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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Die Volksschilderung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0303

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2ZS Dic volksschilderung.
Treppe studierte, sein Talent rasch zu ertöten. — Technisch unvollkommen, aber viel gesunder sind die Volks-
szenen in den damals erscheinenden „Schnaderhüpseln" Eugen Neureuthers, der mit Schwind zuerst
die lange und glänzende Reihe jener Jllustratoren beginnt, welche die Cornelianische romantische Schnle erst
in eine lebendige Verbindung mit der Nation brachten, die ihr in Rom ganz abhanden gekommen war. Es
ist Lndwig Richter, der jenen auf dem Fnße folgte und die sächsischen und lhüringischen Kleinbürger und
Bauern in ihrem engen Zusammenhange mit der durch sie so gemütvoll umgestalteten Natnr zeigend,
unvergänglichen Ruhm erntete, obwohl er wie alle diese die Natur selten ganz rein wiedergebenden
Romantiker keineswegs frei von Sentimentalität blieb. Letzteres war auch bei Eduard Meyerheim der
Fall, der um diese Zeit, 1836, ganz Norddeutschland zuerst entzückte durch seinen „Schützenkönig", in
welchem er westfälisches Bauernleben mit glatter Liebenswürdigkeit wiedergab, wie die Gauermann, Fend i,
Waldmüller das oberösterreichische, ohne anch ihrerseits die Sentimentalität ganz los zu werden, wenn
auch der letztere am frischesten bleibt und eine Rcihe Kinderbilder von unvergänglichem Werte geschaffen hat.
Jndes standen jetzt die Volksschilderer allmählich überall in Deutschland aus und ihre Werke sind jedenfalls die
erfrischendsten und dauerhaftesten, die jene Zeit bis 1848 hervorgebracht, während man ihre sämtlichen
Romantiker, gleichviel ob stilisierend oder natnralistisch, nur selten mehr genießbar findet. So suchte sicb in
Düsseldorf der Berliner Jordan das Seemannsleben von Helgoland bis Calais zum Jnhalt seiner bald
humoristischen, bald tragischen, immer aber gesunden Darstellungen aus und Paul Ritter folgte ihm, während
Adolf Schrödter mit köstlicher Laune das rheinische Wirtshausleben schilderte, Tidemand das nordische
Volksleben in wirkungsvollen Bildern aufrollte und an der Spree Krüger auf seinen Wachtparaden das
Berlinertum allerdings weniger objektiv, aber nicht ohne Feinheit und Witz wiedergab.
Während er seine geschniegelten Gardelieutenants aufmarschieren ließ, stellte sich ihm bereits ein
ungleich größerer und begabterer an die Seite: Menzel, ein Riese, dessen Genius damals in „Künstlers
Erdenwallen", den „Bildern zur preußischen Geschichte" und vollends in Friedrichs des Großen Leben die
ersten gewaltigen Flügelschlüge that, die durch ihre unübertreffliche Wahrheit und ihre geistvolle Schärfe der
Charakteristik bald alles, was vor ihm in Deutschland von Volksschilderungen existierte, in Schatten stellen
sollten. Denn hier trat doch einer auf, der gleich Bürckel frei von allen akademischen Traditionen, die Natur
zur einzigen Lehrmeisterin machte, dem der Gipskops nicht bei jedem Tritte zwischen die Beine kam und der
hochbedeutende Menschen mit derselben Sicherheit wiedergab, wie die naiven Existenzen, die er auf der Straße
auslas. So kann man sagen, daß Menz e l der Erste war, der wirkliche Charaktere schuf, was selbst Heß
oder Bürckel nur selten und nie in diesem Maße gelang. Übrigens gehört Menzel weit mehr der Periode
nach 1848 an, die er ganz beherrscht.
Das Jahr 1848 machte überhaupt einen dicken Strich nicht nur in nnsere politische, sondern fast noch
mehr in unsere Kunstgeschichte, die von da an, den Klassizismus samt Trojanern und Hellenen mehr nnd mehr
über Bord werfend, die Schilderung des eigenen Volkes nunmehr fast zum alleinigen Gegenstande wählte, wie
dies das Kennzeichen jeder gesunden Knnst ist. Denn nacheinander traten nun in München Enhuber und
Ramberg, in Düsseldorf Rethel, Knaus und Vautier, in Wien Passini neben dem Berliner
Menzel auf die Bühne, nicht ohne alle mehr oder weniger von ihm beeinflnßt zu werden, dessen glühender
Patriotismus die Seele seiner Kunst war. Fast sämtlich Humoristen, stellten sie zusammen eine Fülle von
Talent in den Dienst der Volksschildernng, wie es keine Nation der Welt gleichzeitig aufzuweisen hatte. Man
muß ihre Werke, die heute noch ebenso unwiderstehlich wirken als vor dreißig Jahren, nur mit jenen anderer
Realisten, so Courbets, Millets und Bretons in Frankreich vergleichen, von denen keiner einen Funken
von Humor hat, keiner im Stande ist, wirkliche Helden oder anch nnr poetisch angehauchte Menschen zn
schildern, um zu verstehen, wie die deutsche Nation ihre Auferstehung bei ihnen nicht weniger als auf dem
Schlachtfelde, ja auf der Leinwand sogar die ersten Siege feierte.
Unsere viel zu doktrinüre Kunstgeschichtsschreibung hat wie gewöhnlich gar kein Verständnis gehabt
für diese ungeheuere Kunstbewegung, welche die politischen Erfolge erst erklärt, hat sie teils nicht bemerkt, teils
vornehm ignoriert, da sie mit Tyrins und König Agamemnon, mit Pergamon oder Egypten viel zu sehr be-
schäftigt war, nm auch noch Zeit und Verständnis für das eigene Volk und seine Geschicke zu haben.
Dennoch standen alsbald nach 1866 noch eine ganze Anzahl neuer Talente auf, welche auf den ver-
schiedensten Wegen dasselbe Ziel der Volksschilderung verfolgten. So Hans Makart, der neue Frauenlob,
dessen Darstellungen der Wiener Frauenwelt ihr einen unvergänglichen Zauber verliehen, wie sie den eigent-
lichen Jnhalt seiner Bilder ausmacht. —Auch Gabriel Max hat ebenfalls die deutschen Frauen, wenn anch
in ganz anderer Weise, vo.i der Seite des Gemütes her geschildert, Jans sen in Düsseldorf das dentsche Bürger-
tum im Mittelalter. Noch direkter wirkte Anton von Werner, welcher dieThaten des deutschen Volksheeres
und unserer nationalen Helden besser feiert, als es seit Menzel irgend einem andern gelnngen, nnd der auch
dem Studenten- und Künstlerleben köstliche Seiten abgewonnen.
Ter Fürst aller Volksschilderer erschien indes erst in Defregger, der selber ans dem Bauernstand
 
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