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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Plaudereien
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Vom Tanzen [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0122

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116

Vollkommen wäre mein Glück gewesen, hätte sich nicht die unselige Sitte des
sogenannten Büffetessens, auch auf die Salons des Commercienraths erstreckt.
Fürwahr, Fortuna zeigte sich heut eine unholde Frau; die kleine blonde Sängerin
trippelte am Arm des langen Gardelieutenants, ehe es mir gelungen war, sie zu gewinnen,
um für die Mühen und Sorgen eines cavalier servente wenigstens nicht unbelohnt
zu bleiben.
So blieb mir nichts übrig als gemeinnützig zu wirken, und meinen Freund, der
missbilligend aus einer stillen Ecke dem wüsten Treiben zusah, so viel wie möglich dafür
anzuwerben. Unmuthig legte er das zusammengedrückte Meisterstück eines Pariser cha-
pelier auf einen der blassblauen Fauteuils, warf ihm einen langen Abschiedsblick nach in
der tragischen Voraussetzung eines Nimmerwiedersehens, und folgte mir auf das Schlacht-
feld, dass sich mittlerweile schon einigermaassen gelichtet. Ich veranlasste ihn sogar durch
mein gutes Beispiel, der hageren Advokatenfrau ein Glas stärkenden Burgunders zu bringen,
welche Kräftigung sie ihm ohne Zweifel bei seinem nächsten Prozess vergelten wird. Ich
selbst liess in meinem unglücklichen Amtseifer, bedenklich grosse Tropfen köstlichen
Rebensafts über Schleppen und flatternde Bänder rieseln, und eilte dann so geschwind
aus dem verderblichen Feuer feindlicher Blicke, dass ich schliesslich nicht viel reicher
als ich gegangen, zu einem meiner Bestimmungsorte zurückkehrte. Nach veischiedent-
lichem Garnisonwechsel wurde ich an der Seite „unseres Kindes“ zur Disposition gestellt,
und gelangte in dieser etwas erleichterten Stellung zum endlichen Frieden, der nur einiger-
maassen durch die übliche Theater- und Concertconversation getrübt wurde, die an der
Seite einer musikalischen jungen Dame unerlässlich ist. Es war ein Glück, dass mein
Freund mit der sarkastischen Miene an der entgegengesetzten Seite des Saales gefesselt
war, denn die Kritiken meiner Nachbarin hätten zu einem gefährlichen Disput werden
können, bis wir in den friedlicheren Hafen allgemeiner Bemerkungen einliefen. Wer kennt
ihn nicht, den alten Jammer, dass die Lucca uns unwiederbringlich verloren, und unsere
Primadonna, Gottlob in mehr als einer Beziehung nicht gewillt sie zu ersetzen; die grund-
lose Behauptung, dass Niemann, obgleich er noch „himmlisch“ singt, durchaus in kurzer
Frist keine Stimme mehr haben wird, und dass Joachim noch immer den ersten Platz in
der Geigerwelt behauptet, trotz aller Anstrengungen Anderer. Wer kennt sie nicht zur
Genüge diese Phrasen, die einer vom andern hört, die einer dem andern nacherzählt, und
wer würde mich nicht gern.von ihrer Wiederholung dispensiren?
Und nur kurz war das Vergnügen, welches mir die Unterhaltung der jungen Dame
bot. Nachdem ich ihr eine mühsam erkämpfte Portion Hummer gebracht, wandte sich
„unser Kind“ — ob aus einer vaguen Idee von Verwandtschaft, will ich dahin gestellt sein
lassen — dem langen Gardelieutenant zu, und sonnte sich in den famosen Complimenten
des galanten Kriegers, die ihr im Grunde näher lagen, als unsere musikalischen Ausein-
andersetzungen.
Die Roccocouhr schlug die zweite Stunde des erwachenden Tages und das Fest
war zu Ende, wie alles auf der Welt einmal ein Ende nimmt, dem einen zu früh, dem
andern zu spät; dem einen spinnen die Parzen zu schnell, dem andern wird die Zeit lang
bei den einförmigen Schwingungen ihres Rädchens.
Mir haben sie heut die Mitte gehalten und die Reue um mein gebrochenes Gelübde
gemildert; ja sie würden sie in ein Nichts verwandeln, wenn es mir gelänge, meinen Lesern
eine Stunde zu kürzen, in denen das Rädchen anfängt sich langsamer zu drehen.
Möge es ihnen nur danach besser ergehen als mir, den über die ungeschluchzten
Schluchztakte der Bettelarie, über die scharfen Zinnen des Mont Salvat, und das näselnde
Organ der dicken Recensentenfrau, der Schlaf noch lange floh und noch immer in schüch-
terner Entfernung blieb, da sicher schon alle Wachslichter auf den silbernen Kandelabern
des Commercienraths gelöscht waren, Paris auf seinen Lorbeeren ruhte, und nur Mutter
Rebecca vielleicht, mein Schicksal theilend, schlummerlos die Nacht verbrachte, jetzt
ihrerseits unbelauscht überschlagend, was die Toilette „unseres Kindes“ gekostet. —- Aber
ich darf mich nicht beklagen, warum hatte ich den verführerischen Banden Frau Musika’s
keinen energischeren Widerstand entgegengesetzt!

Vom Tanzen.
(Fortsetzung.)
Kürzer können wir uns hinsichtlich der Bauern- und Dorftänze fassen, die besonders
im Kirmesfeste und am Pfingsttanze zu Tage traten und noch treten. Die beliebtesten
Tänze bei diesen waren der Ringeltanz oder Springauf, der Walzer, zeitweis auch das
Menuett, welchem sich englische, schottische und französische Tänze anschlossen. Manche
 
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