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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Reisende Virtuosen
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Ueber Gesangvereine [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0100

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die engagirten Künstler, sondern für sie selbst dabei herauskommt, obwohl
auch jene durchweg glänzend gestellt sind. Barnum’s Erfolge als Concert-
führer der schwedischen Nachtigall Jenny Lind, die ihr und sein Vermögen
begründeten, liess Andere nicht ruhen. Aber allzuviel hat noch allzeit geschadet,
die regelmässige Wiederkehr des Herrn Ullman hat den Sinn dafür im Publi-
kum abgestumpft, und die in Folge dessen stets geringer werdenden pecu-
niären Erfolge werden sein Unternehmen wohl von selbst einschlafen lassen.
Das aber, was die von ihm gewonnenen Kräfte bieten, ist des Eintrittsgeldes
noch jederzeit werth gewesen. Darüber vornehm hinweg zu gehen, ist einfach
lächerlich; als einzige Kritik zu sagen: darüber schweigt des Recensentcn
Höflichkeit, ist geistreich sein sollender Journalistenstyl oder unverantwort-
liche, musikalische Ignoranz. Signora Trebelli ist in jeder Beziehung eine
Sängerin ersten Ranges, die nur wenige ihresgleichen hat, Sophie Monter ist
eine der bedeutendsten Pianistinnen der Gegenwart, wenn nicht die bedeu-
tendste, und auch die übrigen Mitglieder der diesjährigen Truppe waren ohne
Ausnahme, jedes in seiner Art, Kräfte von durchaus hervorragender Be-
deutung.
Eine andere Frage aber ist die: Was gewinnt die Kunst dabei? So gut
wie nichts I! Und das ist der wunde Fleck dieser Concert-Gesellschaften. Sie
sind nicht unternommen, um wahrhafte Kunst zu verbreiten, Stroben und Eifer
für die Kunst in Tausenden zu erwecken, sondern sie sind kaufmännische
Speculationen, und darauf ist auch von vornherein bei der Zusammensetzung
der Gesellschaft Rücksicht genommen worden. Nicht auf das kommt es an,
was in die Tiefe hinabsteigt und rührt und ergreift, sondern auf das, was
an der Oberfläche schwimmt, bestrickt und blendet. Wer gute Musik hören
will, der bleibe diesen Concerten fern, wer aber vortreffliche Musikanten
kennen lernen will, der findet allemal seine Rechnung. Dor musikalische Ge-
halt des Vorgetragenen ist meistens Null, aber der Vortrag selbst ist meister-
haft. Auch eine Catalani liess ja die Sonne ihrer Wunderstimme nur an Com-
positionen von schon damals gänzlich verschollenen italienischen Tonkünstlern
strahlen, und ihr Ruhm füllte die Welt.
Das ist es auch, was jedem Fachmann ein lebhaftes Interesse an diesen
Concerten erwecken muss. Ohne diese musikalischen Reisegesellschaften hätte
er wohl manche Berühmtheit, von welcher alltäglich die Zeitungen berichten,
niemals selbst kennen gelernt, und die Berühmtheiten sind zum grössten
Theile des Kennenlernens werth. Der vorurtheilslose, wirklich frei denkende
Künstler wird, falls ihm noch ein warmes Künstlerherz im Busen schlägt,
auch jederzeit das Gute anerkennen, wo er es findet, und wird es nicht nur
da sehen, wo es Herkommen oder Parteigeist zu finden vorschreiben. Er
wird sogar noch unter einer Schütte Spreu das Weizenkorn nicht achtlos ver-
schütten lassen, das ihm Gelegenheit zum Nachdenken und -—• zum Lernen
giebt.

lieber Gesangvereine.
ii.
In einer Stadt wie Berlin, in welcher so unsagbar viel musizirt wird, ist
es kaum zu verwundern, wenn sich genösse Punkte fixiren, um die herum
das gesammte musikalische Leben wie krystallinische Gefüge sich zusammen-
 
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