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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Vom Tanzen [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0210

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204

Vom Tanzen.
(Fortsetzung.)
Zu den berühmtesten Tänzen gehörte ferner vor allen Dingen die Pavana, Pavane,
der „grosse Tanz“ genannt, ernst, feierlich, stolz, der Tanz der irdischen Götter und ihrer
Hofschranzen. Seinen seltsamen Namen hatte er, weil man in ihm den stolzen, radschla-
genden Pfau (pavo) nachahmte, oder, wie andere behaupten, die kalekutische Henne
(spanisch pava, und der Tanz ist spanischen Ursprungs), weshalb wir ihn also immerhin
den kalekutischen Hühnertanz nennen können, bei welchem freilich manches Gäns’chen
mitgewirkt haben mag. Der Mittelstand tanzte ihn weniger, denn der Mittelstand konnte
es nicht; es gehörte grosse Toilette dazu, und so was ist mit dem zweigeschnäbelten
Frack nicht zu machen. Die Fürsten tanzten ihn in ihren Hermelinen und Galla-Mänteln,
die Ritter erschienen mit Mänteln und mit Degen, „Sr. Gestrengen der Herr Senator“
und „Sr. Weisheit der Herr Bürgermeister“, sowie die ehrenwerthesten Herren Raths-
herren und sonstige hohe Obrigkeit in der feierlichen Amtsrobe, und die Damen, die
„saumnachschleppenden Engel“ in langen weithinrauschenden Roben, die den Saal ver-
engten und unvorsichtige Herren mit jähem Sturze bedrohten; denn, um mit dem Dichter
zu reden: Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen! Sie war sehr beliebt, diese
Pavane, sie war viele, viele Jahrzehnte hindurch der Modetanz in ganz Europa, und von
Jemandem, der gespreizt und stolz, hochnäsig einherging, als wollte er mit seinem „Ge-
sichts-Erker“, wie man seiner Zeit die Nase poetisch hiess, den Abendstern am Firma-
mente aufspiessen, sagte man geradezu: Er pavanirt.
Zur Pavane gehörte in engster Verbindung die Gaillarde, der Nachtanz der Pavane,
italienischen Ursprungs und Gagliarde oder Romanesque genannt, ein munterer, ausge-
lassener, üppiger Tanz, gleichsam die Parodie auf die Pavane, in mehrere Arten zer-
fallend, die aber sämmtlich arge Feinde fanden, zumal die Gaillarde provengale oder
Volte, die in so bösem Rufe stand, dass man sagte: Aus dem Welschen Tanz, so Volte
genannt wird, sollen unzählbare Todtschläge erfolgt sein. Die Volte kam nach Deutsch-
land in der Zeit des dreissigjährigen Krieges, in der ä la mode-Zeit, und von ihr wie von
der Alamode-Zeit selber müssen wir etwas ausführlicher reden.
Wir sind also etwa kurz vor der Mitte des 17. Jahrhunderts. Der grosse Krieg
hatte ganz Deutschland in Verwirrung gebracht, alle Verhältnisse umgestürzt, Fremde
aus allen Nationen in unser Vaterland geführt und mit ihnen zugleich fremdes „wälsches“
Wesen. Man schickte die jungen Adligen nach Paris, um Sitte und Eleganz zu lernen,
man sandte ungeleckte Bären aus und erhielt eitle Narren zurück, die französische Kleider,
Hüte, Waffen, Stiefeln, Strümpfe und Gewohnheiten mitbrachten, und was der Adel vor-
machte, ahmte der Bürger und der Gelehrte nach. Man empfing nun seine Freunde beim
Lever, dejeunirte en famille, nahm ein Diner ein, promenirte ein wenig mit Personen von
Distinction, denen man in charmanter Conversation eine Prise aus der Tabatiere offerirte,
plauderte galant mit den Damen, amüsirte sich im petit cercle, liess sich in der porte-
chaise nach Hause tragen, nahm eine kleine Collation ein, beschäftigte sich ein wenig mit
der Lectüre, nahm en passant eine Visite an, oder ging zum Rendez-vous und eilte dann
in die Soiree, wo man sicher war, die aimabelsten Leute anzutreffen, mit denen man
endlich ein Souper einnahm, worauf man ihnen bon soir! sagte und sich freute, wieder
einen Tag hindurch ein süperbes Leben geführt zu haben, und sich in seinen eigenen
Appartements zur Ruhe begab. Und dies alles nannte man ä la mode, und dass auch die
Tänze dazu gehörten, versteht sich von selbst, diese Tänze, die man nicht gerade in der
anständigsten Weise zu üben pflegte. Schrieb doch schon 1594 der Obervogt von Pforz-
heim, Herr Johannes von Münster, einen gottseligen Tractat vom ungottseligen Tanz,
worin der gelehrte Herr sich also auslässt: Wie fleissig die Franzosen die fünf Passus (die
5 Tanz-Pas) lernen und ihren Gaillard darnach zu richten, ihre Füsse und Beine bisweilen
hierher, bisweilen daher, dann vorn, dann zurück zu lenken und die Caprioien dazwischen
zu mengen auf’s Höchste sich bemühen, dasselbe ist auch jetzt mehr Leuten in Deutsch-
land bekannt, als es gut ist. Denn nunmehr fast ein jeder in Deutschland den Gaillard
tanzen will. Insonderheit aber ist unter ihnen ein unflätiger Tanz, la Volte geheissen,
welche den Namen hat von dem französischen Worte völliger, d. i. in einem Wirbel her-
umfliegen. In dem Tanz nimmt der Tänzer mit einem Sprung der Jungfrau (die auch mit
einem Sprung, aus Anleitung der Musik, herankommt) war, greift sie an einen ungebür-
lichen Ort, da sie etwas von Holz oder anderer Materie hat machen lassen, und wirft die
Jungfrau selbst und sich mit ihr etlich viel mal sehr künstlich und hoch über die Erde
herum, also auch, dass der Zuschauer meinen sollte, dass der Tänzer mit der Tänzerin
nicht wieder zur Erde kommen könne, sie hätten denn beide die Hälse und Beine ge-
brochen.“ Das klingt nun allerdings arg, war aber wohl nicht ganz so schlimm, denn wir
hören, dass die Führung bei der Volte folgende war: Mit dei- linken Hand unterfasste
 
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