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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Voss, Georg: Die Eröffnung der Berliner Jubiläums-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0319

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von Georg voß

2-19

Beziehimg den reichsten Formentanmel, dessen Linienschwung jede Statne und jedes Wandgeniälde dieses Raumcs in
seinen Bann gezogen hat. So die großen Grnppen an den vier Pfeitern von Kaffsack, Hnndrieser, Eberlein
und Nikolans Geiger, die Figuren der beiden letzteren Knnstler allerdings von mächtiger Empfindung
getragen nnd anch über ihre dekorative Bedeutung hinaus von bleibendem Werte. Auf dem reich gegliederten
Gebülk hat Otto Lessing die symbolischen Gestalten der Künste und Gewerke angeordner. Die Kuppel
selbst ist nach dem Muster des Pariser Pantheons und des Jnvalidendoms gestaltet. Durch einen mächtigen
Ring, der die Deckenarchitektur scheinbar abschließt, blickt man aus eine durch unsichtbare Fenster grell von
außen belenchtete zweite Kuppel, die mit ihren leuchtenden Gestalten aus blauem Grunde den Sonnenschein des
wirklichen Himmelsgewölbes über den ganzen Raum verbreiten soll. Tie von dem kürzlich aus Weunar nach
Berlin berufenen Prosessor Woldemar Friedrich in kürzester Frist mit großer Sicherheit der Technik aus-
geführten Malereien dieser Kuppel reden natürlich in der Weise des Barocksrils in inhaltreichen Allegorien-
Die Entzifferung ihrer Sprache ist sreilich ebenso schwer, als die Halsbewegung nach hinten, die nun einmal nötig ist


Ebrensaal

um den Blick zu diesen Wolkengaukeleien zn erheben. Die Erklärung des Gemäldes lautet: Germania, um-
geben von den Zeichen kaiserlicher Macht und gefolgt von einer freudig zujauchzenden Künstlerschar, zieht der
Hauptstadt des deutschen Reiches entgegen, und die aufwärts schwebeude Kunst empfängt von dem Gotte des
Lichts und der Schönheit die Verheißung einer neuen Blüte. — Auch die Architektur der übrigen Festsäle von
Cremer und Wolffenstein offenbart dasselbe künstlerische Glaubensbekenntnis zu den Formen des Barockstils.
Auch hier haben die Architeklen namentlich in den Bildhauern ihrer Portale von demselben Geiste erfüllte Mit-
arbeiter gefunden, so daß die Festrüume einen in sich recht harmonischen Eindruck hervorrufen. Jn der Ausführung
wird der ausmerksame Beschauer allerdings manche Schwäche und manche Einzelheit finden, die bei dem schnellen Ent-
stehen des gemeinsamen Werkes keine künstlerische Lösung finden konnte. Doch wer bcdenkt. daß in allen diesen
Sälen aus den vielseitigsten Kompromissen heraus gearbeitet werden mußte und die künstlerische Freiheit des einzelnen
nach allen Seiten gehemmt war, wird dem Gesamtwerke seine ungeteilte Anerkennung aussprechen miffsen. Berlin,
das für die Ausbewahrung der Meisterwerke der Alten die glänzendsten Hallen errichten ließ, hat den künst-
lerischen Schöpfirngen der Gegenwart zum ersten Male ein Heim in dieser Pracht und in diesem Glanze bereitet.
Das war am Eröffnungstage und noch heute die allgemeine Sffmme. Der Maler St.ieler aus München hat
derselben bei dem der Eröffnung solgenden Festessen den beredtestcn Ausdruck verliehen, indem er erklarte:
„Berlin habe der deutschen Kunst in seinen Mauern einen Empfang bereitet, wie einer Braut, und er trinke
auf das Wohl des Bräutigams der deutschen Kunst, auf das Wohl der Stadl Berlin." Hoffen wir, daß diese
bereits in ziemlich vorgerückter Stunde proklamierte Verlobung nicht eines schönen Tages wieder zurückgehen möge!

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