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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Brandes, Otto: Der Römerpreis
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0428

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ZZ8

Der Römerpreis

der ersten Entfaltung seines Talentes, durch seine Wander-
jahre bis zu und während seiner Meisterschaft folgb Die-
selbe Bethätigung dieses Fnteresses am Qüai Malaguais,
wie später, wenn die jährlichen Arbeiten aus der Akademie
in Rom, aus der Villa Medici einlaufen, derselbe rege
Anteil bei dem allgemeinen Wettkampf im Salon.
Ehe ich auf die Ausstellung der diesjährigen Römer-
preise eiugehe, dürfte vielleicht ein Wort über die Art
des Wettbewerbes am Platze sein.
An einer ersten Konkurrenz, die die Fertigung eiuer
Skizze zur Aufgabe hat, dars jeder Frauzose teilnehmen,
der noch nicht das dreißigste Jahr überschritten hat und
ledig ist. Aus der Menge der eingelieferten Skizzen
werden die zwanzig besten ausgewählt und deren Urheber
mit den Künstlern, die schon einmal zu der Bewerbung
um den grancl prix in die engste Konkurrenz eingetreten,
sowie mit den Zöglingen der „Kunstschule", die eine erste
Medaille oder deu „Altainville-PreiS" erhalten haben, zu
einer Konkurrenz zweiten Grades zugelassen. Dieses Mal
wird eine Skizze und ein Akt verlangt. Das Ergebnis
wird öffentlich ausgestellt und die Künstler, welche darauf
uach dem Urteil der Kommission die zehn besten Arbeiten
geliefert haben, treten in die engste Konkurrenz. Zwischen
ihnen entwickelt sich definitiv der Kampf um deu „Arunck
prix cks Uonae".
Der malerische Hof der „Lcole ckes loeaux arts"
bietet an dem Tage, wo die Künstler von ihrem Atelier
Besitz nehmen, „eutrent en loge", wie man es hier
nennt, ein buntbewegtes Bild, denn es gilt für 72 Tage,
die Sonntage und das Fest der Republik nicht mitgerechnet,
sich einzurichten. Dienstleute wandern mit Reisekoffern
und Nachtsäcken, mit Matratzen, mit Büchern und all den,
dem modernen Künstler für die Atmosphäre seines Schaf-
sens unentbehrlichen Bestandteilen auf und ab; zwischen
ihnen bewegen sich die Diener der Kunstschule, hier hel-
send, dort zurecht weisend. Alles darf mit in die „loZe"
gebracht werden, nur keine — Gliederpuppe. Endlich hat
man sich eingerichtet. An dem Tage, wc die Konkurrenz
beginnt, versammeln sich die Kandidaten in einem Saale der
Kunsffchule. Ein Mitglied des „Institut cke b'rauce",
welches gleichzeitig einer der Preisrichter, teilt ihnen die
zu behandelnde Aufgabe mit. Ter Gegenstand ist aus
der Reihe verschiedener Borschläge, die jedoch der bibli-
schen Geschichte oder der Welt der alten Griechen oder
Römer entnommen sein müssen, von der aus dreizehn
Akademikern und sechs anderen Preisrichteru bestehenden
Jury durch Abstimmung gewählt worden. Hiernach werden
die Künstler 36 Stunden lang in ihren Ateliers unter
Klausur gehalten. Jn dieser Frist fertigt jeder von ihnen
eine Skizze an, die nach Ablauf derselben die Bildhauer
im Original, die Maler in einer Pause einem Beamten
der Kunstschule aushändigen. Es ist Regel, daß die
spätere Arbeit mit dieser Skizze konform sein muß; ein
wesentliches Abweichen von derselben hat den Ausschluß
aus der Konkurrenz zur Folge, ein Fall, welcher z. B.
bei dem diesjährigen Wettbewerb vorgekommen. Während
dieser ersten 36 Stunden findet das Frühstück gemeinsam
statt, doch ist es ausdrücklich verboten, während desselben
von der Arbeit zu sprechen.
Es ist Sitte, daß nach dieser ersten Arbeit sämtliche
Konkurrenten einen Tag gemeinsam zubringen. Meisten-
teils wird ein Ausflug nach Fontainebleau unternommen,
auf dem das bevorstehende gemeinsame Leid, die gemein-

same Freude das Band der guten Kameradschaft und oft
einer Freundschaft fürs Leben schürzen. Wenn man am
darauffolgenden Tage dann die jungen Künstler au ihre
Arbeit gehen sieht, dann gelangt man leicht zu der Über-
zeugung, daß die überwachten Mienen, das blasse Gesicht
nicht bloß der Ausdruck der Sorge um die bevorstehende
Arbeit, sondern die viel begreiflichere Folge ungeheuer viel
ausgebrachter Toaste auf eine ruhmvolle Zukunft, daß diese
Köpfe nicht blos gedankenschwer, sondern, nm mich studen-
tisch auszudrücken, ganz solide Brnmmschädel siud.
So sehen wir denn den jungeu Künstler eingezogeu
in die Stätte seines Schaffens, vielleicht seines künftigeu
Ruhmes. Die „Logen" sind zehn kleine aneinander
stoßende Zinimer von gleicher Dimension, die nnr durch
Bretterwände gctrennt siud. Jedes hat ca. 3 Meter
Länge. Alle liegen in demselben Gebäude. Jn den Par-
terrcräumen befiuden sich die Bildhauer und die Architekteu,
im oberen Stock die Maler und Kupferstecher. Ein Wärter
bewacht die Eingänge des Hauses, ein anderer ist anf dem
Korridor des ersten Stockes aufgestellt. Zugelassen werden
nur die Modelle. Jch brauche nicht erst zu sagen. daß
unter dem Kostüme derselbeu sich auch manche Kontre-
bande in die Ateliers schmuggelt.
Die erste überaus wichtige Arbeit, die der „Logist"
nun unternimmt, ist die, daß er seinen Namen, so hoch
wie er reichen kann, über seiuem Fenster einschreibt. Ten
vorhandenen, für die vorliegende Aufgabe nicht zu ver-
wendenden Überschuß an Talent benutzt er dann dazu, die
Wände des inneren Korridors, nach welchem sich die Ateliers
öffnen, zu schmücken. Unter sehr lustigen Chargen finden
wir da beispielsweise einen Gallier zu Pferde von Chartran,
zu deni Aims Morot das Pferd gemalt, ein Selbstporträt
von Georges Rochegrosse. Alle, die in deu letzten zehn
Jahren an dem Wettstreit Teil genommen, haben sich hier
„verewigt", die einen im Badekostüm, die anderen als
sprechende Euthauptete; unter den letzteren das sehr ähn-
liche Porträt des zu früh verstorbenen Bastien Lepage.
Bald entwickelt sich zwischen den Künstlern, die durch
die dünnen Wände und die offenen Fcnster sehr gut mit-
einander verkehren können, eiu lustiger Verkehr, die Witz-
worte und Schnurren fliegen herüber und hinüber. Einer
derselben begiuut ein lockeres Liedchen nnd die gauze Ge-
sellschaft siugt den Refrain. Oft herrscht ein Heidenlärm,
so daß die gutmütigen Wärter alle Hände voll zu thun
haben, um Ruhe zu stiften. Zuweilen geht es auch uicht
ohue kleine Tisziplinarstrafe ab, die im Ausschluß von der
Arbeit auf zwei oder drei Tage bcsteht. Auch mancherlei
übermütige Streiche spielt man sich gegenseitig; alles ist
erlaubt, nur nicht zu „saloper". Mit dicsem Studenteu-
ausdruck wird das Betreten des Ateliers eines Kameradcn
zu dem Zweck zu sehen, wie dieser den aufgegebenen Gegeu-
stand behandelt, bezeichnet. Das Reglement, sonst so nach-
sichtig, ist in dieser Beziehung unerbittlich streng. Der
ertappte „Lalope" hat noch denselben Tag sein Atelier
zu verlassen und keine Macht der Welt vermag für ein
solches Vergehen eiue Begnadigung zu erwirken. Am
letzten Tage werdeu sämtliche Ateliers geöffnet. Man kann
sich denken, mit welcher Aufregung jeder der Konkurrenten
das Atelier des anderen betritt. Sämtliche Arbeiten werden
daun ausgestellt uud erst nach drei Tagen fällt die Jury
ihr Urteil. Nach wenigen Tagen erhält der glückliche
Sieger seinen Paß für Monterotondo. Ehe er aber nach
dem Lande der Sehnsucht aufbricht, vereinigt er die Pro-
 
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