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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Hans Sachs
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0255

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Hans Sachs.
Am 24. des vergangenen Monats, am Johannistage, ward, wie allo
Blätter es erzählt haben, zu Nürnberg das Denkmal eines Mannes enthüllt,
der als bedeutendster und gepriesenster Meistersinger des sechszehnton Jahr-
hunderts als ehrsamer, tüchtiger Bürger und Schuhmacher daneben wohl oft
auch schon vor Wieland und Goethe genannt worden, von dessen Bedeutung
für die deutsche Literatur in ihrem gar nicht unbedeutenden Umfange die
volle Erkenntniss sich aber doch erst seit dem Ende des vorigen Jahrhun-
derts datirt. Heut erkennen wir den Meister in Hans Sachs gern und freudig
an, den Meister der Dichtkunst seiner Zeit, ja, einer Art von Poesie für allo
Zeiten. Fühlen auch gerade die Mitglieder des Gewerks, dem Hans Sachs
bieder und fleissig Zeit seines Lebens angehört hat, sich besonders stolz beim
Klange seines Namens, — sie haben es bei der Errichtung dos Denkmals
auch in materieller Beziehung imponirend bewiesen, was ein -Gedanke thun
kann, und der silberne Lorbeerkranz, den sie zu Füssen der Statue nieder-
gelegt, ziert sie selbst am allermeisten — wir alle wissen doch heute, oder
könnten es wissen, wollten wir es, was jener „Schuhmacher und Poet dazu“
gewesen.
Wohl will uns der Inhalt seiner unzähligen Dichtungen auf den ersten
Blick ebensowenig anmuthen, wie die geschmaklose, hölzerne Form; mit
einem Wort der ganze Mann, sein ganzes Wollen und Wirken will uns,
so schnell beurtheilt, kaum einer Betrachtung würdig erscheinen! •— Aber
wie erklärte sich denn das hervorragende Interesse, das Männer wie Wie-
land, diesem uns so unbedeutend erscheinenden Manne zuwandten, wie passt
die lebhafte Neigung, mit der Goethe seine Schriften las, und der Umstand,
dass er sich mit ihm geistesverwandt fühlte und seine Art und Weise viel-
fältig nachahmte, ja, ihn uns in einem Gedichte, in dem er sich die Aus-
drucksweise Hans Sachsens bis in’s Kleinste zu eigen macht, in liebenswür-
diger Weise darstellt und nahezurücken sucht? Kann das ein unbedeutender
Mensch, kann das solch ein Reimschmied gewesen sein, der einen solchen
Nachahmer hatte, hat der Mann wirklich keinen Beruf und keinen Grund
zum Dichten gehabt, waren seine Stoffe wirklich so nichtig, der Inhalt seiner
Gedichte so matt, die Form gar so roh und unkünstlerisch? Nun, wir wollen
uns den Mann und sein Dichten etwas mehr als oberflächlich ansehen, und
ich hoffe, das Interesse wird sich im Verlauf unserer Beobachtungen ver-
mehren und erhöhen.
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