Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstfreund — Band 1.1874

DOI Artikel:
Plaudereien
DOI Artikel:
Vom Tanzen [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0038

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
32

wann sie das Blatt umdrehen, wann sie das zweite Stück ergreifen, die Ga-
votte im Galopptempo herunterrasen würde, uni meinen sittlichen Schmerz
möglichst schnell zum Culminatiouspunkt zu bringen.
Diese ' Qualen dauern schon beinahe vier Wochen, nun halte ich es
nicht mehr aus, ich muss einen Entschluss fassen •— mein häuslicher Friede
ist zerstört — ich muss meine Abende ausserhalb meiner Wohnung zubrin-
gen; aber wo? Ich habe eine Abneigung gegen Stammkneipen mit obliga-
tem Whist, Scat und politischen Kannegiessereien, also wohin? Ins Theater,
in Concerte! Gut, das liesse sich hören, einige Abende wären allwöchent-
lich damit auszufüllen, aber man kann sich doch nicht die verschiedenartig-
sten Kunstgenüsse Abend für Abend aufoctroyiren , ohne die dazu nöthige
Stimmung zu besitzen und die ist doch nicht immer vorhanden — nament-
lich nicht in meiner augenblicklichen Situation. Es ist wirklich traurig,
aber — halt! ein Gedanke, ja, das geht: die Musikmacherei hat mich ge-
peinigt und gequält, ich drehe den Spiess um — ich werde Kritiker ! und
das ist der Vorsatz, den ich ausführen werde. So kann ich meine Abende
fern von meiner entweihten Wohnung zubringen, ich kann mich in allen
Musikaufführungen herumtreiben, ohne mich in die sonst nothwendige geeig-
nete Stimmung versetzen zu müssen, ich gehe ja nicht hin um zu geniessen,
ich gehe hin um mich zu rächen — zu kritisiren — meinen Aerger im
Dintenfass begraben zu können; fliesst aus diesem dann Gift und Galle statt
,,Milch der frommen Denkungsart“ — was übrigens dem Kritiker erst den
gehörigen Nimbus verleiht — rechtet nicht mit mir, nicht ich bin der
Schuldige, geht hin und werft den ersten Stein auf die Verfertiger der
seichten Salonmusiken, den zweiten Stein auf die sogenannten Lehrer , die
solches Gift verbreiten, den kleinsten Stein auf die bethörte Lämmerheerde,
die sich mit jedem Tonanschlag weiter von dem Wesen der Kunst, von der
sittlichen Erhebung zu einem reinen, keuschen Ideale entfernt,|um im Schlamme
der gewöhnlichsten Alltäglichkeit das Seelische zum Spielzeug des Sinnlichen,
oder besser gesagt, der Sinne herabzuwürdigen. — Still! So ernst wollte
ich eigentlich nicht schliessen, ich hatte mir sogar vorgenommen eine recht
spasshafte Lauue zu heucheln -— aber wenn man — Um Gotteswillen, da
schlägt es 7 Uhr! Schnell Hut und Stock, fort in die freie Natur, um
mich zu retten vor dem Gebet einer Jungfrau!
Vom Tanzen.
Ein asiatischer Despot, vielleicht der berühmte Pascha Rhododendron, sah einmal in
Paris einem Balle zu und wandte sich endlich erstaunt an seinen Nachbar mit den
Worten: »Sagen Sie mir doch, was diese Herren und Damen verbrochen haben, dass
sie dort im Schweisse ihres Angesichts umherspringen müssen; könnten sie denn diese
Arbeit nicht durch ihre Diener verrichten lassen? Freilich, was weiss so ein Schah
von Kunst und gar von der Tanzkunst, dieser ältesten von allen! Der Tanz ist so alt,
wie die Menschheit selbst; Adam und Eva schon haben das erste Menuett im Paradiese
getanzt, bevor sie wegen Contractbruches exmittirt wurden, und ihre Nachkommen
haben gleichfalls getanzt, gesungen und gesprungen in allen Ländern und zu allen
Zeiten, wie sie noch heute singen und springen, so lange die Jugend schäumt, hoch
im Norden zwischen Schnee und Eis und tief im Süden unter Kastanien und Lorbeern,
auf den Eisfeldern der Eskimo’s und im Kraal der Hottentotten. So viele Jahre auch
gingen und kamen, so viele Tage auch die Gottheit webte am sausenden Webstuhl
der Zeit, so viele Geschlechter hinunter stiegen in das Grab und zu ihren Vätern
versammelt wurden, wenn sie den letzten,, den Todtentanz, machten, die nachfolgenden
Generationen haben weiter getanzt über die versunkenen Grabstätten der Geschiedenen
hinweg, und auch nach uns werden dieMenschen singen und springen, wie sie weinen
und lachen, hassen und lieben. Liebe, Eitelkeit und Tanz liegen im Blute des Menschen
und sind ebensowenig auszurotten, als die uns angeborene Neigung zur Narrheit.
 
Annotationen