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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Raff´s Symphonie "Im Walde"
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0367

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Raff’s Symphonie „Im Walde“.
Was uns der Wald erzählt, all seine reiche, duftige, frische Empfindungs-
welt, sein geheimniss volles Weben, seinen hehren Frieden, die naiven Weisen
seiner Bewohner, ihr Leid und Freud, daneben das Treiben jener andern
Welt, die hier -Nachts ihi’ gespenstisches Wesen hat ■— all diese natür-
lichen, jedes poetische, unverdorbene Gemüth anziehenden Elemente hat der
berühmte Wiesbadener Meister und Capellmeister wie Blumen zu einem
würzigen Strauss gewunden und in seiner Waldessymphonie niedergelegt.
Je mehr wir neudeutschen Musiker Neigung haben, uns auf dem Felde der
absoluten Musik in subjectives Empfinden einzuspinnen und uns dabei in
nebelhafte, nicht mehr normale Formen zu verlieren, je mehr wir uns darin
gefallen, in der Unklarheit angekränkelter Empfindungen zu versinken, um
so mehr ergötzt der urkräftige, ursprüngliche Zug, der das Werk von Anfang
bis zu Ende durchweht. „Im Walde!“ Es ist ein alter Wald mit bejahrten
Buchen, Eichen und Fichten, mit niedrigen Sträuchern, sanften Abhängen
und kleinen, rieselnden Bächen, mit dem weichen Moosteppich und den still-
lebenden, bescheidenen Waldblumen, aber nicht die üppige, allzu reiche
Vegetation des Südens, die den Sinn gefangen nimmt mit ihrer zauberhaften
Pracht, sondern ein gutes Stück deutscher Natur, das der Sommer so grade
recht bereitet hat, um des Menschen Herz und Sinn zu laben. „Im Walde!“
Nicht jene grell und bunt gefiederte Schaar, welche die Luft des Tropen-
waldes mit ihrem Getümmel erfüllt, nicht jene wilden und reissenden Thiere,
welche Furcht und Schrecken um sich her verbreiten, sondern unsre wohl-
bekannten und wohlbewährten Singvögel, die jeden Sommer unser Vaterland
für werth halten, um es mit dem verlassenen Süden zu vertauschen — ab
und zu ein scheues, vorüberjagendes Wild, das sich nur unsern sorgsam ver-
hüllten Blicken in seiner Sorglosigkeit und Anmuth zeigt, das sind seine
Bewohner. „Im Walde!“ Nicht herumzuspazieren und einige Stunden Er-
holung zu suchen für die angestrengten Nerven, nein, ein freier Sohn der
Natur, frisch an Leib und Seele, empfänglich für alles Gute und Schöne, das
die Natur bietet, muss man zum Wanderstabe greifen, hinter sich lassen die
kleinen Sorgen der Menschen und ihre Hütten, um ganz Dem zu leben, was
gross, erhaben, natürlich ist, •—• so tritt man hinein in den deutschen Wald.
Ein heilig-andächtiges Gefühl, wie es in den hohen Wölbungen eines Domes
in unsrem Herzen wach wird, überkommt uns beim Anblick dieses Reichthums,
dieser Grossartigkeit, mit der die Mutter Natur im Grossen wie im Kleinen so
meisterhaft gewirkt hat. Wir gehen einige Schritte hinein in das Heiligthum,
in der Ferne hören wir Hornrufe verhallen, die Zeichen einer vorüber-
ziehenden Jagd. Wir trinken in vollen Zügen Waldesluft, weiden unsre
Augen an den vom durch fallenden Sonnenlicht malerisch beschienenen Ge-
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