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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Jerusalem, Drama von Hans Herrig
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Theaterschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0326

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der dramatischen Handlung. Bis hierher entwickelt sich alles logisch und in ergreifender
Weise zum Verhängniss hintreibend. Heiden-, Juden- und Christenthum stellen sich, jedes
mit seiner Waffe gerüstet, mit des Alterthumes Heiligkeit, der Waffenmacht und der mil-
den Gewalt überzeugungsvoller Sprache einander gegenüber. Die markigen Reden ihrer
Vertreter illustriren die Handlung und schliessen sich den Ereignissen willig und ohne
Zwang an. Von dem Falle Jerusalems an aber, das heisst durch den ganzen dritten Act
des Stückes wird es still, es ist die Ruhe nach dem Sturme, und es will mich bedünken,
als ob die durch die grossartige Gewalt der vorhergehenden Handlung noch fieberhaft
erregte Seele des Zuschauers die Ruhe nicht besitzen könne, mit vollem innigen Ein-
gehen der in ihrer Milde erhabenen Weltanschauung zu folgen, die in den Gesprächen auf
den Trümmern Zions den Sieg erlangt, die das Christenthum als Religion der Zukunft
erkennen lässt, wohl bemerkt, nicht das Christenthum der ecclesia militans, sondern das
der Nazarener, das Christenthum, das dem Phönix gleich aus den Ruinen der versunkenen
Zionsherrlichkeit emporsteigt. Weit aber bleiben jene Mängel, die ich mir aufzuführen
hier gestatte, und die für mich allerdings deutlich vorhanden sind, ohne irgend auf Ein-
zelheiten, wie die des poetischen Wagnisses in den wilden Erzählung Mirjams einzugehn,
zurück hinter den leuchtenden Vorzügen der Dichtung, Vorzügen die vor Allem in der gross-
artigen Behandlung des Gegenstandes, der packenden Gewalt der Gegensätze und des
feinsten Verständnisses für das Bühnengemässe liegen. Was Sprache und Vers betrifft, so wird
mancher erzwungene Reim nicht Jeden anmuthen, sie sind aber, abgesehen hiervon, klar
und schön und bilderprächtig, gleich den Palmen Davids oder den Klageliedern Jeremiä.
Das Colorit von Ort und Zeit ist voll und wirksam gewahrt, nur die Verehrung Simons
als Messias hat bei den anderen Personen, als Ahasver, oft etwas specifisch Christliches
an sich, das dem jüdischen Messiasglauben fremd ist. Eine volle, trotz der erhobenen
Bedenken ganze Bewunderung also für Hans Herrig’s „Jerusalem“; die Bühnendarstellung
desselben ist eine berechtigte Forderung des Dichters und des Publicums an die Theater-
leitungen.

Theaterschau.
Berlin war äusser sich — nach allen Theilen der Windrose sah man die durch
26 Grad im Schatten bedenklich erhitzten Einwohner fliehen, Alles sehnte sich nach
Erholung, frischer Luft auf Bergeshöhen, kühler Brise am Meeresstrand, lauschigem
Schatten in abgelegenen Thälern, nach theuren Hotelpreisen, unbequemen Betten,
schlechten Speisen und noch Gott weis was für Annehmlichkeiten des Lebens, die
man in Berlin — beinah eben so schön haben kann. Es war aber doch etwas An-
deres, was die sonst so kunstsinnigen und wissensbegierigen Residenzler forttrieb,
es war die Invasion von fremden Truppen aus aller Herren Länder, die durch die
Macht unbesiegbarer Waffen alle festen Plätze der Stadt im Sturm einnahmen und
damit auch die Sympathien derjenigen, die durch die Macht der Verhältnisse ge-
zwungen waren, der epidemisch auftretenden Modekrankheit vulgo Reiselust zu ent-
sagen, um hier jedes Attentat auf Herz und Gemüth über sich ergehen zu lassen. —
Es gehören starke Nerven dazu, bei 26 Grad im Schatten Abend für Abend die
Berliner Theater oder Concerträume zu besuchen; denn das war entschieden noth-
wendig, wollte man sich mit der Situation au fait halten und einen Ueberblick ge-
winnen, ob das Gleichgewicht der von allen Enden aus bedrohten und belasteten
Stadt nicht in’s Schwanken gerathe. — Die fremden Truppen aber, die so Unge-
heuerliches versuchten und hervorbrachten, hatten geschworen zur Fahne des Tespis,
wenngleich dessen wohbekannter Karren nicht dircct zu sehen, wohl aber oft. zu
empfinden war. Nur in der Friedrich-Wilhelmstadt war der wahrhaftige
Tespiskarren, aus so und soviel Waggons eines Extrazugs bestehend, aus Mei-
ningen, eingefahren, um, mit Gold beladen, einem kleinen Corps trefflich einexer-
cirter Oesterreicher — Swoboda nebst Gemahlin — Platz zu gönnen. Während-
dessen wurde der NO. der Stadt in der Gegend des Victor ia-Theaters von einem
grösseren Corps gleicher Abstammung unsicher gemacht, ohne sich, trotz vor-
 
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