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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Die Kunstgeschichte in der höheren Töchterschule
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0215

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Die Kunstgeschichte in der höheren Töchterschule.
Die Kunstgeschichte ist ein wesentlicher Theil des allgemeinen Geschichts-
Unterrichts. Schiller sagt in seiner Antrittsrede in Jena: „Es ist keiner
unter Ihnen allen, dem Geschichte nicht etwas Wichtiges zu sagen hätte;
alle noch so verschiedenen Bahnen Ihrer künftigen Bestimmung verknüpfen
sich irgendwo mit derselben; aber eine Bestimmung theilen Sie alle auf gleiche
Weise mit einander, diejenige, welche Sie auf die Welt mitbrachten — sich
als Menschen auszubilden —- und zu dem Menschen eben redet die Geschichte.“
Und sie umfasst ein weites Gebiet; denn in ihrem Kreise liegt die ganze
moralische Welt. Die Geschichte soll ein Bild der Entwicklung der Mensch-
heit geben. Leider legen noch immer viele Geschichtsleitfäden und mancher
Unterricht Zeugniss von der irrigen Ansicht ab, die Geschichte fange erst an
mit den Kriegen, setze sich zusammen aus Krieg und höre auf, wenn der
letzte Kanonendonner verhallt ist, und man erkennt die Meinung durch, das
Ideal der Cultur und Gesittung der Menschheit, ein ewiger Friede, unter
dessen Palmenzweigen sich alle Kräfte zur Vollkommenheit entfalten können,
sei auch das Ende der Geschichte. Fanden wir doch erst vor wenigen Jah-
ren in einem Schulprogramm die Nothwendigkeit des Krieges für die Ent-
wicklung der Menschheit nachgewiesen.
Schiller unterscheidet bei seinen Zuhörern in oben angeführter Rede
solche, die ein Brotstudium treiben, und solche, die ein freies Bildungsideal
verfolgen. Wir könnten auch die Unterrichtsgegenstände eintheilen in solche,
die für das spätere praktische Leben Nutzen bringen, und solche, die weiter
keinen Zweck haben, als Herz und Geist zu veredeln. Zu den letzteren ge-
hört unstreitig die Geschichte und ganz speciell die Kunstgeschichte. Und
sollte wohl das Wort des grossen Dichters in seinem zweiten Briefe über
ästhetische Erziehung des Menschen auch auf unsre Schulen passen: „Jetzt
aber herrscht das Bedürfniss und beugt die gesunkene Menschheit unter sein
tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das grosse Idol der Zeit, dem alle Kräfte
fröhnen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das
geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht, und aller Aufmunterung beraubt,
verschwindet sie von dem lärmenden Markt des Jahrhunderts.“
Die Berechtigung der Kunstgeschichte in höheren Töchterschulen wird
vielfach von Pädagogen und Nichtpädagogen angefochten. Göthe sagt: „Das
Beste an der Geschichte ist der Enthusiasmus, den sie erregt.“ Kann man
aber verlangen, dass unsre jungen Mädchen sich begeistern sollen für die
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