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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Pecht, Friedrich: Karl von Piloty
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0416

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verstandm. Sem Lebm war schon von allem Anfang an ein arbeitsvolles gewesen und er hatte sich mit
grenzenloser Willenskraft bereits durch die schwierigsten Verhältnisse durchgearbeitet, als er nach Vollendung
seines Bildes der „Stiftung der Liga" mit dem „Seni vor Wallensteins Leiche" einen unerhörten Triumph
davontrug und infolge desselben 1856 zum Professor an der Akademie ernannt wurde, der rasch eine große
Schule um sich sammelte. Mit vollem Recht, wie der Erfolg bewies, da er mit unerschütterlicher Festigkeit
darauf drang, daß in dieser Schule endlich einmal wieder die Natur genauer studiert werde, als es seit Jahr-
zehnten an der allmählich ganz verlotterten Anstalt geschehen war, wo man gerade das am wenigsten lernte, was
man doch allein lernen kann, aber auch lernen soll und muß. Das strenge Pflichtgefühl, der Ernst, den
Piloty in seine eigenen Studien wie in seine Lehren hineintrug, sie wirkten unendlich erfrischend und aneifernd
auf die Schüler. Es war das um so mehr der Fall, als sein System, die Natur überall und ausschließlich zur
Lehrerin zu nehmen, diesen vom abgestandenen Klassizismus angewiderten jungen Männern notwendig ebenso
richtig als einleuchtend erscheinen mußte. Überdies trieb er diesen Naturalismus niemals so weit, daß er das
Studium der klassischen Kunst deshalb je ausgeschlossen hätte, im Gegenteil hat er dieselbe nach gewissen
Seiten hin besser verstanden als die meisten Klassizisten, hat er doch das gründlichere Studium der alten
Koloristen in München erst eingeführt!
Muß nun zugegeben werden, daß er selber trotz dieses Systems absoluter Naturnachahmung sich in
seiner Kompositionsweise im Grunde bei weitem nicht so sehr von seinen Vorgängern unterschied als in der
Art, wie er seine Entwürfe ausführte, so war das jedenfalls nur die notwendige Folge jenes Naturgesetzes,
daß niemand sich von seiner Zeit und seinen Vorgängern völlig zu trennen, sondern immer nur einen größeren
oder geringeren Schritt vorwärts in einer bestimmten Richtung zu thun vermag. Der Bruch mit der Ver-
gangenheit, den Piloty vollzog, richtete sich daher mehr auf die Mittel der Darstellung, weil eben diese am
reformbedürstigsten waren. Es blieb seinen großen Schülern Makart, Defregger und Max überlassen, auf dem
Wege weiter zu gehen, den er eingeschlagen nnd die letzten Konsequenzen seiner Richtung erst zu ziehen. Des-
wegen bleibt ihm aber doch das unbestritten, diesen Übergang von einer idealisierenden zu einer individuali-
sierenden Richtung eingeleitet und durchgesetzt zu haben. Ja, er war der erste Münchener Historienmaler, der
statt bloßer Typen oder gar Masken endlich einmal lebendige Jndividuen und Charaktere gab, wie sein Tilly,
Seni, Nero, die Thusnelda, Heinrich VIII. es ohne Zweifel sind. Konnte das selbstverständlich nicht immer
gleich gelingen, so hat er doch das unvergängliche Verdienst, in München einer gesunderen Kunst den Weg
gebahnt zu haben. Alle bedeutenden Menschen wirken auf zweierlei Art: durch das, was sie selber schaffen
und durch die Anregungen, die sie andern geben. Ohne Zweifel ist dieser zweite Teil der Wirksamkeit bei
Piloty der bedeutendere. Als Maler von andern oft übertrosfen, ist er als Lehrer bis heute unerreicht
geblieben.
Dazu traf nun mancherlei bei ihm höchst glücklich zusammen. Zunächst seine große Willenskraft, die
selbst die Widerstrebendsten bezwang, das uneigennützige Wohlwollen, mit dem er seine Schüler in ihrem Fort-
kommen förderte, das außerordentliche technische Geschick, welches die jnngen Leute natürlich zuerst begriffen.
Vor allem aber, daß er durch seine eigene Glut der Überzeugung eine Begeisterung in seinen Schülern an-
zufachen verstand, die allein seine großeu Lehrerfolge zu erklären vermag, wie sie es ermöglichte, daß aus
seiner Schule mehr bedeutende Künstler hervorgingen, als aus irgcud einer anderen seit der des Cornelius
oder des Delaroche. — Dabei ist die Toleranz bewunderungswürdig, mit der er die verschiedensten Begabungen
ertrug und auszubilden wußte; gibt es doch nahezu kein Fach der Malerei, das unvertreten geblieben wäre in
seiner Schule.
Jndes ist sein Lehrtalent nicht das einzige, was ihm die deutsche Knnst zu immerwührendem Dank
verpflichtet. Speziell seine koloristische Begabung war eine große und es ist nur die glänzende Erscheinung
seines genialen Schülers Makart, welche die Anerkennung derselben später einigermaßen in den Hintergrund
treten ließ. — Wer aber heute die neue Pinakothek besucht, wird sofort in derselben sehen, wie mit seinem
Seni eine völlig neue Periode in der Münchener Malerei beginnt.
Wenn die zweite Hälfte dieses reichen und hochverdienten Lebens nicht ganz gehalten hat, was die
erste so glänzend versprach, so ist das eine Erscheinung, die so regelmüßig bei fast allen großen Künstlern, ja
bei allen großen Menschen wiederkehrt, daß man nicht einmal der Krankheit bedarf, welche seit zwanzig Jahren
unseren Meister fast nnaufhörlich und in immer steigendem Maße Peinigte, um sie zu erklären. Vielmehr ist
die heroische Willensstärke zu bewundern, mit welcher er ihr so lange Widerstand leistete und bis zum letzten
Atemzuge thätig blieb mit einer Berufstreue und Tapferkeit, die zu den schönsten Charakterzügen diefer reich-
begabten Natur zählen. Wenn er auch manche Fehler seiner Tugenden besaß und dadurch als Direktor der
Anstalt nicht so durchaus glücklich wirkte wie als Lehrer, so ist das so notwendig und menschlich, daß ihm
nur der Unverstand etwas hoch anrechnen könnte, was all seinen Borgängern nicht weniger begegnete.
Wie er aber nicht nur den Jdealen seiner Jugend treu, sondern auch durchaus von der Macht früher
trauriger Eindrücke beherrscht blieb, das sehen wir in allen seinen Bildern, gleichviel welcher Gattung sie
 
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