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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Die Entwicklung der Symphonie [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0225

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219

Die Entwickelung der Symphonie.
ui.
Es ist schon oben berührt worden, dass die altitalienische Ouvertüre, wie
sie besonders von Alessandro Scarlatti ausgebildet worden war, einen lang-
samen Satz zwischen zwei bewegte stellte, also in umgekehrter Folge
verfuhr wie die französische, welche einen Allegrosatz durch ein Grave ein-
leitete und mit einem Grave schloss. Diese letztere Form ist von Jean
Baptiste Lully eingeführt und zur stehenden Norm erhoben worden. In den
meisten Fällen war das Schlussgrave nur eine Wiederholung des zu Anfang
stehenden Satzes, doch kamen auch mancherlei Modificationen vor; so z. B.
blieb es bisweilen ganz fort, oder es schloss sich noch ein zweites Allegro
daran, so dass langsame und bewegtere Tempi mehrmals mit einander
wechselten.
Diese französische Ouvertüre war sammt jener italienischen selbstver-
ständlich nur ein Miniaturding, mit ihrem schablonenhaften Wesen durch die
Wiederholung des Grave den Musikern aber ausserordentlich bequem und
bürgerte sich daher rasch ein. Sie ist namentlich von deutschen Componisten
bis in die Mitte des vorigen Juhrhunderts hinein fleissig cultivirt worden,
und auch die Italiener haben sie vielfach in Anwendung gebracht. Es ist
gewiss ein seltsamer Zug, dass bisweilen Kunstformen auftauchen, welche
lange Zeit fast unbeachtet ihr Dasein fristen, ehe der entwickelungsfähige
Keim in ihnen entdeckt wird. So erging es der Scarlatti’schen Ouvertüre,
die von der Lully’schen ganz in den Hintergrund gedrängt wurde. Das ge-
schah wohl meist nur aus dem rein äusserlichen Grunde, weil diese gar so
bequem zu handhaben war und die geringsten Schwierigkeiten darbot. Man
wendete sie daher um so lieber an, als ja die Instrumentalmusik noch in den
Windeln lag, gegenüber dem Gesänge als vollständige Nebensache betrachtet
wurde. Anders jedoch gestaltete sich das Verhältniss, als die Instrumental-
musik sich zu regen begann, und den Musikern das Bewusstsein von dem auf-
ging, was mit ihr geleistet werden könne.
Allenthalben bildeten sich kleinere und grössere Capellen; jeder grosse
Herr musste seine eigene Hauscapelle haben, und das Bedürfniss nach Ma-
terial für deren musikalische Thätigkeit wuchs in’s Riesenhafte. Die Capeil-
meister mussten Jahr aus, Jahr ein thätig sein, konnten aber aus eigenen
Fonds nicht den ganzen Bedarf decken. So griff man zu allem, was sich
irgendwie zum Vortrage eignete, und auch die Ouvertüren wurden heran-
gezogen. Da zeigte sich denn der Unterschied sehr bald. Die französische
Form blieb was sie war, ein gewissermassen in einen festen Rahmen ge-
schlossenes Allegro, während die italienische den Keim zu einem aus drei
verschiedenen Sätzen bestehenden Tonstücke in sich barg. In Italien hatte
schon Sammartini, Capeilmeister zu Mailand, diesen Keim erkannt und
weiter zu bilden gesucht, indem er die drei Abschnitte von einander trennte
und jeden einzeln zur Darstellung brachte. Derselbe ganz naturgemässe Pro-
cess wiederholte sich nun auch in Deutschland. Hier war es besonders die
damals hochberühmte Mannheimer Capelle, welche die Augen für diesen
neuen Weg musikalischen Ausdrucksvermögens öffnete, und damit war der
Embryo der Concertsymphonie gegeben.
Dass als der eigentliche Schöpfer der Symphonie Joseph Haydn an-
gesehen werden muss, ist eine bekannte Thatsache, doch darf man nicht
vergessen, dass er die Contouren in ziemlich festen Umrissen schon vorfand.
Im Laufe der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts schon hatte sich
 
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