8
Sommerfrischen Münchener Aünstlcr.
Bei Ärr Arbril. von ksermann ltoch.
ob sie der Fremden wegen oder die Fremden ihretwegen da seien.
nicht mehr ganz zu ihren Gnnsten zu entscheiden geneigt
smd. Und so würde es uns, wenn es die Aufgabe dieser
Zeilen wäre, für den Chiemgau in touristischer Beziehung
Propaganda zu machcn, leicht sein, über manche rühmens-
werte und erstaunliche Fortschritte in der Vcrpslegung des
landgcnießenden Fremdlings zu berichten und ebcnsoleicht und
unvermerkt über einzelnc Schattenstellen hinwegzugleiten.
Solches ist aber nicht unsere Absicht. Wir wollen
nur dcm sreundlichen Leser cine flüchtige Skizze aus den
Künstlerqnartieren am Chiemsee geben, ohne Anspruch auf
festcn inncren Zusammenhang und unbekümmert darum, ob
sie Jemandcn in unser Eldorado verlocke oder nicht.
Unfern der Station Endors, an der München-Salzburger
Bahn, wo die Strecke sich in scharfem Bogen südwärts wendte
und den Fuß des Gebirges erreicht, da zeigt sich den Blicken
des Reisenden zuerst und dann vier Stationen lang zu wieder-
holten Malen die weithingedehnte Fläche eines großen See's,
an stillen Tagen als matter Silberspiegel, bei windigem
klarcn Wetter wie blauer Stahl, vielfach unterbrochcn und
geteilt durch Waldrücken und bebautes Land. Dcr unkundige
Reisende, dcr erfährt, daß dics dcr viclbelobtc Chiemsee sei,
wird sich gewöhnlich durch das, was er davon sieht, ent-
täuscht und unbefriedigt sühlcn. Die flachen, an der Südseite
vorwaltend von braunen Mooren bedeckten, spärlich bewohntcn
Ufer verraten dort so wcnig von dcn landschastlichen Schön-
hciten, welche sie einschließen, daß nur ein winziger Bruchteil
der Reisenden sich dazu bewogcn fühlt, die Eisenbahnfahrt zu
untcrbrechen, um den Sce nähcr kcnnen zu lernen.
Es ist jctzt zu spät, um zu erwägen, welche Wirkungen
cs auf den Touristenstrom, sür den Kultus des See's und
sür seine Bevölkerung gehabt hätte, wenn die Bahn dem
altcn Straßcnzug von Roscnhcim nach Salzburg gefolgt und
nördlich nm den See am Ufer hin gelegt wordcn wäre.
Während von der jetzigen Bahnstrecke aus der See reizlos
im Flachlande liegt, baut sich überall vom nördlichcn und
westlichen Ufer aus die Alpenkette über ihm auf und zwar
in Linien, deren klassische Schönheit Karl Rottmann jener
des Appennin gleichstellte. Zudem erhebt sich das Gebirge
nahe genug am Ufer, um stets durch Ton und Masse im
Landschaftsbild mitzuwirken und doch wieder in solcher Ent-
fernung, daß es die Landschaft nicht ausschließlich beherrscht
und der Seele des Bildes, der Luftwirkung, noch ans-
reichenden Spielraum läßt. Nach Osten und Westen aber
dacht es sich, zum Teil in koulissenartiger Verschiebung, sanft
gegen das Flachland ab und bringt damit wie ein ver-
klingender Akkord eine Wirkung von unbeschreiblicher Schön-
heit hervor. Jm Gegensatz zum Südufer ist das westlichc,
nördliche und östliche Gestade hügelig und läßt mitunter steile
Gehünge in dcn See abfallcn.
Den landschaftlichen Mittelpunkt aber bildet die Grnppc
der drei Jnseln Frauenwörth, Herrenwörth und Krautinscl,
von wclchen die crstc seit nahezu sechzig Jahrcn ein sommer-
lichcr Standart für Künstler aus aller Herren Ländcr geworden
ist. Eine schier unabsehbare Reihe von glänzenden Namcn
könnte genannt werden, dcrcn längst dahingegangene Träger
hier die Begeisterung und den Stoff zu unvergänglichcn
Schöpsungen gewannen, Namen, mit wclchen das Wicder-
ausleben der deutschen Kunst im ersten Viertel des Jahr-
hunderts innig verknüpft ist. Es ist aber auch ein absondcrliches
Stückchen Land, diese Jnsel mit dcm uralten Stist, mit
seinen dürftigen und doch schmucken Fischerhäusern, mit all'
dem malerischen Kram, der die schmalen Ufer säumt und
mit dem Hauch einer tausendjährigen Geschichte, dcr durch
die Wipsel seiner mächtigen Linden zieht. Wer einmal die
weihevolle Stimmung eines schönen Junimorgens unter den
hohen Bäumen vor dem alten Wirthshause hier genossen hat,
der wird einen zeitlebens unvertilgbaren Eindruck von dem
Zauber dieses Eilandes mit ffch forttragen. Dann liegt
meist eine wunderbare Feiertagsstille über der Jnsel, nur
gehoben durch das leise Summen der Biencn in den Linden-
blüten, von welchen weicher Dust sich niedersenkt. Bisweilen
Sommerfrischen Münchener Aünstlcr.
Bei Ärr Arbril. von ksermann ltoch.
ob sie der Fremden wegen oder die Fremden ihretwegen da seien.
nicht mehr ganz zu ihren Gnnsten zu entscheiden geneigt
smd. Und so würde es uns, wenn es die Aufgabe dieser
Zeilen wäre, für den Chiemgau in touristischer Beziehung
Propaganda zu machcn, leicht sein, über manche rühmens-
werte und erstaunliche Fortschritte in der Vcrpslegung des
landgcnießenden Fremdlings zu berichten und ebcnsoleicht und
unvermerkt über einzelnc Schattenstellen hinwegzugleiten.
Solches ist aber nicht unsere Absicht. Wir wollen
nur dcm sreundlichen Leser cine flüchtige Skizze aus den
Künstlerqnartieren am Chiemsee geben, ohne Anspruch auf
festcn inncren Zusammenhang und unbekümmert darum, ob
sie Jemandcn in unser Eldorado verlocke oder nicht.
Unfern der Station Endors, an der München-Salzburger
Bahn, wo die Strecke sich in scharfem Bogen südwärts wendte
und den Fuß des Gebirges erreicht, da zeigt sich den Blicken
des Reisenden zuerst und dann vier Stationen lang zu wieder-
holten Malen die weithingedehnte Fläche eines großen See's,
an stillen Tagen als matter Silberspiegel, bei windigem
klarcn Wetter wie blauer Stahl, vielfach unterbrochcn und
geteilt durch Waldrücken und bebautes Land. Dcr unkundige
Reisende, dcr erfährt, daß dics dcr viclbelobtc Chiemsee sei,
wird sich gewöhnlich durch das, was er davon sieht, ent-
täuscht und unbefriedigt sühlcn. Die flachen, an der Südseite
vorwaltend von braunen Mooren bedeckten, spärlich bewohntcn
Ufer verraten dort so wcnig von dcn landschastlichen Schön-
hciten, welche sie einschließen, daß nur ein winziger Bruchteil
der Reisenden sich dazu bewogcn fühlt, die Eisenbahnfahrt zu
untcrbrechen, um den Sce nähcr kcnnen zu lernen.
Es ist jctzt zu spät, um zu erwägen, welche Wirkungen
cs auf den Touristenstrom, sür den Kultus des See's und
sür seine Bevölkerung gehabt hätte, wenn die Bahn dem
altcn Straßcnzug von Roscnhcim nach Salzburg gefolgt und
nördlich nm den See am Ufer hin gelegt wordcn wäre.
Während von der jetzigen Bahnstrecke aus der See reizlos
im Flachlande liegt, baut sich überall vom nördlichcn und
westlichen Ufer aus die Alpenkette über ihm auf und zwar
in Linien, deren klassische Schönheit Karl Rottmann jener
des Appennin gleichstellte. Zudem erhebt sich das Gebirge
nahe genug am Ufer, um stets durch Ton und Masse im
Landschaftsbild mitzuwirken und doch wieder in solcher Ent-
fernung, daß es die Landschaft nicht ausschließlich beherrscht
und der Seele des Bildes, der Luftwirkung, noch ans-
reichenden Spielraum läßt. Nach Osten und Westen aber
dacht es sich, zum Teil in koulissenartiger Verschiebung, sanft
gegen das Flachland ab und bringt damit wie ein ver-
klingender Akkord eine Wirkung von unbeschreiblicher Schön-
heit hervor. Jm Gegensatz zum Südufer ist das westlichc,
nördliche und östliche Gestade hügelig und läßt mitunter steile
Gehünge in dcn See abfallcn.
Den landschaftlichen Mittelpunkt aber bildet die Grnppc
der drei Jnseln Frauenwörth, Herrenwörth und Krautinscl,
von wclchen die crstc seit nahezu sechzig Jahrcn ein sommer-
lichcr Standart für Künstler aus aller Herren Ländcr geworden
ist. Eine schier unabsehbare Reihe von glänzenden Namcn
könnte genannt werden, dcrcn längst dahingegangene Träger
hier die Begeisterung und den Stoff zu unvergänglichcn
Schöpsungen gewannen, Namen, mit wclchen das Wicder-
ausleben der deutschen Kunst im ersten Viertel des Jahr-
hunderts innig verknüpft ist. Es ist aber auch ein absondcrliches
Stückchen Land, diese Jnsel mit dcm uralten Stist, mit
seinen dürftigen und doch schmucken Fischerhäusern, mit all'
dem malerischen Kram, der die schmalen Ufer säumt und
mit dem Hauch einer tausendjährigen Geschichte, dcr durch
die Wipsel seiner mächtigen Linden zieht. Wer einmal die
weihevolle Stimmung eines schönen Junimorgens unter den
hohen Bäumen vor dem alten Wirthshause hier genossen hat,
der wird einen zeitlebens unvertilgbaren Eindruck von dem
Zauber dieses Eilandes mit ffch forttragen. Dann liegt
meist eine wunderbare Feiertagsstille über der Jnsel, nur
gehoben durch das leise Summen der Biencn in den Linden-
blüten, von welchen weicher Dust sich niedersenkt. Bisweilen