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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Berichte von Nah und Fern
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Berichte von Nah und Fern.
Leipzig, Ende Mai 1874.
Jeder der verehrten Leser des „Kunstfreund“ kennt gewiss das Genrebild „Der
Löwe kommt“. Die mit diesem gezeichnete Ueberstürzung machte sich, wenn auch in
anderer Weise, bemerkbar, als ein einmaliges Gastspiel der Pollini’schen Operngesellschaft
angezeigt war. Die Theaterbillethändler — denen inzwischen ein kategorischer Ukas das
Handwerk der Wegelagerei und Prellerei im Interesse des theaterbesuchenden Publicums
gelegt hat — machten sich zu Herren des Terrains, um alsdann selbst mit Hülfe der in
ihren Händen verbliebenen Einlasskarten sich einen Ohrenkitzel zu gönnen. Flotow’s
„L’ombra“ (Sein Schatten) war angesetzt und erwies sich als äusserst schattenhaft, keine
Spur von dem Melodienreichthum einer „Martha“, eines „Stradella“. Der Madame De-
siree Artöt bot das schwache Werk keineswegs eine Handhabe, ihre Vorzüge entfalten
zu können, während ihr Gatte, Signor Padilla, nicht der Alte geblieben, er liess die
früher ihm eigene Frische vermissen. Signor Marini verfügt über eine seltene Tenor-
stimme, deren hohe Töne den Vorzug seltener Reinheit besitzen. Signora Derivis besitzt
eine kleine, aber sympatische Stimme; die Erscheinung, das graziöse Spiel dieser an-
muthigen Tochter Frankreichs bezeugen unanlernbares Talent. — Wir hatten „Oberon“
mit Herrn Ernst als Hüon, „Robert der Teufel“ mit demselben Sänger in der Titelrolle,
„Die Afrikanerin“ mit Genanntem als „Vasco“. Herr Ernst hat durch Fleiss und ernstes
Streben sich hier seinen Platz, so zu sagen, erobert, weshalb sein Weggang zu der Ber-
liner Hofoper lebhaft bedauert wird. Frl. Keller darf die Wiedergabe ihrer „Selica“ zu
ihren besten Partien rechnen, während Herrn Listmann’s „Nelusco“ gegen den des
Herrn Gura zurücksteht. — Die nun zu erwähnenden Gastspiele sind bestimmt, Lücken,
welche im Personale entstanden, zu füllen. Als „George Brown“ und „Lyonei“ führte
sich Herr W. K. Wied von Graz gerade nicht unvortheilhaft ein, der junge Sänger be-
darf noch der Schule. Frl. von Teree vom Stadttheater zu Nürnberg, bestimmt, neben
Frau Dr. Peschka-Leutner in Coloraturpartien zu wirken, bestand ihre Proben als „Martha“,
„Regimentstochter“ und „Dinorah“ ehrenvoll, in gesanglicher wie dramatischer Hinsicht
liessen sich vernünftiger Weise ein Protest gegen die Einreihung der Sängerin zum hie-
sigen Ensemble nicht einwenden. Frl. Singer von Olmütz hatte „Agathe“ (Freischütz)
und „Marie“ (Waffenschmied) zu Einführungspartien gewählt. Anerkennenswerthe Stimm-
mittel und nicht gering anzuschlagende Technik sprechen zu Gunsten der jungen Dame.
Hingegen stören anhaftende Provinzial-Manieren und ziemlich ungelenke Handhabe der
deutschen Sprache, so dass in erster Linie Weber’s „Agathe“, die unter dem Schatten
deutscher Eichen gross gewordene Jägerbraut, nicht zu ihrem vollen Rechte gelangte. —-
Mozart’s seit einem Jahre nicht gehörte komische Oper „Cosi fan tutti“, erzielte ein volles
Haus und zog unser sonst so kühles Publicum zu lauten Acclamationen fort. Nur Mozart
konnte sich über solch ein trauriges Libretto, welches neuerdings von Kaliwoda einiger-
massen gesichtet worden, überheben, durch den wunderbaren Reichthum, durch die Innig-
keit seiner Töne die handelnden Personen, so wenig sympatisch sie sind, sympatisch
machen. Die Damen Mahlknecht, Gutzschbach, Peschka-Leutner, die Herren Gura, Reb-
ling und Ehrke lieferten ein Ensemble, wodurch sie das Verständniss, Mozart singen zu
können, glänzend bewiesen.
Auch in den Reihen des Schauspielpersonals haben Gastvorstellungen stattgefunden,
denen wir, weil sie zu Engagementsabschlüssen wohl geführt, Erwähnung thun müssen.
Frl. Schwarzenberg von Brünn gastirte als „Philippine Welser“ im gleichnamigen Schau-
spiele als „Preciosa“ und „Clärchen“ (Egmont). Die beiden ersten Rollen bieten der
Kritik keine Anhaltspunkte zur Beurtheilung, „Philippine Welser“ und „Preciosa“ werden
bei noch so mangelhafter Wiedergabe die Sentimentalen und Schwärmer, welche der so
ziemlich glücklich überwundenen vormärzlichen Periode Geschmack abgewinuen, zu ihren
Verehrern zählen. Wenn „Preciosa“ die Berechtigung zur Aufführung auf grösseren
Bühnen lediglich der Webor’schen Musik verdankt, vermag „Philippine Welser“ keine ein-
zige Legitimation dafür aufzuweisen. Die Scene, wo der alte Welser dem Kaiser gegen-
über seinen wohlberechtigten Bürgerstolz beweist, kann als wohlgelungen gelten, sonst
sind die historischen Personen willkürlich und nichts weniger als historisch gehalten. Als
„Clärchen“ im „Egmont“ bewies Frl. Schwarzenberg entschieden schauspielerisches Talent;
die manche Klippe bergende Rolle ward von der Darstellerin im Sinne des Dichters durch-
geführt. Zu Beginn ihres Auftretens das naive Bürgerkind, war sie während der grossen
Marktscene, in welcher sie Propaganda für die Befreiung Egmont’s macht, ein durch die
Verhältnisse gewachsenes Weib. Gestalt und Organ der jungen Dame berühren sympatisch.
Herr Neumann gab seinen Egmont — der übrigens mit dem geschichtlichen Helden der
Niederlande wenig Gemeinschaftliches besitzt — diesmal angemessen wieder. Herr Tietz
machte aus dem Aufwiegler „Vansen“ einen Hanswurst, Herr Klein hatte seinen „Alba“
dem Vorbilde Haase’s entlehnt. — Herr Paradies von Dortmund trat als „Cäsar Wichtig“
im witzlosen „Registrator auf Reisen“ als „Knifflich“ im veralteten „Winkelschreiber“,
 
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