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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Wagneriana
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0108

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102

Wagner iana.
Richard Wagner erlässt in dem „Musikalischen Wochenblatt“ folgende
nothgedrungene Erklärung:
Ich gestatte mir, auf diesem Wege ein für alle Mal den so häufig
an mich gelangenden Ansprüchen auf Ueberlassung von Bruchstücken
der Partitur meiner „Walküre“ zu Concert-Aufführungen zu ant-
worten. Da diese Ansprüche nur von Freunden meiner Musik und
Solchen, welche die von mir beabsichtigten Aufführungen meines
ganzen Werkes nach Kräften zu fördern sich vereinigt haben, erhoben
werden, bekümmert es mich ganz besonders, dass ich gerade ihnen
erst die Gründe auseinanderzusetzen habe, aus denen es mir
widerwärtig sein muss, die mit so ausdauernder Geduld meinerseits
vorbereitete Aufführung dieses Werkes im Voraus für ihre Wirkung
benachtheiligen zu sollen. Könnten meine Freunde auf dem Wege
der Zerstückelung durch Vorführungen in Concerten und Theatern
gerade dieses Werk sich wirklich aneignon, so bedürfte es der grossen
Mühe nicht, welche ich mir für die Herstellung einer einzigen verständ-
lichen Aufführung desselben gebe. Das Problem einer solchen Auf-
führung habe ich aber eben selbst erst noch zu lösen, da nament-
lich der seltsame Erfolg der von mir unbeeinflussten Theater-
Aufführungen der „Walküre“ in München mir beweist, wie unrichtig
mein Work bisher noch verstanden worden ist; denn, wäre es richtig-
verstanden worden, so würde es Niemandem beikommen können, von
mir die Ueberlassung solcher Bruchstücke zu Concert-Aufführungen
zu verlangen, während dies Denjenigen sehr leicht erscheinen muss,
welche bis jetzt oben nur an wenigen (wie es heisst: „dort geglückten“)
Einzelnheiten Gefallen finden konnten.
Ich hoffe nach dieser Erklärung keinen meiner Gönner und Freunde
zu beleidigen, wenn ich ihren persönlich mir zugehenden Aufforde-
rungen nicht im Besonderen antworte.
Bayreuth, 16. Februar 1874. Richard Wagner.
Wenn der Meister behauptet, dass seine Werke nicht in genügender
Weise verstanden und executirt werden, so können wir ihm nur beistimmen;
die Aufführungen der ganzen Werke in den Theatern — obwohl man ihnen
in Bezug auf Insceniruug und Ausstattung überall eine bevorzugte Aufmerk-
samkeit schenkt, — sowie einzelner Bruchstücke in Concerten beweisen dies
zur Genüge. Der „Walkürenritt“ z. B„ auch das Vorspiel zu den Meister-
singern wird in den meisten Fällen nur dazu benutzt, um einen unerhörten
Orchesterspectakel zu erzeugen.
So gerechtfertigt die nothgedrungene Erklärung deshalb in dieser Be-
ziehung auch erscheint, sind wir doch der Ansicht, dass das Verständniss
für die Wagner’sche Musik durch Vorführung von Bruchstücken aus seinen
Werken nur gefördert wird, dass das Publikum dadurch immer mehr Ein-
sicht in die Eigenthümlichkeiten des Meisters erhält und ihn immer mehr
würdigen lernen wird, und zwar gerade in Bezug auf das Bayreuther
Unternehmen. Tritt dem Publikum das gewaltige Nibelungendrama plötzlich
und unvermittelt entgegen, so wird ihm schon durch die ausserordentliche
Ausdehnung desselben die Uebersicht leicht verloren gehen; es ist zu viel des
Neuen und Ueberraschenden, was mit überwältigender Gewalt auf uns ein-
wirkt ; es wird schwer sein, Anhaltspunkte und Ruhepunkte zu finden, in
 
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