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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Die Ausstellung des Vereins zur Förderung des Zeichen-Unterrichts
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0202

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Die Ausstellung
des Vereins zur Förderung des Zeichnen - Unterrichts.
Iu den Räumen der Akademie der Künste hat der oben genannte Verein eine
Ausstellung zu Stande gebracht, die das volle Interesse des Publicuins verdient. Es
kann nicht genug angeregt werden, bei der Erziehung unserer Jugend einem Bildungs-
fache von hoher Bedeutung seine volle Berechtigung zuzusprechen, einem Bildungs-
fache, welches nicht nur in ästhetischer Beziehung von grosser Tragweite für das
ganze Leben ist, sondern auch vom praktischen Standpunkte aus als sehr werthvoll
bezeichnet werden muss. Man kann täglich sehen, mit welcher Geringschätzung und
souveränen Vornehmheit gerade der Zeichnen - Unterricht in unseren höheren Lehr-
anstalten, namentlich auf unseren Gymnasien als ganz unnütze Spielerei betrachtet
wird, wie der Zeichnensaal und auch die Singeklasse meist nur angesehen werden
als Tummelplätze, auf denen auch die „reifere“ liebe Jugend durchaus nicht des
Ernstes bedürfe, sondern zu ihrer Erholung ein wenig Spielerei treibe, auch wohl
die Zügel der Disciplin gänzlich fahren lasse. Es ist in diesen Anstalten Alles nur
auf eine trockene klassische Bildung und auf Vorbereitung für irgend einFachstudium
abgesehen. Sollte denn der Umstand gar keine Beachtung verdienen, dass ein
ernsteres Studium der Kunstgeschichte (welche auf dem Lehrplan der Gymnasien
gänzlich fehlt) und eine gewisse praktische Ausbildung in den schönen Künsten
wesentlich dazu beitragen würde, die alten Culturvölker, deren Sprachen mit so
vielem Eifer getrieben werden, weit besser zu verstehen, die Hellenen und die Römer,
welche mindestens ein ebenso schweres Gewicht auf ihre künstlerischen Bestrebungen
legten, wie auf jeden anderen Culturzweig. Durch den Zeichnen-Unterricht wird der
ästhetische Sinn geweckt, das Gefühl für Formenschönheit befestigt, ein Verständniss
der Antike angebahnt. Was nützt das Studium der alten Sprachen, wenn man sie
nur philologisch verwerthen kann, und zu keinem ästhetischen Verständniss der Kunst-
Bestrebungen gelangt, die Kunst war zu sehr verwachsen mit dem gesammten Cultur-
leben der Alten, als dass man es zu einem vollkommenen Verständniss ihrer Litera-
tur, ihrer Geschichte, ihrer Wissenschaft bringen könnte, ohne gleichzeitig sich dem
Studium ihrer architektonischen und plastischen Kunst zu widmen. Ä ieles wäre
besser im allgemeinen Zustande unserer heutigen Cultur, wenn die Gleichberechti-
gung der Aesthetik bei der Erziehung anerkannt würde, unsere heutige Kunst könnte
sich weit freier entwickeln, wenn sie nicht fortwährend dem Unverständniss und der
Gleichgültigkeit gegenüberstände, sie brauchte nicht zu aschenb rödeln, sondern könnte
leicht mit aufgerichtetem Haupte einherschreiten im Gefühle ihrer anerkannten Gleich-
berechtigung. Da nun von Seiten des Staats solche Fingerzeige gar zu wenig Be-
achtung finden, müssen sich Privat-Vereine bilden, denen die Pflicht obliegt, diesem
Uebelstande so viel wie möglich entgegen zu arbeiten.
Auf den Studiengang der Gymnasialbildung werden diese Vereine schwerlich
Einfluss ausüben, so wenden sie denn ihre Aufmerksamkeit und ihre Bestrebungen
auf die Bürger- und Gewerbe-Schulen. Welche Resultate dadurch erzielt werden,
zeigt uns die Ausstellung in der Akademie. Wir finden hier zuerst die Kinder-
gärten vertreten, und erfreuen uns an den Leistungen des zartesten Kindesalters.
Bei aufmerksamer Beobachtung wird es dem sich dafür interessirenden Publicum
nicht entgehen, wie die Geschicklichkeit der Kinder der ersten Abtheilung, also
etwa des fünften Lebensjahres fast eine gleiche ist. Wir finden in den Zeichnen-
büchern (die quadratisch vorliniirt sind), unter den Stepp-Arbeiten, den Papierflecht-
und Fadenschling-Arbeiten, unter den ersten Anfängen eine durchgehends ziemlich
gleichmässige Befähigung. Viel mag auf Rechnung der Lehrerinnen zu schreiben
sein, die durch Nachhülfe die Arbeiten aller Kinder zu möglichst gleichmässiger
Vollendung zu bringen suchen, indessen handelt es sich hier’ um Untersuchung einer
ernsteren psychologischen Frage: Findet sich eine gleichmässige Befähigung,. als
Keim zum Kunst-Talent, im frühesten Lebens-Alter gleichmässig gesund organisirter
Kinder? Wir glauben entschieden, diese Frage bejahen und hinzufügen zu müssen,
dass nur mangelhafte Pflege die Schuld trägt, wenn diese Keime nicht gleichmässig
zur Entwickelung kommen.
 
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