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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Ueber Gesangsvereine
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Zur Erinnerung an Winckelmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0024

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bracht werden können zu den Werken andrer Componisten. Liszt arbeitet
in diesen Werken an einer Reformation des Kirchenmusikstyles, wie Wagner
an einer Reformation der Oper arbeitet; die Wege, welche der Meister von
seinem Genius dabei geführt wird, beleuchten wir vielleicht später einmal
in diesen Blättern. Stellen wir nun aber den modernen katholischen
Kirchencompositionen die modernen protestantischen gegenüber, wie wir sie
z. B. einem Meister wie Kiel ver danken, so wird kaum wegzuleugnen
sein, dass diese Musik in der That im Stande ist, das Gemüth zu wahrhaf-
ter Andacht anzuregen, weil in ihr nicht nur kein engherziger confessioneller
Standpunct festgehalten wird, sondern weil hinaus über den Gesichtskreis
eines bigotten Pfaffenthums in ihr ein Christenthum zu erkennen ist, wel-
ches, wie es im tiefsten Herzen der deutschen Nation wurzelt, nichts ge-
mein hat mit der derbrealistischen Anschauung modernen priesterlichen
Buchstabenglaubens. Für alle Zeiten wird für diese Religion des echten
Menschenthums Beethoven, der jede confessionelle Schranke gesprengt hatte,
als einer der berufensten Verkünder gelten, und unsre modernen Kirchen-
componisten müssen, wollen sie überhaupt zum grossen Publikum in inti-
mere künstlerische Beziehung treten, als Bekenner des von Beethoven uns
hinterlassenen Evangeliums sich erweisen, sie müssen in ihren Werken als
wahrhafte Apostel seinen künstlerischen Glauben predigen. Zu den Factoren,
die zwischen dem Componisten und dem grossen Publikum eine Verständigung
auf künstlerischer Basis vermitteln helfen, gehören neben den Orchestern
im Vordergrund die Chöre, die Gesangvereine. Ihre hohe Bedeutung für die
Kunst, für die Kunstpflege und für die künstlerische Erziehung des Publi-
kums ist demnach äusser aller Frage, und es verlohnt sich wohl, einen Blick
auf die hervorragenderen Gesangvereine einer Musikstadt wie Berlin zu
werfen, um zu prüfen, in welcher Weise sie ihrer hohen Mission gerecht
werden. Selbstredend haben wir es nur mit solchen Instituten zu thun,
welche durch die Ziele, denen sie entgegenstreben, sich als einflussreich auf
das öffentliche Musikleben documentiren, wozu wir hauptsächlich den kgl.
Domchor, die Singacademie, den Stern’schen und den Kotzolt’schen Gesang-
verein zählen.

Zur Erinnerung an Winckelmann.
Schon mehr als ein Jahrhundert ist verflossen, seitdem Johann
Joachim Winckelmann, der geniale Schöpfer der Kunstgeschichte, zu
Triest seinen Tod durch die Hand eines Italieners fand. Aber was er
geschaffen, wirkt noch heute fort und hat unvergänglichen Werth. Seine
hervorragendsten Werke, die vor wenigen Jahren von J. Lessing wieder
herausgegeben sind (Berlin, Verlag von L. Heimann) gehören zu den Muster-
werken unserer klassischen Prosa - Literatur. Sie verdienen nicht minder
als Lessings Laökoon von allen studirt zu werden, welche die moderne
Entwickelung nicht blos der Kunstanschauungen sondern sogar der deutschen
Literatur verstehen wollen.
Denn die Resultate seines Forschens sind, wie schon Göthe urtheilte,
unserer allgemeinen Bildung so ein verleibt, dass man die meisten seiner
Fundamentalsätze heut zu Tage als etwas selbstverständliches ansieht und
sich kaum noch bewusst ist, dass Winckelmann sie recht eigentlich als
etwas völlig neues erschaffen.
Sein Leben erst in neuerer Zeit durch Justi’s gelehrte Forschungen
 
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