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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Theaterschau
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Concertschau [4]
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bewegtes Bild von Volks- und Krieger - Leben zu geben vermögen, wovon unsere
Bühnen gewöhnlich so wenig wissen, dass ein Dutzend steife Statisten, welche wie
Linde’s berühmte Puppen agiren, und einige misanthropisch dreinschauende
Figurantinnen, die sich zum Sterben langweilen, mit der Prätension auf die Bühne
kommen, Volk von Brüssel oder Neapel zu sein, was wir ihnen bei aller angebornen
Gutmüthigkeit nicht glauben können. Aber nicht blos die Geschicklichkeit war zu
loben, mit welcher jeder dieser Statisten zu agiren wusste, nicht minder war es die
Sorgfalt, mit welcher das verschiedenartige Costüm derselben historisch richtig ge-
wählt war, wie denn auch Waffen, Geräthe und Decorationen ein wirkliches treues
Bild des alten Rom gewährten, wie es zu den Zeiten der Triumvirn gewesen ist.
Von den Mitwirkenden müssen wir Herrn Barnay (Marc Anton) in die erste Linie
stellen, der seine schwierige Aufgabe reiflich durchdacht hatte und dieselbe je nach
der Situation anders uuancirt in wirksamem Spiel zur vollen Geltung brachte, daun
Herrn Nesper, welcher als Caesar würdig in Darstellung, Sprache und Erscheinung
war, und Herrn Hellmuth-Bräm ■ früher am Strande der Panke der Repräsentant
des lustigen Offenbach’schen Jupiter, hatte er sich — an Metamorphosen ja vermöge
olympischer Kraft gewöhnt —- in den Brutus verwandelt, den er in befriedigender
Weise zur Geltung brachte, was im Ganzen auch von den Herren Teller (Cassius)
und Stoppenhagen (Casca) zu sagen ist. Frau Berg (Calpurnia) sah etwas wie eine
in’s Römische übersetzte „gummiräderige“ Commerzienräthin aus, spielte aber recht
brav, und Frl. Setti (Portia) declamirte ein wenig zu viel, war aber sonst genügend.
Die Herren Carl Görlitz und E. Jacobson brachten im Kroll-Theater eine
neue Posse „die Kohlenschulz’n“, welche zum Benefiz für Frl. Mejo in Scene ging.
Das Stück spielt in Marienbad, welches in den Decorationen hübsch gemalt sichtbar
wurde, und die Kohlenschulz’n hat Gelegenheit, in verschiedenen brillanten Toiletten
zu erscheinen, was Frl. Mejo mit Geschmack und wirklicher Eleganz benutzte.
Erfindung, Inhalt, Situationen, Charakteristik, Dialog, Couplet und Witz sind zwar
mittelmässig, alles Uebrige aber löblich.
Das Stadt-Theater brachte ein älteres Stück „Falsche Biedermänner“, eine
Arbeit französischen Ursprungs, auf die Bühne, aber bei manchen Vorzügen des-
selben ist doch die Handlung so dürftig, dass die falschen Biedermänner in der
Sahara der Langweiligkeit stecken blieben, worauf ihr bleiches Gebein in den Kata-
komben der Theaterbibliothek beigesetzt wurde. Die mitwirkenden Schauspieler
halfen die Unglücklichen umbringen und das Publicum verhielt sich angesichts
dieser schauspielerischen Lynchjustiz theilnahmlos.

Concertschau.
Ueber die musikalischen Hauptereignisse des Monats, die neue Verdi’sche Oper
Aida und das Kiel’sche Oratorium Christus, bringt der „Kunstfreund eigene Artikel. Wir
haben daher an diesem Orte nur einiger Concerte zu gedenken, da die Hochfluth der
Concertsaison vorüber ist.
Herr H. Ehrlich ist noch einmal aus seiner Zurückgezogenheit hervorgetreten,
und der reich besetzte Saal der Singakademie, sowie der überaus lebhafte Beifall des Pubhcums
werden ihn hoffentlich bestimmen, sein reiches Talent öfter als bisher vor der Oeffentlich-
keit zu entfalten. In Beethoven’s G-dur- und Cis-moll-Sonate, op. 29 und 27, Gigue von
Mozart, As-dur.Ballade von Chopin, C-dur-Etude von Rubinstein, einigen Stücken aus
Schumann’s Kreisleriana entfaltete er als Pianist alle die Vorzüge, welche wir anzuer-
kennen schon einmal Gelegenheit hatten. Die gediegene Auffassung, die vorzügliche
Technik, der klare, stets nicht nur mitten in der Sache, sondern über der Sache stehende
Vortrag, stellen ihn zweifellos in die Reihe der ersten Pianisten der Gegenwart. Ebenso
zeigte er sich in einer Reihe von Variationen über ein Originalthema auch diesmal wieder
als ein talentvoller Componist, bei welchem eine originelle, frische Erfindungsgabe sich
in seltener Weise mit klarem Verstände vermalt, der immer das Rechte trifft.
Auch über Frl. Henriette Herb eck, welche sich in einem eigenen Concerte in
der Singakademie hören liess, können wir unser bereits ausgesprochenes Urtheil nur
wiederholen. Beethoven (Sonate op. 53), Schumann, Chopin und Liszt gaben ihr vollauf
Gelegenheit, ihre bedeutende Technik und geschmackvolle Auffassung zu zeigen. Auch
 
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