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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Plaudereien
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Theaterschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0285

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279

mir; meine Strafe fiel milde aus, im Vergleich zu der Schwere meines Vergehens: Der
nächste Abend sollte einem gemeinsamen Besuch von „Was ihr wollt“ gewidmet sein, ich
sollte gründlich zur Shakespeare-Meininger Fahne bekehrt werden. Wohl mir, das war
auch, „was ich wollte.“

Theaterschan.
„Und es war wüste und leer“, nämlich in den königlichen Theatern, und
der Geist Schiller’s schwebte über den vereinsamten Coulissen und trauerte im An-
gedenken daran, wie die Chöre in seinen Stücken an dieser Stätte behandelt werden,
und die Künstler sehnten sich zwar nicht nach den Fleischtöpfen Aegyptens, denn
ihr Gehalt ist gross genug und sie brauchen nicht zu beten: Gott, verdopple mir
die Gage! aber sie sehnten sich hinaus vom heimatlichen Herde in die verschiede-
nen Bäder und sonstige Verdünnungsanstalten des engeren und weiteren Vater-
landes, selbst auf die Gefahr hin, in jenen furchtbaren Raubburgen, auf deutsch
Hotels genannt, wo der schreckliche Garton, der erbarmungslose Ritter von der
prekären Serviette auf den sorg- und ahnungslosen Reisenden lauert, mit ellenlangen
Rechnungen meuchlings angefallen zu werden. Die Fremden, so da nach Berlin
kamen, sahen sich ohne erhebliche Benachtheiligung des Genusses das Schauspiel-
haus von aussen an, wandten dann ihre Schritte bedachtsam weiter, bis sie an eine
Littfasssäule, diese Trägerin der Berliner Intelligenz und der Inserate des Con-
currenzvereins, Halt machten, um zu überlegen, in welchem Privatmusentempel sie
den Abend ebenso theuer, als angenehm zubringen sollten, denn ein solcher em-
barras de richesses, wie in diesem Sommer, war in Berlin bisher unerhört, und der
gutzkowitische Rabbi Ben Akiba konnte zum ersten Male seit Acostas tragischem
fünften Act ausrufen: Das ist denn doch noch nicht dagewesen! Da waren zunächst
die Wiener, d. h. die Gesellschaft des Strampfer-Theaters, in die unheimlichen Hallen
des Victoria-Theaters eingezogen, wo sonst die Maschinen und bemalte Leine-
wand ihre höchsten Triumphe feiern und der höhere Feerien-Blödsinn die Geduld
der Berliner auf eine oft nur allzugrausame Probe stellt. Eine höchst absonder-
liche und verwunderliche Operette, die auf dem Theaterzettel als komisch bezeichnet
war, eigentlich aber wohl eine Clown-Scene aus einem Wiener Circus vorstellte,
hatte die Herren Grange, Bernard und Treten zu Vätern, Julius Hoppe hatte das
französische „Goldchignon“, so nannte sich der Singsang, der’ deutschen Muse an-
geheftet, und Emilie Jonas die Musik dazu geliefert. Das Interessanteste an der
ganzen Geschichte war entschieden das Brüllen der Kuh im ersten Akte, wobei wir
nur bedauerten, dass das dramatische Rind nicht persönlich auf der Bühne erschien,
was den Effect jedenfalls erhöht haben würde. Uebrigens, um unsere verehrte Le-
serinnen über den merkwürdigen Titel aufzuklären, bemerken wir, dass es sich in
der Operette um ein verlornes, aber — dem Himmel sei Dank! — wiedergefundenes
Chignon von goldenen — oder um prosaisch zu reden, impertinent blonden —
Haaren handelt, um welches sich allerlei Scenen schliesslich sogar in einer Seil-
tänzerbude gruppiren. Die Herren Schweighofer, Gottsleben und die Damen Frls.
Finaly, von einem früheren Gastspiel hier rühmlichst bekannt, und Frl. Blum hielten
das Goldchignon über Wasser, das ohne ihre ergötzliche Komik sonst wohl in den
Wogen des Unwillens der Anwesenden jämmerlich untergegangen wäre. Da das
Goldchignon wrenig Silber in die Kasse brachte, so griffen die Strampferiden bald
zu anderen Stücken, als da waren „Wiener Blut“ und „Margarethl und Fäustling“,
ohne jedoch damit wesentlich bessere Erfolge zu erzielen, bis sie endlich sieh auf
„No. 28“ zurückzogen, welches hübsche Opus schon vor zwei Jahren in der Friedrich-
Wilhelmstadt und im Woltersdorff-Theater sich als einen Kassenmagneten bewährt
hatte. Und siehe da, es zog. Selbst der „gekrachteste“ Börsianer, der über den
traurigen Courszettel mit seinen vielen durch 0 ausgedrückten Dividenden längst,
wie der König Philipp II. von Spanien, das Lachen verlernt hatte und weinend an
seinem Arnheim, wie einst das Volk Israel an Babels Wasserflüssen, sass, selbst
der eilte auf gummilos gewordenen Rädern in die Münzstrasse, um „Die Finaly“
 
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