stadtrat. Jn den Stadtratssitzungen vom 8.
und 16. ds. Mts. wurden u. a. solgende Gegenstände zur Kennt-
nis bezw. Erledigung gebracht:

1. Die Ortskrankenkasse zählte auf 1. ds. Mts. 6594 männ-
liche und 1762 weibliche Mitglieder.

2. Nach dem Geschäftsausweis der Verrechnung der städt.
Sparkassen wurden bei dieser im August 1639 Einlagen mit
zusammen 344 245 Mark 33 Pfg. gemacht, dagegen in 970 Ein-
zelbeträgen zusammen 292 249 Mark 89 Pfg. an die betreffen-
den Einleger zurückbezahlt und hat die Gesamtzahl der letzteren
im Laufe dieses Jähres bis jetzt um 419 zugenommen.

3. Jm städtischen chemischen Laboratorium wurden im vori-
gen Monat 6 Proben von Bratwurst, 3 von Butter, 3 bon Cog-
nac, 2 von Cylinderöl, 3 von Fleisch, 8 von Marmelade, 4 von
Hackfleisch, 2. von Kanalwasser, 1 von Limonade, 3 von Likör,
29 von Kuhmilch, 1 von Tapeten und 4 von Trinkwasser unteb-
sucht und dabei eine Fleischprobe und 4 Milchproben beanstan-
det. Von den 64 Untersuchungen erfolgten 60 im Auftrag von
Behörden und 4 auf Antrag von Privaten.

4. Mit Bezug auf ein „Eingesandt" in Nr. 214 des „Heidel-
berger Tageblatt" wird festgestellt, dah die Unterbringung ar-
mer Familien in dem ehemals Huber'schen Hause in Hand-
schuhsheim nur eine vorübergehende Maßregel ist, welche die
Straßenkorrektion in keiner Weise verzögern wird.

5. Die Geschenke des Herrn Max May, bestehend in einem
Exemplar der von ihm berfaßten Schrift: „Die Heidelberger
Wohnungsuntersuchung in den Wintermonaten 1895—96 und
1896—97" und der Erben des Herrn Professors Dr. Eugen
Askenash, bestehend in einem Gemälde von Wehßer, das staat-
liche Marstallgebäude darstellend, werden mit Dank entgegen-
genommen.

6. Dem Pachtangebot des Bäckermeisters Georg Stöhrer auf
den Weinberg der Thielestiftung am Schlanqenweg wurde dcr
Zuschlag erteilt.

7. Im August ds. Is. wurden 445 Stück Großvieh, 2877
Stück Kleinvieh und 1 Pferd im Schlachthaus geschlachtet, auf
dem Viehhof aber 136 Stück Großvieh und 2017 Stück Kleinvieh
zum Verkauf gebracht.

8 Karlsruhe, 18. Sept. (B r a u t p a a r - Aussteuer.)
Von den Zinsenerträgnissen der Luisenstiftung für 1908 wur-
den den nachgenannten Brautpaaren Aussteuergaben im Be-
trage von je 875 Mark verliehen: 1. aus dem Bezirk des Lan-
deskommissärs in Konstanz: dem Eduard Schreyeck, Zimmer-
mann, und Ler Iosephine Kienle in Hartheim; 2. aus dem Be-
zirk des Landeskommissärs in Freiburg: dem Adolf Dietsche,
Bürstenholzarbeiter, und der Friederika Wunderle in Aft-
steg; 3. aus dem Bezirk der Landeskommissär sin Karlsruhe:
dem Johann Bindschädel, Maurer, und der Elisabetha Katha-
rina Jösel in Unteröwisheim; 4. aus dem Bezirk des Landes-
kommissärs in Mannheim: dem Karl Kauck, Tüncher in Mann-
heim, und der Mina Heiß von Eberbach.

— Vom Schwnrzwald, 18. Sept. (Die Aussichten
auf ein Obsterträgnis) waren diesen Sommer bei
uns gcring, aber es gab doch hier und da wieder einen Baum.
der ziemlich reichlich trug und man konnte in gewissen Lagen
Obstbäume treffen, die alle leidlich trugen. Nün ist aber auch
das Wenige, das uns in Aussicht stand, verloren. Die Stürme
der letzten Woche haben die Bäume, die einigermaßen trugen,
geleert, sogar Aeste von der Dicke eines Armes wurden von
den Bäumen gerissen. Auch an den Telegraphenleitungen und
an Dächern haben die orkanartigen Stürme Schaden anqe-
richtet.

Hornberg, 18. Sept. (Brand.) Heute brannten hier
das Bäcker Blumsche Haus und zwei anstoßende Wohnhäuser
nieder. Man vermutet Brandstiftung.

Bom Oberland, 18. Sept. (Mit dem Neubau des
badischen Bahnhofes in Basel) soll noch diesen
Herbst bcgonnen werdcn, das Gelände für den Bahnhof wurde
von der Verwaltung der badischen Bahn erworbcn. Seit zwel

Friedernke Müller, die Weinberg-Tante.

Novellete von E. Mcrx.

D (Fortsehung.)

Der liebe Freund war in briefliche Verbindung mit der
>Lchwester in Berlin eingetreten, hatte sich verpflichtct, ein Kost-
3eld fhx Kara zu zahlen, und es hatte sich eine günstige Ge-
wgenheit gefunden, die zwölfjährige Tochter sicher der Tante
Suzuführcn. Diese Sache war also abgetan. Ebcnso die mit
^er Berliner Witwenkasse, sie zahlt bei einer Wiederverhei-
satung der Witwe die Hälfte der bei dem Einkauf bestimmten
Sunnne. Das Lokal-Witwentum bleibt ungeschmälert. Jn
^üdmillas Verhältnissen war dies von Bedeutung.

. So war nun alles geordnet und der Abzug von der Pfarre
üllte erfolgen. Eine Freundin der Witwe, die Frau eines
)->utsbesitzers in dcr Nähe des Dorfes, hatte ihr eincn Aufent-
A>lt hei swh angeboten, den sie angenommen; dort blieb sie
hut jhrer Tochter noch mehrere Wochen — bis zur
KechzMt, die ganz still gefeiert werden sollte, und erholte sich
nchtlich von ällen überstandenen Nöten, Arbeiten und Ungewiß-
^eiten über die Einrichtung ihres Lebens. Ja, sie blühte förm-
Uch wieder auf und war noch eine hübsche, wenn schon fünfund-
"^chßigjährige Braut, liebenswürdig, wenn ste es sein wollte,
»nd sie wollte es.

Nn einem Junimorgcn in der Frühe stand das Brautpaar
Uor dem Mtar, von einem rosigen Schein umflossen, der durch
stu gemaltes Kirchenfenster drang. Der Bräutigam, ernst,
^erlich, lietz seine Augen mit Wohlgefallen auf der hübschen
^raut rnhen. Ein silbergraues Seidenkleid, mit weißen
-i-üonden verziert, stand ihr sehr gut.

Die Freundin hatte einen leichten Florstreifen um ihr
vaupt gewunden — einige Myrthenzweige mit Orangeblüten
lche verbunden, wie dies bei bräutlichen Witwen gebräuchlich
ü, in das volle, glänzend schwarze Haar gcsteckt — dcni Bräu-

tigam den Ehrenstrauß in das obere Knopfloch des neuen
Fracks.

Der Kantor des kleinen Städtchens hatte auch das Seinige
zur Feier beitragen wollen und die besten Sänger seiner Schule
beordert, in der Kirche zu erscheinen. Zur Ueberraschung der
Gutsherrin stimmte er nach einigcn einleitenden Mkorden auf
der Orgel das alte, wohlbekannte Brautlied an: „Jn allen
meinen Taten, laß ich den Höchsten raten". —

Jn des Bräutigams Augen schimmerten Tränen — Lud-
millas Augen aber blieben trocken und glänzend, ständig schäute
sie zum Bräutigam auf; sie stand ja am Ziele ihrer Wünsche:
empfing den Segen zum neuen Bunde, ohne sonderlich dadurch
bewegt zu werden.

Einige Stunden später bestieg sie den Reisewagen als Frau
Stadtrat Müller fröhlich und wohlgemut, und zwar mit dem
jungen Ehemann allein. Rika blieb bei der Frcundin zurück
bis auf Weiteres.

Eine Hochzeitsreise wurde nicht gemacht; es ging direkt nach
Z., ins alte, neu gemachte Haus, das mit Blumen, Spenden
einiger Damen, reichlich geschmückt war. Für Speise und
Trank hatte Friederike gesorgt, die Schwägerin freundlich be-
grüßt, dem Bruder herzlich die Hand gedrückt und sich dann
zu ihrem Domizil im Weinberg begeben.

„Morgen kommen wir hinaus," hatte Karl zum Abschied
gesagt.

„Schön, ich freue mich darauf," erwiderte sie. Am späten
Abend, als Mondschein und Nachtigallensang ihr Gärtchen
durchflutete, Roscn- und Fliederduft zu ihr aufstieg, lehnte
sie lange, lange noch im offenen Kammerfenster — — und
-weinte.

Ja, ste weinte; es war ihr so weh ums Herz, wie nach
eincr Heimkehr von cinein Begräbnis. Nie konnte es wieder
werden, wie es gewesen war! Und noch einmal erwachte der
niedergekämpfte Schmerz mit seiner ganzen Gewalt.

Jn dieser Nacht fand sie nicht Ruhe, noch Schlaf.

Die Zeit vergeht gar schnell; unglaublich schnell. Dieser
uralten Wahrheit und Erfahrung haben auch die streitlustigsten
Personen nicht widersprechen können.

Der Herbst war da. Die Weinlese vorüber, die Winzerfeste
mit Feuerwerk, Gesang und Tanz fröhlich gefeiert. Es war
heuer ein gutes Weinjahr gewesen. Nun aber kehrten die
städtischen Weinbergsbesitzer zur Stadt zurück. Die nächsten
NachLarn Friederickens hatten ihre kleinen Villen schon ge-
raumt, es wurde sehr einsam um sie herum, die Tage sichtbar
kürzer, die Abende länger. Bis hierher war der Oktober zn
loben gewesen, hatte dem 'Herbst ein Schnippchen geschlagen,
pflcgte Karl Müller bei solcher Gelegenheit zn sagen. „Na,
Rieke, mags nun sein, laß Schnee kommcn, wir gehen in unser
altes, warmes Nest zurück." So pflegte sie in früheren
Jahren zu sagen.

Daran dachte sie, als sie sich am 31. Oktober, dem Refor-
mationsfeste, zum Kirchgang früh morgens rüstete. Nach dem
Gottesdienst wollte sie den Geschwistern einen kurzen Besuch
machen, sie hatte sie lanqe nicht bei sich gesehen.

Gedacht — getqn. Als sie die Haustür öffnete, drang ihr
im Flur ein sehr gemischtcr Geruch entgegen, — von ver-
schiedenen Sachen, die besser schmecken als riechen. hant gout
vom Wildbraten, Hummersalat — und wer weitz noch von
welch' anderen gerne gegessenen pikanten Speisen.

Aus der offenen Küchentüre trat ihr eine in der Stadt
wohlbekannte Köchin entgegen mit heißem, rotem Gesicht, eine
Fleischgabel wie eine Waffe schwingend,

Guten Tag, Haana, was schaffen's, sagte Friederike, im
Dialekt, freundlich zu ihr sprechend.

Wir haben Mittagsgesellschaft; um füns Uhr erst, Fräulein»
aber ich mußte erst viel dazu einrichten.

„Wo ist meine Schwägerin?"

„Oben beim Decken des Tisches; es wollte alles nicht recht
passen, der Platz nicht langen."

Ludmilla kam die Treppe herunter, noch mit ungekämmtem
Haar, offenem, nicht sauberem Morgenkleide, sehr erhitzt nnd
 
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