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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Die Entwicklung der Symphonie [4]
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Tristan und Isolde in Weimar
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0275

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269

Und wer dem geschichtlichen Entwickelungsgange der Symphonie gefolgt ist,
für den kann die Berechtigung der neuen Form der Symphonischen Dichtung
keinem Zweifel unterliegen.

Tristan und Isolde in Weimar.
Wenn übelwollende Witzbolde in musikalischen Kreisen das Operninstitut des
Weimar’schen Hoftheaters eine „Versuchsstation“ genannt haben, so können die
Weimaraner mit einigem Stolze dieses kleine Scherzwort als einen ehrenvollen nom
de guerre für ihre Bühne acceptiren. Denn an jenem gutgeleiteten und der Specu-
lation entrückten Theater der kleinen, ehrwürdigen Residenz sind von jeher Expe-
rimente angestellt worden, für welche sich am Schlüsse die gesammte Kunstwelt
zu bedanken hatte. Auch in musikalischen Dingen hat dieses fürstliche Städtchen
mit frisch wagender Hand die gelegentliche Führerschaft an sich gerissen. An der
Weimar’schen Oper ist unter Anderm der Versuch gemacht worden, den Tondramen
Richard Wagner’s das Leben zu retten zu einer Zeit, wo die Fluth der Vergessen-
heit nahe daran war, über diesen zusammenzuschlagen. Im Anfänge der fünfziger
Jahre war es, als Franz Liszt die Töne des „Lohengrin“ aus dem bleichen Pa-
piere der Partitur herauserweckte und in Weimar zum ersten Male erklingen liess, —
als dieser enthusiastische Freund mit überzeugender Beredtheit dem Publicum seine
eigene Empfindung und Anschauung über Tannhäuser und Lohengrin darlegte und
in weiteren Kreisen den guten Willen wenigstens zum Verständniss dieser Werke
anregte. Man darf heute von einem Erfolge dieses Weimar’schen Versuches sprechen,
wenn man darauf etwas giebt, dass Wagner seitdem in die Mode gekommen ist;
höher wurde jene That dadurch belohnt, dass R. Wagner dem Gefühl der ödesten
Vereinsamung entrissen, mit wiederkehrendem Muthe an den Angriff neuer künst-
lerischer Arbeiten ging.
In der letztvergangenen Woche hat dieses Weimar’sche Hoftheater abermals
die Blicke, gleichviel ob schadenfrohe oder hoffnungsvolle, aber es hat die Blicke
Derer auf sich gezogen, welche nicht umhin können, der Wagner’schen Kunst irgend
welche Beachtung zu schenken. Denn es war auf diese Zeit von der grossherzog-
lichen Hofoper der Versuch unternommen worden, Wagner’s musikalisches Drama
„Tristan und Isolde“ binnen acht Tagen dreimal zur Aufführung zu bringen. Und
dies ist auch geschehen. Mit welchem Erfolge wird die nächste Zukunft lehren.
In „Tristan und Isolde“ empfing Rich. Wagner von seiner Muse ein Ge-
schenk, das ganz nach seinem Herzen war und in keiner Falte etwas von den
Principien verleugnet, für welche dieser Meister sein Leben eingesetzt hat. Wenn
aber Wagner das Glück nach äusseren Gütern misst, so muss ihm dieser Liebling
ein Schmerzenskind sein. Denn die glänzende Bahn, welche den Meistersinger,
der Tannhäuser, Lohengrin, Holländer auf- und abjagen, hat sich diesem Tristan
noch nicht eröffnen wollen; obschon reif an Jahren, ist er kaum noch flügge ge-
worden, der Beifall der Menge starrt ihm gegenüber in schweigendem Schauer.
Seit Ende 1858, wenn wir nicht irren, fix und fertig, traf dieses Werk bei Intendanzen
und Directionen immer wieder auf jenes bekannte Non possumus, das man den
anderen Melodramen des Meisters gegenüber längst in die allerfreundlichen Be-
grüssungsformeln umgestimmt hatte. Wagner persönlich hat sich um die Auffüh-
rung dieses Werkes in Karlsruhe, Paris und Wien die grösste Mühe vergeblich ge-
geben; bis endlich 1865 der kunstbegeisterte König von Bayern, Ludwig II., in
welchem Wagner den ersehnten „Faust“ seines gesellschaftlichen Zukunftsideals
fand, sich auch dieses Tristan annahm. Im Juni und Juli des genannten Jahres
fanden in München vier Aufführungen dieses Weikes, mit dem tiefsten Verständ-
niss von H. v. Bülow geleitet, und unter Mitwirkung der ausgezeichnetsten Kräfte,
wie des Schnorr’schen Ehepaares, statt. Die Frennde Wagner’s erblickten in den-
selben den grossartigsten Erfolg, die Gegner fanden in dem plötzlichen Tode des
Trägers der Hauptpartie, des für alle Zeiten unvergesslich grossen Sängers, Schnorr
 
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