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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229 - 255 (1. Oktober 1903 - 31. Oktober 1903)
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Schriften") zitieren, der dartut, daß Wagner in Bezug auf
die Unsichtbarmachung des Musikapparates nicht blotz das
Theater im Auge hatte, sondern auch öas Konzert mit einbe-
zogen wissen wollte. Der Ausspruch lautet: „Vun jeher hat-
ten wir die Unglücklichen bedauert, denen es 'Freude machen
konnte, die Musik zu sehen, anstatt zu hören; idenn anders
konnten wir uns die Gespanntheit nicht deuten, mit der sie
unverwandt und starr den verschiedenen Bewegungen der
Musiker zusahen. — Wir waren darin übereingekomnien, daß
es nichts Prosaischeres und Herabstimmenderes gebe,
als den Anblick der grühlich aufgeblasenen Backen und ver-
zerrten Phhsiognomicn der Bläser, des unäfthetischen Bekrab-
belns der Kontrabässe und Violoncelle, ja selbst des lang-
weiligen Hin- und Herzwhens der Violinbögen, wenn es sich
darum handelt, der Ausführung einer schönen Jnstrumental-
musik zu lauschen. Aus diesem Grunde hatten wir uns so
plaziert, daß wir die leiseste Nüance im Vortrage des Orche-
sters hören konnten, ohne datz uns der Anblick desselben hätte
stören müssen."

Mit der Unsichtbarmachung des Musikapparates steht die
Plazierung des Jnstrumentalkörpers im
innizsten Zusarnmenhang; denn daß diese eine wesentlich audere
als die bisher übliche sein müsse, liegt auf der Hand. Hier ist
nun das rasch veränderliche Podium Proseffor Wolfrums mit
seinen einzelnen Etagen von eminentem Werte. Diese Neue-
rung werden sich -die fortschrittlichen Konzertveranstalter, wo
es aus baulichen Rücksichten nur angeht, sofort zu Nutzen
machen. Bei Neubauten ist die Berücksichtigung dieses Fak-
tors wohl nicht zu umgehen.

Zwei fernere moderne Forderungen sind die Ab -
schwächung Les Lichtes im Konzertraum, die Er-
zeugung des Dämmerlichtes, und die H e r st e l lu n g der
Konzertprogramme nach k ü n st l e r i s che n P r i n-
z i p i e n.

Jn Bezug auf alle diese Punkte hat es Professor Dr.
Wolfrum mit seinen gleichgesinnten Freunden — es find
ausnahmslos hochbedeutende Künstler und Künstlerinnen —
unternommen, durch verschiedene Vorsührungen die kompe-
tenten Beurteiler zu veranlassen, zu prüfen und Stellung zu
den wichtigsten iFragen unseres Konzertlebens zu nehmen.
Es gehört zu solchem Vorgehen naturgemäß nicht blotz eine
umfangreiche und eingehende Sachkenntnis, sondern vor allem
auch Mut, Energie und Ausdauer. Jn dieser Hinsicht ist Dr.
Wolfrum wie kaum einer geeignet, die „neuen Versuche" zu
demonstrieren. Nicht genug zu rühmen ist die Geneigtheit der
Stadtverwaltung, die Lereitwillig und verständnisvoll die Pläne
Dr. Wolfrums realisieren half.

Jn einem trefflichen Programmbuche hatte Dr. Wolfrum
die modernen Jdeen erläutert und zur befseren Orientierung
in den Darbietungen der einzelnen Konzerte einen zuverläffigen
„Führer" gegeben. Männer, wie Dr. Grunsky, Dr. R. Louis,
Dr. W. Nagel, Prof. Schillings, Fritz Stein unterstützten ihn.
Wünschenswert wäre es, daß dieses Programmbuch jedem
Besucher in die Hand gegeben wüvde. Es kann nicht meine
Aufgabe sein, einen Auszug aus demselben herzustellen, das
Buch ist billig erhältlich und für alle, die sich für die in Frage
stehenden „Neuerungen" intereffieren, von größtem Werte.

Das e r st e Konzert begann sL nach 7 Uhr.
Die Ankunft des grotzherzoglichen Paares verzögerte die Er-
öffnung um etwas. Nach einer begeisterten, den vielgeliebten
Fürstlichkeiten dargebrachten Ovation wurde das hellstrahlende
Licht des Konzertraumes gedämpft, und die Orgel — ein
Prachtwerk in jeder Hinsicht — begann mit Joh. Seb. Bachs
Os-lFuge. Dr. Wolfrum spielte das Tonstück rhythmisch strafs
und mit künstlerischer Nüanzierung. Es gibt heutzutag noch
viele Leute, die einer gleichmätzigen Dhnamik das Wort reden.
Mit anderen halte ich es jedoch für eine Torheit, wenn man
sich -den Errungenschaften dcr neuen Zeit in Bezug auf Orgel-
bautechnik verfchließt. Bach wäre der letzte gewesen, der sich
dieser Gruppe konservativer Musiker zugesellt hätte. Er war
und ist einer der „Modernen", trotz des grotzen Zeitintervalls
zwischen ihm und der Gegenwart, moderner als viele zeitgenös-
sischen Komponisten und Spieler, die diese Bezeichnung für sich
in Anspruch nehmen. R. Schumann sagt in einem Aufsatze über
die Tonkünstlerfamilie Bach im Herlosssohnschen Damen-Kon-
versationslexikon sehr treffend: „Was wir Nachkömmlinge für
Wunderbares in dcr Verflechtung der Töne gefunden zu haben
meinen, liegt schon in ihm ausgesponnen und ausgewickelt".
Es wäre hier der Ort, würde es nicht zu weit führen, näher
auf das von der Firma Voit und Söhne in Durlach gebaute
Orgelwerk einzugehen; es sei deshalb nur darauf hingewiesen,
daß die Plazierung des Jnstruments eine äutzerst praktische
ist und daß durch die Herstellung eines transportablen Spiel-
tisches eine Neuerung geschaffen wurde, deren Wert nicht genug
gepriesen werden kann. Der Mechanismus des Werkes funt-
tionierte tadellos.

Der äußerst stimmungsvollen Einleitung schloß sich Rich.
Wagners Parsifal-Vorspiel an, dessen innere Verwandtschast
zur vorhergegangenen und folgenden Nummer (Dante-Shm-
phonie von Liszt) das Textbuch geistreich darlegt. Gegcn die
Verdunklung des Konzertraumes und die Unsichtbarmachung
des Orchesters nach dem Bayreuther Muster wird prinzipiell
ein Einwand wohl nicht erhoben werden. Die Tongebung
erschien bei der Ausführüng namentlich im Streichkörper trotz
der Verdeckung etwas vurdringlich, auch dic Einsätzc ließcn an-
fänglich an Präzision hie und da zu wünschen, so datz das
Mystische und Geheimnisvolle der Tondichtung nicht recht zur
Geltung gelangen wollte, das Blech dagegen erklang geradezu
ideal schön. Wenn man indes bedenkt, daß das Orchester aus
gar verschicdencn Elementen zusammengesetzt ist und datz für
dasselbe ein längere Zcit gcübtes Ensemblespiel nicht leicht zu
ermöglichen war, so dars gegenüber der schwierigen und um-
fangreichen Aufgabe, die ihm und seinen Leitern zur Lösung
gestellt wurde, die wärmste Anerkennung nicht versagt werden.
Die sonst übliche Beifallsbezeugung in Konzerten unterblieb
bei beiden Vorführungen — ein vortreffliches Zeichen für die
erzeugte Stimmung in der Hörerschaft! Auf die nun folgende
Dante-Symphonie Liszts näher einzugehen, erscheint über-
flüssig, existieren doch genug „Führer", auch- das Programm-
buch enthält hierzu einen äutzerst wertvollen Beitrag von Dr.
Louis, — die über das gigantische Werk orientieren. Man
mutz den Unternchmcrn nur dankbar sein, daß sie diese Ton-
dichtung, eine der herrlichsten Schöpfungen auf dem Gebiete
der Programm>-Musik, in den Rahmen des Festes aufgenom-
men habcn. „Musik als Spiel — Musik als Ausdruck!",
man sollte meinen, daß die Entscheidung nicht schwer wäre!
Und doch, wie hartnäckig und starrsinnig verschliehen sich die
Anhänger der absoluten Musik gegenüber den Bestrebungen
jener Gruppe, denen „das poetische Programm als form-
gebendes Prinzip" dient! Die Ausführung der Symphonie
unter Dr. Wolfrums Leitung war eine hervorragende Leistung
des Orchesters, wenn auch einige Einzelheiten — wie die ber-
unglückte Passage der Baßklarinette — zu bcanstanden sind.
Jn grotzem Zuge, mit seiner, rhythmischer und dynamischer
Schattierung wurde die Tondichtung künstlerisch ausgeführt,

crgreifend schön erklang der Frauenchor im Magnificat-

und in lautestcm Beifall äußerte sich die Befriedigung Lcr
Hörerschaft.

Nach einer Pause von 30 Minuten, in welcher sich das
grotzherzogliche Paar hüldvoll mit sciner Umgebung unterhielt,
und dann den Tee im Fürstenzimmcr einnahm, das Publikum
sich über die „Neuerungen" im „Für" und „Wider" unter-

hielt, ertönten Posaunensignale zum Beginn der zweiten Ab-
teilung.

Possart rezitierte Wildenbruchs „Hexenlied", Schillings diri-
gierte seine Musik dazu. Mag man üüer meloöramatische
Stücke denken wie man will, das ist sicher: „Das Hexenlied"
von Wildenbruch-Schillings wird nie seines tiefgehenden und
ergreifenden Cindruckes verfehlen, zumal wenn Possart die
Textdichtung spricht. Zum Lobe Possarts eiu Wort zu verlieren,
ist unnötig: er ist der Einzige, und wer das Glück hatte, diesen
gröhten Künstler seines Faches heute Abend zu hören, zog von
dannen mit üem Bewußtsein, einige Augenblicke geweilt zu
haben in einer Region, in der man alles Jrdische vergitzt. Jn
der begleitenden Musik, deren wunderbareCharakteristik wider-
spruchslos wird anerkannt werden müssen, verstand Weister
Schillings das Orchester zu einer Ausdrucksfähigkeit rind Spicl-
freudigkeit emporzuheben, deren künstlerisches Fazit bewunderns-
wert war. Schillings und Possart wurden stürmisch mehrmals
gerufen uud mit Lorüeerkräuzen ausgezeichnet.

Leider konnte Frau Dr. Strautz wegen Unpätzlichkeit
nicht singen, und es muhte deshalb eine kleine Aenderung er-
folgen, die aber, was besonders betont werden muh, die
strenge E i n h e i t l i ch' k ei t des Programms kcineswegs
beeinträchtigte. An Stelle des Ausfalls — gar gerne hätten
wir die drei „Mntterlieder" von Strautz gehört — bot Kam-
mersänger R. von Milde das Schubertff'che Lied „Dem Un-
endlichen." Der Künstler entledigte sich seiner Aufgabe in vor-
züglicher Weise. Volltönendes und wohlklingendes Organ, ver-
bunden mit tiefem Empfinden und gründlichem Berstehen er-
möglichen dem Sänger die Erschöpfung des Stimmungsgehältes
seiner jeweiligen Vorlage.

Den Schlutz des Konzerts bildete die Tondichtung „T o d
und Verklärung" für grotzes Orchester von Richard
Strautz, op. 26. unter'der Äeitung dcs IKomponisten. Das
Werk stellt hohe Ansorderungen an die Ausführenden, und
wenn bielleicht Cinzelnes nicht ganz nachWunsch- desTondichters
„herauskam" oder verschwiegen wurde — Strautz ist ein ver-
wöhnter Dirigent — so war die Darstellung immerhin eine
hervorragende zu nennen. Erschütternd ist die verzehrende
Wirkung, welche diese symphonische Dichtung, die vielleicht die
grötzte organische Einheitlichkeit unter den Strauhschen
Schöpfungen aufweist, erzeugt, mächtig der Zauber, den das
„Uebermatz der inbrünstigen Seligkeit" am Schlusse des Wer-
kes ausübt. , Meister Strauh wurde mit riesigem Beifall aus-
-gezeichnet.

Für diejentgen Besucher, welche zur Nnterstützung ihrer
Erinnerung beim Nachgenuß der gehörten Werke einer „Mit-
hilfe" bedürfen, sei daranf hingewiescn, datz ein guter Klavier-
auszug der Danthe-Symphonie von Th. Forchhammer, desglei-
chen ein solcher des „Hexenliedes" und der symphonischen
Dichtung „Tod und Berklärung" (letzterer von Otto Singer)
existiert.

Die heute Abend in dem ausgezeichnet akustischen Konzert-
raum vorgeführten „Neuerungen" in Bezug auf die Darbie-
tungen der Kunstwerke im Konzert dürften im Prinzip die
Probe bestanden haben. Allerdings wird es — wie eingangs
schon erwähnt — an Gegnern nicht fehlen, und biele Besucher
werden ihre Zustimmung heucheln. Nicht darf vergeffen wer-
den, datz nicht alle Mnsikstücke die gleiche „Behandlung" ver-
tragen und Einzelheiten noch Berbesserungen erheifchen. So
wirkten die beiden leuchtenden Lampen am Eingang störend
(sie wurden indes nach dem z'weiten Stück gedämpft), ferner
mützten die Glastüren am Vestibül mit Vorhängen, ähnlich
wie an Ler Rückseite des Balkons, verdeckt werden, denn der
Anblick der umherwandelnden dienstbaren Geister und Feuer-
wehrleute trägt nicht zur Hebung der Stimmung Lei. Auch
dürfte eine Ovation mit Tufch, und sei es eine solche auf den
geliebtesten Fürsten — wie es in Bezug aus das allverehrte
Herrscherpaar im Badener Lande tatsächlich der Fall ist -—-
einen Raum im einheitlich künstlerisch gefügten Programm
nicht finden können. Ein wesentlicher Faktor zur Förderung
der Einführung der verschiedenen Reformeu dürfte, und es ist
dieser Punkt nicht laut genug zu betonen, in unserer heutigen
musikalischen Erziehung liegen. So wie fie sich
jetzt in ihren Ergebnissen zeigt, verbürgt fie noch nicht die Auf-
nahmefähigkeit der Hörer auf der grotzen Linie. Auf die Ge-
fahr hin, hestigem Widerspruch zu begegnen, wage ich die Be-
yauptung, daß nur ein.geringer Prozentsatz des großen Kon-
zertpublikums den modernen Anforderungen ganz zu ent-
fprechen im stande ist. Pädagogische und musikalische Kunst
haben hier noch ein weites Feld dankbarster Tätigkeit vor sich.

-«- -I-

-i-

Heidelberg, 25. Okt.

Dem intimen Charakter der Kammermusik ent-
sprechend fand das zweite Konzert — vorm. 11 Uhr be-
ginnend — im westlichen kleinen Saale statt. Zur Vorführung
gelangten das Mozart'sche C-dur-Quartett (Köchels Verzeich-
nis Nr. 465), Aria mit dreißig Variationen — die sogenann-
ten Goldberg'schen Variationen — und Beethovens Ouartett
op 132 in a-moll. Die Leiden Ouartette wurden von den
Herren Hofkonzertmeister Profeffor H. Petri, K. Kammer-
musiker ErdmannWarwas, K. Kammermusiker A.
Spitzner und K. Konzertmeister G. Wille aus Dresden
gespielt, während das Bach'sche Werk in den Professoren Jul.
B u t h s - Düsseldorf und Dr. Wolfrum seine Jnterpreten
fand. Die ersten beiden Nummern wurden bei sichtbarem
Musikapparat, Beethovens op. 182 in der Loggia oben gespielt.
Jch gebe der ersten Plazierung den Vorzug, nicht der Sicht-
barkeit wegen, als vielmehr der befferen Klangwirkung in dem
Kammermusiksaale halber. Sonst unterschied sich das Konzert
äutzerlich in nichts von ähnlichen musikalischen Veranstaltun-
gen. Die Darbietung der beiden Quartette war eine hervor-
ragende; jedes Mitglied des Strautzquartetts ist Künstler in
des Wortes höchster Bedeutung, aber auch nach dcr Richtung,
daß teiner der Spieler soliftisch hervorzutreten ftrebt; jeder
ordnete sich dem Ganzen unter, e i n Geist leitete die vier Jn-
terpreten, der Geist der hehrsten Kunst. Eine vorübergehende
Beeinträchtigung erfuhr der erste Satz des a-moll-Quartetts
durch die Nicht ganz reine Stimmung der Geigen. Grandios
war die künstlerische Leistung der Herren Buths und Dr.
Wolfrum im Zusammenfpiel auf den beiden prachtvollen
Bechstein-Flügeln. Das Bach'sche Werk gehört zu dem Be-
deutendsten, was für Klavier geschrieben wurde, und Jofeph
Rheinberger hat das nicht geringe Verdienst, es durch seine
prüchtige Bearbeitung für zwei Klaviere wieder zugänglich
gemacht zu haben, denn das Klavicembalo mit 2 Manualen,
für das das Werk ursprünglich komponiert ist, kennt man längst
nicht mehr. Die Neuausgabe (bei Kistner erschienen) ist des
lautesten Preises wert. Die beiden Künstler Buths und Dr.
Wolfrum ernteten so reichen Beifall, datz sie die beiden letzten
Variationen wiederholten. Nach -42 Uhr war das Konzert zu
Ende.

Das heutige dritte Konzert brachte „die Schöp-
fung" von Joseph Haydn. „Datz wir — so fchreibt Dr. Wolf-
rum im Programmbuche — auch auf diefes Werk zurückge-
griffen haben, könnte vielleicht von dieser oder jener Seite,
namentlich der jüngeren Generation unserer Musikfreunde,
bcanstandet werden. Wir glaubten bei unserem Feste jenen
Teil unserer Mitbürger, für welchen leider seit längerer Zeit
cin Zusammenhang mit unserer großen Kunst nicht mehr oder
nur noch in se'hr schwachem Maße besteht, nicht vernachlässigen
zu sollen. Mit „Volkskonzerten" allein ist da nicht gedient.

Wir meinen, es ist an der Zeit, daß die älteren Oratoriefv
werte eines Haydn, Händel u. a. nun einmal in den wirklich^^
Besitz des Volkes aller Stände, auch der freiwilligen Kirchs^^
chöre, Liedertafcln, Arbeitergcsangvercirie, Männerchöre Mw'
übergehen, datz beim Volke etwas für die Pflege des Choc-
gesanges nach dieser Richtung und für eine Erweiterung des
musikalischcn Gcsichtskreises geschehe". Dies Bestreben ist
nußerst löbliches, nur wird es vielen Hindernissen begcgnr»-
die ich in meinem. ersten Artikcl bereits angedeutet habe. Werw
das Unternehmen hier in Heidelberg im grotzen Ganzen cn-
wohlgelungen zu bezeichnen ist, so gereicht dies der Tatigksl
der einzelnen Dirigenten und ihrer Vereine zur grotzcn Elst'';

- Es kcmn nicht die Aufgabe des Berichterstatkers sein, einr
Analyse des Oratoriums zu geben, es kommt vielmehr daraw
an, zu betonen, in welcher Art und Weise. das allbeliebte Werr
dorgeboten wurde. Zunächst ist zu konstatieren, daß von der
Unsichtbarmachung des Musikapparates abgesehen wurde; denn
dic „Schöpfung" ist eincs jener Werke, die den „unfichtbaren
Chor nicht vertragen. Dem vielköpfigen Chor — der VolM
chor zählte über 500 Mitwirkende — und den Solisten wupde
das ganze Podium eingeräumt, das für amphitheatralischs
Anorduung bis auf den Saalboden heruntcr fich scbr zweck-
mätzig erwies. Das mehr begleitende Orchester hingegess
wurde auf dem Saalbodcn plaziert, und eine Schallwand, dw
das Orchester vom Publikum trennt, war so eingerichtet, dnb
der Orchesterklang dem Chor zugeworfen wurde. Denn fu-
grotze Unternehmungen ist der Platz innerhalb der Musiknisw^
lange nicht ausreichend. Die Aufführung anlangend, kanN
nur reichste Anerkennung ausgesprochcn werden. Der „elm
Versuch" mit einem großen Volkschor ist glänzend gelungeW
Die homophonen Sätze waren von einer Kraft und Fülle,^ dw
imponierend wirkte, die polyphonen Partien von plastrsch^
Klarheit und Deutlichkeit. Das Solistentrio — Frau Kaws
mersängerin Rückbeil - Hiller und die Herren Erüü'
Pinks und Carl Weidt — entsprachen den höchsten Anforst
derungen. Die Sopranistin sang mit glockenreiner Stimr»<!
und wohltuenüer Frische den „Gabriel" und die „Eva", dss
Tenorist zuverlässig den „Uriel", der Batz mit sympathrsch
klingendem Organ und warmer Empfindung den „Raphaek
und „Adam". Das Orchester spieltc sicher und präzis, war
doch technisch keine schwierige Aufgabe. An der Orgel saß He^'
stud. mus. Fritz Stein, die Tonfülle in einzelnen getrage"
nen Sätzen verstärkend. Geradezu überwältigend wirkte des
Orgelklang bei der Stelle „Und es ward Luft!" die Rezitativo
begleitete Herr Musikdirektor Paul Radig auf einem etwai-
mangelhaften Tafelklavier. Auffallend fand ich die fast durch''
gängiz eingehaltene Arpeggio-Spielweise in den Akkorden-
Die lebhafteste Anerkennung und den wärmsten Dank verdients
sich Herr Prof. Dr. Wolfru m. Mit sicherer Hand hielt ev
das Ganze zusammen und führte seine große Schar zuns
glänzenden Siege. Es ist kaum glaublich, was dieser KünstleV
alles zu leisten hat: er ist Dirigent, Orgcmist, Pianist, KonP
pcnist, Regisseur und Arrangeur — überall aber stellt er se>-
nen Mcmn in der hervorragendsten Weise.

Karl A u g u st K r a u ß-

Aus StadL und Land.

Hetdelberg, 26. Oktober.

— Von der Universität. Geh. Rat Profeffor T-r. Otto Kar-
l o w a, Ordinarius für römisches und öeutsches bürgerlichcs'
Recht, welcher bereits für vergangenes Semester krankheits-
halber von der Abhaltung von Borlesungen entbunden war,
hat die schon erfolgte Collegankündigung für das lauferide
Winterhalbjahr mit Rückficht auf seine leidende Gesundheit wie-°
der zurückgenommen. Für heute hatte er die WiedereröffnuuS
seincr Vorlesungeu angemeldet. Durch Ausfall derselben wird
iudes den hiesigen Studierenden der Kechte kein Studiennachst
teil erwachsen, da „Geschichte des römischen Rechts" von dew
außerordentlichen ProfeIor Dr. F. Affolter und „Systeb'
des römischen Privatrcchts" von -Geh. Hofrat Prof. Dr.
Buhl vorgetragen wird. Doch haben fich etliche Stundeiw
verlegungen in der juristischen Fakultät als notwcndig erwiesen-
X Voin Musikfest. Jhre KLnigl. Hoheitcn der Großhcr-
zog und die Grotzherzogin trafen Samstag Nachmittag
3.09 Uhr mit Gefolge hicr cin. Der Großherzogin wurde bci>U
Verlaffen d-cs Wag-ens cin Strautz roter Rosen durch Oberbür-
germeister Dr. Wilckens überreicht. Zur Begrützung hatten
stch außer genanntem Herrn Geh. Regierungsrat Dr. Becker
sowie Major Hildebrand eingefunden. Jhre Kzl. HoheiteN
unterhielten sich einige Zeit mit den Herren und fuhren danck
unter dcn Hochrufen des am Bahnhof versammelten Publikuins
nach dem „Grand-Hotel". Dort wurden die Profefforen Geh-
Rat Czerny, Exzell., Geh. Rat Arnold, Geh. Hofra-
Thode und Hofrat Fleiner in Audienz empfangen-
Hierauf niachtcn die hohen Herrschaften eincn Bcileidsbesuch
bei Exzell. Gch. Nat Kuno Fischer. Die Grotzherzogi^
stattete der Luisenheilan-stalt, der Frauenklinik und dcm Diach
koniffenhaus eincn Besuch ab. T-er Erbgrotzh-erzvS
traf einige Zeit nach seinen hohen Eltern hiee

-ein. Nachdem im „Grand - Hotel" gemeinschaftlnH'
Tee eingenommen war, fuhren dic hoh-en Herr-

schaften um 7 Uhr in die Sta-dthalle zum Konzcrt. Tas Fuhr-
werk hatte Kutsch-ereibesitzer -Karl Seppich, Dreikönigstr. 1b-
gestellt. ' Beim Eintreten dcr großherzoglichen Herrschaften is*
den großen Saal brachtc Bürgermeister Dr. Walz ein Hoctz
auf dieselben aus, in das dic Auwesenden voll VegeifteruNS-.
-einstimmten. Jn der Fürstenloge wohnten der GroßherzoS
und die Großherzogin dem Konzerte bis HL10 Uhr bei urid
begaben sich von da sogleich zur Nbfahrt'an dcn Bahnhos; der
ErLgroßherzog verblicb bis zuni Endc dcs Konzertcs. Währcnd
der Pause wurden im Kammcrmusiksaale der Stadthalle Erj
frischuugen' gereicht. — Ueber den- Verlauf der ersten drei
Konzerte wird an anderer Stelle berichtct. Hier sei nur cini-
ges Aeuherliche crwähnt: Zahlreich ist die Zuhörerschaft, die
dem Musikfest anwohnt; auch aus dem Auslcmd- sind, wic schoN
erwähnt, b-edentende Musikfreunde und Kün-stler erschicn-en-
Ucber Professor Wolsrums „neue Versuche" werden sich Sach-
verstän-dige äußern, im allgemeinen hört man über das Ver-
decken vvm Chor u. Orchester beim ersten Konzert beifällige Ur-
teile, während man dem Verschwinden der wirkendcn Künstler
bei eincm Teil der Kammermu'sik nicht so g-anz Leistimmte-
Die Räume der Stadthalle erwiesen sich für den Zweck voll-
kommen ausreichend; ein Andrang in den Kleider-ablagen ist
bei solch-en Menschenansammlungen unvermeidlich. Ta heim
es eben etwas Geduld haben und — zeitig erscheinen. Gerügr
wird, daß die Türen zu dem großen Korridor während der
einzelnen- Abteilun-gen vollständig ab-geschloffen waren, so datz-
Niemand hinein, auch nich-t Hinaus konnte. Der Mann mit dew-
Schlüssel hat seinen Platz zeitweilig verlaffen. Vor dem 3-
Teil war die P-ause sehr kurz und viele, die hereiugegangen
waren, fan-den, als sie zurückkehrten, -die Türe geschlossen. Da^
war nicht an-genehm. Das vollstündige Abschließen der Tstv
mit dem Schlüffel ist auch für iden Fall, daß sich irgend ein
Zwischenfall er-eignet, gefährlich.—Nach der gl-anzvoll verlaufe-
nen Aufführun-g der „Schöpfung versammclt-e mari sich gestern
Abend im Ballsaale der Stadthalle zu einem gemeinsanieN
Abendessen. Dic mcisten der auswärtigen Festtcilneh-
mer, darunter auch Dr. Rich. Strauß und Professor
S ch i l l i ri g s, waren anwesend, daneben di-e Spitzen unserer
städtischen und staatlichen Behörden, der Hochschule sowie zahc-
reich-e Damen und Herren des Bachvereins und der hiesigeW
musikalischen Welt. Die frohe Stimmung, die unter dem Ein-
druck des bis dahrn so schön verlaufenen Festes herrschte, kaw
in zahlreichen Tischreden und Trinksprüchen zum Ausdruck-
Ob-erbürgermeister Dr. Wilckens gab zunüchst seiner Befrie--
 
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