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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Unsere Aufgabe
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Ueber Berliner Kunstpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0008

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äussere Mittel sinnliches Wohlgefallen zu erregen suchen, die durch blossen
Klang, schönes Wort, bestechende Farbe, bedeutungslosen Schmuck das ür-
theil der Menge bestechen. Wo dagegen die bewegenden Ideen der Zeit
sich in Wort oder Ton, in Marmor oder Farbe ausdrücken, wo neue Ge-
danken des schöpferischen Genius — selbst in ungewohnten Kunstformen
-— sich offenbaren, kurz wo auf dem Gebiete der Kunst Geist und Leben
sich zeigt, da wird das theilnehmende Interesse des echten Kunstfreundes
gern und lange weilen.
Die neue Zeitschrift, die auf die Kunstwerke der Gegenwart und der
Vergangenheit hinweisen und so den Zwecken der ästhetischen Erziehung
dienen will, kann ihre Aufgabe nicht lösen, wenn sie die allgemeinen ästhe-
tischen Untersuchungen grundsätzlich ausschliesst. Wer an Winckelmann
und Lessing, an Göthe und Schiller, an Schinkel, an Beethoven und Schu-
mann denkt, weiss, wie innig in unserer modernen Entwicklung künstlerisches
Schaffen und reflectirend.es Nachdenken Zusammenhängen. Das Bedttrfniss,
sich über den Grund des ästhetischen Genusses klar zu werden und so zu
den Gesetzen des künstlerischen Schaffens erkennend hindurchzudringen, ver-
langt Befriedigung. Ohne sich von einer bestimmten Schule abhängig zu
machen, werden diese Blätter theils auf werthvolle Forschungen anderer
hinweisen, theils auch selbständig an der neuen Entwicklung der Aesthetik
sich betheiligen.

Ueber Berliner Kunstpflege.
Nicht mit Unrecht ist die Kunst sowie das Genie in zartsinnigen Ver-
gleichen mit der Blume in Beziehung gesetzt worden. Wie die- Blume be-
dürfen beide eines wohlpräparirten und gedeihlichen Bodens und eines wärme-
spendenden Sonnenblickes. Genie’s gab es zu allen Zeiten, aber nicht zu
allen Zeiten vermochten sie sich zu entwickeln. Die Kunst ward zu allen
Zeiten gepflegt, aber nicht in allen Epochen gedieh sie zur Blüthe.
Wie nun lässt sich der Stand unsrer gegenwärtigen Kunstverhältnisse
characterisiren? Steht der Thermometer, wie mancher Pessimist vermeint,
unter dem Gefrierpunkt, oder steigt dies ewigbewegliche Quecksilber auf
einen Grad, welcher das Erwachen eines grossen, allgemeinen Frühlings
ankündigt ?
Die Beantwortung dieser Frage ist von hoher Wichtigkeit. Indem
unser Standpunkt dadurch fixirt würde, wäre vielleicht gleichzeitig der Weg
bezeichnet, auf dem wir uns dem grossen Ziele zu nähern hätten.
Wie aber den Ariadnefaden finden, welcher dem Kritiker aus dem La-
byrinthe der Vermuthungen führt?! Versuchen wir es an der Hand der
Thatsachen, untersuchen wir, in der Metropole des neuen Reiches wurzelnd,
zunächst die Zustände im Kunstleben der preussischen Residenz, untersuchen
wir, wie sich die Kunstpflege bemerklich macht und bethätigt, und wie weit
sie sich erstreckt.
Die Grundlage einer umfassenden allgemeinen Kunstpflege, entsprechend
den Zielpunkten moderner pädagogischer Ausbildung, bestände in der Auf-
nahme der Aesthetik nebst der Kunstgeschichte als obligatorischen Unter-
richtsgegenstand in das System propädeutischer Pädagogik. Dadurch würde
gleichzeitig das Fundament zu einer Veredlung des Geistes gelegt, die ein
Bollwerk gegen den hereinbrechenden Materialismus des Zeitgeistes wäre,
und die einseitige Richtung der gesellschaftlichen Schönthuerei mit den Er-
 
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