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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Anton von Werner und das Jahr 1870
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0254

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Anton von Merner nnd das Jahr t870.




Aus A. v. werners Skizzenbuch. Vorstrllung drr pommrrschrn Drpulntion
;ur goldrnrn Hochreitsfrirr durch drn Vrvnprinrrn

werdr'il, ebenso dem daneben sitzenden General-Fanre. Alle iibrigen Franzosen stehen mit mehr vder weniger
deutlich verbissenem Zorn und Schmerz da.
Rechts von dem ftehenden Moltke sitzt Bismarck, ruhig, fast behaglich, die Gegner mit einer eigen-
tümlichen Mischnng von leiser Jronie und Bedauern messend, bercit, jeden Schachzug zu durchkreuzen. Zur
Rechten Moltkes General v. Podbielski, ausmerksam betrachtend, zwischen beiden der Dragoner-Rittmeister Gras
Nostitz, die gesnhrten Verhandlnngen in sein Taschenbnch stenographierend. Wie eine starre Nlauer hinter dem
Führer anfgepflanzt noch sechs andere Generalstabsofsiziere, unter ihnen Oberstlentnant Bronsart v. Schellen-
dors, v. Verdy dn Bernois, Major de Claer, nur dnrch die ausmerksam jeder Bewegnng dcr Gegner folgenden
blitzenden Augen Leben verratend. Mißt man die hohen Gestalten der Deutschen in ihrer stahlsesten ent-
schlossenen Haltung mit dem unruhigen Wesen ihrer ossenbar nicht weniger braven Gegner, so kann man keinen
Augenblick in Zweisel sein, wer die Sieger seien, sein müssen. Diese Charakteristik ist ülwrall so vortresslich,
der Nationalcharakter in jedcm Einzelnen so dentlich ansgesprochen, wie sein pcrsönlichcr, daß man mit wahrem
Vergnügen jeden dieser Männer studieren wird. Wenn einem nnr die atemlose Spannung, die das Ganze
verursacht, dazu Zeit ließe! Denn das Bild wirkt gerade durch seine finstere Rnhe, die zn der offenbaren
Wichtigkeit der hier versammelten Personen und der durch sie herbeigesührten weltgeschichtlichen Entscbeidung in
so aufsallendem Kontrast steht. Man zweifelt keinen Augcnblick, daß das die Schlußszene einer snrchtbaren
Tragödie ist, die in jedem Einzelnen noch nachzittert und dcren Helden wir hier vor nns sehen.
Es zeigt sich auch hier wieder der ungeheure Vorteil, den der Künstler bei Schilderung von Menschen
hat, die er genau kennt. Oder glaubt man denn, daß irgend jemand den Kaiser Tiberius oder die Königin
SemiramiS mit dieser Wahrheit schildern könnte?
Ohne Zweifel hat hier, gcnau wie bei Passini, dic moderne Malerei wiederum etwaS erreicht, was die
altc nie in dieser Art geleistet hat. WcnigstenS wüßte ich nirgends von ihr ein ähnliches Bild zn nennen;
sie gibt wohl gelegentlich, wie Rubcns oder Panl Veronese, brillant gcmalte Haupt- und Staatsaktionen, bei
denen es ihr aber nicht entfernt auf diese seine psychologische Schildernng ankommt, sondern vor allem auf
 
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