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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Adolph Sterns epische Dichtung "Johannes Gutenberg" und die Kritik
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Der Philosoph von Rumpelsbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0142

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absolut poetischer ist! Und wenn das am grünen Holze geschieht, was
soll am dürren werden?
Das Gedicht ist durchgehend als ein lebendiges lebensfähiges Werk an-
erkannt und doch so beurtheilt worden, dass man sieht, die einfachsten For-
derungen an ein poetisches Kunstwerk sind mit den zufälligsten und will-
kürlichsten vertauscht. Was geschieht erst, wo ein Werk selbst in seiner
Totalität angefochten, verurtheilt, mit Misstrauen oder Misswollen begrüsst
wird. Und wie übel scheint die Dichtung der Gegenwart gestellt, wenn
selbst den Schöpfungen, die man anerkennen, ja rühmen will, ein so wirres
Durcheinander von Stimmen entgegentönt, von denen jede nicht einen sub-
jectiven Eindruck, sondern unbedingte und zweifellose ästhetische Gesetze
auszusprechen vermeint.

Der Philosoph von Kumpelsbach.
„Ein verwildertes Genie“ nennt Robert Hamerling, der Dichter des „Königs
von Sion“ und des „Ahasver“, seinen Schützling Ludwig Mayer in Weitra, den
er unter der Bezeichnung der Ueberschrift in einem jüngst erschienen Werkchen
dem staunenden Publikum vorstellt. Dass Robert Hamerling es ist, der diesen
seltsamen Dichter uns vorführt, ist nicht zu verwundern; ein nüchterner denkender
Schriftsteller, als gerade er — der Mann mit der glühenden Phantasie und der ge-
waltigen Kunst der Sprache, der Dichter Makart, — hätte vielleicht vor diesem
Schritt Bedenken getragen. In diesem einzelnen Fall — und wir werden dies
gleich darzulegen versuchen — scheint uns Hamerling in der Realisirung des früher
ganz richtigen, ja, so energisch ausgesprochen, nur hoch anzuerkennenden Satzes: „Den
Weg in die Oeffentlichkeit zu suchen, hat jeder strebende und ringende Geist ein
Recht, um zu erproben, ob es ihm vergönnt ist, auf einen weiteren Kreis zu wirken,“
vielleicht mit Rücksicht auf das Publikum zu weit gegangen zu sein. Denn das
Urtheil muss auch der sympathisch-fühlende Leser bei diesen wilden Phantasien
haben: hier ist etwas Unfertiges, Unreifes, wenn auch Geniales. Doch um erst zu
sagen, wer Ludwig Mayer ist, soweit wir es eben durch Hamerling wissen: unser
Gewährsmann lernte ihn vor etlichen Jahren bei einer Reise in einem Städtchen
des sogenannten „Waldviertels“ (das Viertel ober dem Mannhartsberge in Nieder-
östereich, die gemeinsame Heimath beider Dichter) als einen entfernten Verwandten
kennen. „Es war ein stark gebauter wohl gebildeter Mann von etwa 30 Jahren,
mit glühenden Augen, dunklem Haar — um den Leib hatte er einen ärmlichen
grauen Mantel malerisch geschlungen.— Man erzählte mir seine Jugendgeschichte.
Er war eine eigenthümliche bizarre Natur von Anfang an. Die Versuche, ihm eine
angemessene Schulbildung zu geben, misslangen.“ Weltscheu, die Aufregung des
Gesprächs wie ein Fieber scheuend, näherte er sich damals Hamerling nicht mehr,
sandte ihm aber, nachdem dieser nach seinem Wohnort zurückgekehrt war, umfang-
reiche Manuscripte „mit entsetzlicher Orthographie“, unter anderm ein Drama mit
zahllosen ungeheuerlichen Personen, Geistern und Gespenstern. Den wesentlichsten
Bestandtheil des Ganzen bildeten die Reflectionen der handelnden Personen, confus,
sinn- und zusammenhanglos, „verrückt“. Aber aus diesem Chaos sprang hie und
da ein Funke — ein genialer Blitz — eine frappante, treffende Wendung, auf die
nicht so leicht ein „vernünftiger“ Mensch gefallen wäre, etwas Traumrednerisches,
geheimnissvoll Inspirirtes sprach aus diesen verworrenen Blättern.“ Hamerling hat
dann durch Briefwechsel, Zuwendung von Büchern — Mayer hatte bis dahin „so
zu sagen nie“ (seine Worte) gelesen — durch Verbesserung der Orthographie, den
Arbeiten seines Freundes den allgemeinsten Schliff zu geben gestrebt, oder richtiger;
 
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