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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Plaudereien
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Theaterschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0247

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genöthigt werden soll, Frau Musika zu umarmen. Wer mit diesem, meinen wohl-
erwogenen Antrag zufrieden ist, erhebe sein Glas, und lasse es klingen: zu Ehren der Ver-
brüderung von Kunst und Wissenschaft, die ich zu befestigen redlich entschlossen bin. Bist
Du’s so zufrieden, Alte?“ Endloser Jubel war die unzweideutige Antwort; alles umarmte,
küsste und schrie durcheinander. Der Tollste von allen aber war der freigelassene
Kunstjünger, er wusste kaum „wohin mit der Freud" und liess sie an Jedem aus, der sich
nicht mit Vorsicht seinen handgreiflichen Demonstrationen entzog. — Das war das Ende
meiner verhagelten Ferienreise, und ich glaube, dass schon Mancher kopfhängerischer
heimgekehrt als ich.

Theaterschau.
Der officielle, vom Kalender beglaubigte Sommer naht und mit ihm jene Zeit, die
nach der sauren Gurke ihren hochpoetischen Namen führt, jene Zeit, wo die Landtage sich
auflösen, die hohe Politik Siesta hält, und die Redacteure aus Stoffmangel in Verzweiflung
sind und die bekannten Zeitungsenten fliegen oder gar die berüchtigte Seeschlange hinter
dem Redactionspult hervorbrechen lassen, welche dann die Spalten unsicher macht. Die
vom Theater, von Musik und sonstigen Vergnügungen ermüdete und übersättigte Gesell-
schaft eilt in die Bäder, um allerlei scheusslich schmeckendes kaltes, warmes und lauwar-
mes Gewässer in bedenklichen Quantitäten zu sich zu nehmen, oder die matten Glieder in
allerlei Wannen mit verdünntem Salz, Schwefel und Eisen zu strecken; die Putzmacherinnen
nähen sich die Finger lahm, um Madame und die holdseligen Töchterlein so herauszustaf-
firen, dass sie sehen und gesehen werden können; die Koffer füllen, die Häuser leeren sich
■— das Portemonnaie kommt später daran — alles, „was als Pferd geboren ist,“ um mit
dem Abgeordneten Frentzel zu reden, ärgert sich über die unglaubliche Menge von Bahn-
hofstouren, und in wenigen Tagen wird Berlin wieder so leer sein, dass vor der Stadt eine
Tafel mit der Inschrift aufgestellt werden könnte: „Niemand zu Hause. Briefe und Packete
bittet man beim Portier abzugeben.“
Auch im Königlichen Opernhause hiess es bereits: „Das Wandern ist des
Sängers Lust.“ Unter den geheimnissvollen Klängen des Gralmotives erschien der schwan-
gezogene Nachen Lohengrin’s, aus den Fluthen erhob sich die Taube und entführte den
gottbegnadeten Streiter und Sänger; langsam gondelte Held Niemann die Ufer der Schelde
entlang, entschwand zugleich von den Ufern der Spree den Blicken des mächtig hinzuge-
strömten Volkes, das alle vier Ränge des Opernhauses besetzt hatte, und ward nicht mehr
gesehen — für diese Saison. Böse Beispiele verderben gute Sitten, Frau Mallinger und
Herr Betz sind ihm gefolgt gen Süden, um unter einem freundlicheren Himmel, unter
besseren Menschen auszuruhen von des Winters harter Arbeit. Unser lieder- — reiches
Kleeblatt hat uns somit verlassen und verwaist stehen die weiten Räume, im Parquet amü-
siren sich ex officio einige Schock Cadetten , ermuthigt durch die würdige Haltung der
ebenfalls auf besondere Veranlassung anwesenden Officiere im ersten Rang; auf der Bühne
aber weht es kühl bis ans Herz hinan trotz der tropischen Hitze, Alles sehnt sich nach
frischer Luft, Urlaub und Gastspiel. Da nahen aus der Ferne einige Wandervögel und
suchen mit dem letzten Rest ihres durch die Saison angegriffenen Organs einen Ruhepunkt
zu gewinnen, jedoch ihr Aufenthalt ist gewöhnlich nur von kurzer Dauer, keine gastliche
Stätte ist ihnen bereitet, weiter ziehen sie, Niemand giebt ihnen das Geleite. Und immer
stiller wird es in dem Tempel der Kunst, draussen in der freien Gottesnatur sprosst und
erblüht Alles in sommerlicher Pracht, drinnen wird es kahl und öde, ein eisiger Winters-
hauch steigt aus der Versenkung auf und verbreitet sich über die Bühne bis hinauf zur
höchsten Gallerie, und wenn das letzte Freibillet keinen Abnehmer mehr finden kann,
schliessen sich die knarrenden Pforten; geheimnissvolles Dunkel lagert sich über die sonst
im. Festesglanz prangenden Räume, ausgestorben ist jede Bewegung, nur eine einsame
Scheuerfrau gibt hie und da Zeugniss von der liebenden Fürsorge der waltenden und ver-
waltenden Mächte. — — Unter den Wandervögeln befand sich einer, dessen „Schnabel
gar hold gewachsen“ war, was indess nicht im buchstäblichen Sinne des Wortes zu ver-
stehen ist, davon kann man auch zur Noth abstrahiren, wenn er „wie der Vogel singt, der
in den Zweigen wohnet; das Lied, das aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich loh-
net.“ In der jetzigen Virtuosenperiode ist es wahrlich ein seltener Vogel, der über die
verschiedenen Arten des Gesanges gleichmässig zu herrschen weiss, Die traumbewegte
deutsche Jägerstochter Agathe, die rachedürstende, sternenstrahlende Königin der Nacht,
die standhafte, coloraturenreiche Constanze aus dem Munde ein und derselben Sängerin
zu hören und zwar gut zu hören, kann wohl vergessen machen, dass wir uns mitten in der
stagnirenden Saison befinden. Fräulein Marie Lehmann war dei’ seltene Vogel, der uns
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