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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Zur Erinnerung an Winckelmann [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0050

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44

Zur Erinnerung an Winckelmaun.
n.
„Der einzige Weg für uns, gross, ja — wenn es möglich ist — unnach-
ahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten." Diesen Satz führte
Winckelmaun in seiner ersten 1754 erschienenen Schrift (Gedanken über die
Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst*)
weiter aus, und ihn nahmen die hervorragendsten Geister in Deutschland auf,
um in ihrem Erkennen, wie in ihrem künstlerischem Handeln zu dem „classi-
schen Ideal" zu gelangen. Dor Umschwung des geistigen Lebens, der sich
durch die Rückkehr zum classischen Alterthum vollzog, war vielfach vorbe-
reitet. So zeigt sich an manchen Bauwerken (bes. dem Opernhause) und
mehr noch an den Plänen (Friedrichsforum) des Berliner Architekten Knobels-
dorff entschieden das Verlangen, die Bahnen des Willkürstiles zu verlassen.
Namentlich aber prägt sich in der deutschen Dichtung jener Zeit die Sehn-
sucht nach der künstlerischen Vollendung des Griechonthums aus: Klopstock,
der Führer der dichterischen Jugend, hatte sogleich in seiner ersten Odo
(1747) den wahren Dichter als „Lehrling der Griechen" bezeichnet und be-
mühte sich, die Formvollendung der antiken Muster für die deutsche Dichtung
zu gewinnen.
Winckelmaun gab dem vielfach unklaren Streben zuerst bestimmten Aus-
druck, indem er die nachahmungswerthen Vorzüge der griechischen Bildhauer-
kunst nachwies. Bald darauf übertrug Lessing die neugewonnenen Anschau-
ungen auf das Gebiet der Poesie und wurde der Reformator unseres ästheti-
schen Urtheils. Später suchten Göthe und Schiller das classische Ideal auf
dem Boden der deutschen Dichtung zu verwirklichen, und in den bildenden
Künsten leiteten der Architekt Schinkel, der Bildhauer Thorwaldsen und dci'
Maler Asmus Carstens das schönste Wiederaufleben des classischen Alter-
thums ein.
Winckelmaun erkannte zuerst den Unterschied zwischen der griechischen
und der römischen Kunst; diese betrachtet er nur als unselbständige Nach-
ahmung, und nur den griechischen Kunstwerken schreibt er die Vorzüge zu,
nach denen auch die Künstler seiner Zeit ringen sollen. Hier sollen sie das
Höchste finden, was sie erreichen können: die idealisirende Nachahmung der
schönen Natur, den Adel des Contours, die Kunst der Draperie, vor Allem
aber „die edle Einfalt und die stille Grösse, sowohl in der Stellung, als im
Ausdruck." Diese Eigenschaft der antiken Kunst suchte bekanntlich Lessing
in seinem Laokoon als im Wesen der bildenden Kunst begründet zu erweisen,
um in Anknüpfung an das, was W. über die Laokoongruppe bemerkt hatte,
die Grenzlinie zwischen der bildenden Kunst und der Poesie zu ziehen.
Uebrigens forderte W. keineswegs sklavische Nachahmung und copie-
mässige Wiederholung dessen, was vor zwei Jahrtausenden geschaffen war;
wie hätte er sonst in Rafael und Michel Angelo die echten Jünger der
Griechen erblickt und besonders den Schöpfer des Moses als den „Phidias
neuerer Zeiten" bezeichnet, der „vielleicht der einzigo ist, von dem man sagen
könnte, dass er das Alterthum erreichte." Freilich zeigt sich Winckelmaun
als Kind seiner Zeit, wenn er es als die höchste Aufgabe eines Malers be-
zeichnet, seinen Pinsel in Verstand zu tauchen und seine Gedanken in Alle-
gorieen einzukleiden.
*) Durch einen Druckfehler steht im 1. Heft Seite 20 „Dichtkunst“ statt „Bild-
hauerkunst.“
 
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