Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstfreund — Band 1.1874

DOI Artikel:
Concertschau [2]
DOI Heft:
Plaudereien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0118

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
112

besser weg in Bezug auf charakteristische Klangfarbe als unser grosser Symphoniker,
nun, das ist auch ganz natürlich, die mächtige Tonsprache einer gewaltigen Mannes-
seele wird von einer jungen Dame nie in ganzer Vollendung zur Interpretation ge-
langen. Das Concert des Frl. Stresow wurde von Frau Herrenburg - Tuczek und
Herrn Scharwenka in acceptabelster Weise unterstützt.

Plaudereien.
Musik in der Gesellschaft.
Man stand auf der Höhe der Saison, die Vergnügungen überstürzten sich, die Kunst
wurde in der unerhörtesten Weise maltraitirt, Concerte in langer, unabsehbarer Reihe von
Virtuosen und Dilettanten, von Berufenen und Unberufenen arrangirt, Vokal- und Instru-
mental-Musik jeder Gattung in dicht gedrängtem Saal und vor trostlos verödeten Bänken
trieben die geistige Abspannung auf den Culminationspunkt.
Aus dem Concertsaal hatte man sich in den Salon gestürzt, in den Wirbel rau-
schender Ballmusik, oder sonst in eine jener anregenden oder ermüdenden gesellschaftlichen
Belustigungen, wie sie der Winter dei’ grossen Stadt zeitraubend vor uns aufthürmt. Aber
man schien unersättlich und konnte kein Ende finden.
Längst hatte ich das Gelübde abgelegt, mir ein Finis unter dieses Wintermärchen
zu schreiben, aber wozu sind die Gelübde, wenn sie nicht gebrochen werden sollten?
Die Verführerin erschien mir in Gestalt einer eleganten Einladungskarte — es galt
Frau Musika ein neues Opfer zu bringen, in dieser’ Beziehung bin ich jederzeit ein
Schwächling gewesen, und wenn es auch die klingenden Saiten nicht immer verstanden,
einen harmonischen Nachhall in meiner Seele zu wecken, so bin ich doch noch nicht so
abgestumpft, um nicht immer wieder einer neuen — Enttäuschung willig die Hand
zu reichen.
In Folge dieser Vorliebe war ich dem Commercienrath, meinem hochzuverehrenden
Wirth, der sonst nur zum Tanz zu befehlen pflegte, für seine heutige Einladung, die auf
Musik lautete, doppelt dankbar.
Zu welchem Resultat sie führen würde, das blieb für’s erste noch ein unenthülltes
Geheimniss; aber wie dem auch sein mochte, für meine Unterhaltung war in gewisser
Beziehung gesorgt; wohl dem, den diese freudige Gewissheit schon auf der Schwelle be-
grüsst, auch mir ward es nicht immer so gut geboten.
Heut indessen, trat sie mir in der Person eines alten Bekannten entgegen, dessen
scharfe, aber treffende Kritik, dessen weniger sympathische als geistreiche Bemerkungen,
schon so Manchen über die gefährliche Scylla und Charybdis der Langenweile hinweg
gelotst haben. So schlossen wir denn gute Kameradschaft für diesen Abend, die sich in
Freud und Leid trefflich bewährte. Da bekanntlich Letzteres oft ein harter Prüfstein für
die Freundschaft ist, wurde das neue Bündniss gleich im Anfang auf keine leichte
Probe gestellt.
Sie alle, verehrte Leser, werden mir recht geben, wenn ich ein stundenlanges Ver-
harren und Warten in einer bedenklich Sauerstoff mangelnden Atmosphäre einen Zustand
des Leids nenne, der noch wesentlich erhöht wurde, durch eine Cernirung von bunt-
schimmernden Damenschleppen, die bekanntlich schwerer zu durchbrechen ist. als manch’
gut befestigtes Vorwerk; durch die stete Aufregung, hier eine gefährlich situirte Thee-
tasse umzuwerfen, dort eines der zahllosen Kostbarkeiten auf dem Kaminsims zu be-
schädigen.
Ich hielt es daher am rathsamsten, einstweilen geduldig in der, von der Tücke des
Schicksals angewiesenen Stellung zu verharren, bis mich die Jeremiaden meines unglück-
lichen Gefährten aus meiner Lethargie aufrüttelten, und wir gemeinsam beschlossen, die
halbe Stunde, die uns bis zum Beginn des musikalischen Unterhaltungstheils blieb, durch
eine allgemeine Rundschau zu verkürzen.
Das Schleppenchaos hatte sich einigermaassen gelichtet und vermöge verschiedener
Entschuldigungen, gelang es uns, das anstossende Musikzimmer zu erreichen, in dem man
schon eifrig mit geheinmissvollen Vorbereitungen beschäftigt war.
Ein blonder Jüngling mit -auffallend melancholischer Miene, umringt von drei jungen
Damen, behauptete die Mitte des Saales.
,,Paris und die Schönen“, flüsterte mein Begleiter.
 
Annotationen