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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 229 - 255 (1. Oktober 1903 - 31. Oktober 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0719

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Zweites BlQtt.

,1. Ntiber IM.

M. MrW«. ^

Au

«n

kxzogrn vierteljährltch 1,35 Mk. ansschlteßltch Zustellgebühr.

i«ise»prets: 20 Pfg. für die Ispalttge Petttzeile oder dcre« Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiestge GeschästS- uud Privatrmzeige« rrmäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
^astimmten Tagen wirb keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plackattafeln der Heidelberger Zeitung und dm städtischm Anschlagstellm. Fernsprecher 82.

25 Jahre Todesursacheuftatiftik.

soeben erschienenen dritten Merte'ljahrsheft
d^^tatistik des Deutschen Reichs, 1903, 'befindet sich ein
»8g Tafeln mit Diagrammen begleiteter Bericht
»bs hre T 0 de s u r s a che nft a t i sti k", bearbeitet
s^. ^rund der Veröffentlichung des Kaiserlichen Ge-
tz^eitZamts nbd des Kaiserlichen Statistischen Amts.
fttz?^andelt die Sterblichkeit in den deutschen Orten mit
-bjZ . 15 000 Einwohnern in dem Zeitraum 1877

l8bi 01. Diese Städte hatten 1877 7,3 Millionen,
1 aber 17,5 Millionen Einwohner.

Ergxdais ist ein hocherfreuliches. Jn den 'deut-
Drten mit 15 000 und mehr Einwohnern starben
100 000 Einwohner jährlich:


°shaut

.

D?!"ntrr:

Mcken

^Dllibstyphus.' ' ' '

„ ^."(sicheni und Nervenfiebcr

„Mihphus.

. N'sbettfieber.

„ Zxm.er» und Nöteln . . .
, Mtkerie uud Bräune .
^"ten Erkrankungeu der
iZNtilng-orgaue einschließ-
„ »ch Keuchhusteu
„ "Wnschwiudsucht
^h.der Gksamtheit der iu

Jm Jahrfünft Jm ersteren Jahr-
1877/81 1897/1901 fünft also mal
so viel Personen.

26,73

1.5

43.6

2.6
14,4

27.6
99,8

308.6

857.7

20,46

1,3 mal

0,04

37,5 „

10,4

4.2 „

0,06

43.3 „

5.1

2,8 „

21,3

1.3 „

31,1

3,2 „

258,5

1.2

218,7

1.6 „

1129,8

.1,3 .,

,,Z- Ltatistik nicht nament-
ch aiifgeführt. Krankheiten 1426,7

als in dem letzten Jahrfünft 1897/1901.

^ttwzu wird bemerkt:

Sterblichkeitsherabminderung ist ein Ergebuis
s>j^8ortschritts aus vieleu KulturgLbieteu. Sie ist ein
s>^"tnesbtatt in der Gdschichte der deutschen Städte und
. ^r Mediziu; aber auch die Gesetzgebung darf einen
Teil 'des Erfolges sür sich beanspruchen. Haben
M'Ltcidte durch Kaualisation, Wasserteitung, Straßen-
dex, Besserung iu den Abortverhältnissen uud in

^.^"seitigung der Abfallstoffe, Schaffung von Licht und
durch breite Straßeu und grüne Plätze, Anlage von
k.^"rn und Spielplätzen bessere hygienische Bedingungen,
^.?,"ben Lie Fortschritte der Medizin und Chemie, die
^."ieptische und assptische Behandlung der Wunden und
^ekämpfung der Ausbreitung der Jnsektionskrank-
mittels der Desinfektion, das Behringsche Serum,
bermehrte Zahk der Aerzte und des Hei'lpersonals, der
^"nstalten und Genesungsheime für die Erkrankten
^lsere Aussichten auf Heilung und für die Umgebung
b Kranken besseren Schutz gegen Ansreckung geschaffen.

v ^in sehr unerfreuliches Bild bietet aber die GruPPe
^bakuten Darmkrankheiten (einschließl. Brech-
.bnchfall). An ihneu starben m deu Qrten usw. des gan-
^Neichs auf je 100 000 Lebende:

z Jm Jahrfünft 1877—81: 264,1 Personen

i „ „ 1882—86: 253,1

„ „ 1887—91: 258,2

„ „ 1892—96: 266,6

„ „ 1897—1901: 287,8

Man hat hier also eine Krankheitsgruppe vor sich, der
gegenüber kein Fortschritt gemacht worden ist, eine Todes-
ursache, der im letzten Zährfünft bsdeuteud mehr Personeu
zum Qpfer gefallen sind, als in jedem der vier vovher-
gehenden Jahrfünfte. Da an einigen Krankheiten dieser
Gruppe (Brechdurchfall, Durchfall, Magen- und Darm-
/ katarrh) besonders öiel ganz junge Kinder sterben, wäre
! es möglich, wenn die Geburtszifser auf 100 000 Ein-
j wohner 1897—1901 eine sehr viel höhere als in den vov-
s hergehenden Jahrfünftm gewesen wäre, daß durch bas
^ unverhättnismäßig starke Hinsterben der jungen Kinder
s in diesem Jahrfünst die ausgewiesene allgemeine Sterb-
- lichkeit so bedeutend gesteigert worden wäre. Gerade das
llmgekehrte ist aber der Fall gewesen; 81e Zahl der Le-
bendgeborenen auf je 100 000 Einwohner ist g e sunken.
Durch die Minderung ber Geburtszahl kann 'die Stei-
gerung der Todesfälle dieser Krankheitsgruppe nicht ver-
anlaßt sein. Es liegt hier also ein wirklicher tatsächlicher
Rückschritt vor. Er ist als eine Folge der stark vermehrten
'Teilnahme der Frauen am Erwerbsleben anzusehen: je
mehr Frauen in das gewerbliche Le'ben übergehen, um so
/ häufiger wird Säuglingen die Mutter'milch, die
ihneu bekömmlichste Nahrung, entzogen. Um so größeres
Gewicht gewinnen aber auch alle Maßnäh'meu, welche für
die Uuverfälschkheit, Reinheit und Bakterienfreiheit der
Tiermilch Sorge tragen. Auf ein praktisches uachahmens-
wertes Beispiel, wie dem Würgengel der Darmerkran-
kungen der Säuglinge das Feld seiner Tätigkeit beschränkt
werden kann, weist der Schluß des Berichts hin.

Die Komödie der „Revisioniften".

„Genosse" Auer bereitet den Reichstag schon jetzt
darauf vor, daß die sozialde'mokratische Fraktion eine Reihs
von radikalen Anträgen stellen wird, um das soziakdemo-
kratische Aktionsprogramm und die 'bisherige revolutio-
uäre Taktik der Partei zu dokumentieren. Durch diese
Ankündigung soll zugleich das ekelhaste Gezän'k unter den
Genossen unterdrückt und die schon in Tätigkeit befind"
lichen Scherbengerichte wieder aufgelöst werden. Erst
'dann, m-eint Auer, wenn die als Revisionisten verschrieuen
Genossen den Mut der Konsequenz häben und gegen solch
radikale Anträge sich weüden — — erst dann kann man
von Revisionisten sprechen und „reinen Tisch" machen. —
Selbstverständlich wird sich kein Einziger von den soge-
nannten „Revisionisten" finden, der in der sozialdemo-
kratischen Fraktion und im Reichstage sich erkühnt, wi'der
den Stachel zu löken. Der von Auer sür die Bernstsin,
Braun, Bernhard, Göhre usw. vorgeschlagene Veweis, im
Reichstag dUrch Zustimmung zu den radikalen Anträgen
sich als „uuentwegte Geuossen" zu zeigen, wird
von den jetzt Verdächtigsn mit Eleganz geführt werden

Hmter den Kuliffen.

Roman von Karl Postumus.

(Rachdruck verbotcn.)

(Fortsetzung.)

b^.dornig wollte die Mutter die Mitzratene zurückrufen; das
si^"(»derte iudessen der Oberst, der tonlos meinte, es empöre
övK J»es, trotz aller Jugendhaftigkeit, bei dem Schacher
Weib. Genau genommen, hätten sie, die Eltern, gar
iech biecht, aus Selbftsucht von einem Kinde die Aufopferung
i>ck ^ ganzen Jchs zu verlangen. Unendlich entmutigt scnkte
bei den Worten sein weiß gewordenes Haupt. Seiner
^ "u war es furchtbar, ihn derart gebrochen zu sehen. Stumm
sM ratlos pretzte sie die bebenden Lippen aufeinander. Als
r aber nach langer Pause endlich einen Ausweg gefunden zu
str 1 meinte, redete sie den vor sich Hinbrütenden schüch-

sn „Männchen, wenn nun unsere sanfte Liddy sich für unseres
"Niens Ehre aufopferte?"

^Dunkles Not zuckte über seine bleiche Stirn, und seine
Multer zuckte abweisend. Während er nervös hastig an den
^"ernen Knebeln seines Attilas knopfte, die er vorhin vor
c>p"Nnung über Jnes Ansicht aufgerissen hatte, setzte er seiner
js "" einsilbig auseinander, dem Bewerber würde am älterea
tzjjicheinbaren Fräulein von Rühlen nichts liegen, der wolle
^."ielgeliebte Reiterin, er wolle durch das pikante, sprühende
c,>-Ichöpf in die vornehmen Sportkreise eingeführt sein. Aier
„ M der Oberst nach der Hand seiner Frau und sagte ganz
sj^ smittelt: „Sie hat recht, Hcdwig — und zwingen will ich

„Was denn?"

Nj Sie knickte förmlich in sich zusammen. Die Hände ringend,
sie. verzweifelt vor sich hin, während seine bebenden
Wger an den Papieren herumgriffen, worauf jene fürchter-
ch"n Zahlen, eine unter der cmderen, standen. So hoch an-

gewachsen, obgleich er und ste ehrlich gespart, ja auch gedarbt
hatten! Was nützte sparen und darben gegenüber den ge-
bieterischen Forderungen ihrer Stellung? Er lächelte ge-
ringschätzig. Hier erübrigte man fünf armselige Mark, um
dort anstandshalber fünfzig, ja hundert Mark zu verschleu-
dern.

Damals, nach Liddhs Geburt, machten sie die ersten Schul-
den. Wie er das kleine Geschöps voll Wonne in seine Arme
nahm, wurde ihm das Erkranken seiner Pferde an schwerer
Kolik gemeldet. Sie gingen ein, und er hatte so fest gerechnet,
durch den Verkauf der kostbaren Tiere, die er jung eingekauft
und selbst zugeritten, viel Geld zu verdienen. Die Geldquelle
war nun verstopft; neue Pferde mutzten angeschafft werden;
dasür gin-g der klein-e Rest ihres Vermögens hin. Das Paar
befand sich in um so grötzer-er Verle-genheit, als beide in dieser
Zeit noch keine Finanzkünstler waren.

Aus Erden kommt nun selten ein Uebel allein. -So auch
bei Rühlens. Die junge Frau versiel bald nach Liddhs Ge-
burt in ein heftiges Fieber. Cin b-erühmter Professor aus
Berlin rettete zwar ihr Leben, doch wie bei der Ebbe in des
Leutnants Kasse die Rechnung bezahlen? Schier verzweifelt
hielt er das verhängnisvolle Papier in der Hand. Ja, wvher
diese zweihundert Mark n-ehmen, ohne zu stehlen? Borzen?

„Armer Kerl, der Rühlen, hat schauderiöses Pech," hietz
es. Dann munkelte man, der arme Kerl habe in den sauren
Apfel gebiss-en und sich Geld verschafst.

Jn der Tat erwies sich Ziermann sen. g-egen den soliden
Offizier äutzerst gefällig, was diesem, vereint mit der festen
Absicht, Geld un-d Zinsen bald zurückzuzahlen, den Schritt
wenig-er drückend macht-e. Den kleinen Ring der ersten Schuld
wollte das Paar bäldigst wieder abstreifen. Aber allerlei Um-
stände vereitelten ihren guten Willen.

Jn Jahr und Tag erhielt dann das Ringlein ein neues
Glied.

Bald war nicht mehr an Kapitala-Lzahlung zu d-enken;
kaum wurden di-e Zinsen rechtzeitig beglichen. 'Jn der stillen

s und deshalb ist das bisherige Gebahren der „Revi-
s stonisten" kaum an'ders als eine K 0 m ö d ist zu
beurteilen.

Deulsches Reich. W

— Der Reichskanzler Graf Bülow, der ssit Mo-
naten von Berlin abwesend und inzwischen nur aus be-
sonderem Anlaß gelegentlich für kurze Zeit 'sich hier auf-
gehalten 'hat, kehrt tn der nächsten Woche zu d'auernd-em
Aufenthalt an den Ssitz d-er R-egierung zurück. Einzelne
Blätter knüpsen daran die Bemerkung, daß dann erst
seste Abmachungen über die Einberufung des
Reichstags und den Umfang seines Arbeits'->
pensums getroffen werden sollen. Das ist natürlich
richtig, aber man darf, wie die „Frankf. Ztg." hervorhebt,
aus der Form dieser Mitteilung nicht etwa folgern, daß
irgendwelche besondere überraschend'e Entschließungen
bevorständen. Für den Termin des Zusammentritts des
Reichstags ist in der Hauptsache der Abschluß des Reichs-
Etats für 1904 im Bu-ndesrat maßgebend. Der Bundes-
rat hat seine Tätigkeit wieder ausgenommen. Die Vöb-
arbeiten für 'den Etat sind noch weit zurück, seine Auf-
stslliing wird auch diesmal mckhr Schwierigkeiten m-achcn
als in früheren Jahren und wahrscheinlich nicht viel vor
Ende November beendet sein, sodaß dann oder auch in deu
ersten Dezembertagen der Reichstag zusammentreten kanu.
Der E t a t ift die erste große Vorlage, die ihm zugcht.
Das Militärgesetz kommt jedenfalls erst später. Von
anderen größeren Vorlagen weiß man nichts und Ueber-
raschungen siüd nicht zu erwarten, am allerwenigsten ein
Umsturz - oder S 0 zialisteng esetz oder -ähnliches,
wonach die bekannten Organe und gewisse konservative
agrarische Kreise nach den Reichstagswahlen wieder lcmt
und droh-end rufen. Diese Treibereien, von denen in deu
letzten Tagsn wiederholt die Rede gewesen ist, stnd' zurzeit
erfolg- und aussichtsloser, als sie es früher waren. Die
Situation ist anders, wie damals, als nach- demselben Re-
zepte der Sturz des Grafen Caprivi -eingeleitet wurde.
Der Kaiser will — dasür Uegen authentische Aeußernngen
vor — auch nach 8em Aus-fall der Reichstagsiwahlen von
einer gewaltsamen Bekämpfung des sozialistischm- Um-
sturzes nichts wissen und der gegenwärtige Minister des
Jnnern, Frhr. 'v. Hammerstein, ist nicht, wie Graf
B0H0 Eulenburg zurZeit Caprivis oder wie sein Nach-
folger Herr v. Koeller, von der Notwendigkeit oder Nütz-
lichkeit besonderer Kamps- oder Ausnahmegefetze Wer-
zeugt. Jüngst von ihm getane öffentlich-e Aeußerungen,
die durchaus nicht zufällig sind, lassen das 'deutlich er-
kennen. Sie lausen im großen und ganzen auch- auf deu
viel verspotteten Mut der Daltblüsigkeit h'inaus. Es
rnüßte ganz Unerwartetes geschehen, wenn diese Situation
sich änderu und das etwas komplizierte Treiben, w-elches
man kurz Scharfmacherei nennt, no-ch den sachlichen
oder persönlichen Erfolg haben sollte.

— Jn Schl 0 chau ist, wie üer „Graudenzer Gesel-
lige" berichtet, diessr Tage ein jüdischer Handwer-

Hoffnung auf irgend ein-en Glücksfall lebte man von der Hand
in den Diund.

Nun zeigte sich Ziermann als kein schlimmer Gläubiger;
er interessierte sich sogar warm für seincn „Freund" und die
Familie von Rühlens, mit dem er brieflich in Verbindung
blieb, wohin auch der Offizier durch Beförderung versetzk
ward.

Als Rühlen endlich als Oberst sein altes Husarenregiment
in I. bekam, machte Ziermann senior der Frau Baronin selbst-
verständlich s-einen Besuch! und wurde von der stolzen Frau
nicht nur auffallend freundlich aufgenomm-en, sondern sogar
aufgefordert, seinen einzigen Sohn bei Rühlens einzusühren.

Bald darauf starb der alte Zierm-ann. Sein Erbe jedoch,
auch der Erbe jen-er Rühlensch-en Schuldscheine, verliebte sich
in Jnes und hatte sich vorgenomm-en, das hochmütige, reizende
Geschöpf zu zwingen, seine Frau zu werden.

Durch die anges-etzten Daumschrauben mürbe gemacht, ga-
ben der Oberst und seine Frau dem Drucke also nach, doch nicht
der Trotzkopf mit dem stolzen Herzen, dem blieb Ziermann jr.
trotz seiner Millionen nicht annehmbar.

Hätte der nun nicht aus „Liebe" zur tollkühnen Reiterin
dem Obersten durch ein kategorisches Entweder — Oder, d. h.
entweder die Tochter oder die sofortige Bezählung samtlicher
Schulden, die Pistole auf die Brust gesetzt, würde Herr von
Rühlen als Pantowscher Generaldirektor ganz gut an all-
mähliches Abzahlen haben denken können. Aber hunderttau-
send Mark auf einen Schlag zu liefern, war unmöglich, zu-
mal er in seiner Angst vor Geldleuten gar nicht aus den Aus-
weg kam, um sich die -grotze Summe zu beschaffen, jene Ein-
nahme auf Jahre hinaus zu verpfänden.

Den Kops in beiden Händen vergraben, starrte er trübsin-
nig vor sich her. Für ihn gab es nur Verderben und Schuld.
Wer nicht fähig wär, für Frau und Kin'der standesgemäß zu
sorgen, durfte keine Fancilie gründen. Wer es doch tat und
die Seinen mit ins Elen-d zog, lud ein Verbrechen auf seine
Seele!
 
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